Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


2. Sonntag der Fastenzeit - Lesejahr B (Mk 9,2-10)

In jener Zeit nahm Jesus Petrus, Jakobus und Johannes beiseite und führte sie auf einen hohen Berg, aber nur sie allein. Und er wurde vor ihren Augen verwandelt; seine Kleider wurden strahlend weiß, so weiß, wie sie auf Erden kein Bleicher machen kann. Da erschien vor ihren Augen Elija und mit ihm Mose, und sie redeten mit Jesus. Petrus sagte zu Jesus: Rabbi, es ist gut, dass wir hier sind. Wir wollen drei Hütten bauen, eine für dich, eine für Mose und eine für Elija. Er wusste nämlich nicht, was er sagen sollte; denn sie waren vor Furcht ganz benommen. Da kam eine Wolke und warf ihren Schatten auf sie, und aus der Wolke rief eine Stimme: Das ist mein geliebter Sohn; auf ihn sollt ihr hören. Als sie dann um sich blickten, sahen sie auf einmal niemand mehr bei sich außer Jesus. Während sie den Berg hinabstiegen, verbot er ihnen, irgend jemand zu erzählen, was sie gesehen hatten, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden sei. Dieses Wort beschäftigte sie, und sie fragen einander, was das sei: von den Toten auferstehen. (Mk 9,2-10)

"Da kam eine Wolke und warf ihren Schatten auf sie..."

Das haben Wolken so an sich. Kaum ist man in Hochstimmung, sieht den Himmel offen und fühlt sich wie verklärt, da verdüstern auch schon wieder Wolken den Horizont und werfen ihre langen Schatten über das Land.

Liebe Schwestern und Brüder,

das scheint dazuzugehören. Es scheint zu unserem Leben zu gehören, wie das Amen in der Kirche. Kaum gibt es einmal so eine richtige Hochstimmung und schon brauen sich am Horizont wieder die dunklen Wolken zusammen. Als würde es Gott darauf anlegen, uns jedes Mal die Laune und die Stimmung ganz gehörig zu verderben. Gerade dann wenns am Schönsten ist, wenn wir mal drauf und dran sind, zum Augenblick zu sagen: "Verweile doch, du bist so schön!" gerade dann ziehen die Gewitterwolken schon wieder herauf.

Das war bei den Jünger so und es ist wohl zu allen Zeiten so.

Jene Zeit, an die wir in Bruchsal an diesem Wochenende ganz besonders denken, gibt ein gutes Beispiel dafür ab. Den 300. Geburtstag von Kardinal Fürstbischof Franz Chrstoph von Hutten begehen wir ja in diesen Tagen. Unter ihm hatte es Bruchsal endlich geschafft! Die Residenz war ausgebaut - repräsentativ, wie sich das gehört. Die Peterskirche war vollendet. Die Narben der vorangegangenen Kriege waren endlich verheilt und nichts mehr davon war zu sehen - endlich ein Zustand erreicht, von dem man sagen konnte: Verweile doch, du bist so schön.

Als der Fürstbischof in der Gruft der Peterskirche bestattet wurde, hingen die düsteren Wolken - Vorboten einer neuen Zeit, eines gewaltigen Umsturzes - schon ganz ferne am Horizont. Wer die Zeichen der Zeit zu deuten wusste, der konnte sich schon 15 Jahre später ausmalen, dass der Höhepunkt dieser Periode des Glanzes und der barocken Pracht längst überschritten war. Das System war marode geworden und die Zeichen des Umbruchs, der Revolution und in ihrer Folge der Säkularisation der geistlichen Territorien zeichneten sich von Jahr zu Jahr immer deutlicher ab.

So wie das jedes Mal zu sein scheint, wenn es gerade mal wieder "am Schönsten" ist. Ist doch heute kein bisschen anders. Nach den fetten Jahren, die wir alle kennengelernt haben fallen die Prognosen für die Zukunft mehr als nur mager aus.

Noch leben wir auf dem Berg der Verklärung - für viele in Umständen, zu denen man am liebsten sagen würde, verweilt ganz lange, ihr seid so schön. Auch heute sind die Wunden des letzten Krieges längst vernarbt, das Land erstrahlt in einer Blüte, von der man vor sechzig Jahren nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Unsere Pfarrgemeinden besitzen Räumlichkeiten, die keinerlei Wünsche offen lassen und für die wir uns, wenn wir dann Besuch aus Peru etwa haben, sogar schon zu schämen beginnen. Und die meisten von uns haben ihren Beruf, ihr Einkommen, ihre Familie, ihre Gesundheit...

Augenblick verweile doch, du bist so schön.

Und die Wolken - die am Horizont? Wir sehen sie ganz deutlich, wenn wir nur die Augen aufmachen. Wir sehen sie schon bei uns selbst: Die ersten Wehwechen, die uns vor Augen führen, dass das Herz auf Dauer so nicht mitmachen wird, dass das Kreuz zu schmerzen beginnt und die Knie nicht mehr so wollen.

Und um uns herum? Was ist mit den Finanzen der öffentlichen Hand? Aufbruchstimmung in allen Ehren - nur darf sie nicht das Loch einfach nur zudecken, in das wir sehenden Auges mit Volldampf hineinbrausen.

Und in welche Löcher rasen wir in unserer kirchlichen Wirklichkeit hinein: Die Statistiken der Personalentwicklung, müssten eigentlich jedem klar machen, dass alle strukturellen Versuche zu halten, was überhaupt noch zu halten ist, keinen wirklichen Aufbruch, nicht einmal Umbruch, sondern nur hinausschieben des Zusammenbruchs bedeuten.

