Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


29. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B (Mk 10,42-45)

In jener Zeit rief Jesus die Jünger zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, der soll der Sklave aller sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele. (Mk 10,42-45)

"Bei euch aber soll es nicht so sein…"

Liebe Schwestern und Brüder,

dieser Satz Jesu klingt bei mir immer lange nach - jedes Mal, wenn ich diesen Abschnitt aus dem Markusevangelium höre.

Jesus macht seinen Jüngern, denen, die im nachfolgen wollen, unmissverständlich klar, dass bestimmte Dinge einfach nicht gehen, wenn man sich tatsächlich auf ihn berufen möchte. Um die eigene Macht zu sichern, andere mit Füßen zu treten, gleichsam über Leichen zu gehen, um an die Spitze zu gelangen, das ist nicht drin, das ist mit Jesu Botschaft einfach nicht zu vereinbaren.

Eigentlich ist das ja eine Binsenweisheit. Und dennoch klingt dieses Wort Jesu, dieses: "Bei euch aber soll es nicht so sein" jedes Mal fast wie eine schallende Ohrfeige. Denn es ist bei uns, wenn wir ehrlich sind, leider kein bisschen anders, kein bisschen anders, als bei den anderen. Auch in unserer angeblich christlichen Gesellschaft, werden die Dinge fast immer auf dem Rücken der Kleinen und Ohnmächtigen ausgetragen. Das Management strebt nach der Vormachtstellung des Unternehmens, verzockt sich ganz gewaltig und daraufhin werden Arbeitsplätze abgebaut und Menschen stehen plötzlich auf der Straße.

Bei Euch soll das nicht so sein…

Was alles dürfte nicht sein, damit unsere Gesellschaft auch nur in Ansätzen so etwas wie eine christliche Gesellschaft wäre? Ich kann mir gut vorstellen, was Jesus alles an den Pranger stellen würde!

Wenn überall auf der Welt nur auf Wachstum gesetzt wird, und darauf, wer als erster durchs Ziel geht oder die Oberhand gewinnt - bei Euch soll das nicht so sein. Sondern ihr sollt wenigstens begriffen haben, dass nicht das Wachstum entscheidend ist, sondern dass alle am Ende auch wirklich versorgt sind, dass alle das haben, was sie benötigen, um als Menschen in Würde leben zu können.

Wenn überall auf der Welt Bilanzen und Rendite den Ton angeben, wenn es da nur um Gewinnmaximierung geht - bei Euch soll das nicht so sein. Vor allen Zahlen muss es um Menschen gehen. Wenn der Mensch nicht im Mittelpunkt steht, dann steht eine Gesellschaft auf dem Kopf.

Wenn alle Welt befürchtet, dass der Wert des eigenen Grundstückes sinken könnte, wenn eine Flüchtlingsunterkunft in seiner Nähe errichtet wird, wenn die Stimmen überall lauter werden, dass man durchaus helfen müsse, aber doch bitte nicht bei uns sondern anderswo - bei Euch soll das nicht so sein. Weil klar sein muss, dass uns in jedem der Hilfe braucht, Christus selbst begegnet; in jedem! Und nicht nur in Christen, die an unsere Tür klopfen.

Wo Menschen in Not vor Stacheldrahtzäunen stehen, als Verbrecher behandelt werden, weil sei illegal die Grenze überschritten hätten oder - deshalb gar inhaftiert und in Gefängnissen misshandelt werden - Menschen, die nichts anderes getan haben, als um Hilfe zu bitten -, wo dies geschieht, da wird Christus erneut ans Kreuz geschlagen.

In den kommenden Tagen denken wir hier in Baden ganz besonders an den 75. Jahrestag der Deportation der badischen Juden ins Konzentrationslager Gurs. Und wir tun dies voller Scham und im Bewusstsein, dass sich so etwas nie mehr wiederholen darf.

Dass wir ausgerechnet in diesen Tagen darüber diskutieren, für Menschen, die uns um Hilfe bitten, an den Grenzen Transitzonen einzurichten, dass wir in diesen Lagern, die dort entstehen sollen, Menschen festhalten wollen, um gleich auszusortieren, wen wir reinlassen und wer gleich zurückgeschickt werden soll, dass wir ausgerechnet in diesen Tagen über Lager diskutieren, ich für meinen Teil finde das gelinde gesagt ausgesprochen peinlichen, ausgesprochen peinlich.

Bei Euch soll das nicht so sein…

Von dem, was Christus will, sind wir meilenweit entfernt.

Dass Menschen angesichts dessen was um uns herum geschieht unser Land tatsächlich und das ohne rot zu werden, als christliche Gesellschaft bezeichnen, macht nur deutlich, dass sie vom Evangelium nicht wirklich etwas begriffen haben.

Dabei wäre es gar nicht so schwer. Wir könnten christliche Gesellschaft sein. Wir könnten das. Und wir schaffen das. Wir müssten es letztlich im Grunde nur wirklich wollen.

Eigentlich müssen wir es nur wirklich wollen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 17./18. Oktober 2015 in der Bernhards- und Martinskirche, Karlsruhe)