Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Der Mensch, ein Kompositum aus Leib und Seele? ⋅1⋅

Wir haben nun das biblische Bild vom Menschen in Bezug auf Gott und den Mitmenschen skizziert. Und wir haben den Menschen in seiner Beziehung zur Welt etwas beleuchtet. Was für eine Auffassung vom Menschen selbst hat nun aber die Bibel. Wie denkt sie sich den Menschen?

Nach unserer Auffassung, so wie sie landläufig in unseren Breiten vertreten wird, ist der Mensch ja zusammengesetzt aus einem Leib und einer Seele.

1. Gen 2,7 als Belegstelle?

Die jahwistische Schöpfungserzählung scheint nun ebenfalls diese Vorstellung vom Menschen zu teilen. Es heißt schließlich in Gen 2,7:

"Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen." (Gen 2,7.)

"Er wurde ein lebendes Wesen" heißt dabei im hebräischen Original לְנֶפֶשׁ חַיָּה ["lenæphæsch chajjah"]. Und das bedeutet wörtlich: er wurde zu einer lebendigen נֶפֶשׁ ["næphæsch"]. Der Mensch war damit also gleichsam eine lebendige נֶפֶשׁ ["næphæsch"].

2. Philo von Alexandrien

Bereits Philo von Alexandrien hat in dieser Stelle eine Bestätigung der griechischen Vorstellung gesehen. Auch hier würde ja gesagt, dass der Mensch eine נֶפֶשׁ ["næphæsch"], also eine Seele in sich habe. Der Mensch würde also auch in der Bibel als ein Kompositum von Leib und Geistseele geschildert. Auch die Bibel würde demnach den Menschen "dichotomisch" auffassen.

3. Ist die נֶפֶשׁ ["næphæsch"] eine Geistseele?

Gerade der Ausdruck נֶפֶשׁ חַיָּה ["næphæsch chajjah"] muss hier aber vorsichtig stimmen. Interessanterweise heißt es nämlich in Gen 2,19:

"Jahwe Gott bildete noch aus dem Erdboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels, und er führte sie zum Menschen, um zu sehen, wie er sie benennen würde: so, wie der Mensch sie benennen würde, sollte ihr Name sein." (Gen 2,19.)

a. Wörtliche Übersetzung von Gen 2,19

Das klingt nun ganz unverdächtig. Aber der letzte Teil lautet im hebräischen Original:

וְכֹל אֲשֶׁר יִקְרָא־לוֺ הָֽאָדָם נֶפֶשׁ חַיָּה הוּא שְׁמֽוֺ׃ ["wekol aschær jiqra>-lo ha>adam næphæsch chajjah hu> schemo"] (Gen 2,19)

Wenn ich nun versuche, den hebräischen Text bis in die Einzelheiten ins Deutsche zu übertragen, dann dürfte das etwa so klingen:

"Und alles wovon gilt, der Mensch hat es benannt, [so] sein Name für dieses נֶפֶשׁ חַיָּה ["næphæsch chajjah"] " (Gen 2,19)

Und נֶפֶשׁ ["næphæsch"] - übertragen meist mit "Lebewesen" übersetzt - bedeutet wörtlich hier auch natürlich, das was eine lebendige נֶפֶשׁ ["næphæsch"] ist.

b. Die Tiere und die נֶפֶשׁ ["næphæsch"]

Chamäleon

Chamäleon.

Foto-Button© Katholisches Bibelwerk Linz, Kapuzinerstr. 84, A-4020 Linz

Damit ist aber gesagt, dass anscheinend auch die Tiere, genauso wie der Mensch, dadurch zum Lebewesen werden, dass eine lebendige נֶפֶשׁ ["næphæsch"] in ihnen ist, dadurch dass sie diese lebendige נֶפֶשׁ ["næphæsch"] gleichsam in sich haben.

Jetzt könnte man natürlich sagen: Da hat man ja nun eine Belegstelle dafür, dass die Tiere auch eine Seele haben. Das ist natürlich Blödsinn. Dann müsste man ja zunächst einmal davon ausgehen, dass נֶפֶשׁ ["næphæsch"] tatsächlich "Seele" bedeutet. Aber genau das ist eben nicht der Fall.

Gen 2,19 macht deutlich, dass נֶפֶשׁ ["næphæsch"] eben weit umfassender zu verstehen ist, als die abendländische Vorstellung von der Geistseele.

נֶפֶשׁ ["næphæsch"] ist offenbar ganz allgemein das, was mich zum lebendigen Wesen macht, eine Lebenskraft, die mich erfüllt. Eine Kraft, die nicht aus mir selbst herauskommt, eine Lebenskraft, die Jahwe in mich eingeblasen hat.

c. Der Mensch als Einheit

Diese נֶפֶשׁ ["næphæsch"] bewirkt aber dann, dass der Mensch, der von ihr erfüllt ist, zum lebenden Wesen wird. Dieser Mensch selbst ist dann aber nicht ein Kompositum von Leib und Geistseele. Er ist vielmehr eine Einheit, die durch die Lebenskraft zu einem lebenden Wesen wird.

Offensichtlich legt das Alte Testament also den Akzent weit stärker auf die Vorstellung eines einheitlichen Menschen, der nicht in verschiedene Bereiche zerfällt.

Versuchen wir diese Vorstellung vom Menschen noch ein wenig genauer zu fassen.

4. Das synthetische Denken

Wenn wir uns dem biblischen Menschenbild nähern wollen, dann muss man zunächst mit aller Eindringlichkeit noch einmal herauszustellen, dass hebräisches und abendländisches Denken bei allen Gemeinsamkeiten sich an entscheidenden Punkten deutlich unterscheiden.

Und ein ganz wichtiger Punkt ist hier, dass man sich vor Augen hält, dass der abendländische Mensch häufig grundsätzlich anders an eine Fragestellung herangeht, als der Hebräer.

a. Das abendländische Denken

Wir sagen beispielsweise: Der Mensch hat eine Seele und der Mensch hat einen Leib. Dabei ist für uns völlig klar, dass das eine nicht identisch mit dem anderen sein kann. Wir fragen deshalb sofort: Wo ist der Leib und wo ist die Seele. Wir versuchen das eine vom anderen abzugrenzen.

Dies liegt ganz auf der Ebene des sogenannten "analytischen Denkens"

b. Die hebräische Vorgehensweise

Der Hebräer liebt vielmehr das "synthetische Denken". So kann er beispielsweise ganz einfach aufzählen, dass man das von einer Sache sagen kann und das auch noch und darüber hinaus auch noch jenes. Er spricht dabei aber immer über die gleiche Sache. Er versucht nun nicht die Sache in verschiedene Ebenen zu unterteilen, auf die jetzt die einzelnen Bezeichnungen genau zutreffen würden.

Genau auf dieser Linie liegt denn auch das, was man "Stereometrie" der hebräischen Begrifflichkeit nennt. So beschreibt der Hebräer eine Sache oder einen Tatbestand gerne, indem er ganz einfach sinnverwandte, aber in ihrer Bedeutung sich nicht voll deckende Wörter nebeneinander stellt. Er lotet eine Sache oder einen Tatbestand mit diesen unterschiedlichen Begriffen damit gleichsam wie einen unbekannten Raum aus.

Drei von diesen Begriffen, mit denen der Hebräer und damit das Alte Testament das Phänomen Mensch auszuloten versucht, möchte ich im folgenden näher beleuchten.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkung

1 Vgl. zu diesem Abschnitt: Alfons Deissler, Wer bist Du Mensch? (Freiburg 1985) 16-17. Zur Anmerkung Button