Kar- und Ostertage 2020

ein wahrhaft besonderes Osterfest


Alter Wein und neue Schläuche

Dienstag, 28. April 2020

Es ist schon Jahre her, dass die Postbank Online-Banking eingeführt hat. Und ich war - wenn ich mich recht erinnere - von Anfang an dabei.

Bankhaus in Siena

Ältestes Bankhaus der Welt-
Monte dei Paschi, Siena

Foto: Jörg Sieger

War ja auch bequem. Man öffnete die Seite im Internet und sah vor sich das gewohnte Überweisungsformular mit all den Kästchen, die es auszufüllen galt. Und die füllte man jetzt eben nicht mehr von Hand aus, sondern mit Hilfe der Tastatur am PC.

Vor einiger Zeit hat die Postbank das Online-Banking neu gestaltet. Und das Erste, was mir auffiel: Es gibt das schöne alte Überweisungsformular nicht mehr. Jetzt sind da einfach Felder, in die man die entsprechenden Daten einträgt und das wars.

Ja, zunächst war ich verwundert. Zunächst hatte ich sogar das Gefühl, dass das doch eigentlich gar nicht geht. Aber es wurde mir letztlich rasch klar: Das alte Design, das dem Überweisungsträger mit Kohlepapier und Durchschlag nachempfunden war, hat es letztlich absolut nie gebraucht. Es gibt ja keinerlei Grund, dass das Formular im Internet genauso aussehen muss, wie ich es vom Postschalter her kannte. Für eine Überweisung müssen ein paar Daten abgefragt werden und dafür braucht es keine orangefarbenen Trennlinien zwischen den Buchstaben. Kein Schalterbeamter muss heute noch in Blockschrift eingetragene Namen entziffern.

Als man das Online-Banking zum ersten Mal einrichtete, konnte man sich offenbar gar nicht vorstellen, dass eine Überweisung anders aussehen könne, als man sie aus dem "realen Leben" kannte. Vielleicht hatte man den Programmierern auch den Auftrag gegeben, alles möglichst genauso aussehen zu lassen, wie es die Menschen vom Postschalter her gewohnt waren, damit man sich ohne Schwierigkeiten zurechtfinden könne.

Ich musste dieser Tage an dieses Erleben mit dem Online-Banking denken. Es fiel mir plötzlich wieder ein, wie häufig das ist. Nicht selten kann man sich anfangs kaum vorstellen, dass Dinge im Internet anders aussehen können, als in der analogen Welt - oder sogar anders aussehen müssen. Häufig kleben Menschen an Erscheinung, Abläufen und Funktionen, die sie halt kennen. Und deshalb glauben Menschen auch heute noch, Digitalisierung würde bedeuten, alles genauso zu machen, wie wir es gewohnt sind, nur eben halt mit dem PC und über das Internet.

Wenn wir mit den neuen Medien aber genauso arbeiten, wie wir es gewohnt sind, dann werden wir kaum etwas gewinnen. Ganz im Gegenteil: Wir werden vermutlich in vielen Bereichen nur feststellen, dass es früher eigentlich leichter, persönlicher und sicher nicht schlechter gewesen ist.

Digitalisierung braucht deshalb wahrscheinlich zunächst einmal zuallererst eines: Wir müssen alles, was wir bisher gewohnt waren, erst einmal vergessen und ganz neu denken. Dann kommt man möglicherweise auf Ideen, die es im analogen Leben eben nicht gibt, die man sich nicht einmal vorstellen kann, wenn man an den Abläufen, so wie man sie eben kennt, kleben bleibt.

Deutlich geworden ist mir das, als ich beispielsweise Berichte über die verzweifelten Anstrengungen gesehen habe, wie überforderte Lehrerinnen und Lehrer mit Smartphone und Notebook versuchen, ihren Unterricht zu ihren Schülerinnen und Schülern nach Hause zu übertragen.

Da mühen sich Menschen, die zu einem großen Teil nur bedingt technikaffin sind, Unterrichtsübertragungen zu generieren, die fast zwangsläufig um Längen schlechter sein müssen, als ihr schlechtester Unterricht es schon ist. Und wenn ich dann davon höre und im Fernsehen auch noch sehe, wie Schülerinnen und Schüler die Hausaufgaben per Post zurücksenden sollen oder eine Schülerin ihren handgeschriebenen Aufsatz mit dem Smartphone fotografiert, um ihn per Mail an ihre Lehrerin zu senden, dann ist das nicht nur digitale Steinzeit sondern eine Bildungskatastrophe. Da ist vieles allerhöchstens gut gemeint, aber in keiner Weise gut gemacht.

Ist denn all den Zuständigen in den Ministerien nichts Besseres eingefallen, als genau das ins Internet zu übertragen, was man halt so kennt? Warum gestalten keine Fachleute, die sich mit diesen Medien auskennen, zusammen mit den Pädagogen professionelle Sendungen zu den entsprechenden Lehrinhalten, in denen die Unterrichtsstoffe so aufbereitet sind, dass Schülerinnen und Schüler etwas damit anfangen können? Um so etwas auf den Weg zu bringen, hat man schließlich nicht weniger Zeit gehabt, als Lehrerinnen und Lehrer für die selbstzusammengeschusterten Übertragungen aus dem Homeoffice. Ansprechend gestaltete Unterrichtsstunden könnte man sogar über Fernsehkanäle in jede Wohnung bringen - ein Medium, das im Gegensatz zu Notebooks tatsächlich fast überall vorhanden ist.

Lehrerinnen und Lehrer könnten sich darauf spezialisieren, mit den Schülerinnen und Schülern zu telefonieren, zu "skypen" oder was es sonst noch alles an Möglichkeiten gibt und Fragen zu beantworten, Hilfestellungen zu geben und möglicherweise viel individueller auf die Einzelnen einzugehen, als es ihnen sonst möglich ist.

Digitalisierung verlangt vor allem, dass wir alte Trampelpfade hinter uns lassen, erst einmal vergessen, wie man Dinge bisher gemacht hat, um dann neue Wege zu beschreiten - einfach neu zu denken. Sonst gestaltet man nur den analogen Überweisungsträger mit Kohlepapier für das Online-Banking nach.

Für Kirche gilt das natürlich auch. Wenn man neue Medien nutzen möchte, wenn man sich schon in den virtuellen Raum zurückzieht, dann kann man nicht einfach das tun, was man sonst auch getan hat. Den Gottesdienst mit leerer Kirche online zu stellen, ist alter Wein in neuen Schläuchen - das ist einfach von gestern. Neu denken und Neues zu denken ist gefordert. Und auch hier gilt es Kräfte und Ideen zu bündeln, damit man in die neuen Schläuche am Ende auch jungen Wein füllen kann.

Jörg Sieger

Niemand näht ein Stück neuen Stoff auf ein altes Gewand; denn der neue Stoff reißt vom alten Gewand ab und es entsteht ein noch größerer Riss. Auch füllt niemand jungen Wein in alte Schläuche. Sonst zerreißt der Wein die Schläuche; der Wein ist verloren und die Schläuche sind unbrauchbar. Junger Wein gehört in neue Schläuche.

Evangelium nach Markus 2,21-22