Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Das Deuteronomium als Pentateuchquelle (D) ⋅1⋅

Betrachten wir nun aber die nächste große Pentateuchquelle, nämlich die Quelle D.

Und hier wird auch schon eine Schwierigkeit in der Terminologie deutlich:

Bei der Pentateuchquelle D gilt es nämlich ganz sauber zu unterscheiden zwischen dieser alten Quellenschrift und dem Buch Deuteronomium, das wir ja im heutigen Alten Testament vorfinden.

Sicher hat das Buch Deuteronomium in seiner heutigen Gestalt sehr viel mit der Pentateuchquelle D zu tun. Wir dürfen aber nicht einfach von vorneherein kritiklos davon ausgehen, dass die Pentateuchquelle D und das Buch Deuteronomium schlichtweg miteinander identisch sind.

Um hier sauber vorgehen zu können, müssen wir zunächst den Inhalt und die Struktur des heutigen Buches Deuteronomium näher anschauen:

1. Inhalt und Struktur des Buches Deuteronomium (Dtn)

Der Aufbau des Buches Deuteronomium lässt sich heute etwa folgendermaßen darstellen:

I
1,1-5
Einleitung zu einer
1,6-4,40
Mosesrede: Rückblick auf das Geschick des Volkes seit dem Aufbruch vom Gottesberg "40 Jahre zuvor"
II
4,44-30,20
Gesetzespredigt des Mose (außer Kapitel 27)
4,44-49b
erzählende Einleitung
5,1-11,32
Mahnrede des Mose
12,1-26,19
Corpus der Gesetze
28-30
Schlussrede
III
31-34
Schlussteil
31
Erzählung über die Aufzeichnung der Gesetze durch Mose und der Einsetzung Josuas zu Moses Nachfolger
32
"Lied" des Mose
33
Mosessegen (Sprüche poetischer Art über die Stämme Israels)
34
Bericht vom Tod des Mose

Schauen wir - wie immer - zunächst einmal an, was wir im Text selbst feststellen können. Untersuchen wir also denselben mit den Methoden der Literarkritik.

2. Ergebnisse der literarkritischen Forschung am Dtn

Und hier fallen gleich eine Fülle literarkritischer Probleme an.

a. Gesetzlicher Kern und Rahmenerzählung

Zuerst wurde festgestellt, dass das Buch nur in den Kapiteln 12-26 eine richtige Gesetzessammlung, also eine Sammlung kasuistischer und apodiktischer Gesetze, darstellt.

Die Kapitel 1-11 und 27-34 mit den Mosesreden stellen hingegen so etwas wie eine Rahmenerzählung dar. ⋅2⋅

b. Numeruswechsel

Ferner fällt auf, dass zwischen Dtn 4,44 und Dtn 30,20 die Anrede des Volkes häufig gewechselt wird. Einmal wird von "Du", ein andermal von "Ihr" gesprochen. Auf diesen Numeruswechsel ist man übrigens bereits 1896 aufmerksam geworden. ⋅3⋅

c. Überschriften

Ein weiteres literarkritisches Problem des Deuteronomiums stellt die Häufung der Überschriften dar.

Dtn 4,44 heißt es:

"Dies ist das Gesetz, welches Mose den Israeliten vorlegte." (Dtn 4,44)

Und Dtn 4,45 - also nur ein Vers danach - folgt völlig unvermittelt gleich die nächste Überschrift:

"Das sind die Forderungen, Bestimmungen und Rechtssatzungen, welche Mose den Israeliten bei ihrem Auszug aus Ägypten verkündete." (Dtn 4,45.)

Weitere Überschriften folgen in Dtn 5,1; 6,1 und 12,1. Der Eindruck, dass diese Überschriften miteinander konkurrieren, entsteht beinahe zwangsläufig.

d. Drei verschiedene Schlussreden

In den abschließenden Kapiteln sind darüber hinaus gleich drei Schlußreden zu unterscheiden:

e. Fazit

Alles in allem macht das Buch Deuteronomium daher einen uneinheitlichen Eindruck. Dies führt zu der These, dass dieses Buch - so wie es heute vorliegt - kein einheitliches Werk sein könne.

Das Buch Deuteronomium, das heute im Pentateuch steht, ist in dieser Form also mit Sicherheit nicht mehr das Buch, das unter Joschija im Tempel aufgefunden wurde.

Es scheinen also eine Fülle von Änderungen, Überarbeitungen und Ergänzungen am Text vorgenommen worden zu sein.

Dies wirft aber die Frage auf, wie das ursprünglich im Tempel aufgefundene Buch dann wohl einmal ausgesehen haben mag. Wir haben uns nun also die Frage nach dem sogenannten "Ur-Deuteronomium" zu stellen.

(1) Das "Ur-Deuteronomium" steckt hinter den sogenannten "Du-Stücken"

Dazu gibt es natürlich wieder eine Fülle von Thesen. Eine davon - die heute wohl favorisierte These - ist die von G. Hölscher aus dem Jahre 1923. Er meint, dass das Ur-Deuteronomium in den Absätzen zu finden sei, in denen das Volk mit "Du" angesprochen wird. Das Ur-Deuteronomium stecke also hinter den Du-Stücken von Dtn 4,44 bis Dtn 28,68⋅4⋅

Dieses Ur-Deuteronomium sei dann unter König Joschija im Tempel aufgefunden worden.

