Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


6. Sonntag der Osterzeit - Lesejahr C (Joh 14,23-29)

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen. Wer mich nicht liebt, hält an meinen Worten nicht fest. Und das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat. Das habe ich zu euch gesagt, während ich noch bei euch bin. Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht. Ihr habt gehört, dass ich zu euch sagte: Ich gehe fort und komme wieder zu euch zurück. Wenn ihr mich lieb hättet, würdet ihr euch freuen, dass ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich. Jetzt schon habe ich es euch gesagt, bevor es geschieht, damit ihr, wenn es geschieht, zum Glauben kommt. (Joh 14,23-29)

Was wollten sie bringen? Freiheit und Frieden? Ein Volk von der Diktatur befreien? Eine ganz neue Gesellschaftsordnung aufbauen? Gerechtigkeit und Menschenwürde fördern?

Liebe Schwestern und Brüder,

ich denke Sie haben die Bilder gesehen - Bilder, bei denen ich zusammenzucke und die ich eigentlich nur von Terror- und Unrechtsregimen erwartetet hätte: Bilder von folternden amerikanischen Soldaten, die Gefangene auf eine Art behandeln, wie man sie Tieren nicht zumuten würde.

Ist das der Friede, den die selbsternannte Weltpolizei den Menschen im Irak bringen wollte?

Und bitte - was für verschwindend kleine Auswüchse und bedauernswerte Ausnahmen sollen das denn sein, wenn selbst der amerikanische Verteidigungsminister einräumen muss, dass es noch viele Bilder und Videos gibt, die sogar noch grausamer, brutaler und Abscheu erregender sein müssen, als alles, was die Welt bisher schon zu sehen bekommen hat.

Nein, Ausnahmen sind das nicht. So oder ähnlich ist es fast immer, wenn sich Menschen dazu berufen fühlen, anderen das Heil zu bringen. Meist entpuppt sich dieses Heil am Ende nämlich als Unheil.

Wir selbst wissen das zu Genüge. Auch am Deutschen Wesen sollte schon einmal die Welt genesen.

Wo immer man auf solche Art und Weise vorgibt Menschen zu befreien, werden meist nur die einen Machthaber durch die anderen ausgewechselt. Für die Menschen, für die Männer und Frauen, für die Kinder - egal ob in den Straßen von Bagdad oder überall auf der Welt - für sie ändert sich in aller Regel am wenigsten. Waren es vorher die einen, die den Ton angegeben haben, so sind es nun eben die anderen.

Und wollen tun sie alle immer das gleiche, nämlich nur das Beste der Menschen. Die meisten wollen es aber nicht für die Menschen, sie wollen das Beste der Menschen für sich selbst.

Als ob es den Mächtigen der Welt wirklich um den Frieden ginge, als ob es wirklich die Menschen wären, die im Mittelpunkt stünden. In 'zig Gebieten der Welt verhungern Menschen, werden Tausende durch Bürgerkriege getötet und niemand nimmt Notiz davon, weil die Region strategisch unbedeutend ist und wirtschaftlich nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Aber dort, wo die eigenen Belange berührt werden, dort will man plötzlich für den Frieden sorgen und den Frieden bringen - meist den Frieden der Friedhöfe, einen Frieden eben, wie die Welt ihn gibt.

Diesen Frieden hat Christus offenbar vor Augen, wenn er davon spricht, dass er solch einen Frieden nicht bringen möchte. Jesus selbst hat erlebt, was es bedeutet, wenn eine Großmacht die Welt befrieden will. Die Römer waren ausgezogen, um die Pax Romana, den römischen Frieden, durch den ganzen Mittelmeerraum zu verbreiten; mit Soldaten, mit Kerkern, mit Steuern und Kreuzigungen - damit wurde dieser Friede gesichert. Das ist der Friede, wie ihn die Welt gemeinhin gibt.

Gottes Friede ist anders. Er wird mit dem Wort "Shalom" umschrieben. Und das ist Fülle, Heil, Lebensmehrung und blühendes Leben. Leben in Fülle - das heißt Frieden im biblischen Sprachgebrauch. Und dort wo Menschen das Leben in Fülle haben, dort ist wirklich Friede - Friede, wie Gott ihn versteht.

Unsere westlichen Demokratien mögen noch so stolz auf ihre Tradition und ihre sozialen Errungenschaften sein, den Frieden, von dem Christus spricht, werden sie nie bewerkstelligen.

Wenn wir das wollten, dann müssten wir schon in einem ganz entscheidenden Punkt umdenken lernen. Und das würde weh tun.

Erfolg haben, erfolgreich sein, erfolgreich zu wirtschaften, das heißt bei uns nämlich, dass am Ende unterm Strich immer mehr stehen muss, als zu Beginn. Wachstum eine positive Bilanz, daran wird Erfolg bei uns gemessen. Solch ein Erfolg aber, bringt nie nur Gewinner mit sich, solch ein Erfolg produziert immer Verlierer. Wenn manche Gewinn machen, dann bleiben andere fast zwangsläufig auf der Strecke. Unsere hochtechnisierte Zivilisation lebt davon, dass es weiten Teilen der Weltbevölkerung weit schlechter geht als uns.

So ist die Praxis des christlichen Abendlandes. Es ist eine Praxis die alles andere als christlich ist, ein Denken das nicht biblischem Denken entspricht und auch nicht dem Denken Jesu.

"Erfolg haben" im Sinne der Bibel, erfolgreich zu wirtschaften, heißt nicht "Gewinn machen". Erfolgreich gewirtschaftet habe ich im Sinne der Bibel, wenn alle versorgt sind. Das ist etwas ganz anderes, als wir normalerweise unter Erfolg verstehen. Und diesen Erfolg hat unser Wirtschaftssystem leider absolut nicht im Blick. Aber erst dann, wenn alle versorgt sind, erst dann würde die Bibel auf die Idee kommen, von einer Zeit des Friedens zu sprechen. Dann erst ist Shalom erreicht, die Fülle und das blühende Leben. Wenn alle die Möglichkeit haben, ihr Leben zu gestalten - im Respekt vor dem anderen -, aber ohne jemandem Untertan zu sein, ohne geknechtet, gedemütigt zu werden; wenn alle die Möglichkeit haben, sich und ihre Fähigkeiten zu entfalten, dann erst spricht die Bibel von Frieden.

Diesen Frieden will Gott uns geben, die Fülle des Lebens. Alles andere ist falscher Schein und Augenwischerei: Frieden, wie die Welt ihn gibt eben.

Da mögen noch so bedeutende Männer von Frieden sprechen, da mögen noch so große Reden geschwungen werden, was wirklicher Friede ist, muss sich an Gottes Vorstellung messen lassen. Und so leid es mir auch tun mag - fast immer fallen die irdischen Friedensbemühungen, an Gottes Maßstäben gemessen, sang- und klanglos durch.

Das enthebt uns nicht der Pflicht, diesem biblischen Ideal immer wieder aufs Neue nachzueifern, ihm zum Durchbruch zu verhelfen, wo immer wir es vermögen, in der Familie, in meinem Zuständigkeitsbereich, in meinem Umfeld - wohl wissend, dass es immer nur Stückwerk bleiben wird. Menschenmachbar ist dieser Friede offenbar nicht. Den wirklichen Frieden, den "Shalom" gibt allein Gott.

Beten wir darum.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 16. Mai 2004 in der Antonius- und Peterskirche, Bruchsal)