Kar- und Ostertage 2020

ein wahrhaft besonderes Osterfest


Turmbau zu Babel

Dienstag, 31. März 2020

Ich war vor Fasnacht, als es noch möglich war, sich frei zu bewegen, in Nordfrankreich unterwegs, um das zu tun, was ich so sehr mag: alte Städtchen besichtigen, Burgen, Schlösser, Dorfkirchen und ehrwürdige Kathedralen, geschichtsträchtige Orte, Museen und Ausstellungen. Dabei führte mich mein Weg nach Beauvais.

In dieser Stadt gibt es eine Kirche, an die ich momentan oft denken muss. Zuerst stand dort eine karolingische Kapelle, in der Gotik wollte man eine erhabene Kathedrale bauen. 1247 begannen die Bauarbeiten, doch im Jahr 1284 stürzten Teile des Chores ein. Erst ein halbes Jahrhundert später wurde weiter gebaut. Auch dieser Versuch scheiterte. Im 16. Jahrhundert wollte man es noch mal wissen und nahm die Bautätigkeit wieder auf. Aber auch dieser Teil der Kirche fiel in sich zusammen. Das, was von der erhabenen Kathedrale übrig ist, zeigt die geplanten Ausmaße. Als ich vom Parkplatz aus auf die Kirche schaute, erschien es mir, als ob sie auf einer Anhöhe stehen würde. Als ich näher kam, wurde mir klar, dass das eine Täuschung ist, weil das Kirchenschiff wirklich so hoch ist.

Die Menschen, die diese Kathedrale zur Ehren Gottes bauen wollten, haben vorgehabt, das größte und höchste Bauwerk zu errichten. Sie wollten hoch hinaus, höher als alle anderen. Noch heute sprechen die hölzernen Stützen zur Stabilisierung eine deutliche Sprache.

Es ist fast wie beim Turmbau zu Babel.

Der Wunsch der Menschen, andere zu übertrumpfen, besser zu sein, mehr zu können, ist mächtig. Wenn ich mir die heutige Zeit anschaue, ist es nicht anders. Der Konkurrenzkampf in der Wirtschaft, der Leistungsdruck an Schule und Universitäten, in der Wissenschaft, der Wunsch, herauszuragen aus der Masse, weil man etwas Besonderes ist oder kann, treibt uns an.

Nun jedoch steht alles auf einmal still. Kurze Zeit später und ich hätte die Fahrt nach Nordfrankreich gar nicht mehr unternehmen dürfen. Das Coronavirus hat uns ausgeknockt, hat zunächst einmal unseren Druck, es allen zu zeigen, beendet.

Ich wurde gefragt, ob Gott uns diese Epidemie geschickt hat, um uns zur Umkehr zu bewegen, ob Gott wie beim Einsturz des Turms von Babel oder der Sintflut eingreift, um unsere Höhenflüge, die dem Klima und den Menschen in anderen Teilen der Erde schaden, zu bremsen.

Nein, ich glaube an einen liebenden Gott, niemals würde er wollen, dass in Bergamo Hunderte am Virus sterben, unendliches Leid über einige Regionen gelegt wird, Menschen einsam ohne Angehörige versterben und sich die Welt in Trauer befindet.

Gott hat den Menschen das Versprechen gegeben, er hat einen Bund geschlossen und versprochen, uns nicht im Stich zu lassen.

Wir jedoch richten uns selber zugrunde. Gott hat uns die Freiheit gegeben, unsere Wege zu gehen, auch die falschen. Dafür sind aber wir verantwortlich.

Daher können wir den Torso der Kathedrale von Beauvais als Fingerzeig deuten, dass wir uns darüber im Klaren sein müssen, dass es immer so war, es geht nicht unendlich weiter, es kann nicht funktionieren, immer mehr Geld, immer mehr Waren, immer mehr Reichtum anzuhäufen, ohne auf die zu schauen, die die Verlierer sind. Unsere Erde ächzt und stöhnt unter den Folgen des Klimawandels. Auch in der jetzigen Krise müssen wir überlegen, wie wir unser Verhalten verändern können.