(2) Auftakt zum "deuteronomistischen Geschichtswerk"

Ein späterer Redaktor - man nennt ihn in der Regel "Deuteronomist" (Dtr) oder auch "deuteronomistische Schule", je nachdem ob man von einer Einzelpersönlichkeit oder einer Schule ausgeht -, ein späterer Redaktor also hätte dann dieses Ur-Deuteronomium genommen und ausgehend von ihm ein neues, größeres Geschichtswerk verfasst.

Dieses Geschichtswerk hätte in seiner Endgestalt die Bücher Deuteronomium, Josua, Richter, Samuel und Könige umfasst. Mit diesem sogenannte "deuteronomistischen Geschichtswerk", das dementsprechend mit Dtn 1 angefangen hätte, ⋅5⋅ müssen wir uns weiter unten noch ausführlicher beschäftigen.

Hier soll der Hinweis genügen, dass die Deuteronomisten auch das Werk der "klassischen Heilsgeschichte", das jahwistisch/elohistische Geschichtswerk teilweise überarbeitet haben. An einigen Stellen in den Büchern Genesis bis Numeri ist die Handschrift der Deuteronomisten zu spüren. ⋅6⋅

(3) Die Abtrennung vom "deuteronomistischen Geschichtswerk"

Als später die priesterschriftliche Schule den Pentateuch endgültig schuf, hat sie das Deuteronomium - aus Gründen auf die wir später noch zu sprechen kommen werden - aus dem deuteronomistischen Geschichtswerk gelöst und in die "klassische Heilsgeschichte" eingebaut, so dass das Deuteronomium der Abschluss des Pentateuchs wurde. ⋅7⋅

So erhielt das Deuteronomium seinen jetzigen Platz als Angelpunkt zwischen den beiden großen Sammelwerken des Alten Testaments, zwischen "Tora" und "Nebiim", zwischen gesetzlichen und prophetischen Überlieferungen. ⋅8⋅

3. Die Ergebnisse der form- und traditionsgeschichtlichen Forschung

Das ist zunächst einmal alles, was wir von der literarkritischen Untersuchung her sagen können. Um noch tiefer in das Deuteronomium einzudringen, müssen wir nun nach seiner Gattung und seinem "Sitz im Leben" fragen. Wenden wir uns also den formgeschichtlichen und traditionsgeschichtlichen Untersuchungen zu.

a. Der eigentümliche Charakter dieser Gesetzessammlung

Formal fällt auch gleich eine Eigenart des Deuteronomiums ins Auge.

In diesem Buch werden die Gesetze nämlich allem Anschein nach durch Mose verkündet (vgl. Dtn 4,1; 5,1; 11,32). Dies ist ungewöhnlich. Ansonsten werden Gesetze im Pentateuch nämlich immer von Jahwe verkündet. Sie werden als Weisung Gottes dargestellt, und dementsprechend natürlich auch von Gott selbst kundgetan.

Gerhard von Rad charakterisiert das Deuteronomium deshalb als "Gottes Auftrag aus zweiter Hand an die Laiengemeinde". ⋅9⋅

Hinzu kommt, dass diese Anordnungen und Gesetze nicht einfach gesammelt sind. Das ganze Buch Deuteronomium hat über weite Teile einen eigentümlich paränetischen, also ermahnenden Stil.

Von daher spricht Otto Kaiser im Blick auf das Deuteronomium auch nicht von einer Gesetzessammlung sondern von einer Gesetzespredigt.

b. Die Arbeit Albrecht Alts

Albrecht Alt ⋅10⋅ war es nun, der in seiner Forschung über die Ursprünge des israelitischen Rechtes die Kriterien für eine Gattungsanalyse des Deuteronomiums lieferte. ⋅11⋅

Er untersuchte ausgiebig die Gesetzestexte des Deuteronomiums und unterschied auf der einen Seite älteres Rechtsgut, das sicher schon in sehr alte Zeit zurückreichte, und auf der anderen Seite so etwas wie Rechtskommentare, die deutlich jünger waren.

Diese Rechtskommentare scheint man wohl als Interpretation eines Redaktors deuten zu müssen. Wir haben es bei den jüngeren Teilen dementsprechend vermutlich mit der deuteronomistischen Interpretation der älteren Rechtsvorschriften zu tun.

c. Die Parallele zu neuassyrischen Vasallenverträgen

Von besonderer Bedeutung war auch die Entdeckung, dass es für den Bundesschluss zwischen Gott und seinem Volk, so wie er im Deuteronomium dargestellt wird, eine außerbiblische Parallele gibt.

