Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


29. Juni - Hochfest Peter und Paul (Gal 1,11-20)

Ich erkläre euch, Brüder (und Schwestern): Das Evangelium, das ich verkündigt habe, stammt nicht von Menschen; ich habe es ja nicht von einem Menschen übernommen oder gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christ empfangen. Ihr habt doch gehört, wie ich früher als gesetzestreuer Jude gelebt habe, und wisst, wie maßlos ich die Kirche Gottes verfolgte und zu vernichten suchte. In der Treue zum jüdischen Gesetz übertraf ich die meisten Altersgenossen in meinem Volk, und mit dem größten Eifer setzte ich mich für die Überlieferung meiner Väter ein. Als aber Gott, der mich schon im Mutterleib auserwählt und durch seine Gnade berufen hat, mit in seiner Güte seinen Sohn offenbarte, damit ich ihn unter den Heiden verkündige, da zog ich keinen Menschen zu Rate. Ich ging auch nicht sogleich nach Jerusalem hinauf zu denen, die vor mir Apostel waren, sondern zog nach Arabien und kehrte dann wieder nach Damaskus zurück. Drei Jahre später ging ich nach Jerusalem hinauf, um Kephas kennenzulernen, und blieb fünfzehn Tage bei ihm. Von den anderen Aposteln habe ich keinen gesehen, nur Jakobus, den Bruder des Herrn. Was ich euch hier schreibe - Gott weiß, dass ich nicht lüge. (Gal 1,11-20)

Liebe Schwestern und Brüder,

noch auf dem Sterbebett war König Philipp II. von Spanien davon überzeugt. Er war völlig davon überzeugt, genau das Richtige, nämlich ein gottgefälliges Werk getan zu haben. Der große Förderer der spanischen Inquisition und erbittertster Verfolger aller Ketzer hatte auf dem Sterbebett nur eine große Sorge: "Ob er derer denn auch genügend verbrannt habe!" Ob er genügend von den Ketzern hingerichtet habe.

So weit kann man kommen. So weit kann ein religiöser Wahn einen Menschen treiben. Es kann tatsächlich so weit gehen, dass Menschen davon überzeugt sind, im Grunde ihres Herzens wirklich davon überzeugt sind, dass es Gott gefallen würde, andere Menschen sogar zu töten, zu töten im Namen dieses Gottes, zu töten um des Glaubens willen.

König Philipp II. von Spanien, war solch ein religiöser Fanatiker, und der Heilige Paulus, dieser Saulus aus Tarsus, jener Mann, den wir heute als großen Apostel feiern, er war es auch!

Saulus, aufgewachsen als Pharisäer der strengsten Richtung, geschult in peinlichst genauer Gesetzesbefolgung, er war davon überzeugt, im Grunde seines Herzens ehrlich überzeugt, dass der Glaube mit allen Mitteln zu verteidigen sei, dass die Ungläubigen, die, die etwas Falsches glaubten und die dieses Falsche dann auch predigten, dass sie zu verfolgen seien, dass man sie sogar vernichten müsse! Er war dabei, als man den Stephanus steinigte und er besorgte sich die Schreiben, die es ihm ermöglichten, diese Ketzer, diese Irrgläubigen, die Christusanhänger bis hin nach Damaskus verfolgen zu können.

Wir können heute nur den Kopf schütteln, wenn wir so etwas hören. Es ist ganz einfach furchtbar, was dieser Saulus da getan hat. Genauso, wie es nichts anderes als furchtbar ist, was zu Zeiten eines Philipp II. in unserer Kirche geschah. Aber es ist noch viel furchtbarer, dass solcher religiöse Wahn auch heute noch durch die Welt geistert.

Und ich denke da jetzt nicht nur an irgendwelche Todeskommandos, die einen Salman Rushdie verfolgen, oder sonstige religiöse Fanatiker aus der islamischen Welt. Ich denke da vor allem an so stillschweigende Tendenzen, die es ja auch im christlichen Raum gibt.

Sicher, heute wird niemand mehr bei uns verbrannt - aber deswegen hat das gegenseitige Verketzern ja keineswegs aufgehört. Es gibt ja auch heute noch Menschen, die Formen und Äußerlichkeiten anscheinend für das Wichtigste in der Welt halten, und die anderen, die das nicht tun, deswegen schon die ewige Verdammnis androhen.

