Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


4. Sonntag der Fastenzeit - Lesejahr C (2 Kor 5,17-21)

Brüder (und Schwestern)! Wenn jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden. Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat. Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und uns das Wort von der Versöhnung zur Verkündigung anvertraute. Wir sind also Gesandte an Christi Statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt. Wir bitten an Christi Statt: Lasst euch mit Gott versöhnen! Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden. (2 Kor 5,17-21)

"Das hat euch auch unser geliebter Bruder Paulus mit der ihm geschenkten Weisheit geschrieben; es steht in allen seinen Briefen, in denen er davon spricht. In ihnen ist manches schwer zu verstehen, und die Unwissenden, die noch nicht gefestigt sind, verdrehen diese Stellen ebenso wie die übrigen Schriften zu ihrem eigenen Verderben."

Liebe Schwestern und Brüder,

so steht es schon in der Bibel. Im 2. Petrusbrief können Sie es nachlesen (2 Petr 3,15-16). Das Neue Testament selbst spricht schon davon, dass die Paulusbriefe schwer zu verstehen seien.

Paulus ist eben ein schwerer Brocken. Es gibt wohl keinen biblischen Schriftsteller, der so oft Anlass zu theologischen Auseinandersetzungen Missverständnissen und Fehldeutungen gewesen wäre. Offenbar sind schon wenige Jahrzehnte nach seinem Tod heftige Streitigkeiten darüber entbrannt, wie denn jetzt seine Schriften richtig zu verstehen seien. Und die einen warfen den anderen vor, dass sie den Sinn genau verdrehen würden.

Davor ist Paulus bis heute nicht gefeit. Auch an diesem Wochenende wird der Lesungstext, den Sie eben gehört haben, vermutlich nur ganz selten so ausgelegt werden, wie Paulus ihn eigentlich verstanden haben will.

Das hängt schon mit dem Wort "Versöhnung" und dem Sprechen vom "Dienst der Versöhnung", der "uns" aufgetragen ist, zusammen. Und wahrscheinlich ist dieser Abschnitt ja auch nur wegen dieser Stichworte als Lesung für einen Fastensonntag ausgewählt worden.

Wenn Christen heute aber das Wort "Versöhnung" im Gottesdienst hören und auch noch vom "Dienst der Versöhnung" gesprochen wird, dann denkt man unwillkürlich an unser Sakrament der Versöhnung, an Buße und Beichte und daran, dass Umkehr und Bekehrung Not tun. Und deshalb ist diese Stelle bis heute Anlass für Predigten über Umkehr und Buße, und darüber dass Kirche die Sakramente anvertraut wurden.

Und mit dem Satz "Lasst Euch mit Gott versöhnen!" wurden Generationen von Christen zur Beichte oder - in unseren Tagen - doch wenigstens zum Bußgottesdienst geladen. Denn man muss schon etwas tun, um wieder von Gott angenommen zu werden, Buße tut Not, Umkehr ist nötig, wir brauchen immer wieder aufs Neue die Versöhnung mit Gott. So können Sie es in diesen Tagen immer wieder hören. So können Sie es ja schließlich in diesem Text lesen. So hat es ja schon der Apostel Paulus gesagt.

"Was soll ich gesagt haben?" würde Paulus spätestens an dieser Stelle zurückfragen, wenn er die Chance hätte, sich zu all den Auslegungen, die es über seine Briefe gibt, zu äußern. Und er würde sich mehr als einmal schütteln, wenn er so manchen Text, der jetzt in der Fastenzeit Verwendung findet, zu lesen bekäme.

In so vielen Gebeten dieser Zeit heißt es schließlich, dass Gott uns durch die Feier des Messopfers von unseren Sünden befreien möge, es wird immer wieder darum gebetet, dass Gott uns die Versöhnung neu schenken möge. Und Paulus würde die Welt nicht mehr verstehen.

Wir sind versöhnt!

Das war eine seiner zentralen Aussagen. Gott hat uns durch Jesus Christus, dadurch, dass sich Jesus für uns ganz und gar hingegeben hat, durch das, was er allein für alle Menschen getan hat, Gott hat uns dadurch vor sich selbst gerecht gemacht. Es braucht nichts anderes mehr, keine menschlichen Höchstleistungen, keine Ansammlung von Werken und erst recht keine neuen Opfer. Jesus Christus hat alles bereits getan und das ein für alle Mal!

Diese Botschaft war der eigentliche Kern all der Auseinandersetzungen, die Paulus mit seinen Gegnern schon zu seinen Lebzeiten zu führen hatte. Das Halten der Gebote sei doch das eigentlich Wichtige. Nur wer die Gebote hält, könne vor Gott am Ende als gerechter Mensch bestehen. Das war auf dem Hintergrund jüdischer Tradition sonnenklar.

Wie haben sie ihn doch angefeindet, den Paulus, weil er genau an diesem Punkt vehement widersprochen hat. Wer auf diesem Weg vor Gott zu bestehen versucht, der muss zwangsläufig scheitern. Das hat Paulus immer wieder betont. Wer sich den Himmel verdienen möchte, wer die Fülle des Lebens als Lohn für seine Leistung erwerben will, der wird am Ende mit leeren Händen dastehen. Er wird nämlich einzig und allein erfahren, dass er es nicht schaffen kann. Es gibt niemanden, der das Gesetz, das Gebot Gottes wirklich - ohne auch nur ein einziges zu übertreten - halten und erfüllen kann.