Das Deuteronomium scheint den Bund Gottes mit seinem Volk nämlich nach dem Vorbild neuassyrischer Vasallenverträge aufzubauen. ⋅12⋅

Die gleichen Elemente, ⋅13⋅ wie in diesen Verträgen, tauchen auch im Deuteronomium auf:

  • Selbstvorstellung des Herren, also Jahwes
  • geschichtlicher Rückblick (Dtn 1-3)
  • Grundsatzerklärungen und Einzelbestimmungen
  • Regelungen zur Aufbewahrung und Bekanntmachung des Vertrages (Dtn 31,9-13)
  • Zeugenanrufung (Dtn 4,25; Dtn 30,19; Dtn 31,28)
  • Segen und Fluch (Dtn 28)

Das heißt: Formal entspricht der Bund den Jahwe mit seinem Volk schließt einem Vertrag zwischen einem Vasallen und seinem Herrn nach neuassyrischem Recht. Der Verfasser stellt den Bund also so dar, als ob Jahwe gleich einem neuassyrischen Herren mit seinem Volk als Vasall einen Vertrag schließen würde.

Dies war eine ungeheure Entdeckung, die Aufschlüsse in die verschiedensten Richtungen versprach.

d. Die traditionsgeschichtliche Forschung

Sie bot vor allem den Ansatzpunkt für die traditionsgeschichtliche Forschung Gerhard von Rads.

(1) Kultische Bezüge der Rechtssammlung

Es ist schließlich interessant, dass im neuassyrischen Bereich, in den dieses Vertragsformular weist, Rechtstexte oft ausgesprochen rhetorisch formuliert waren. Sie wurden nämlich auch in öffentlichen Zeremonien vorgetragen. ⋅14⋅

So vermutete Gerhard von Rad, dass das sogenannte Ur-Deuteronomium ursprünglich einmal dazu verfasst worden wäre, um in einer kultischen Versammlung vorgetragen zu werden.

(2) Das altsichemitische Bundesfest

Und der an einen Vasallenvertrag erinnernde Aufbau legte natürlich die Vermutung nahe, dass der Vortrag dieses Buches im Zusammenhang mit einer Vertragsfeier zwischen Gott und dem Volk, also einer "Bundesfeier", stünde.

Solch eine Bundesfeier vermutete Gerhard von Rad ja in Sichem, wo alljährlich im Herbst ein Fest gefeiert worden sein soll, das dem Bundesgeschehen am Gottesberg (Sinai/Horeb) gewidmet war. Dieses Fest soll so etwas wie eine jährliche Erneuerung des Jahwebundes gewesen sein.

Und das soll - seiner Meinung nach - durch diese Gesetzespredigt in Form eines "Vasallenvertrages" geschehen sein.

(3) Parallelen zwischen dem Aufbau des Deuteronomiums und der Sinaiperikope

Ein Hinweis darauf ist für Gerhard von Rad auch, dass der Aufbau des Deuteronomiums sehr stark dem Aufbau der Sinaiperikope entspricht.

So stellt Gerhard von Rad folgende Elemente gegenüber:

Geschichtliche Einleitung (bzw. Prolog und Paränese) Dtn 1-11
Vorspiel (Ex 19; 20)
Gesetzesvortrag (Dtn 12,1-26,15)
Gesetzesvortrag (Ex 20-23; Dekalog bzw. Bundesbuch) ⋅15⋅
Bundesverpflichtung des Volkes (Dtn 26,16-19)
Bundesverpflichtung (Ex 24)
Segen und Fluch (Dtn 27ff)

Lediglich Segen und Fluch (Dtn 27ff) fehlen in der Sinaiperikope. Diesem Mangel maß Gerhard von Rad jedoch nur geringe Bedeutung bei.

Für ihn bedeutet die Parallele vom Bericht des Sinaigeschehens und dem Aufbau des Bundesbuches, dass die älteren Texte des Deuteronomiums ursprünglich durchaus einmal dazu verfasst worden sein können, um in einem liturgischen Vortrag das Geschehen des Bundesschlusses kultisch zu begehen. Für Gerhard von Rad ist das Deuteronomium daher so etwas wie - modern gesprochen - das Messbuch des Bundesfestes, also die Kultagende des altsichemitischen Bundesfestes.

Am Aufbau des Deuteronomiums könne man - nach Gerhard von Rad - den Ablauf des alt-sichemitischen Bundesfestes erkennen.

e. Zur Kritik an Gerhard von Rads Vorstellung

Doch muss man aufpassen, dass man die Parallele zum "neuassyrischen Vasallenvertrag" nicht überspannt.

Das Deuteronomium bietet wirklich diese Parallele, aber auch nur, wenn man es als Ganzes betrachtet. Erst die Endredaktion hat dem Buch also diese Form gegeben.

Man kann also nicht davon sprechen, dass das Buch in Form dieses Vasallenvertrages abgefasst wurde, die älteren Teile wurden von einem Redaktor zu solch einer Vertragsdarstellung zusammenredigiert.

Von der Form aber, die am Ende steht, auf eine ursprüngliche Verwendung des Buches, nämlich als Bundeserneuerung bei einem Bundesfest zu schließen, ist daher äußerst schwierig.

Wohl aber bieten auch die einzelnen Teile des Deuteronomiums Parallelen zur Sprache der Vasallenverträge. Es scheint also, dass die einzelnen beteiligten Autoren diese Sprache kannten und bewusst nachahmten.

