Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Die Botschaft von Jahwe als personalem Gott ⋅1⋅

1. Personalität im hebräischen Denken

Dass Israel die Begriffe nicht auf abendländische Weise reflektiert, haben wir ja bereits mehrfach gesehen. Und dass unser Person-Begriff so im hebräischen Denken nicht vorkommt, haben wir ebenfalls bereits festgehalten.

Wir haben aber im Blick auf den Menschen auch schon realisiert, dass alle wesentlichen Kennzeichen einer Person im hebräischen Bild vom Menschen vorhanden sind. Und wir werden nun feststellen, dass all diese Merkmale auch im Blick auf Gott eine eminent bedeutsame Rolle spielen.

Und allem voran das Element des Sprechens.

2. Angesprochenwerden durch Jahwe

Das Volk Israel erfährt seinen Gott ganz konkret im Angesprochenwerden durch Jahwe als einen Sprechenden. Es erfährt Gott daher als "Ich" und "Er", ja als ein "Selbst".

Bereits die Wort-Offenbarung selbst weist diesen Gott demnach schon als personalen Gott aus.

3. Gott ist ein "Ich"

Dieser Gott konfrontiert Israel dementsprechend auch immer wieder personal mit seinem "Ich".

Die Propheten, die sich ja als "Mund" Jahwes verstehen, reden nicht von ungefähr im Stil des Botenspruches, also mittels eines Gottesspruches in Ichform. Egal ob sie

  • Selbsterschließungsworte verwenden, wie etwa
    "Ich bin Jahwe, dein Gott von Ägypten her" (Hos 12,10),
  • egal ob sie Weisungsworte
  • oder auch geschichtsmächtige Gerichts- und Gnadenworte

verkünden, es geht immer um das "Ich" Jahwes. Und abendländisch gesprochen geht es demnach um seine Person, mit der Israel in diesem Sprechen konfrontiert wird.

Das "Ich" Jahwes wird häufig dabei noch unterstrichen. Es wird beispielsweise in Form eines Pronomens separat an den Anfang des Spruches gestellt, obgleich das Hebräische die Person schon an der Verbform erkennen lässt (vgl. Hos 5,3; 13,5 u. a.). Dadurch erhält das Pronomen den Sinn von: "Ich, ja ich..."

Öfter, vorab bei Deutero-Jesaja, findet sich das Fürwort sogar gedoppelt (vgl. Jes 43,11. 25; 48,15 u. a.).

Auch die "Bundescharta" des Dekaloges, die in Ex 20 und Dtn 5 überliefert ist und in den großen Festgottesdiensten verkündet wurde, hebt mit dem feierlichen "Ich" in der Langform, אָנֺכִי [">anokhi"], an:

"Ich bin Jahwe, dein Gott..."

4. Freiheit und Souveränität Gottes

Neben dem "Ich" gehört für uns zum Begriff Person ferner

  • Erkenntnis,
  • Weisheit,
  • Wille
  • und Freiheit.

Dies macht das Selbst einer Person erst aus.

a. Gottes absolute Souveränität bei Deutero-Jesaja

Auch in der Gottesbotschaft Israels kennen wir dieses Phänomen, auch wenn es dort anders formuliert wird.

Insbesondere in der Souveränität seines Waltens leuchtet die "Selbstheit" Gottes in der Bibel auf. So heißt es bei Deutero-Jesaja:

"Ich spreche: mein Plan steht fest; was mir gefällt, das vollführe ich." (Jes 46,10.)

Diese Aussage kann man sogar als Grundtenor der Erlösungsbotschaft Deutero-Jesajas, des großen Exilspropheten, bezeichnen.

b. Freiheit nach dem Zeugnis des Exodus-Buches

Ein späterer Überarbeiter von Ex 33,1-23 hat das Thema von der absoluten Freiheit Jahwes in einem Gottesspruch ganz lapidar formuliert, und zwar in Zusammenfassung aller einschlägigen Erfahrungen Israels mit Jahwe, insbesondere die, welche die Propheten vermittelt haben. Es heißt dort:

"Ich neige mich gnädig, dem ich mich gnädig neige; ich erbarme mich dessen, dessen ich mich erbarme." (Ex 33,19.)

Jahwe wendet also, so umfassend sein Gnadenwille auch ist, seine Huld dem zu, dem er sie zuneigen will, in völliger Unabhängigkeit. Er lässt sich dabei an keinerlei Bedingungen binden. Was - zu unserem Glück - natürlich auch heißt, dass er sich dabei letztlich auch nicht an die Bedingung menschlicher Vorleistung bindet.

c. Die freie Erwählung Israels nach dem Zeugnis des Buches Deuteronomium

Das gilt vor allem auch für die Erwählung Israels. Gerade sie hat ja in Israel und natürlich auch anderswo immer wieder die Frage nach dem "Warum" dieser Erwählung stellen lassen. Bei allen Versuchen der Erklärung darf das Gottesvolk nach Dtn 9,6 niemals

"... in seinem Herzen sprechen: wegen meiner Gerechtigkeit hat mich Jahwe hergebracht, um dieses Land in Besitz zu nehmen." (Dtn 9,6; vgl. dazu Dtn 7,7.)

Für diese Entscheidung Jahwes wird als Motiv einzig und allein seine Freiheit angegeben. Und diese Freiheit äußert sich in diesem Falle eben als frei schenkende Liebe. ⋅2⋅

5. Gottes Angesicht und Herz

Dass Jahwe Person ist, wird - wie wir es bereits im Blick auf den Menschen gesehen haben - in Israel von der Sprache her auch noch durch zwei Begriffe besonders deutlich gemacht: Jahwe hat ein Angesicht und ein Herz.