Unsere menschliche Vorstellung - so nach dem Motto, so ganz schlecht bin ich ja schließlich nicht -, weißt Paulus vehement zurück. Wenn ich mir das Leben tatsächlich verdienen möchte, dann gibt es nur "Hüh" oder "Hott", Ja oder Nein, Leistung erbracht oder versagt. So wie bei der Drahtschlinge auf dem Jahrmarkt, mit der man an einem gewundenen Draht entlangfahren muss. Man kann fast alle Windungen geschafft haben, einmal angestoßen und die Klingel ertönt - einmal versagt und das Spiel ist aus - einmal Gebot übertreten und das Gesetz spricht mir den Tod zu.

Wenn Gott uns Menschen dennoch als seine Kinder an- und aufnimmt, dann nur, weil er uns liebt, oder - wie Paulus es sagen würde - allein aus Gnade.

Deshalb spricht er in der heutigen Lesung auch im Passiv: "Lasst Euch versöhnen!" Wir können nämlich gar nichts tun. Wenn es darum geht, vor Gott gerecht dazustehen, dann ist das einzig und allein Geschenk dieses Gottes. Wir können dieses Geschenk lediglich annehmen.

Das kann man nicht oft genug betonen, denn immer wieder wird genau das Gegenteil gepredigt. Da wird dann selbst die heutige Lesung geradezu auf den Kopf gestellt. Wie oft können Sie in diesen Wochen hören: "Lasst Euch mit Gott versöhnen". Und das meint dann: Geht zur Beichte, tut Buße. Und zu guter letzt wird dabei nichts anderes gesagt als: "Versöhnt euch mit Gott!"

Aber das funktioniert nicht, sagt Paulus. Ich kann mich nicht "selbst versöhnen". Die Versöhnung mit Gott kann man sich nur schenken lassen.

Und in Jesus Christus hat dieser Gott uns allen diese Versöhnung bereits geschenkt. Alles ist getan, das ist das Evangelium, das ist die Frohe Botschaft, die Paulus vor aller Welt verkündet hat. Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden. Wir sind eine neue Schöpfung!

Das einzige, was von uns erwartet wird, ist "in Christus zu sein".

Oh, was ist über diesen Ausdruck nicht schon alles philosophiert worden. Was das wohl heißen mag, "in Christus sein"! Was man da wohl anstellen muss, um "in Christus" zu sein!

Letztlich führt hier aber alle humanistische Bildung, alle griechisch-abendländischen Vorstellungen, all unser Philosophieren ganz schnell in die Irre. Auf dem Hintergrund seines Denkens, auf dem Hintergrund der Herkunft des Paulus aus dem semitisch-hebräischen Sprachraum, ist dieser Ausdruck eigentlich ganz einfach.

Um das Wort vom "In Christus-Sein" zu verstehen, muss ich lediglich nur ganz hebräisch denken. Der Ausdruck umschreibt nämlich nichts anderes, als das, was die hebräische Wortwurzel "aleph-mem-nun" also das hebräische Wort "aman", letztlich sagen möchte.

Er bedeutet, sich in Christus fest zu machen, in ihm Stand zu nehmen, auf ihn zu bauen, sich an ihn zu halten und auf nichts anderes zu vertrauen. Letztlich meint dieses Wort nichts anderes als das, was die Bibel unter "glauben" versteht. Nichts anderes können wir tun, als Gott zu glauben, dass er in Christus bereits alles getan hat.

Äußeres Zeichen dafür ist für Paulus die Taufe. Sie ist das Sinnbild der Versöhnung mit Gott und das eigentliche, das erste Bußsakrament überhaupt. Durch dieses Zeichen wird die Versöhnung mit Gott besiegelt. "Lasst Euch mit Gott versöhnen!" bedeutet: Glaubt an Gott, glaubt an die Erlösung durch Jesus Christus in dem wir alle mit Gott versöhnt sind. Bekehrt Euch, empfangt die Taufe, und glaubt ganz fest daran, dass Euch nichts und niemand aus dieser Verbindung mit Gott wieder herausbrechen kann.

"Denn ich bin gewiß: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn." (Röm 8,38-39)

Der getaufte, der, der sich an Christus hält, der "in Christus ist", ist mit Gott versöhnt. Wir brauchen nicht darum zu bitten, dass uns Gott die Versöhnung erst noch schenken möge. Wir brauchen auch nicht auf eine neue Versöhnung zu warten. Gott muss uns nicht noch einmal erlösen. Denn wir sind erlöst und wir sind durch das, was Christus ein für alle Mal für uns erwirkt hat, wir sind mit Gott schon längst versöhnt.

Das ist das Evangelium, für das Paulus steht.

"... es gibt kein anderes Evangelium," so sagt er es selbst, "es gibt nur einige Leute, die euch verwirren und die das Evangelium Christi verfälschen wollen. (Gal 1,7)"

Solch ein anderes Evangelium aber, ein anderes als das, das uns Paulus hier verkündet - Gott sei Dank - ein anderes Evangelium gibt es nicht.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 13. März 2010 in der Peterskirche, Bruchsal)