Außerdem wussten wir immer, es gibt kein Leben ohne Risiko. Es gibt kein Leben ohne Leid, ohne Krankheiten, Trennungen und Verluste, wir müssen wissen, dass Trauer und Schicksalsschläge zum Leben dazu gehören. Wir haben jedoch oft so getan, als ob alles möglich wäre. Wir haben ausgeblendet, welche Gefahren Leben in sich birgt. Wir wollten nicht wahrhaben, dass die Menschen, die uns wichtig sind, bedroht sein könnten.

Nun hat uns die Erkenntnis mit voller Wucht eingeholt, eine weltweite Pandemie macht alle Pläne zunichte, macht uns Angst, raubt uns vor Sorge um unsere Angehörigen, die wir nicht verlieren wollen, den Schlaf. Existenzielle Nöte um Arbeit, um Lohn kommen dazu.

Wie wird es weitergehen?

Ich weiß es nicht, aber ich glaube, wenn wir wieder anfangen zu arbeiten, unsere Kontakte aufzunehmen, wieder unser normales Leben aufnehmen, müssen wir die Erkenntnis, dass Leben bedroht ist, mit in den Alltag nehmen. Allerdings haben wir bisher aus Krisen niemals einen kompletten Umdenkungsprozess mitgenommen sondern es wurde oft weitergemacht wie bisher. Einzelne jedoch haben immer etwas gelernt und sind Impulsgeber geworden. Vielleicht gelingt es uns auch jetzt, unseren Blickwinkel zu verändern.

Diethard Zils dichtet in seinem Lied "Sag ja zu mir, wenn alles nein sagt":

"Uns ist das Heil durch dich gegeben,
denn du warst ganz für andre.
An dir muss ich mein Leben messen
doch oft setz ich allein das Maß.
Tu meinen Mund auf, dich zu loben und gib mir deinen neuen Geist."

Ja, ich bin nicht das Maß aller Dinge, ich muss nicht die höchsten Türme bauen, ein bisschen mehr Demut und Rücksicht wären angebracht. Dann kann ich darauf vertrauen, dass Gottes Bund gilt, dass er für alle Lebewesen gilt und Gott über seine Schöpfung wacht. Er wird sie niemals strafen, indem er die Katastrophen schickt, das schaffen wir schon von ganz alleine. Gott kann uns seinen Bund nur anbieten und uns zusichern, dass er es ernst meint. Aber ernst meinen müssen es dann auch wir mit unserem Verhalten. Wenn wir meinen, nach Höherem streben zu müssen, ohne Rücksicht auf die anderen zu nehmen, dürfen wir nicht Gott die Schuld geben, wenn die Welt aus den Fugen gerät.

Marieluise Gallinat-Schneider

Ich richte meinen Bund mit euch auf: Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben. Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich stifte zwischen mir und euch und den lebendigen Wesen bei euch für alle kommenden Generationen: Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Zeichen des Bundes werden zwischen mir und der Erde. Balle ich Wolken über der Erde zusammen und erscheint der Bogen in den Wolken, dann gedenke ich des Bundes, der besteht zwischen mir und euch und allen Lebewesen, allen Wesen aus Fleisch, und das Wasser wird nie wieder zur Flut werden, die alle Wesen aus Fleisch verdirbt. Steht der Bogen in den Wolken, so werde ich auf ihn sehen und des ewigen Bundes gedenken zwischen Gott und allen lebenden Wesen, allen Wesen aus Fleisch auf der Erde. Und Gott sprach zu Noach: Dies ist das Zeichen des Bundes, den ich zwischen mir und allen Wesen aus Fleisch auf der Erde aufgerichtet habe.

(Genesis / 1. Buch Mose 9,11-17)

Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis in den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen. Da stieg der HERR herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. Und der HERR sprach: Siehe, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, wenn sie es sich zu tun vornehmen. Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht. Der HERR zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen.

(Genesis / 1. Buch Mose 11,4-8)