Ich habe ja bereits gezeigt, dass diese Ausdrücke beinahe schon als Ersatzbegriffe für "Person" und "Personalität" verstanden werden können.

a. Das Angesicht Jahwes

פָּנֶה ["panæh"] oder פָּנִים ["panim"], das "Angesicht", ist ja - wie wir bereits wissen - zunächst "das Zugewendete". Und Zuwendung Gottes erfährt der Mensch insbesondere im Kult.

  • Darum wird der Besuch des Kultorts als "Erscheinen vor Jahwes Angesicht" umschrieben (Ex 34,20; Dtn 10,8; 18,7; Ps 86,9 u. a.).
  • Und wenn Jahwe dort Hilfe schenkt, dann bedeutet dies "das Zeigen seines Angesichts" (Ps 4,7; 31,17).
  • Und ganz deutlich wird dies im sogenannten "Aaronitischen Priestersegen" von Num 6,25: Jahwes Huld und sein Segen kommen aus "dem Aufleuchten des göttlichen Angesichts" (vgl. Num 6,25; vgl. auch: Ps 44,4; 89,16 u. a.).

b. Das Herz Jahwes

Neben dem Angesicht Gottes, spricht die Bibel auch von Jahwes Herz.

Der Begriff לֵב ["leb"], "Herz", umgreift dabei im Hebräischen ja das ganze Innere des Menschen. Herz umschreibt also Erkenntnis, Wille und Gemüt. So hat auch Jahwe ein "Herz". ⋅3⋅

In den Gottessprüchen bei den Propheten ist ausdrücklich von Gottes Herz die Rede:

  • "Mein Herz kehrt sich um in mir, all mein Mitleid entbrennt." (Hos 11,8)
  • "Ihm (= Efraïm) schlägt mein Herz, ich muss mich seiner erbarmen." (Jer 31,20)

Personalere Aussagen über Jahwe, als diese Stellen bei den Propheten, sind eigentlich kaum denkbar.

6. Personalität Gottes als Ärgernis

Diese personale Vorstellung von Gott ist in der Geistesgeschichte der Menschheit jedoch immer wieder ein "Ärgernis" gewesen. Besonders östliches Denken sieht darin etwas, was der Unendlichkeit und Unbegrenztheit des Göttlichen Abbruch tue.

Dabei bedeutet Personalität als Bezeichnung einer Existenz in "Selbsthabe" und "In-sich-selbst-Sein" alles andere als Begrenzung des Seins.

Philosophisch gesprochen müsste man sagen, dass sich im Menschen begrenztes Sein in begrenzter Weise und in Gott unbegrenztes Sein in unbegrenzter Weise zu sich selbst verhält. Genau dies meint das für unsere Ohren paradoxe biblische Sprechen von Endlichkeitstranszendenz auf der einen und Personalität in Jahwe auf der anderen Seite.

In dieser Sicht der Dinge erübrigt sich die Suche nach Begriffen wie "göttliche Überpersonalität" o. ä. Solch eine Begriffsschöpfung kann leicht in die Irre führen und dort enden, wo man Gott als "das Unendliche" im Sinne eines alles umfassenden "Es" zu fassen sucht. Einem monistischen Pantheismus dieser Art widerspricht die biblische Offenbarung ganz radikal.

Gott ist auch nicht nur die "Tiefendimension des Seins". Und er ist auch mehr als "das, was den Menschen unbedingt angeht". So schreibt Alfons Deissler:

"Wer sich unter das Wort der Bibel gestellt weiß, kann bei aller Notwendigkeit der Anpassung ihrer Botschaft an die moderne Mentalität am Ende nicht verschweigen, dass man sich Gott personal "vorstellen" und sich damit einem persönlichen Gott stellen muss. Wer das "Ich" und "Du" und "Selbst" Gottes aus der Bibel herauszuoperieren versucht, in welchem Namen und welcher Absicht auch immer, muss wissen, dass seine Operation mit einer Leiche endet. Dass die Akzeptierung eines persönlichen Gottes angesichts der vielen Übel und Leiden in der Welt ihre gewichtigen Schwierigkeiten hat, weiß schon die Bibel selbst. Jeremia und "Ijob" sind berühmte Beispiele dafür. Ihre Rebellion wird nicht grundsätzlich verworfen, aber sie werden zum Ertragen der Rätselhaftigkeit aufgefordert, um gerade dadurch Gott Gott sein zu lassen." ⋅4⋅

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Alfons Deissler, Die Grundbotschaft des Alten Testaments (Freiburg 1972) 43-47; Alfons Deissler, Einleitung in das Alte Testament - Zusammenschrift entsprechend einer autorisierten Vorlesungsmitschrift des WS 1969/70 bzw. einer nicht autorisierten Mitschrift anhand von Bandaufnahmen des WS 1976/77 mit teilweisen Ergänzungen für das WS 1979/80 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.) 172-173. Zur Anmerkung Button

2 Vgl.: Hos 11,1; Dtn 4,37-38; 10,15; Mal 1,2-3. Zur Anmerkung Button

3 Vgl.: Gen 6,6; 1 Sam 13,14; Hos 11,8; Jer 3,15; 6,8; 15,1; 31,20; Ps 33,11; Ijob 36,5 u. a. Zur Anmerkung Button

4 Alfons Deissler, Die Grundbotschaft des Alten Testaments (Freiburg 1972) 46-47. Zur Anmerkung Button