Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Das Buch der Sprüche ⋅1⋅

Betrachten wir nun aber die Weisheitsbücher im engeren Sinne. Hier müssen wir uns zunächst das Buch der Sprüche eingehender ansehen. Es ist sicher das typischste Werk der Weisheitsliteratur Israels.

1. Die Struktur des Buches

a. Eine Sammlung von Sammlungen

Bei der Betrachtung dieses Buches fällt von Anfang an auf, dass die Reihenfolge der überlieferten Sprüche ohne weitere Bedeutung zu sein scheint. Ja selbst die Reihenfolge der einzelnen Abschnitte scheint keinem besonderen Plan zu folgen.

Dieser Eindruck wird nur noch einmal unterstützt, wenn man registriert, dass die griechische Bibelübersetzung eine ganz andere Anordnung der einzelnen Abschnitte aufweist.

Das Buch ist also eine Sammlung von Sammlungen.

Einzig und allein Spr 1-9 und Spr 31,10-31 übernehmen so etwas wie die Funktion eines Prologes bzw. eines Epiloges.

b. Anlagerung von Sammlungen um einen alten Kern

Dabei scheinen sich einzelne Teilsammlungen um einen alten Kern herum angelagert zu haben. Dieser alte Kern dürfte in folgenden Abschnitten vorliegen:

  • Einmal in Spr 10,1-22,16, ein Abschnitt der die Überschrift "Sprichwörter Salomos" trägt. In ihm sind 375 Sprüche gesammelt.
  • Der zweite Teil der alten Sammlung dürfte in Spr 25-29 vorliegen. Er wird eingeleitet mit den Worten: "Auch das sind Sprichwörter Salomos, die die Männer Hiskijas, des Königs von Juda, sammelten". Hier werden 128 Sprüche überliefert.

An diese beiden Teile wurden dann anscheinend weitere, kleinere Sammlungen angefügt:

  • um den ersten Teil hat man zwei kleinere Abschnitte gruppiert, einmal die "Worte von Weisen" (Spr 22,17-24,22) und dann den mit den Worten "Auch folgende Sprichwörter stammen von Weisen" überschriebenen Abschnitt in Spr 24,33-34.
  • An den zweiten alten Kernbestand hat man die "Worte Augurs" (Spr 30,1-14) angefügt.
  • Ihnen folgen dann Zahlensprüche (Spr 30,15-33),
  • und die "Worte an Lemuël" (Spr 31,1-9).

Der ganzen Sammlung geht eine lange Einleitung voraus (Spr 1-9), in der ein Vater seinem Sohn Weisheitsmahnungen erteilt und in der die Weisheit selbst das Wort ergreift.

Das Buch endet mit einem alphabetischen Gedicht, einem Lob auf die tüchtige Frau (Spr 31,10-31).

c. Übersicht ⋅2⋅

So stellt sich der Aufbau insgesamt folgendermaßen dar:

I.
Spr 1-9
"Sprüche Salomos, des Sohnes, Davids, Königs von Israel"
Vermutlich die jüngste (nachexilische) Sammlung
 
Spr 1,1-7
Überschrift über das ganze Buch mit Motto:
"Die Furcht Jahwes ist der Anfang der Weisheit" (Spr 1,7 u. a.)
Spr 1,8ff; 4,1ff. 10ff. 20ff u. a.
Erklären sich die längeren Einheiten als Lehrreden, die mit einer Aufforderung zum Hören eingeleitet werden und Mahnungen enthalten (B. Lang)?
Spr 5-7
(ohne Spr 6,1-19) Warnung vor "fremdem Weib" (vgl. Spr 2,16ff)
Spr 1,20-21; 8; 9
Personifizierte "Frau Weisheit" (gegenüber der Torheit Spr 9,13ff)
Spr 8,22ff
Schöpfungshymnus: Weisheit als Erstling der Schöpfung anwesend bei Enstehung der Welt (vgl. Spr 3,19-20), spielend vor Gott, darum für den Menschen notwendig (Spr 8,32ff; 2,2ff)
II.
Spr 10-22,16
"Sprüche Salomos"
a.
Spr 10-15
Neben Abschnitt V eine der ältesten Sammlungen, wohl aus zwei Teilen (a und b) zusammengesetzt
b.
Spr 16-22,16
In a meist Aussageworte mit antithetischem Parallelismus (wie Spr 10,1ff).
Oft werden Verhalten und Ergehen des Weisen und Toren, Gerechten und Gottlosen gegenübergestellt
III.
Spr 22,17-24,22
"Worte von Weisen"
a.
Spr 22,17-23,11
Enge Anlehnung an das ägyptische Weisheitsbuch des Amenemope (vor 1000 v. Chr.). Vorwiegend Mahnworte. Dem Einleitungsspruch (Spr 22,17-21) folgen zehn Themen (Spr 22,22-23,11)
b.
Spr 23,12-24,22
Von Spr 23,13-14 (nach den assyrisch-aramäischen Sprüchen Achikars) und Spr 24,10-12 abgesehen, "kaum ausländisches Gepräge", aber "kräftige Religiosität": Spr 23,17; 24,12. 18. 21 (B. Gemser)
IV.
Spr 24,23-34
"Auch dies (Worte) von Weisen"
V.
Spr 25-29
"Sprüche Salomos, gesammelt von den Männern des Königs Hiskija"
a.
Spr 25-27
"Der 'weltlichste' Abschnitt der israelitischen Weisheitsliteratur" - deshalb die "ursprünglichste Form" (H. H. Schmid)? Nur Spr 25,2. 22 reden von Gott
b.
Spr 28-29
Stärker religiös bestimmt
Ist a ein Bauern- oder Handwerkerspiegel, b ein Regentenspiegel (U. Skladny)?
VI.
Spr 30,1-14
"Worte Augurs"
Wie Abschnitt VIII außerisraelitisch, wohl aus edomitisch-nordarabischem Raum
VII.
Spr 30,15-33
Zahlensprüche
VIII.
Spr 31,1-9
"Worte an Lemuël, König von Massa"
Lehre der Mutter für den zum König bestimmten Sohn
IX.
Spr 31,10-31
Lob der tugendsamen Hausfrau
Akrostichon