Hierfür ein Beispiel:

Um das Jahr 670 v. Chr. legt der Assyrerkönig Asarhaddon, um seine Nachfolge zu regeln, seinen Vasallen folgenden Vertrag vor:

"Vertrag, den Asarhaddon, König von Assur, vor den großen Göttern mit euch geschlossen hat:
Wenn Asarhaddon aus dem Leben scheidet, werdet ihr Assurbanipal auf den Thron setzen.
Wenn ihr nicht für ihn kämpft,
nicht die volle Wahrheit zu ihm sagt,
nicht den Weg für ihn ebnet...,
nicht die Absicht habt, diesen Vertrag einzuhalten,
dann möge Assur, der König der Götter euch ein schlimmes Ende festsetzen. Mögen die Götter euren Erdboden wie Eisen machen, so dass niemand ihn pflügen kann. So wie Regen nicht aus einem ehernen Himmel fällt, so mögen Tau und Regen nicht auf eure Felder und Weiden kommen." ⋅16⋅

Schon ein Blick auf Dtn 28,23 macht deutlich, wie ähnlich selbst die Sprache des Deuteronomiums der neuassyrischen Terminologie ist:

"Der Himmel über dir wird zu Erz, die Erde unter dir zu Eisen." (Dtn 28,23.)

Wir können also nicht sagen, dass die Autoren des Deuteronomiums den Bund Gottes mit seinem Volk von vorneherein als Vasallenvertrag darstellen wollten. Diese Form hat das Buch erst am Ende erhalten.

Wohl aber haben die Autoren die Sprache dieser Verträge gekannt und die Terminologie bewusst eingesetzt.

Das aber ist ein wichtiger Hinweis. Wir werden später noch darauf zurückkommen, wenn wir versuchen die Entstehung des Deuteronomiums zeitlich genauer zu fassen.

4. Ur-Deuteronomium und Bundesbuch

Was wollen aber die Autoren des Ur-Deuteronomiums, wenn wir die Entstehung des Buches nicht - wie Gerhard von Rad mit einem Bundesfest in Verbindung bringen wollen?

a. Entsprechungen und Abweichungen vom Bundesbuch

Hier könnte die Feststellung weiterhelfen, dass die Vorschriften des Deuteronomiums fast zur Hälfte den Gesetzesvorschriften des Bundesbuches (Ex 21-23), das wir oben ja genauer angeschaut haben, entsprechen.

Darüber hinaus finden sich dann aber ganz charakteristische Abweichungen. Und diese Abweichungen von den Vorschriften des Bundesbuches beziehen sich ganz besonders auf die Kultorte (Dtn 12 gegen Ex 24-26).

b. Neuinterpretation des Bundesbuches

Wir haben aber oben festgestellt, dass die Vorschriften des Bundesbuches sehr alt sind, teilweise sogar in die vorstaatliche Zeit zurückreichen.

So könnte man gut davon ausgehen, dass die Vorschriften des Deuteronomiums jünger sind als die des Bundesbuches, ja, dass das Deuteronomium sogar eine ganze Reihe seiner Anordnungen aus eben dieser alten Gesetzessammlung des Bundesbuches entnommen hat.

Die Abweichungen vom Bundesbuch könnten daher so etwas wie eine Neuinterpretation der Vorschriften des Bundesbuches sein.

Damit könnten wir auch zur eigentlichen Aufgabe des sogenannten "Ur-Deuteronomiums" vorgestoßen sein. Möglicherweise sollte das Ur-Deuteronomium den bereits als Gesetzessammlung vorliegenden Kern des Bundesbuch weiterführen, ja ersetzen. Man könnte das Ur-Deuteronomium daher als so etwas wie eine Neuinterpretation des Kernes des Bundesbuches verstehen. Unzeitgemäße Gebote sollten neu geklärt, ersetzt und weitergeführt werden.

5. Der Name "Deuteronomium"

Von daher hat auch der Name "Deuteronomium", also zweites Gesetz, eine gewisse Berechtigung. Es wäre dementsprechend eine "Neuinterpretation" des alten Gesetzbuches. So kann ich den im Grunde irreführenden Begriff "Deuteronomium" durchaus verstehen.

Dem Buch selber entspricht dieser Name allerdings überhaupt nicht. Er ist eigentlich ein Fehlverständnis der griechischen Übersetzung. ⋅17⋅

a. Kein zweites Gesetz, sondern Gesetzbuch schlechthin

Wenn man das Buch Deuteronomium aufmerksam durchgeht, dann fällt nämlich auf, dass dieses Buch sich selbst gar nicht als ein Gesetzbuch neben einem anderen versteht. Es ist kein zweites Gesetz, es ist das Gesetzbuch schlechthin.

Wie kann es zu diesem Verständnis kommen? Es gibt doch das Gesetz vom Sinai und die ganzen Anordnungen der anderen vier Bücher des Pentateuch!

b. Noch keine größeren Gesetzessammlungen im Werk des Redaktors JE

Nun, wir müssen berücksichtigen, dass das priesterschriftliche Gesetzeswerk noch nicht vorhanden ist.

