Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


16. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B (Mk 6,30-34)

In jener Zeit versammelten sich die Apostel, die Jesus ausgesandt hatte, wieder bei ihm und berichteten ihm alles, was sie getan und gelehrt hatten. Da sagte er zu ihnen: Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus. Denn sie fanden nicht einmal Zeit zum Essen, so zahlreich waren die Leute, die kamen und gingen. Sie fuhren also mit dem Boot in eine einsame Gegend, um allein zu sein. Aber man sah sie abfahren, und viele erfuhren davon; sie liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin und kamen noch vor ihnen an. Als er ausstieg und die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er lehrte sie lange. (Mk 6,30-34)

Liebe Schwestern und Brüder,

neue Männer braucht das Land - das ist gar keine Frage; neue Männer und genauso neue Frauen - daran führt kein Weg vorbei, zumindest, wenn es nach den Wünschen unserer Wirtschaft geht.

Das Menschenmaterial, das augenblicklich zur Verfügung steht, das scheint schließlich nur in ganz beschränktem Maße tauglich zu sein: zu gering der Leistungsgrad, zu hoch der Krankenstand, zu lange die Ferien und viel zu unverschämt die Ansprüche.

Der neue Mann und die neue Frau, die unsere Wirtschaft unbedingt brauchen, die müssen ganz andere Kriterien erfüllen: die sind knapp über dreißig, kerngesund, rundum belastbar, und am besten sieben Tage in der Woche einsetzbar. Solche Menschen braucht das Land.

Und wenn man so manche Statistik von so manchem Großunternehmen anschaut, dann scheinen ja schon heute andere Menschen kaum noch eine Chance zu haben. Immer mehr Unternehmen zeichnen sich ja schon dadurch aus, dass es kaum noch Arbeitnehmer über 45 Jahren gibt. Jung und dynamisch - nur so kann man heute offensichtlich noch bestehen. Der Wettbewerb ist eben hart geworden, und wo mit harten Bandagen um jeden Prozentpunkt gerungen wird, da kann man sich Menschlichkeit oder gar Barmherzigkeit halt nicht mehr leisten.

Sachzwang nennt man so etwas! Und Sachzwänge, das sind Dinge, denen man unbedingt Folge zu leisten hat. Wer wollte sich denn auch schon gegen einen Sachzwang auflehnen! Wer käme denn auch schon auf die Idee einen Sachzwang verändern zu wollen. Da suchen wir lieber die neuen Männer und die neuen Frauen, Menschen, die unter solchen Zwängen eben standhalten, die diesen Ansprüchen genügen.

Wer aber genügt denn diesen Ansprüchen? Wer hält das denn durch? Wer kann in solch einer Gesellschaft denn bestehen? Man ist nur einmal Dreißig! Und man wird älter! Und es gibt Krankheiten, es gibt Leistungstiefs und jeder braucht Erholung und Ruhe. Das Allroundgenie, nach dem unsere Gesellschaft so stark verlangt, das gibt es nicht.

Das gibt es nur, wenn man diejenigen, die nicht mehr mitkönnen, die Alten, die Kranken, die Schlechtausgebildeten, die aus-dem-Tritt-Gekommenen, wenn man all die, ganz einfach aussortiert, übersieht und links liegen lässt. Und darauf läuft vieles heutzutage ja hinaus.

Bei allen Sachzwängen in der Welt: Soweit darf es aber nicht kommen! Keinen Meter dürfen wir auf diesem Weg weiter gehen, auf diesem Weg, auf dem unsere Gesellschaft in den letzten Jahren schon wieder viel zu weit gegangen ist. Was soll das denn für eine Gesellschaft werden, auf die wir uns da zubewegen? Eine Gesellschaft, die solch einen Druck auf Menschen ausübt, dass man am Ende daran zerbrechen muss, dass man nicht mehr wagen kann, ein wenig langsamer zu machen, aus lauter Angst auf der Strecke zu bleiben, eine Gesellschaft, die über Leichen geht, die am Menschen letztlich völlig vorbeigeht!

Eine unmenschliche Gesellschaft und weil unmenschlich deshalb zutiefst auch unchristlich! Denn was nicht menschlich ist, was unmenschlich ist, das kann auch nicht christlich sein! Jesus Christus nämlich ist menschlich, er ist der menschgewordene Gott.

Und das heutige Evangelium zeigt uns wieder einmal auf eine für mich großartige Weise, wie menschlich dieser Gott in Jesus Christus ist! Als die Arbeit so drückend geworden ist, als so viele auf die Jünger einströmten, dass sie nicht einmal mehr Zeit zum Essen fanden, da sagt Jesus ganz einfach: Macht langsam! "Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus." Ruht ein wenig aus! Gönnt Euch die Ruhe in dieser Tretmühle, habt den Mut auszubrechen aus den Sachzwängen. Bildet Euch nicht ein, rund um die Uhr auf Hochtouren laufen zu müssen geschweige denn es zu können, für keine noch so wichtige Sache der Welt! "Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus."

Jesus hat ein Gespür für den Menschen, denn er ist Mensch geworden, er ist ein menschlicher Gott. Wenn wir dieses Gespür für uns selber und für den anderen in unserer Gesellschaft nicht wieder viel stärker gewinnen, dann wird diese Gesellschaft alles andere, nur keine christliche Gesellschaft sein.

Ich bin dankbar für dieses Evangelium, gerade jetzt, wo die Urlaubszeit wieder vor der Tür steht. Jesus selbst ruft uns zu: "Ruht ein wenig aus!" Vielleicht ist Müßiggang ja aller Laster Anfang, aber Rastlosigkeit, Produktivität rund um die Uhr, zurechtgebogene und programmierte Menschen, die nur noch Räder in einer Tretmühle sind, das ist aller Menschlichkeit Ende.

Ich wünsche Ihnen allen in den vor uns liegenden Wochen eine erholsame und stressfreie, eine im Geiste Jesu Christi menschenwürdige Urlaubszeit. Geht an einen einsamen Ort, und ruht ein wenig aus! Und dann kehrt zurück, und helft mit, dass unsere Welt wieder menschlicher wird.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 19./20. Juli 1997 in der Peters- und Pauluskirche, Bruchsal)