In den beiden Hauptsammlungen (Spr 10,1-22,16; Spr 25-29) wird der "Maschal" in seiner ursprünglichsten Form verwendet. Diese Sammlungen enthalten nur kurze Sentenzen, die gewöhnlich die Form eines lediglich zweigliedrigen Spruchs haben.

Die Formulierung wird in den Anhängen dann bereits ausführlicher. In den kleinen Zahlensprüchen von Spr 30,15-33 (vgl. Spr 6,16-19) finden sich dann auch eine Fülle von rätselhaften Sentenzen, wie sie schon seit früher Zeit in Israel beliebt waren.

Der Prolog 1-9, der durch zwei Ansprachen der personifizierten Weisheit unterbrochen wird, und der Epilog (Spr 31,10-31) sind kunstvoll angelegte Kompositionen.

2. Die Zeit der Abfassung

Aus der Struktur des Buches lässt sich bereits ein langsames Wachsen erkennen.

Die ältesten Teile sind sicher in den beiden großen Sammlungen Spr 10,1-22,16 und Spr 25-29 zu suchen. Sie werden Salomo zugeschrieben, ⋅3⋅ der nach 1 Kön 5,12

"dreitausend Sprichwörter verfasste". (1 Kön 5,12.)

Es ist sogar durchaus wahrscheinlich, dass ein Teil dieser Sprüche tatsächlich in die frühe Königszeit zurückreicht.

Auch die Nachricht, dass "Leute des Hiskija" Sprüche gesammelt haben, könnte durchaus eine historische Erinnerung darstellen. Solche um 700 v. Chr. gesammelten Sprüche dürften dann auch entsprechend älter sein und ihre Wurzeln in der frühen Königszeit haben.

Man kann also den alten Kern des Buches mit einiger Wahrscheinlichkeit in vorexilischer Zeit ansiedeln.

Die anderen Abschnitte sind nach und nach hinzugefügt worden. Dabei ist ihre Abfassungszeit - wie etwa bei den Kapiteln 30-31 - nicht immer auszumachen.

Der Prolog in Spr 1-9 dürfte der jüngste Teil des Buches sein. Er enthält deutliche Berührungen mit dem übrigen nachexilischen Schrifttum, so dass man ihn frühestens im 5. Jahrhundert v. Chr. ansetzen kann.

In dieser Zeit, also mit der Anfügung des Prologes, dürfte das Werk auch seine endgültige Gestalt erhalten haben.

3. Außerisraelitische Einflüsse

Interessant ist der Hinweis auf Worte Augurs und Lemuëls (Spr 30,1-31,9). Hier werden nämlich zwei arabische Weise als Verfasser eines Teiles des Buches der Sprüche genannt.
Nun können diese beiden Namen durchaus erfunden sein. Sie sind aber dennoch ein Zeugnis dafür, dass man sich in Israel bewusst war, in seiner Weisheit auch von außerhalb Israels beeinflusst zu sein.

a. Das Weisheitsbuch des Amenemope

Einen klaren Beweis für solchen Einfluss stellen die "Worte von Weisen" in Spr 22,17-23,11 dar. Sie sind eine mehr oder weniger wörtliche Entlehnung aus dem ägyptischen Weisheitsbuch des Amenemope, das zu Beginn des ersten Jahrtausends v. Chr. geschrieben wurde.

Allerdings finden sich in diesen Passagen neben den Übereinstimmungen auch eigene Teile, die auf die Arbeit israelitischer Theologen zurückzuführen sind. Es handelt sich dabei vor allem um die theologischen Begründungen. Sie wurden anscheinend von einem israelitischen Autor eigenständig beifügt.

