Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


Ostersonntag (Joh 20,1-9)

Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war. Da lief sie schnell zu Simon Petrus und dem Jünger, den Jesus liebte, und sagte zu ihnen: Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat. Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus und kamen zum Grab; sie liefen beide zusammen dorthin, aber weil der andere Jünger schneller war als Petrus, kam er als erster ans Grab. Er beugte sich vor und sah die Leinenbinden liegen, ging aber nicht hinein. Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden an einer besonderen Stelle. Da ging auch der andere Jünger, der zuerst an das Grab gekommen war, hinein, er sah und glaubte. Denn sie wussten noch nicht aus der Schrift, dass er von den Toten auferstehen musste. (Joh 20,1-9)

Es gibt schon einige Dinge, die ich als Kind nur sehr ungern getan habe, manches, an das ich nur mit leichtem Grausen zurückdenke. Der absolute Gipfel aber, der Inbegriff des Unangenehmen, das war: "Kartoffel ausmachen"!

Wenn wir als Kinder helfen sollten, die frisch ausgegrabenen Kartoffeln mit den Händen zu säubern und von der Erde zu befreien, das war in jedem Jahr das Ätzendste, das ich mir vorstellen konnte. Sie können sich gar nicht ausmalen, mit welchem Widerwillen ich da auf der Erde lag und jede einzelne Kartoffel mit Todesverachtung in die Hand nahm. 

Vielleicht hat sich gerade deshalb die Erinnerung an diese Nachmittage so tief eingegraben, und allem voran die Erinnerung an einen ganz eigenen Umstand.

Manchmal begegneten mir nämlich unter den neuen Kartoffeln ganz eigenartige Exemplare: Sie waren schwarz, klein, ganz verschrumpelt und irgendwie faulig. Immer wieder habe ich mich über diese eigenartigen Dinger gewundert. Und es hat eine ganze Zeit lang gedauert, bis ich erfahren habe, was es mit diesen komischen Kartoffeln auf sich hatte.

Das waren sie also. Das waren die Kartoffeln, die im Frühjahr in die Erde gesteckt worden waren. Diese verschrumpelten, fauligen, schwarzen Dinger, das waren die Setzkartoffeln. Ausgelaugte, halbfaule Klumpen - das war alles, was von ihnen übrig geblieben war.

Liebe Schwestern und Brüder,

eine ganze Zeit lang haben mir diese Kartoffeln ungeheuer leidgetan. Da haben sie sich den ganzen Sommer über abgequält, um viele Kartoffeln hervorzubringen, und selbst sind sie dabei draufgegangen. Kraftlos, verschrumpelt und faulig sind sie geworden. Das war der Lohn für all ihre Anstrengungen!

Damals taten mir diese armen Setzkartoffeln unheimlich leid. Damals hatte ich nämlich eines noch nicht begriffen. Es war mir noch nicht klar geworden, dass dieses faulige, tote Etwas gar keine Kartoffel mehr war.

Die Setzkartoffel, die im Frühjahr in die Erde gesteckt worden war, die hatte mit dieser eklig anzusehenden Knolle nur sehr bedingt etwas zu tun. Diese Setzkartoffel nämlich war in all den Wochen aus sich herausgewachsen. Ihre Kraft, ihr Leben, das ist aus den anfänglichen Augen hineingewachsen, in diesen prächtigen Kartoffelstock, und letztlich in all diese Früchte, die sich nun an ihm gebildet hatten.

Das faulige Etwas, das übrig geblieben war, das war schon längst keine Kartoffel mehr. Denn die Kartoffel von einst, die steckte jetzt im ganzen Stock, die war zu einer großen Pflanze geworden, hatte eine neue Dimension von Leben gewonnen, und trug Früchte, die von einer Vielfalt und teilweise sogar größer waren, als das, was im Frühjahr in die Erde gesteckt worden war. Das, was ich als Kind bedauert hatte, das war nur ein Überbleibsel, ein Überrest eben, das, was übrig bleibt, wenn Leben neu wird!

Denn wenn Leben neu wird, dann bleibt etwas zurück - etwas wie diese schwarze, faulige Schale bei den Setzkartoffeln. Etwas bleibt zurück.