Und dann bleibt eigentlich kaum noch etwas an Gesetzen im jahwistisch/elohistischen Geschichtswerk übrig. Mit einer einzigen Ausnahme: mit Ausnahme des Bundesbuches nämlich. ⋅18⋅

Jetzt haben wir aber oben gezeigt, dass es durchaus wahrscheinlich ist, dass das Bundesbuch zur Zeit der Abfassung des Deuteronomiums noch gar nicht im Text des jahwistisch/elohistischen Geschichtswerkes vertreten war.

Das Bundesbuch wurde nach unseren obigen Überlegungen mit seinem Rahmen ja erst vor 609 v. Chr. in den Text eingefügt. Zu dieser Zeit müsste eine erste Fassung des Deuteronomiums aber bereits vorgelegen haben, soll dieselbe um 621 v. Chr. tatsächlich im Tempel aufgefunden worden sein. Zur Zeit der Abfassung des Deuteronomiums stand an Stelle des Bundesbuches in der Sinaierzählung demnach wohl noch der Dekalog, der ja nicht als größeres Gesetzeswerk betrachtet werden kann.

c. Hinweise auf ein Fehlen des Bundesbuches im jahwistisch/elohistischen Geschichtswerk

Dass im jahwistisch/elohistischen Geschichtswerk das Bundesbuch noch nicht enthalten war, dafür finden wir nun im Deuteronomium einige wichtige Hinweise.

In Dtn 4,13 heißt es nur:

"Er verkündete euch seinen Bund, welchen er euch zu halten gebot, die zehn Worte; und er schrieb sie auf zwei steinerne Tafeln." (Dtn 4,13.)

Ähnliches kann man aus Dtn 9,7-10,5 entnehmen.

Das würde bedeuten, dass das Deuteronomium als Inhalt der Offenbarung am Horeb, bzw. am Sinai nicht das ganze Sinaigesetz, wie es etwa im Bundesbuch niedergelegt ist (Ex 21-23), sondern lediglich den Dekalog voraussetzt.

d. Fazit

Ein Blick in das Deuteronomium würde also die Theorie bestätigen, dass das Bundesbuch zu dieser Zeit noch nicht im Pentateuch enthalten war. Im Zusammenhang mit dem Bund am Sinai setzt das Ur-Deuteronomium offenbar lediglich den Dekalog voraus. Das Deuteronomium ist also im Bewusstsein des Verfassers gar kein zweites Gesetzeswerk, sondern eher ein Kommentar zu diesem Dekalog, eine Erweiterung der "Bundes"-Charta vom Gottesberg durch Mose.

Von wann aber stammt nun das sogenannte Ur-Deuteronomium?

6. Wann und wie ist das Ur-Deuteronomium entstanden?

Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir noch einmal auf den Bericht der Auffindung des Ur-Deuteronomiums blicken.

a. Die Auffindung des Ur-Deuteronomiums und die joschijanische Reform

In 2 Kön 22-23 wird berichtet, dass König Joschija gemäß den Vorschriften eines aufgefundenen Gesetzbuches den Jahwekult von fremden Einflüssen gereinigt hat.

  • Der Tempelkult wird auf Jerusalem monopolisiert.
  • In diesem Zusammenhang werden auch die Ortsheiligtümer zerstört.
  • Das Paschafest wird derart erneuert, dass fortan nur noch in Jerusalem die dafür bestimmten Lämmer geschlachtet werden.
  • Auch Tempelprostitution,
  • Totenbeschwörung
  • und Kinderopfer wurden verboten.

Wenn wir davon ausgehen, dass dieses hier aufgefundene Buch das Ur-Deuteronomium ist, dann müssen wir von hier aus auch nach der Entstehungszeit fragen.

b. Eine "pia fraus"?

Wilhelm Leberecht de Wette vertrat 1805 bereits die Meinung, dass die um 621 v. Chr. aufgefundenen Schriften gar nicht so lange vor dieser Zeit entstanden sein dürften. Es handele sich hier also um ein Werk eines im Verhältnis zu Jahwist und Elohist bedeutend jüngeren Autors, das er mit dem Deuteronomium identifizierte. ⋅19⋅

Einige Forscher ⋅20⋅ dachten sogar an einen frommen Betrug (pia fraus) der Tempelpriester. Die Jerusalemer Priesterschaft habe das Ur-Deuteronimium verfasst und im Tempel deponiert, um es dort zu "finden".

Dies ist nicht ganz wahrscheinlich. Es gibt nämlich im Deuteronomium selbst einen Hinweis darauf, dass die Tempelpriesterschaft dieses Buch kaum verfasst haben dürfte.

Interessanterweise wurde nämlich in der joschijanischen Reform eine Bestimmung des aufgefundenen Buches (Dtn 18,6-7) nicht konsequent durchgesetzt. Und diese Bestimmung hängt mit den Landleviten zusammen, die nach der Kultzentralisation nach Jerusalem geholt werden sollten.

c. Die Anweisungen bezüglich der Landleviten

Diese ehemaligen Landleviten sollten nun nämlich nach Dtn 18,6-7 mit der Tempelpriesterschaft gleichgestellt werden. Die erstrebte Gleichstellung hätte aber eine deutliche Verletzung der Interessen der Tempelpriesterschaft dargestellt. Sie ist nach 2 Kön 22-23 auch nicht erfolgt.

