Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Individuelle Gottesgemeinschaft auch über den Tod hinaus? ⋅1⋅

Erst als im Laufe der Entwicklung das Eigenwertbewusstsein des einzelnen stärkere Konturen annahm, musste die Frage erwachen, ob die Bundesgemeinschaft mit Jahwe für das Individuum mit dem Tode schlechthin endete.

1. Eine neue Fragestellung und eine neue Antwort aus dem Jahwe-Glauben heraus

War das Gottesreich, auf das Israel zuging und das ihm verheißen war, etwas, was nur denen zuteil werden sollte, die es tatsächlich erleben würden? Hatte man selbst keinen Anteil mehr an diesem endzeitlichen Friedensreich? Sollte es für den einzelnen keine Bedeutung haben, dass Jahwe gesagt hat, er sei für die Menschen da, wann, wo und wie es auch sei?

Diese Frage stellte sich mit der Zeit immer drängender.

Und sie stellte sich vorab aus dem Jahwe-Glauben selbst, aus einem neuen Ergreifen der Bedeutung des Wesens Gottes: Gott wurde nun immer stärker als ein Gott erkannt, der in seinem Bundeswillen auch treu zum Einzelnen steht.

Die Vorstellung von einer individuellen Gottesgemeinschaft auch über den Tod hinaus erwuchs also von Innen, aus dem Jahwe-Glauben heraus. Sie wurde nicht einfachhin von anderen Kulturen importiert, obschon natürlich Anleihen in der konkreten Ausformulierung dieser Vorstellung, dann ohne Frage gemacht wurden.

Der eigentliche Ursprung des Glaubens an eine individuelle Gottesgemeinschaft über den Tod hinaus, liegt aber ganz klar in einer neuen Einsicht in das Wesen Gottes, so wie es in seinem Namen zum Ausdruck kommt.

2. Die Ahnung einer unzerstörbaren individuellen Gottesgemeinschaft in den Psalmen

So sprechen einzelne Psalmen der Spätzeit von Erfahrungen, die erahnen lassen, dass es so etwas wie eine unzerstörbare individuelle Gottesgemeinschaft geben müsse.

Der Dichter des 16. Psalmes erlebt beispielsweise - vielleicht als Levit - am Heiligtum so viel Beglückendes, dass er zu Jahwe hin sprechen kann:

"Mein Herr! Du bist mein Glück, über dich geht nichts!" (Ps 16,2.)

Gott selbst ist für ihn so etwas wie ein Gnadengeschenk. Und dieses Geschenk sucht er nun im Psalm in seiner ganzen Tiefe und Tragweite auszuloten. Und als Schlussbekenntnis sagt er:

"Darum freut sich mein Herz, es frohlockt meine Seele, und auch mein Leib wird ruhen in Frieden. Denn nicht dem Totenreiche gibst du meine Seele anheim, deinen Heiligen lässt du nicht schauen die Grube. Den Weg des Lebens weisest du mich, vor deinem Angesicht die Fülle der Freude, Wonne zu deiner Rechten auf ewig." (Ps 16,9-11.)

Häufig hört man nun die Interpretation, dass der Psalmist hier lediglich seiner Zuversicht Ausdruck verleihen würde, dass er nicht vorzeitig sterben müsse. Es ginge ihm also um die Bewahrung vor einem verfrühten und bösen Tod.

Das ist natürlich durchaus möglich, obwohl es schwer fällt, angesichts der Formulierungen von Ps 16, nicht davon auszugehen, dass sich hier langsam die Ahnung Durchbruch verleiht, von diesem Gott auch im Tod nicht fallengelassen zu werden.

Aber selbst wenn der Psalmist von Ps 16 lediglich den verfrühten Tod im Blick gehabt haben sollte, in der Folgezeit wurde Ps 16 immer stärker als Zeugnis eines durch den Tod hindurch währenden Lebens betrachtet. Der Text selbst greift, unabhängig von der Intention des Autors, sicher hinein in diese Sphäre.

In diesem Sinne lässt die Apostelgeschichte Ps 16 auch von Petrus (Apg 2,25-28) und Paulus (Apg 13,35-37) zitieren. Dort wird dann die Linie des Psalmes bis zur Auferweckung und Erhöhung Jesu ausgezogen.

Im Text von Ps 16 klingt der Glaube an die ewige Bundesgemeinschaft mit dem Gott des Lebens demnach bereits an.