Deswegen bin ich auch davon überzeugt, dass am Ostermorgen das Grab Jesu Christi nicht ganz leer war. Etwas blieb darin zurück, etwas von dem wir seither wissen, dass es immer zurückbleibt, wenn Leben neu wird: Die Schmerzen des Karfreitages nämlich, die blieben im Grab zurück. Das Leid des Kreuzweges, die Mühen und all die Sorgen der alltäglichen Plackerei, die blieben zurück.

Wo Leben neu wird, wo der Tod durchbrochen wird und Leben eine ganz neue Dimension erreicht, dort hat all dies keinen Platz mehr, dort bleibt es wie die faulige Schale einer Setzkartoffel, wie ein schaler Beigeschmack einer vergangenen Wirklichkeit endgültig zurück!

Auch das ist Botschaft des Ostertages. In dieser neuen Wirklichkeit des Lebens, in die Jesus uns vorangegangen ist, hat nicht mehr alles einen Platz. 

Manches von dem, was uns hier so sehr gefangen hält, was hier so viel Raum einnimmt, das hat dort absolut keine Bedeutung mehr: Krankheiten, die uns unendlich lähmen, die beständige Sorge um die Alterssicherung, das Schielen nach Macht und Einfluss und Ansehen und alle bürokratischen Engführungen, engherzigen Bestimmungen und langatmige Gremien mit all ihren Sitzungen, all das hat dort keinen Platz mehr. Es wird wie die faulige Schale einer ausgelaugten Setzkartoffel für immer zurückbleiben. Jesus selbst schenkt uns diese Zuversicht.

Jetzt müsste er uns eigentlich nur noch eines schenken - und das wäre das schönste Geschenk des Ostermorgens:

Er müsste uns jetzt nur noch die Kraft schenken, dann, wenn wir in Krankheit und Leid gefangen sind, durchzuhalten, durchzuhalten, im Bewusstsein, dass nichts von den Schmerzen bleiben wird.

Und er müsste uns Mut schenken; Mut, den Sachzwängen, denen wir hier immer wieder begegnen, einfach entgegenzutreten, sie anzuschauen, als das was sie sind: als aufgeblasene Zusammenhänge, denen man wirklich nicht mehr als genau den Platz einräumen sollte, den sie in Gottes Namen in dieser Welt halt unbedingt einnehmen müssen.

Und dann müsste er uns noch die Weitsicht schenken, die Weitsicht nämlich uns nicht zuerst nach diesen ach so wichtigen Richtlinien, gesellschaftlichen Standards und seelenlosen Normierungen zu richten, klar zu erkennen, dass sie am Ende nichts mehr bedeuten werden. Uns vielmehr auf das auszurichten, was wirklich bleiben wird: auf die Menschen nämlich, auf die, die uns wichtig sind.

Die Gemeinschaft mit ihnen, die Beziehung zu ihnen, die nämlich ist das, was wirklich bleibt. Sie ist das, was die Fülle des Lebens, auf die wir zugehen, prägen und ausmachen wird. So, wie es die vielen Kartoffeln an dem einen einzigen Stock in einem wunderschönen Bild - eigentlich unübertrefflich - zum Ausdruck bringen.

Diese Weitsicht, zuallererst und immer wieder den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, die müsste er uns an diesem Ostermorgen schenken. Das wäre für unsere Welt, für unsere Kirche und für unsere Gemeinden das wichtigste Geschenk.

Ich hätte mir als Kind nie träumen lassen, dass mir Kartoffeln einmal helfen würden, Ostern besser zu verstehen. Aber wenn diese Kartoffeln auch nur ein wenig dazu beitragen, dass ich, all das, was in meinem Leben einmal zurückbleiben und keine Bedeutung mehr haben wird, etwas weniger beachte, wenn sie mir dazu verhelfen, die Menschen, die mir wichtig sind, wieder über alles andere zu stellen, die Menschen wieder ganz neu in den Mittelpunkt meines Alltags zu rücken, wenn das dadurch an diesem Osterfest wieder neu in meinem Leben verwurzelt wird, dann war wohl auch das Kartoffelausmachen damals als Kind im letzten nicht ohne seinen ganz eigenen Sinn.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 23. April 2000 in der Peters- und Pauluskirche sowie der Stadtkirche, Bruchsal)