Der Verfasser dieser Forderung kann aber dementsprechend auch nicht in den Reihen der Tempelpriester gesucht werden. Weit eher denkbar wäre, dass er den Reihen der nicht-jerusalemer Landleviten entstammt.

d. Nachklang der Verkündigung Hoseas?

Einen weiteren Hinweis, der für die Einordnung des Ur-Deuteronomiums ⋅21⋅ wichtig ist, stellt die Zurückhaltung von D gegenüber dem Königtum dar.

Wenn man dies mit der Forderung der Gottesliebe (Dtn 6,5; 7,9) zusammenbringt, die im Ur-Deuteronomium stark ausgeprägt ist, dann könnte man hier mit Albrecht Alt einen Nachklang der Verkündigung Hoseas vermuten.

Da Hosea der einzige Schriftprophet des Nordreiches ist, führt hier also eine Spur in den Norden Israels.

e. Die Rolle der aus dem Norden geflüchteten Landleviten

Jetzt ist es aber kaum wahrscheinlich, dass das Ur-Deuteronomium im Nordreich verfasst wurde. Es ist allein im Südreich und auch erst nach 621 v. Chr. wirksam geworden. Dementsprechend kann es kaum im Norden entstanden sein.

Hier könnte aber die Verbindung zu den Landleviten, die wir oben festgestellt haben, eine Erklärung bieten.

Eine ganze Reihe der Leviten aus dem Nordreich sind während der assyrischen Bedrohung aus ihrer Heimat in das Südreich geflüchtet. Von daher ist es zu erklären, dass an den judäischen Jahweheiligtümern in der paränetischen Predigt der Landleviten verstärkt auch die Tradition des Nordreiches gepflegt wurde.

Wenn die Entstehung des Ur-Deuteronomiums im Kreis der Landleviten angesiedelt werden kann, dann könnte damit auch erklärt werden, dass einzelne Überlieferungen von D ihre Heimat im Nordreich haben.

So könnten die Verfasser des Ur-Deuteronomiums also in den Reihen der Landleviten gesucht werden.

f. Entstehung des Ur-Deuteronomiums im Kreis der Hofschreiber

Es gibt aber noch eine andere Spur. Und die führt auch in eine etwas andere Richtung.

Es gibt im Ur-Deuteronomium nämlich eine ganze Reihe deutlicher Bezüge zur mündlich tradierten Weisheit, wie sie in vorstaatlicher Zeit in den einzelnen Sippen und in staatlicher Zeit dann vor allem an den Weisheitsschulen gepflegt wurde.

Diese Schulen wurden aber vor allem von angehenden königlichen Beamten besucht.

Moshe Weinfeld, Norbert Lohfink und Georg Braulik vertreten daher die These, dass die Verfasser des Ur-Deuteronomiums in diesen Kreisen zu suchen seien. Es sei also von jahwetreuen Jerusalemer Hofschreibern verfasst worden.

Auch diese These ist nicht abwegig.

g. Eine Kombination beider Thesen

Man könnte sich aber auch vorstellen, dass beide Thesen miteinander zu kombinieren wären.

Vielleicht ist das Ur-Deuteronomium tatsächlich im Kreis der Landleviten entstanden. Die Redaktoren desselben wären dann aber im Kreis der Hofbeamten zu suchen.

So könnte man erklären, dass schon das Ur-Deuteronomium stilistisch sehr mit den neuassyrischen Vasallenvertrages verwandt ist.

Die neuassyrischen Vasallenverträge waren den königlichen Hofschreibern natürlich gut bekannt. Sie könnten das Buch demnach sehr gut unter stilistischer Anlehnung an neuassyrische Vasallenverträge gestaltet bzw. weiterbearbeitet haben.

Sollten die Verfasser des Ur-Deuteronomiums allein in der Umgebung des Hofes zu suchen sein, dann müssten dieselben bei der Schaffung dieses Werkes wenigstens teilweise auf landlevitische Überlieferungen zurückgegriffen haben. Die gewisse Nähe zu Hosea und die nordisraelitische Herkunft einiger Überlieferungen ist kaum anders zu erklären.

h. Die Abfassungszeit

Als Abfassungszeit ⋅22⋅ käme demnach - wie schon de Wette angenommen hat - die Zeit unmittelbar vor König Joschija in Frage.

Da sein unmittelbarer Vorgänger nur zwei Jahre regierte, kommen wir damit vermutlich in die Zeit König Manasses (696/95-642/41 v. Chr).

König Manasse hat aus politischen Gründen selbst im Tempelbereich den assyrischen Staatskult eingeführt. Jahwetreuen Juden musste dies ein Dorn im Auge sein. So könnte das Ur-Deuteronomium auf diesem Hintergrund geschrieben worden sein. Es wäre damit als gesetzliches Reformprogramm für die Zeit der Abkehr von Assur zu erklären.