3. Das Ende des "Getreuen" und das des "Frevlers"

Von einer anderen Erfahrung als der Autor von Ps 16 geht der Beter von Ps 73 aus. Er wurde anscheinend damit konfrontiert, dass diejenigen scheinbar am meisten Glück haben, die doch ganz offensichtlich gottlos leben (vgl. Jer 12,1ff und Ijob).

Er selbst ist als "Getreuer" offensichtlich ein im Leben und an den Menschen Gescheiterter. Er weiß daher nicht mehr ein noch aus.

"Wollte ich denken: "Ich will reden wie sie", verleugnet hätte ich das Geschlecht deiner Söhne. Also sann ich, dies zu ergründen, doch allzu mühevoll dünkte es mich." (Ps 73,15-16.)

In dieser Situation wird dem Psalmisten im "Heiligtum Gottes", also im Tempel oder auch beim Studium der Heiligen Schrift, eine Erleuchtung zuteil. Er begreift, dass man alles vom "Ende" her betrachten muss.

Nicht, wer jetzt im scheinbaren Glück lebt, ist entscheidend, wem am Ende ein letztes "Glücken" zuteil wird, das allein zählt.

So erfährt der Psalmist, dass das Leben des Frevlers am Ende in die Irre geht. Sein eigenes "Ende" schaut er aber so:

"Ich bleibe immer bei dir, du hältst mich an meiner Rechten. Du leitest mich nach deinem Ratschluss und entrückst mich am Ende in Herrlichkeit. Was habe ich im Himmel außer dir? ... Mag Leib und Herz mir schwinden, Gott ist der Fels meines Herzens und mein Anteil auf ewig." (Ps 73,23-26⋅2⋅

Der Psalmist glaubt also am Ende unmittelbar bei Gott Aufnahme zu finden. Sein Tod und die Unterwelt werden damit relativiert. Ihre Grenzen werden vom grenzenlosen Gott des Lebens durchstoßen. Gott schenkt sich selbst gleichsam als "Anteil" dem einzelnen Gläubigen, und dies auf ewig.

Das Wort Anteil erinnert hier im übrigen an die Landverteilung unmittelbar nach dem Einzug in das gelobte Land. Jeder Stamm des Volkes bekam damals ja seinen Anteil an diesem verheißenen Land. Die Leviten erhielten allerdings kein Land. Jahwe war gleichsam ihr "Landanteil". ⋅3⋅

Der Psalmist greift diesen Zusammenhang hier auf. Er ist davon überzeugt, dass am Ende Gott selbst dieser "Anteil" ist, der ihm zuteil werden wird.

Um dies auszudrücken verwendet er - wie übrigens auch Ps 49,16 - den schillernden Begriff "entrücken". ⋅4⋅ Was damit gemeint sein soll, wird im letzten nicht deutlich.

4. Keine detaillierte Vorstellung über das "Wie"

Das ist bezeichnend für das Alte Testament. Der Psalmist artikuliert - anders als viele Christen - keine detaillierten Jenseitsvorstellungen. Ihm reicht der Glaube, dass Gott seine absolute Zukunft ist. Über das "Wie" verliert er kein Wort.

Das ist ein Umstand, den wir uns wieder verstärkt bewusst machen sollten. Das "Wie" der Auferweckung und des Lebens nach dem Tod ist von zweitrangiger Bedeutung. Wichtig ist, dass Gott unsere absolute Zukunft ist.

In dieser Perspektive stehen ja auch neutestamentliche Aussagen. Etwa wenn es Lk 15,31 heißt...

"Sohn, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, ist dein." (Lk 15,31.)

... und vor allem wenn Paulus in Röm 8,38-39 sagt:

"Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Herrschaften, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Mächte, weder Höhe noch Tiefe, noch irgendein anderes Geschöpf uns zu scheiden vermag von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn." (Röm 8,38-39.)

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Alfons Deissler, Was wird am Ende der Tage geschehen? - Biblische Visionen der Zukunft (Freiburg 1991) 103-109. Zur Anmerkung Button

2 Übersetzung nach: Alfons Deissler, Was wird am Ende der Tage geschehen? - Biblische Visionen der Zukunft (Freiburg 1991) 106. Zur Anmerkung Button

3 Zum Begriff חֵלֶק "chelæq" = "Anteil" vgl. Jos 14,4; 15,13, Num 26,55 u. a. Zur Anmerkung Button

4 Vgl.: Gen 5,24 [Henoch]; 2 Kön 2,1ff [Elija]. Zur Anmerkung Button