Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


26. Dezember - Hl. Stephanus (Apg 6,8-10; 7,54-60)

In jenen Tagen tat Stephanus, voll Gnade und Kraft, Wunder und große Zeichen unter dem Volk. Doch einige von der so genannten Synagoge der Libertiner und Zyrenäer und Alexandriner und Leute aus Zilizien und der Provinz Asien erhoben sich, um mit Stephanus zu streiten; aber sie konnten der Weisheit und dem Geist, mit dem er sprach, nicht widerstehen. Als sie das hörten, waren sie aufs äußerste über ihn empört und knirschten mit den Zähnen. Er aber, erfüllt vom Heiligen Geist, blickte zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen und rief: Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen. Da erhoben sie ein lautes Geschrei, hielten sich die Ohren zu, stürmten gemeinsam auf ihn los, trieben ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn. Die Zeugen legten ihre Kleider zu Füßen eines jungen Mannes nieder, der Saulus hieß. So steinigten sie Stephanus; er aber betete und rief: Herr Jesus, nimm meinen Geist auf! Dann sank er in die Knie und schrie laut: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an! Nach diesen Worten starb er. (Apg 6,8-10; 7,54-60)

Das dürfte eine der tiefsten theologischen Einsichten gewesen sein, die die Konzilsväter des vierten Laterankonzils im Jahre 1215 formuliert haben. Dort hat man nämlich festgehalten, dass Gott uns Menschen zwar nach seinem Bild geschaffen hat, dass wir ihm also irgendwie ähnlich sind, dass bei aller Ähnlichkeit aber, die Unähnlichkeit immer größer ist.

Liebe Schwestern und Brüder,

bevor Sie jetzt sagen: "Theologen haben Probleme!" - das ist eine ungeheuer bedeutende Einsicht! Und die darf man nie vergessen. Sie bedeutet zum Beispiel, dass wir uns zwar eine Vorstellung von Gott machen können, dass dieser Gott unsere Vorstellungen aber immer übersteigt.

Wir können schließlich nur in den Kategorien von Raum und Zeit denken. Alles was wir denken hat immer - wirklich immer - mit Raum und Zeit zu tun hat. Ohne Raum und Zeit können wir uns überhaupt nichts vorstellen. Selbst so etwas wie Ewigkeit stellen wir uns zeitlich vor. Es ist für uns einfach nicht endende Zeit.

Dieser Gott aber übersteigt alle Räumlichkeit und alle Zeitlichkeit.

Im Grunde bedeutet das, dass alles, was wir über Gott sagen, immer mehr falsch ist, als dass es richtig ist. Keine Aussage über Gott fängt ihn tatsächlich ein. Und niemand kann sagen, dass er genau beschreiben könne, was und wie dieser Gott eigentlich ist.

Das müssen wir uns immer und überall vor Augen halten, vor allem dort, wo man über den Glauben streitet und dem anderen abspricht, überhaupt noch den rechten Glauben zu haben.

Wer sagt: "So ist es und nicht anders", verkennt, dass auch sein eigenes Sprechen, diesen Gott niemals erreicht. Keiner hat die Wahrheit über Gott für sich gepachtet. Und jeder redliche Theologe muss letztlich eingestehen, dass wir alle auf der Suche nach diesem Gott und weit mehr Tastende als Begreifende sind.

Wie viel Leid in der Geschichte unserer Kirche, wie viel Leid in der Geschichte der Religionen, wäre vermeidbar gewesen, wenn man diesen Grundsatz nicht immer wieder vergessen hätte.

Auch ein Stephanus hätte dann nicht sterben müssen.

Stephanus gehörte ja zur Gruppe der sogenannten Hellenisten. Das waren Christen der ersten Generation, die aber von Hause aus nicht Aramäisch, sondern Griechisch gesprochen haben. Ihre Namen verraten das schon.

Diese griechisch sprechenden Christen waren im Umgang mit den Traditionen offenbar sehr viel freier als die traditionell judenchristlichen Kreise. Heute würde man wohl sagen, sie gehörten dem Reformflügel an.

Deshalb gerieten sie wohl auch sehr viel stärker in Konflikt mit jüdischen Eiferern. Diejenigen christlichen Kreise, die sich weit mehr an die Traditionen und jüdischen Bräuche hielten haben damals offenbar weit weniger Aufsehen erregt.

Aber Stephanus und seinen Kollegen, die fielen auf. Das waren die, die Neuerungen einführten, sich nicht mehr an die Traditionen hielten und das Gottesvolk spalteten. Sie glaubten falsch!

Davon waren diejenigen überzeugt, die die Steine in die Hand nahmen und den Stephanus ermordeten. Sie waren davon überzeugt, ein Gott gefälliges Werk zu vollbringen.

So wie alle, die in religiösem Wahn anderen Mensch Leid zufügen, davon überzeugt sind, genau das Richtige zu tun. Weil sie fest daran glauben, genau zu wissen, wie dieser Gott ist, was er will, und vor allem, was er nicht will.

Wie viel Leid ist in der Geschichte - bis auf den heutigen Tag - auf diese Weise über Menschen gebracht worden. Einfach deswegen, weil so oft vergessen wird, dass andere vielleicht etwas anderes an diesem Gott erkennen, etwas, was uns selbst vielleicht noch gar nicht so richtig aufgefallen ist;

weil sie übersehen, dass jeder nur einen Schatten dieses Gottes erkennt und niemand Gott erfassen kann, mit keinem Glaubenssatz, keinem Dogma und keiner noch so ausgefeilten Lehre.

Wie viel Leid ist schon über Menschen gebracht worden, weil andere vergessen haben, dass sie die Wahrheit nicht für sich gepachtet haben, dass Gott der ganz andere bleibt, all unsere Vorstellungen übersteigt und immer, beständig größer ist, weit größer als unser Herz.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 26. Dezember 2023 in der Kirche Heilig Kreuz, Ettenheim-Münchweier)