7. Zusammenfassung

Zusammenfassend können wir also sagen, dass das Ur-Deuteronomium offenbar als ein großer, heilsgeschichtlich fundierter gesetzlicher Entwurf frommer und weiser Männer - vielleicht eben jahwetreuer Hofbeamten und Schreiber - unter der langen Regierungszeit des "schlechten" Königs Manasse zwischen 680 und 650 v. Chr. entstanden ist.

Es schöpft sowohl aus weisheitlichen Überlieferungen, als auch aus dem Niederschlag landlevitischer Predigt. Diese Überlieferung wurde als Reformprogramm in Anlehnung an die Sprache neuassyrischer Staatsverträge schriftlich niedergelegt, und zwar mit dem Ziel, das Leben Israels als des Gottesvolkes nach dem Ende der synkretistischen Ära des Königs Manasse aus dem Geist genuin israelitisch-heilsgeschichtlicher Tradition neu zu ordnen.

Dieses Ur-Deuteronomium ist noch nicht das heutige Buch Deuteronomium. Es sollte später eine oder mehrere deuteronomistische Bearbeitungen erfahren.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Lothar Ruppert, Einleitung in das Alte Testament (Teil I) - autorisierte Vorlesungsmitschrift (WS 1984/85). Zur Anmerkung Button

2 Wellhausen hat daraufhin das joschijanische Gesetzbuch auf Dtn 12-26 beschränkt. Zur Anmerkung Button

3 Dies führte zu einer umstrittenen Quellenscheidung in Dtn (Stark, Steuernagel). Zur Anmerkung Button

4 Nach Martin Noth Dtn 5-29. Nach G. M. de Tilesse (1962) sollen die von Hölscher ausgeklammerten "Ihr-Stücke" alle von Dtr stammen; sie seien also aus D auszuklammern (wie Hölscher).
In neuerer Zeit neigt die Forschung dazu, den Beginn von D in Dtn 6,4 zu suchen (Gerhard von Rad), wozu 6,1+ noch hinzugezogen wird.
Preuß tendiert in seinem Forschungsbericht ("Deuteronomium") dazu, in Dtn 6,1+. 4 den Anfang zu setzen, in 4,44-5,5 und 5,22-6,3 ein Rahmenwerk zu sehen. In dieses Rahmenwerk sei noch später der Dtn-Dekalog 5,6-21 eingefügt worden. Dies ergäbe also zwei Bearbeitungsschichten von D. In Dtn seien eine singularische Grundschicht, eine erste, singularische Ergänzungsschicht (dtn) und eine dtr Bearbeitungsschicht mit abhängigem Gut und weitere Zusätze zu unterscheiden. Preuß bietet in seinem Forschungsbericht hierzu eine detaillierte Synopse (S. 46-61) über die von ihm und anderen angenommenen Schichten von Dtn. In den Rahmenstücken des Schlussteiles Dtn 29-34 kommen neben Dtr auch sicher noch P in Dtn 34,1a. 7-9, eventuell auch J in Dtn 31,16a+; 34,1b-3. 4b und E in Dtn 31,14-17. 23; 34,5f zu Wort. In den Kapiteln 31-34 liegt jedenfalls Gut vor, das weder auf Dtn noch Dtr zurückgeht, sondern auf frühere Quellen. Mitunter wird auch der "Mosesegen" (Dtn 33) zu E gerechnet, der z. T. sehr alte Stammessprüche enthält (vgl. "Jakobssegen" in Gen 49). Zur Anmerkung Button

5 Die ersten 3 Kapitel von Dtn habe er dabei selbst verfasst, während Dtn 4 erst später eingefügt worden sei. Zur Anmerkung Button

6 Vgl.: Annemarie Ohler, Grundwissen Altes Testament (Stuttgart 1987) II/65. Zur Anmerkung Button

7 Vgl.: Annemarie Ohler, Grundwissen Altes Testament (Stuttgart 1987) II/65. Zur Anmerkung Button

8 Vgl.: Annemarie Ohler, Grundwissen Altes Testament (Stuttgart 1987) II/65. Zur Anmerkung Button

9 Vgl. Gerhard von Rad, Gesammelte Studien, II/110. Zur Anmerkung Button

10 Albrecht Alt, Alttestamentler, *20. 9. 1883 in Stübach (Mittelfranken), + 24. 4. 1956 Leipzig. 1909 Privatdozent in Greifswald, 1914 Prof. in Basel, 1921 in Halle, 1922 Nachfolger Rudolf Kittels in Leipzig. 1925-45 Vorsitzender des Deutschen Palästina-Vereins. Baute nach dem 1. Weltkrieg das deutsche evangelische Palästinainstitut in Jerusalem wieder auf, wurde als Leiter der Lehrkurse und durch zahlreiche, in der Verbindung literarhistorischer und archäologischer Methoden vorbildliche Arbeiten führender Palästinaforscher. Gleich groß als Historiker des alten Israels und seiner Umwelt durch bahnbrechende Arbeiten in der Territorial-, Verfassungs-, Rechts- und Religionsgeschichte. Hauptwerk: Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israels, 2 Bde (München 1953).
(Vgl.: Karl Elliger, Art.: Alt, in: LThK (1957) I/368.) Zur Anmerkung Button