Offensichtlich also ein Beispiel dafür, wie die Theologen in Israel auswärtige Weisheitssprüche bearbeitet haben. ⋅4⋅

b. Einflüsse der "Lehren" oder "Instruktionen" sowie aus Ugarit

Die Reden von Spr 1-9 sind dann nach dem Vorbild der "Lehren" oder "Instruktionen" gestaltet. Diese "Lehren" bzw. "Instruktionen" stellen eine der Hauptgattungen der ägyptischen Weisheitsliteratur dar.

Aber auch Einflüsse der sogenannten "Ratschläge eines Vaters für seinen Sohn", die man vor einigen Jahren in einem akkadischen Text in Ugarit gefunden hat, lassen sich feststellen.

c. Die Personifizierung der Weisheit und die ägyptische Göttin "Maat"

Selbst die Personifizierung der Weisheit, die man in Spr 1-9 vorfindet, hat literarische Vorläufer in Ägypten. Dort wurde ja die "Maat", der Hauptbegriff der ägyptischen Weisheitslehre, der soviel bedeutet wie Recht, Richtigkeit oder auch Urordnung als Göttin personifiziert.

Die Nachahmungen, die die Weisheitslehrer in Israel vornehmen, sind aber nicht sklavisch, sondern bewahren die Eigenständigkeit israelitischen Denkens.

Man kann also durchaus sagen, dass sich im heutigen Buch der Sprichwörter die spezifisch israelitisch-jüdische Ausprägung der altorientalischen Weisheit findet.

4. Intention

Das Buch der Sprüche birgt somit das weisheitliche Nachdenken aus mehreren Jahrhunderten.

a. Die beiden alten Sammlungen

In den beiden alten Sammlungen (Spr 10,1-22,16; 25-29) ist dabei noch die ganz profane, menschliche Weisheit vorherrschend. Es geht hier um ganz alltägliche Dinge. Lediglich ein Siebtel dieser Sprüche hat religiösen Charakter.

Und selbst diese alten religiösen Sprüche bieten eine ganz einfache, praktische Theologie, die sich ganz aus dem Tun-Ergehen-Zusammenhang erklären lässt:
Gott belohnt

  • die Wahrhaftigkeit,
  • die Nächstenliebe,
  • die Herzensreinheit
  • und die Bescheidenheit.

Und er bestraft natürlich alle entgegengesetzten Laster. Jahwe allein ist es, auf den man vertrauen muss (Spr 20,22; 29,25).

Als Ursprung und Zusammenfassung aller dieser Tugenden nennen schon diese alten Sammlungen die Weisheit. Sie ist eine Frucht Jahwes (Spr 15,16. 33; 16,6; 22,4).

b. Prolog und Epilog

Im ersten Teil werden inhaltlich die gleichen Ratschläge gegeben. Auch hier geht es um menschliche und religiöse Weisheit.

Allerdings wird hier der Nachdruck verstärkt auf Verfehlungen gelegt, die von der älteren Weisheitslehre stillschweigend übergangen worden sind. Diese Bereiche thematisiert der erste Teil ausdrücklich, nämlich:

Vor allem der Epilog zeigt dann eine sehr hohe Achtung vor der Frau.

Wichtig ist, dass der Prolog zum erstenmal eine zusammenhängende Lehre über die Weisheit darlegt. Ausführlich schildert er

  • ihren Wert,
  • ihre Rolle als Führerin
  • und ihre Funktion als Beraterin im Handeln.

In der Passage des Prologs, in der die Weisheit dann selbst das Wort ergreift, liegt der erste der israelitischen Texte vor, in denen die Weisheit personifiziert wird (Spr 8,22-31).

5. Zur Wirkungsgeschichte des Buches der Sprüche

Die Wirkungsgeschichte des Buches der Sprüche und seiner Lebensweisheit darf man nicht zu gering ansetzen. Im Neuen Testament wird das Buch vierzehnmal direkt zitiert. Und etwa zwanzig Anspielungen auf diese Spruchsammlung lassen sich im Verlauf des NT ausmachen.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Alfons Deissler, Anton Vögtle (Hrsg.), Neue Jerusalemer Bibel (Freiburg / Basel / Wien 1985) 861-862. Zur Anmerkung Button

2 Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 324-326. Zur Anmerkung Button

3 Von diesen beiden Sammlungen hat im übrigen das ganze Buch seinen Namen. Als Sammlung der "Sprichwörter Salomos" (Spr 1,1) ist es insgesamt überschrieben.
(Vgl.: Alfons Deissler, Anton Vögtle (Hrsg.), Neue Jerusalemer Bibel (Freiburg / Basel / Wien 1985) 861.) Zur Anmerkung Button

4 Vgl. Spr 22,19. 23; 23,11. Zur Anmerkung Button