Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


26. Dezember - Hl. Stephanus (Mt 10,17-22)

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Nehmt euch vor den Menschen in Acht! Denn sie werden euch an die Gerichte ausliefern und in ihren Synagogen auspeitschen. Ihr werdet um meinetwillen vor Statthalter und Könige geführt werden, ihnen und den Heiden zum Zeugnis. Wenn sie euch aber ausliefern, macht euch keine Sorgen, wie und was ihr reden sollt; denn es wird euch in jener Stunde eingegeben, was ihr sagen sollt. Nicht ihr werdet dann reden, sondern der Geist eures Vaters wird durch euch reden. Der Bruder wird den Bruder dem Tod ausliefern und der Vater das Kind und Kinder werden sich gegen die Eltern auflehnen und sie in den Tod schicken. Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden; wer aber bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet. (Mt 10,17-22)

Bei diesem Satz friert es mich jedes Mal, wenn ich ihn vorlesen muss:

"Brüder werden einander dem Tod ausliefern und Väter ihre Kinder, und die Kinder werden sich gegen ihre Eltern auflehnen und sie in den Tod schicken."

Kann man sich etwas Grausameres vorstellen?

Liebe Schwestern und Brüder,

natürlich weiß ich, worum es hier letztlich gehen soll: Es geht darum, dass es bei Jesus kein "Ja aber" oder "Vielleicht" geben kann. Dieser Jesus ruft in die Entscheidung: für ihn oder gegen ihn - und das mit aller Konsequenz.

Aber dennoch: Das Sprechen von den Kindern, die ihre Eltern anzeigen, und den Eltern, die ihre Kinder ausliefern - für mich ist das einfach unerträglich. Und ich gehe davon aus, dass es für die meisten von Ihnen nicht minder unvorstellbar ist. Eltern stehen zu ihren Kindern, egal was sie tun. Und viele Eltern stehen selbst dann zu Söhnen und Töchtern, wenn sie falsche Entscheidungen getroffen haben, vielleicht sogar straffällig geworden sind. Und es ist gut, wenn Eltern so handeln und ihren Kindern Halt und Zuflucht geben.

Umso unerträglicher ist für mich die Formulierung aus dem heutigen Evangelium, das Sprechen von den Vätern, die ihre Kinder dem Tod ausliefern. Und umso unerträglicher ist der Gedanke daran, dass wir heute genau das am Ende tun.

Eltern liefern Kinder nämlich dem Tod aus.

Wir liefern sie dem Tod aus.

Das aber nicht wegen des Glaubens, nicht wegen der Entscheidung für diesen Christus - wir tun es letztlich einfach aus Bequemlichkeit und um unseres eigenen Vorteiles willen.

Was wir, was unsere Generation im Augenblick tut, ist nämlich nichts anderes, als die Zukunft der kommenden, die Zukunft aller kommenden Generationen - wenn nicht tatsächlich zunichte zu machen, so doch - so stark zu beeinträchtigen, dass Menschen morgen deswegen sterben werden.

Anfang 1972 hat der Club of Rome in seinem Bericht zur Lage der Menschheit mit dem Titel "Die Grenzen des Wachstums" ein sehr hoffnungsvolles Szenario gezeichnet: Er hat aufgezeichnet, was alles passieren wird, wenn wir so weitermachen wie bisher. Dieser Bericht hat allen deutlich gemacht, wohin es führen wird, wenn wir mit den Ressourcen der Erde weiter so umgehen, wie wir das in den zurückliegenden Jahrzenten getan hatten.

Aber dieser Bericht war voller Hoffnung. Das Fazit war nämlich: Wir haben ein halbes Jahrhundert Zeit, gegenzusteuern und die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen; alle Zeit der Welt, alle Zeit, die wir brauchen, um dieses Horrorszenario wirklich abzuwenden.

Dieses halbe Jahrhundert ist jetzt vorbei. Und passiert ist nahezu nichts. Wir haben den Hintern nicht hochbekommen und gehen sehenden Auges der Katastrophe entgegen.

Eine Kabarettistin hat es letzthin so umschrieben: Es komme ihr vor als seien wir alle mit einem riesigen Flugzeug unterwegs. Die Maschine ist abgestürzt und hängt jetzt mit ihrer Spitze über der Klippe an einem Abgrund. Sie droht dort hinunterzustürzen. Noch schwankt sie auf und ab.

Die Maschine wäre einfach zu retten: Die Passagiere der ersten Klasse müssten einfach nur aufstehen, und sich nach hinten, ins Heck der Maschine begeben, damit der Schwerpunkt deutlich verlagert wird. Dann wären alle gerettet. Die Passagiere der ersten Klasse müssten nur ihren Hintern hochbekommen.

Aber nichts passiert. Man will die bequemen Sessel nicht aufgeben. Hinten ist es viel zu voll. Die anderen stehen ja auch nicht auf und ich allein verändere den Schwerpunkt ja doch nicht wirklich.

Uns wird es aushalten. Das ist nicht das Problem. Ausbaden werden unsere Bequemlichkeit die Kinder und Kindeskinder, die jetzt geboren werden. Ihnen rauben wir die Zukunft.

Eltern werden ihre Kinder ausliefern - dieser Satz aus dem heutigen Evangelium ist unerträglich.

Dass es gegenwärtig tatsächlich passiert, ist es umso mehr.

Ich kann jede Jugendliche und jeden Jugendlichen, die sich etwa bei "Fridays for Future" engagieren, sehr gut verstehen. Und ihr Engagement dort ist wahrscheinlich sehr viel wichtiger als etwa bei Kirchenentwicklung 2030, denn es ist ein Einsatz im Sinne Jesu von Nazareth. Uns wurde diese Welt schließlich nur anvertraut. Und wir haben die Schöpfung zu bewahren, um unseretwillen und vor allem um der Kinder willen.

Das ist eine gewichtige Botschaft, gerade an Tagen, an denen wir ganz besonders daran denken, dass dieser Gott selbst als Kind auf die Welt gekommen ist, ein Kind geworden ist. Geben wir acht, dass er nicht auf furchtbare Weise real wird, dieser Satz aus dem Evangelium des Matthäus.

Er ist nämlich unerträglich. Es ist unerträglich, wenn Väter oder auch Mütter ihre Kinder dem Tod ausliefern. Aber nichts anderes wäre es, wenn wir der nachfolgenden Generation eine Welt hinterlassen, in der man einfach nicht mehr leben kann.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 26. Dezember 2021 in St. Nikolaus, Ettenheim-Altdorf)