Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Die Theorie Martin Noths

Martin Noth geht davon aus, dass die Bücher Josua bis Könige nicht auf die traditionellen Pentateuchquellen zurückzuführen sind.

Die gemeinsamen Wendungen, die in diesen Büchern anzutreffen sind und die Verklammerungen nach vorn und nach hinten durch die Redekomplexe bringen ihn vielmehr zur Überzeugung, dass diese Bücher eine Einheit darstellen, eine eigene Gruppe von Schriften.

Martin Noth geht zudem davon aus, dass ein einziger Verfasser diesen gewaltigen Geschichtsentwurf geschaffen habe. Und er glaubt diesen Verfasser auch genauer festmachen zu können.

1. Das Deuteronomium und "der" Deuteronomist

Wir haben ja bereits gesehen, dass das heutige Buch Deuteronomium recht vielschichtig aufgebaut ist und dass es in seiner heutigen Form sicher nicht diese Pentateuchquelle D darstellt, die Wilhelm Martin de Wette postulierte.

a. Rückblick: Die deuteronomische Bearbeitung des Ur-Deuteronomiums

Jene Schrift, die um 621 v. Chr. im Tempel aufgefunden wurde und dann den Anlass zur joschijanischen Reform gegeben hat, haben wir ja mit einem "Ur-Deuteronomium" gleichgesetzt, das quasi den Kern des heutigen Buches Deuteronomium darstellt.

Dieses Ur-Deuteronomium hat bereits zur Zeit Joschijas und unmittelbar darauf eine ganze Reihe von Bearbeitungen erfahren. Darüber hinaus wurden andere Schriften in seinem Sinne überarbeitet. Wir haben dies am Beispiel des Bundesbuches und seines sogenannten deuteronomischen Rahmens ja eingehend gesehen.

Diese Bearbeitungen und Ergänzungen des Ur-Deuteromiums und den Einfluss dieser Gesetzessammlung auf andere Bücher bezeichnet man gemeinhin als "deuteronomisch".

b. Die deuteronomistische Bearbeitungsschicht

Nun hat man weitere Ergänzungen im Gesetzeskorpus entdeckt. Ergänzungen zum Beispiel im Königs- und Prophetengesetz (Dtn 17,18; Dtn 18,19-22). Auch der äußere Gürtel der Reden in Dtn 1-4 oder Dtn 29ff ist eine spätere Ergänzung. ⋅1⋅

Diese Ergänzungen können aus den verschiedensten literarkritischen Gründen nicht von der gleichen Hand wie die alten deuteronomischen Bearbeitungen stammen. ⋅2⋅

Sie scheinen zudem auch das babylonische Exil vorauszusetzen, scheinen also unter dem Eindruck des Jahres 586 v. Chr. verfasst worden zu sein.

Zur Unterscheidung von der älteren deuteronomischen Bearbeitung des Ur-Deuteronomiums nennt man diese Ergänzungen "deuteronomistisch".

2. "Der" Deuteronomist als Verfasser eines Geschichtswerkes

Bei der Arbeit an einem Kommentar zum Josuabuch im Jahre 1938 kam Martin Noth nun zur Überzeugung, dass aus stilistischen und literarkritischen Gründen der Autor dieser deuteronomistischen Ergänzungen des Deuteronomiums auch die Bücher Josua, Richter, 1 und 2 Samuel sowie 1 und 2 Könige verfasst haben müsse. ⋅3⋅

A. Jepsen kam im übrigen beinahe zeitgleich selbständig zu ähnlichen Ergebnissen. ⋅4 ⋅

Martin Noth ging dabei noch davon aus, dass es sich um einen einzigen Verfasser handeln würde.

Dieser sogenannte Deuteronomist habe - nach Martin Noths These - unter dem Eindruck des Untergangs Jerusalems das Buch Deuteronomium genommen und ausgehend vom ihm ein umfassendes Geschichtswerk von der Wüstenwanderungszeit bis zum Ende der beiden israelitischen Staaten verfassen wollen.

Dazu hätte er das Deuteronomium für die gegenwärtige Situation erweitert und durch die einleitende Moserede zu einem regelrechten Auftakt für sein großes geschichtliches Werk gemacht.

Er wäre demnach der Schöpfer eines Werkes,

"das in seiner Umwelt nicht seinesgleichen kennt ... Es verfolgt rund sieben Jahrhunderte israelistischer Geschichte von der Mosezeit bis zum babylonischen Exil..." ⋅5⋅

Ausgehend von Martin Noth nennt man dieses, die Bücher Deuteronomium bis 2 Könige umfassende Werk "Deuteronomistisches Geschichtswerk (DtrG)".

