Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


6. Sonntag der Osterzeit - Lesejahr B (Joh 15,9-17)

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird. Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet. Dies trage ich euch auf: Liebt einander! (Joh 15,9-17)

Und wie geht das jetzt?

Es sagt sich ja so furchtbar leicht, "Liebt einander!" Aber wie geht das dann? Wie liebt man?

Liebe Schwestern und Brüder,

nein, das ist keine dumme Frage und ist erst recht keine nebensächliche. Wenn Jesus sagt, dass wir ihn lieben und in seiner Liebe bleiben, wenn wir seine Gebote halten und wenn er uns dann gleichsam als einziges Gebot den Auftrag gibt, einander zu lieben, dann ist das die zentrale Frage, die wirklich entscheidende Frage unseres ganzes Christseins: Wie macht man das? Wie liebt man?

Und diese Frage ist gerade deshalb so prekär, weil sie so furchtbar banal klingt. Natürlich glaubt jeder, genau zu wissen, was zu lieben heißt.

Aber versuchen Sie einmal, die Frage wirklich zu beantworten. Wie sieht sie aus? Was ist wahre Liebe?

Gut, wenn Sie nach elf Uhr abends durch die Fernsehkanäle zappen, bekommen Sie da und dort ja durchaus Antworten auf diese Frage. Da wird sie ja präsentiert, die "wahre Liebe" - nur schreibt man dieses "wahr" dann glücklicherweise noch mit eingeklammertem "h", denn die Liebe, die wir in den Medien vor Augen geführt bekommen, hat meist sehr viel mit vermarkteter Liebe zu tun.

Und selbst wenn es einmal um mehr geht als nur um Erotik und Sex, selbst dann ist es in aller Regel eine sehr eingeschränkte Liebe, die uns da präsentiert wird. Es geht ja fast immer um sehr ideale Liebespartner. Da ist die makellose Schönheit gefragt, die blühende Jugend und nicht zuletzt der ungebrochene Erfolg.

Das erinnert mich schon ein wenig an das, was sich die Griechen vorstellten. Nach deren Auffassung muss man sich nämlich immer auf das Schöne, das Edle, das Vollkommene ausrichten - ja nicht mit Hässlichem, mit Krankem oder Mangelhaftem umgeben. Das Unvollkommene zieht einen nach unten, Unvollkommenes gilt es deshalb zu meiden, gleichsam auszumerzen. Nach dem Schönen, dem Reinen, dem Vollkommenen, danach müsse der Mensch streben, das allein könne Inhalt wirklicher Liebe sein.

So wird auch heute Liebe vielfach verstanden. Und vielleicht ist sie deshalb auch so schnell vorbei, diese Art von Liebe.

Wenn die Runzeln nicht mehr liebenswert, wenn die Ecken und Kanten nur noch zum Davonlaufen sind und Gebrechen nur noch abstoßend wirken, dann hat Liebe kaum noch eine Chance.

Deshalb glaube ich auch nicht, dass Jesus Liebe so versteht. Aber was meint er dann mit Liebe? Wie versteht er sie dann?

Ich habe im Neuen Testament gesucht, und bin bei einem Satz gelandet, der für mich ein wenig deutlich macht, was Jesus damit meinen könnte, wenn er sagt: "Liebt einander."

Paulus nämlich formuliert einmal - und das ist für mich eine der treffendsten Umschreibungen dessen geworden, was Liebe eigentlich meint - Paulus schreibt im Galaterbrief: "Einer trage des anderen Last."

Das ist es vielleicht. Das macht die Liebe aus, von der Jesus spricht.

Liebe hat weniger mit dem Schönen, mit dem Edlen, mit dem Makellosen zu tun, Liebe hat damit zu tun, dass Menschen zueinander stehen, füreinander eintreten, dass einer des anderen Last trägt.

Und wenn wir es noch etwas überspitzer und auch pointierter formulieren wollen: Liebe hat damit zu tun, dass Menschen tragen, auch die Ecken und Kanten der anderen ertragen.

Ertragt einander!

Vielleicht ist das ja die beste Umschreibung dessen, was Jesus mit seiner Grundforderung nach der gegenseitigen Liebe meint. Tragt miteinander und ertragt einander.

Mag sein, dass das noch nicht der Höhepunkt einer Liebesbeziehung ist. Ich wäre manchmal aber schon froh, wenn wir zumindest dorthin kämen.

Vielleicht habe ich die Hoffnung schon aufgegeben, dass unsere Gemeinden einmal richtige Liebesgemeinschaften werden könnten. Dass wir uns aber gegenseitig ertragen, auch die, die sich eigentlich nicht ausstehen können, auch die, die immer wieder aneinandergeraten, darauf hoffe ich immer noch und ungebrochen.

Ertragt einander.

Liebe ist sicher noch einmal etwas anderes als reines Ertragen. Aber sich gegenseitig zu ertragen, das ist - denke ich - ein richtiger Anfang, und manchmal ist es vielleicht schon die halbe Miete.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 24./25. Mai 2000 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)