Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


12. Sonntag im Jahreskreis - Lesejahr B (Mk 4,35-41)

An jenem Tag, als es Abend geworden war, sagte Jesus zu seinen Jüngern: Wir wollen ans andere Ufer hinüberfahren. Sie schickten die Leute fort und fuhren mit ihm in dem Boot, in dem er saß, weg; einige andere Boote begleiteten ihn. Plötzlich erhob sich ein heftiger Wirbelsturm, und die Wellen schlugen in das Boot, so dass es sich mit Wasser zu füllen begann. Er aber lag hinten im Boot auf einem Kissen und schlief. Sie weckten ihn und riefen: Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen? Da stand er auf, drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei still! Und der Wind legte sich, und es trat völlige Stille ein. Er sagte zu ihnen: Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? Da ergriff sie große Furcht, und sie sagten zueinander: Was ist das für ein Mensch, dass ihm sogar der Wind und der See gehorchen? (Mk 4,35-41)

Sänger brauchen ihn; ein Chor braucht ihn; Musiker und ein Orchester brauchen ihn allemal: einen Dirigenten nämlich.

Wenn alle durcheinander singen, beim Kanon, die Einsätze nicht stimmen und jedes Instrument einfach nur vor sich hin trötet - es gibt dann alles, nur kein Lied, keinen Wohlklang, keine Symphonie.

Liebe Schwestern und Brüder,

wenn viele zusammen musizieren wollen, dann braucht es einen Dirigenten. Das wissen wir und das gehört zu den Selbstverständlichkeiten für alle musikbegeisterten Menschen. Und glücklich schätzen kann sich jedes Orchester und jeder Chor, so man einen guten Dirigenten hat.

Was hier für die Musik gilt, gilt selbstverständlich auch im übertragenen Sinne. Auch in unserem Zusammenspiel, auch im Zusammenklang der Menschen in unseren Gemeinden, im Zusammenklang der einzelnen Glieder der ganzen Kirche, auch da braucht es einen Dirigenten. Auch hier gibt es schließlich Misstöne und Disharmonien, wenn die einzelnen Teile einfach drauf los spielen und niemand auf den rechten Einsatz achtet.

Und unsere Kirche kann sich glücklich schätzen, denn auch sie hat einen guten Dirigenten. Christus selbst ist es nämlich, er gibt den Einsatz und auf ihn gilt es zu achten. Er gibt den Takt vor, einen Takt, auf den es ankommt, wenn das ganze Stück harmonisch klingen soll.

Jetzt stellen Sie sich aber einmal vor, der Dirigent würde schlafen. So, wie es die Jünger im Boot aus dem heutigen Evangelium erlebt haben. Christus liegt da herum und schläft ganz einfach. Ein Dirigent, der schläft. Stellen Sie sich ein Orchester vor, und der Dirigent ist am Pult eingeschlafen.

Da stehen sie alle rum warten auf den Einsatz - und der Dirigent pennt. Da kann man schon nervös werden. Da entsteht eine Kunstpause. Alles brennt auf den Einsatz und nichts geschieht.

Manche scheinen genau dieses Gefühl auch heute zu haben - natürlich nicht was unseren Chor angeht, wohl aber, was unsere Kirche angeht. Da warten Gemeinden darauf, dass Gott eingreift und seine Kirche erneuert, dass er die Richtung vorgibt und den Reformstau aufbricht. Und nichts passiert - Kunstpause! Als ob er den Einsatz verpasst hätte, als ob am Pult der Dirigent eingenickt wäre.

Da meinen manche schon, dass man in diese Pause hineinpreschen müsse, das quälende Abwarten beenden, Eigeninitiative ergreifen und den Karren endlich voranbringen müsse.

Und auf der anderen Seite haben einige vor nichts anderem mehr Angst, als genau davor. Sie sind so entsetzt über all dieses Gesumme und Gebrumme in den niederen Reihen, dass sie genauso auf den Dirigenten blicken und nicht verstehen können, warum der nicht einschreitet, warum er denen, die da in die Stille hineintröten, nicht auf die Finger schlägt und solche Eigenmächtigkeiten unterbindet.

Und weil er es offenbar nicht macht, machen sie es eben, pfeifen übervorsichtig alle zurück, die auch nur mit den Füßen scharren und nicht stramm im Glied stehen. Schließlich muss ja einer für Ordnung sorgen, wenn der Dirigent schon schläft.

"Da stand er auf, drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei still! Und der Wind legte sich, und es trat völlig Stille ein. Er sagte zu ihnen: Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?"

Von wegen schlafen! Der schläft nicht! Der Dirigent ist hell wach. Er weiß genau, wann die Zeit gekommen ist, den Taktstock zu erheben. Und er wird es tun - zu seiner Zeit.

Warum habt ihr solche Angst? Das sagt dieser Evangelienabschnitt heute - mit mir -, all denen, denen es nicht schnell genug geht und die die Pause schon nicht mehr aushalten können, und er sagt es genauso denen, die gerade in dieser Situation übervorsichtig sind und damit schon jede Regung ersticken.

Warum habt ihr solche Angst? Gott weiß schon, was er tut. Keine Angst!

Aber auch keine Ungeduld. Die Pause hat ihren Sinn, ein guter Dirigent weiß nämlich, wie lange er eine Pause aushalten muss, damit sie die richtige Wirkung tut, damit die Zeit auch wirklich reif ist und der Neueinsatz um so fulminanter ausfällt.

Darauf gilt es zu vertrauen. Keine Angst und keine Ungeduld: der Einsatz kommt. Jesus Christus selbst wird ihn geben - kunstreicher brillanter und gewaltiger, als wir es uns überhaupt vorstellen können.

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 22. Juni 2003 in der Antoniuskirche Bruchsal)