11 Vgl.: Albrecht Alt, Über die Ursprünge des israelitischen Rechts (1934). Zur Anmerkung Button

12 Auch der "hetitische Vasallenvertrag" kommt hier in Frage. Einige wollten daher folgern, dass das Buch noch vor dem Untergang Hattis im 13. Jahrhundert, also noch vor Mose selbst verfasst worden war. Das scheint abwegig zu sein, zumal das "hetitische Vertragsformular" mittlerweile auch aus dem 1. Jahrtausend v. Chr. belegt ist.
(Vgl.: Georg Braulik, Deuteronomium, in: Die Neue Echter Bibel, Lieferung 15 (Würzburg 1986) 6-7.) Zur Anmerkung Button

13 Vgl.: Annemarie Ohler, Grundwissen Altes Testament (Stuttgart 1987) II/54. Zur Anmerkung Button

14 Vgl.. Georg Braulik, Deuteronomium, in: Die Neue Echter Bibel, Lieferung 15 (Würzburg 1986) 8. Zur Anmerkung Button

15 Je nachdem ob man die Theorie teilt, dass das Bundesbuch erst später in die Sinaiperikope eingefügt wurde, muss man es hier nennen oder nicht. Zur Anmerkung Button

16 Zitiert nach: Annemarie Ohler, Grundwissen Altes Testament (Stuttgart 1987) II/51. Zur Anmerkung Button

17 Der heutige Name des Buches, "Deuteronomium", ist die latinisierte Form der LXX-Überschrift δευτερονόμιον ["deuteronómion"], was soviel bedeutet wie "zweites Gesetz".
Dieser Name beinhaltet ein weiteres Problem: Der griechische Übersetzer wollte mit diesem Begriff den Inhalt des Buches überschreiben. Er hat ihn aus Dtn 17,18 entnommen. Dort heißt es in den Bestimmungen die den König betreffen, den man nach der Inbesitznahme des Landes Kanaan einsetzen würde:
"Sobald er den Königsthron bestiegen hat, lasse er sich anfertigen, eine מִשְׁנֵה הַתּוֺרָה ["mischne hatorah"] [...]"
Dieser hebräische Ausdruck מִשְׁנֵה הַתּוֺרָה ["mischne hatorah"], bedeutet wörtlich "Doppelung des Gesetzes". Daraus wird im Griechischen dann δευτερονόμιον ["deuteronómion"], also zweites Gesetz. Der griechische Übersetzer interpretiert Dtn 17,18 also dahingehend, dass es sich bei dem, was ein zukünftiger König zu beachten habe, um ein zweites Gesetzbuch handele, ein Gesetzbuch, das damit neben einem ersten Gesetzbuch und dementsprechend auch in einer gewissen Konkurrenz zu diesem steht.
Dieses Buch sieht der Übersetzer - gemäß seiner Überschrift - im Buch Deuteronomium, in den Gesetzesvorschriften, die - so wie es der heutige Aufbau des fünften Buches der Bibel nahe legt - von Mose beim Aufenthalt in der Steppe von Moab erlassen worden sind. Damit wäre die Gesetzespredigt des Mose in Dtn 4,44-30,20 ein zweites Gesetz neben der Bundes-Charta vom Sinai.
מִשְׁנֵה הַתּוֺרָה ["mischne hatorah"] heißt im Zusammenhang von Dtn 17,18 aber eindeutig "Abschrift des Gesetzes" und nicht "zweites Gesetz". Die Überschrift "zweites Gesetz" ist dementsprechend irreführend. Zur Anmerkung Button

18 Das Privilegrecht Jahwes ist ja lediglich eine Erweiterung der Gebote der ersten Tafel. Zur Anmerkung Button

19 Der verschiedentlich von Otto Kaiser (Einleitung) gegen die Identifizierung des Ur-Deuteronomium mit dem josijanischen Gesetzbuch erhobene Widerspruch - die Verkündigung von Jeremia und Ezechiel scheint in D unbekannt zu sein - ist nicht überzeugend. Mit der gleichen Begründung wäre auch die Historizität der josijanischen Reform überhaupt anzuzweifeln, denn in Jeremia gibt es darauf keinen Hinweis. Zur Anmerkung Button

20 Zum Beispiel Cornill und Hans Schmidt. Zur Anmerkung Button

21 Nach Albrecht Alt Dtn 4,44-28,68+. Zur Anmerkung Button

22 In der Frage des Alters von D vertraten Exegeten sowohl sehr hohes Alter (mosaische Herkunft), aber auch Datierungen in exilische und früh nachexilische Zeit, da sich in D sehr alte Überlieferungen finden, aber auch verschiedene jüngere Redaktionen. (In Dtn 4 ist zum Beispiel eine sehr junge Bearbeitung zu finden, die einen explizit monotheistischen Hintergrund hat.) Man nimmt daher für D in neuerer Zeit mehrere deuteronomistische Bearbeitungen an.
In der kritischen Forschung setzt sich mittlerweile allgemein die Überzeugung durch, dass D - entsprechend De Wettes Vermutung - nicht lange vor seiner Auffindung um 621 v. Chr. verfasst worden ist. Zur Anmerkung Button