Während wir noch hoch auf dem Berg der Verklärung sitzen, sind die Wolken am Horizont bereits deutlich zu erkennen. Wolken kommen, und sie ziehen ganz selten an einem vorüber und wer sie zu ignorieren versucht, der wird in aller Regel ganz einfach nass. Es gilt sich darauf einzustellen und die entsprechenden Maßnahmen zu treffen.

Das aber ist nur das eine! Denn wie jede Sache, haben auch Wolken ihre zwei Seiten. Man wird nass, keine Frage, aber - was solls? - kein Gewitter dauert ewig. Und normalerweise lacht danach auch wieder die Sonne. Deshalb: Keine Angst vor dunklen Wolken, denn - auch das ist eine Tatsache - meistens reinigen Gewitter nur längst stickig gewordene Luft!

Ja, es war ein Gewittersturm, der am Ende des 18. und mit dem beginnenden 19. Jahrhundert über dieses Land fegte. Und für die Menschen damals - vor allem für diejenigen, die ganz fest mit dem System verwachsen waren - kam dieser Sturm einer regelrechten Katastrophe gleich. Das Hochstift Speyer existierte plötzlich nicht mehr, die Kirche und die Klöster wurden ihrer Besitztümer beraubt und den Fürstbischöfen ihre weltliche Macht genommen. Eine regelrechte Ära ein Zeitalter, ging zu Ende - und zwar mit all dem Leid, all den Verlusten und all dem zu beklagenden Schaden, den ein Gewitter immer mit sich bringt.

Aber einmal ganz ehrlich: War es im Letzten nicht vielleicht sogar ein Segen? Trauern wir Fürstbistümern tatsächlich nach?

Kaum etwas ist dem Evangelium fremder als ein Fürstbischof. Nichts hat weniger mit dem zu tun, der am Kreuz gestorben ist, als die Prachtentfaltung an einer bischöflichen Residenz des 18. Jahrhunderts. Was im Gewittersturm der Französischen Revolution und des beginnenden 19. Jahrhunderts - ohne Frage mit viel Leid und viel Unrecht und viel unsäglichem Schaden - hinweggefegt wurde, hätte auf dem Boden des Evangeliums und in der Nachfolge Christi eigentlich nie entstehen dürfen.

Gewitter kommen nicht von ungefähr, sie sind notwendig, meistens reinigen sie nämlich die Luft. Und vieles wird hinweggefegt, weil es keinen Bestand haben kann.

Was wird wohl heute hinweggefegt werden müssen? Wo wird der Geist Gottes, an den wir doch glauben, die Weichen anders stellen wollen, als wir sie gerne gestellt wüssten? Vertrauen wir ruhig darauf, dass so mancher Gewittersturm, der unsere Kirchen in den nächsten Jahren durcheinanderzuwirbeln droht nichts anderes hervorbringen wird, als das, was Gott am Ende haben möchte, auch wenn das anders aussehen mag, als unsere Kirchenleitungen und auch unsere Gemeinden es gerne hätten.

Denn nicht das, was wir uns ausrechnen ist das Ziel der Geschichte. Wenn Gott das Geschick allein in unsere Hände legen würde - wer weiß, vielleicht würde am Ende da tatsächlich nichts anderes als drei blödsinnige Hütten auf dem Verklärungsberg herauskommen.

Aber es ist Gott, der das Ziel vorgibt und der den Weg weist. Wenn wir die Zeichen richtig deuten, kommen wir zu diesem Ziel.

Wir können natürlich auch andere Wege einschlagen, aber wenn wir es tun, dann können wir darauf Gift nehmen, dass er uns durch so manchen Gewittersturm wieder auf den Weg zurückführt, den er für den richtigen hält.

Den Jüngern am Verklärungsberg hat er diesen Weg sehr deutlich gezeigt. Er zeigt ihnen das Ziel, aber als sie sich vor der Zeit niederlassen, schön gemächlich zur Ruhe setzen wollen, ziehen die Wolken ganz schnell herauf. Denn vor dem Ostertag gilt es die Karwoche zu durchleben. Vor dem Leben kommt die Geburt, vor der Auferstehung der Durchgang durch den Tod.

Es läuft nicht nach den Vorstellungen, die sich die Jünger zurechtgebastelt haben. Und es ging genauso wenig nach den Wünschen der Fürstbischöfe und auch nicht nach denen der übrigen Fürsten am Oberrhein. Und es wird auch nicht so laufen, wie wir uns das in Leitlinien und Pastoralplänen zusammengebastelt haben, und nicht einmal so, wie es die verschiedenen Parteiprogramme am Horizont ausmalen.

Aber trotz allem: Keine Angst vor dunklen Wolken am Horizont. Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur unpassende Kleidung. Stellen wir uns, wenn wir Wolken sehen, auf Regen ein. Und vertrauen wir darauf, dass er notwendig ist, dass solche Gewitter Gottes Eingreifen darstellen, seine Kurskorrektur, seine Finger, die uns - manchmal sanfter, manchmal unsanfter - wieder auf seinen Weg zurückführen. Vertrauen wir darauf, dass die Sonne danach umso klarer scheint.

Und ganz gleich was auch geschieht: Es wird immer so gehen, wie Gott es sich vorstellt. Und das ist auch gut so, denn Menschen denken, Gott aber lenkt - und er lenkt zum Guten.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 11./12. März 2006 in den Kirchen der Seesorgeeinheit St. Peter, Bruchsal)