Das ist schlimm! Es ist schlimm, wenn in unserer Kirche immer noch, weil die Messe nicht mehr auf Latein gefeiert wird oder die Handkommunion mittlerweile gang und gäbe ist, Pamphlete gedruckt werden, Schriften, die nichts anderes im Sinn haben, als einfache Gemüter einzuschüchtern. Wie wenn an dieser Frage unser Glaube zerbrechen würde!

Ja und es ist schlimm, wenn so manche Kirchenleitung und so mancher Pfarrer meint, wenn nicht alles bis ins Kleinste geregelt und nicht alles kontrolliert wird, wenn man nicht über jeden Vorgang Bescheid weiß und alles genehmigt hat, dann wäre dem Verfall des Glaubens schon Tür und Tor geöffnet.

Es ist schlimm, wenn da selbst in Rom so mancher kleine Geist meint, er müsste die Kirche Gottes vor dem Untergang retten, indem alles bekämpft wird, was auch nur im Entferntesten nach modern riecht. Wie wenn unsere Kirche die Kirche der Pfarrer und der Bischöfe wäre, wie wenn es zuerst auf uns ankommen würde, wie wenn wir die Regeln für das Gottesvolk aufzustellen hätten.

Es ist Gottes Kirche, und es ist sein Geist, der sein Volk leitet, der es dorthin leitet, wohin er es führen möchte. Und wenn sich Gott etwas in den Kopf gesetzt hat, wenn er eine Richtung für das Gottesvolk vorgibt, dann können Menschen sich dagegen sträuben, wie sie möchten, dann wird es in diese Richtung gehen.

Da hilft es dann nichts, einfach anzuordnen, dass über die Frage der Weihe von Frauen zu Diakoninnen und Priestern nicht mehr diskutiert werden darf. Wenn Gott möchte, dass es kommen wird, dann können wir Menschen es nicht verhindern.

Und da hilft es auch nichts, wenn einfach fest definiert wird, dass in Volkertshausen schlicht und ergreifend kein verheirateter Priester eingesetzt werden darf, obschon die Gemeinde keinerlei Aussicht hat, auf weite Zukunft hin einen eigenen Pfarrer zu bekommen; wenn Gottes Geist unsere Kirche dorthin führen will, wenn Gottes Geist es will, dass es auch bei uns verheiratete Priester geben soll, dann wird sich auf Dauer niemand dagegen sträuben können.

Der Saulus hat sich gesträubt. Der wohlerzogene, glaubenstreue und -eifrige Pharisäer, er hat sich dagegen gesträubt,

gegen den Messias, der gekreuzigt wurde,

gegen den Geist, der auch den Heiden geschenkt werden sollte

und gegen die Erlösung, die man nicht durch Gebotserfüllung verdienen kann, die uns Menschen vielmehr geschenkt wird, allein durch die Gnade Gottes.

Jener Saulus hat sich dagegen gesträubt. Gott selbst hat ihm gezeigt, wie dumm er dabei war. Er hat begreifen müssen, dass er mit Herzensblindheit geschlagen war, als er noch glaubte, die Erfüllung irgendwelcher Gebote sei das Wichtigste. Er hat begreifen müssen, dass Gott nicht das Gebot, dass er die Liebe an die erste Stelle setzt, weil er nämlich der Gott der Liebe ist. Saul hat begreifen müssen, dass für Gott die Menschlichkeit am wichtigsten ist, weil Gott selbst der menschgewordene Gott ist, dass dieser Gott ein menschenfreundlicher Gott ist und sich dem Menschen im menschlichem Antlitz des anderen offenbart.

Überall, wo diese Menschenfreundlichkeit Gottes nicht im Vordergrund steht, überall, wo es um Formalismen, um tote Gesetzesfrömmigkeit und leblosen Ritus geht, da ist dieser Gott nicht zu finden. Da ist er so wenig zu finden wie in der Inquisition eines Philipp II.

Unser Gott ist ein menschenfreundlicher Gott und unsere Kirche muss demnach eine Kirche mit menschlichem Antlitz sein. Das hat Saulus erkannt, das hat Paulus verkündet. Seine Blindheit wurde ihm von den Augen genommen, damit die Blindheit auch unserer Herzen schwindet.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 5./6. Juli 1997 in der Pauluskirche, Bruchsal)