3. Verarbeitung von literarischen Überlieferungen und unmittelbar erlebten Fakten

Der Deuteronomist hätte sich neben unmittelbar erlebten Dingen dabei auf eine große Anzahl von Quellen stützen können. Einige solcher Quellen und literarischer Überlieferungen gibt er im Text sogar direkt an.

a. Verweis auf ältere Quellen in den Büchern Josua und Richter

So findet sich in Jos 10,12-13 folgender Vermerk:

"Damals redete Josua zu Jahwe, an jenem Tage, da Jahwe die Amoriter den Israeliten preisgab, und vor den Augen Israels rief er aus: "Sonne, steht still über Gibeon, und Mond, über Ajalons Tal!" Da stand die Sonne still, und der Mond blieb stehen, bis das Volk Rache genommen an seinen Feinden. Ist dies nicht aufgeschrieben im Buch der Gerechten?..." (Jos 10,12-13a. b.)

Hier wird also direkt auf ein "Buch der Gerechten" als Quelle hingewiesen.

In Ri 3-9 verweist der Autor zudem auf ein "Retterbuch". Dieses Retterbuch enthielt anscheinend Berichte über das Wirken von Männern, die Jahwe seinem Volk in Krisenzeiten gesandt hatte.

In diesem sogenannten "Retterbuch" könnte sehr altes Traditionsmaterial vorgelegen haben, das nun vom Deuteronomisten in das DtrG aufgenommen wurde. ⋅6⋅

b. Die Quellen aus der frühen Königszeit

Ebenso sind

nach solchen Quellen gestaltet.

c. Älteste umfangreichere Werke der israelitischen Geschichtsschreibung ⋅7⋅

Bei den gerade eben genannten Quellen, die die frühe Königszeit betreffen, scheint es sich gar um die ältesten umfangreicheren Werke israelitischer Geschichtsschreibung zu handeln.

Wir haben bei der Behandlung des jahwistischen Geschichtswerkes ja bereits gesehen, dass der Bericht über Davids Aufstieg zum Beispiel in Stil und Theologie dem Jahwisten recht nahe ist.

Die israelitische Geschichtsschreibung entwickelte sich anscheinend erst nach der Entstehung des Königtums und wohl auch erst auf Grund dieser neuen, Israel zuvor fremden Institution. Der Staat bedurfte ja des Schreibens kundiger Beamter für seine Verwaltung.

In den Kreisen dieser Beamten dürfte die Geschichtsschreibung entstanden sein. Und verständlicherweise wird sie sich zunächst der Zeitgeschichte zugewandt haben. So dürfte der Bericht vom Aufstieg Davids wohl zeitgleich oder - sogar wahrscheinlicher - kurz vor dem jahwistischen Werk entstanden sein.

Auf solche Quellen können der oder die Verfasser des Deuteronomistischen Geschichtswerkes nun zurückgreifen.

Gerade durch die Aufnahme dieses älteren Materials kommen aber eine ganze Reihe von Spannungen in den Text. Offensichtlich fühlte sich der Autor so sehr an seine Vorlagen gebunden, dass er auch Aussagen, die sich nur schwer in seine Geschichtsauffassung einfügten, trotzdem übernommen hat.

d. Prophetenerzählungen und Königsannalen

Eine weitere Quelle des DtrG dürfte ein Zyklus von Prophetenerzählungen um die Gestalten des Elija und Elischa gewesen sein. Auch andere Prophetenerzählungen scheinen ihm vorgelegen zu haben.

Vor allem aber scheint sich der sogenannte Deuteronomist auf Königsannalen gestützt haben zu können. In den Königsbüchern finden sich eine Fülle von Verweisen auf solche Aufzeichnungen über die Könige Israels und Judas (1 Kön 11,41; 14,19; 14,29). Es heißt dort beinahe stereotyp, dass der Leser in ihnen weitere Informationen über die betreffenden Herrscher finden könnte.

e. Der Deuteronomist als Sammler und Redaktor

Es bleibt also festzuhalten, dass der Verfasser des nach Martin Noth vermuteten Deuteronomistischen Geschichtswerkes eine Fülle von altem Material verwendete. Dieses Material fügte er mehr oder minder harmonisch in einen von ihm durchgestalteten Rahmen ein.

Wichtig ist hier - wie bereits erwähnt -, dass er dabei offenbar das älteste Material verarbeitet, das sich in der Bibel findet.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 125. Zur Anmerkung Button

2 Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 125. Zur Anmerkung Button

3 Vgl. Martin Noths "Überlieferungsgeschichtlichen Studien" aus den Jahren 1943 und 1957.
(Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 136). Zur Anmerkung Button

4 Vgl.: A. Jepsen, Die Quellen des Königsbuches (1953). Siehe auch: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 136. Zur Anmerkung Button

5 Martin Noth zitiert nach: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 137. Zur Anmerkung Button

6 Vor allem Wolfgang Richter vermutet hier altes Traditionsmaterial. Zur Anmerkung Button

7 Vgl.: Werner H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament (Berlin / New York 4. Auflage 1989) 154. Zur Anmerkung Button