Predigten aus der Praxis

Ansprachen für Sonn- und Festtage


4. Sonntag der Osterzeit - Lesejahr B (Joh 10,11-18)

In jener Zeit sprach Jesus: Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, lässt die Schafe im Stich und flieht, wenn er den Wolf kommen sieht; und der Wolf reißt sie und jagt sie auseinander. Er flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt. Ich bin der gute Hirt; ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne; und ich gebe mein Leben hin für die Schafe. Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen, und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten. Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen. (Joh 10,11-18)

"Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen..."

Dieser Satz aus dem heutigen Evangelium,

liebe Schwestern und Brüder,

das war starker Tobak für die Jünger Jesu.

Wenn sie alles gehabt haben, Minderwertigkeitskomplexe gehörten schließlich nicht dazu. Sie erinnern sich vielleicht an die Szene, als die Jünger Jesu Menschen, die in seinem Namen Dämonen ausgetrieben haben, daran hindern wollten und zwar mit der Begründung "... weil sie uns nicht folgen"! Denn wer ihr, der Schar der Jünger, nicht folgte, wie konnte der dazugehören? Schon damals hatten die, die Jesus ausdrücklich nachfolgten, die Vorstellung: Hier, bei uns, spielt die Musik! Wer sich anderswo aufhielt - und sei es mit den besten Absichten -, hatte von vorneherein verloren.

Das hat sich in unserer Christenheit durch all die Jahrhunderte wie ein rotes Band regelrecht hindurchgezogen. Zuerst waren es die Heidenchristen, mit denen man keine Gemeinschaft hatte, dann gehörten die Arianer nicht dazu, später waren es die Evangelischen, die ganz sicher in der Hölle schmoren würden, und bis heute sind es zumindest knapp 70 Prozent der Weltbevölkerung, die ganz sicher das Heil nicht erlangen werden, weil sie eben nicht getauft, Buddhisten, Hinduisten oder Muslime sind.

Es war starker Tobak für die Jünger, als Jesus ihnen klar zu machen versucht hat, dass sie nicht die Einzigen sind, dass zu seiner Herde auch welche gehören würden, die nicht "aus diesem Stall sind".

Für sie war das mindestens so ein Schock wie für einen guten Teil der Katholiken die Feststellung des Zweiten Vatikanischen Konzils, dass es wohl auch außerhalb der römisch-katholischen Kirche Heil gibt, dass Gott auch dort Menschen zu sich zu führen in der Lage ist.

Und genauso wie die Jünger damals es nicht wirklich internalisiert haben, genauso lehnen die Traditionalisten in unserer Kirche diese Einsicht des Konzils ja bis heute ab.

Innerhalb der Kirche äußert sich das dann in Diskussionen darüber, ob Muslime vielleicht doch nicht an denselben Gott glauben wie die Christen, vielleicht sogar einen Götzen verehren würden.

Und außerhalb der Grenzen von Religion, bricht sich dieses Denken dann in Formulierungen Bahn, wie dass die Religion dieser Menschen einfach nicht zu unserer Gesellschaft gehöre.

Einer der Höhepunkte für mich war in den letzten Wochen wieder einmal eine Talkshow im deutschen Fernsehen.

Da saß ein hochkarätiger Politiker und sagte allen Ernstes: "Wir haben in Deutschland, wir haben in Europa [...] einen Rechtsstaat, der auf den Traditionen des alten Athen, des alten Rom, des Judentums, des Christentums, des Humanismus, der Aufklärung fußt. Zu all dem [...] hat der Islam praktisch überhaupt keinen Beitrag geleistet."

Wie selten dämlich muss man denn sein, um solch einen Satz in den Mund zu nehmen.

Die Traditionen des alten Athen sind uns deshalb so gut bekannt, weil Muslime die Schriften eines Aristoteles ins Arabische übersetzt und so vor dem Vergessen bewahrt haben. Bedeutende Mediziner des frühen Mittelalters haben bei den Mauren in Cordoba gelernt. Und immer dann, wenn Sie eine Zahl schreiben oder gar mit diesen Zahlen rechnen - woher kommt denn unser Ausdruck "Algebra"? -, immer dann benutzen Sie die arabischen Ziffern, unsere Zahlen, der größte kulturelle Beitrag der islamischen Welt zu unserer Gesellschaft überhaupt.

Versuchen Sie sich nur einmal vorzustellen, was unsere Kultur, unser Wirtschaften und unser Wohlstand ohne diese Zahlen wäre...

Wann endlich fangen wir an, nicht nur global zu handeln, sondern auch global zu denken! Wie schwer fällt es uns doch bis heute, wirklich ernst zu nehmen, dass wir als Menschheitsfamilie ganz eng miteinander verflochten sind, dass keiner ohne den anderen kann und eine gedeihliche Zukunft letztlich davon abhängt, dass wir sie miteinander und nicht gegeneinander auf den Weg bringen.

Und da geht es nicht darum, ob andere das auch so sehen, ob Fundamentalisten aller Couleur nicht noch voller Verblendung sich selbst in den Mittelpunkt stellen und andere ausgrenzen oder gar verfolgen.

Es geht darum, dass wir weiter sein sollten, dass Christus uns im Evangelium bereits die Augen geöffnet hat, darum, dass wir es wenigstens begriffen haben sollten.

Dass Christi Kirche weit größer ist, als dies die Grenzen unserer Konfessionen glauben machen möchten, müsste uns vom Evangelium her so was von klar sein - und dass Gott tatsächlich das Heil aller Menschen möchte, so was von offensichtlich.

Ich weiß, viele bringen an dieser Stelle den Einwand, dass das Evangelium doch auch sage, dass Jesus Christus allein der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, und dass es ohne ihn keinen Zugang zum Vater gibt.

Natürlich stimmt das, aber bei diesem Weg geht es schließlich nicht um die Zahl der Vater Unser und die Häufigkeit des Gottesdienstbesuches. Und es geht nicht einmal in erster Linie um die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft.

Genau dieser Jesus Christus hat uns doch deutlich gemacht, dass ihm jeder begegnet, ihm jede dient, die einem Menschen, der hungrig, krank, obdachlos, im Gefängnis oder in der Fremde ist, helfend zur Seite steht. Darin äußert sich wahrhaft Religion.

Und wer jetzt versucht ist einzuwenden, was dann Nachfolge Christi von reinem Humanismus oder von bloßer Menschlichkeit unterscheiden würde, dem sei gesagt: Es mag ja durchaus sein, dass zu Religion viel mehr gehört als reine Menschlichkeit. Wo aber die Menschlichkeit fehlt, kann von Religion keine Rede sein.

Denn nur "wo die Güte und die Liebe wohnt, dort nur wohnt der Herr".

Amen.

Download-ButtonDownload-ButtonDownload-Button(gehalten am 22. April 2018 in den Kirchen St. Bernhard und St. Martin, Karlsruhe)