Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Strafwunschtexte in den Gebeten Israels

Soviel zu diesem Thema. Ich komme nun zu einer zweiten Schwierigkeit, die sich dem modernen Menschen stellt, wenn er dem Gott des Alten Testamentes auf die Spur zu kommt versucht.

1. Psalm 137 als Beispiel

Hier kann man nämlich durchaus über das Beten Israels stolpern. Eines der wichtigsten Beispiele in diesem Zusammenhang ist wohl der berühmte Psalm 137, jenes Lied der Verbannten, das auf so eindrucksvolle Art und Weise die Zerstörung Jerusalems aus dem Jahre 587 / 586 v. Chr. in Erinnerung bringt:

"An den Flüssen von Babel saßen wir und weinten, da wir Zions gedachten." (Ps 137,1.)

So beeindruckend dieser Psalm ist, so wunderbare Formulierungen er auch enthält, sein Ende ist gleichsam furchterregend. Er schließt nämlich bekanntermaßen mit den Worten:

"Tochter Babel, Verwüsterin du, gesegnet, wer dir vergilt, was du uns Böses getan! Gesegnet, wer deine Kinder ergreift und sie zerschellt an den Felsen!" (Ps 137,8-9.)

Ich verstehe, dass solche Texte den modernen Menschen eher von der Bibel wegstoßen, als dass sie ihn zu ihr ziehen. Aber ich glaube auch hier, dass diese Reaktion recht voreilig wäre.

Wir haben in Ps 137,8-9 eine Stelle vor uns, die als Gebet absolut nicht auf der Höhe der jesuanischen Botschaft steht. Das ist gar keine Frage.

Aber wir haben in Ps 137,8-9 keine Stelle vor uns, die behaupten würde, dass Gott auf diese Art und Weise handelt. Es heißt hier nicht:

"So spricht Jahwe: Ja, ich werde ihre Kinder an den Felsen zerschellen!"

Und es heißt nicht einmal:

"Spruch Jahwes: Recht tut..."

oder

"Gesegnet, wer ihre Kinder an den Felsen zerschellt!"

Wir dürfen bei solchen Texten nicht vergessen, dass das Wort "gesegnet" nicht von Jahwe gesprochen wird, und es wird auch nirgendwo gesagt, dass Jahwe solch eine Handlung als "gesegnet" bezeichnen würde. Der Beter spricht dieses "gesegnet" aus. Und die letzten beiden Verse sind daher auch als Worte des betenden Menschen zu betrachten.

2. Beten in Israel

Wir müssen uns hier wieder einmal bewusst machen, dass der Hebräer eine viel unmittelbarere Ausdrucksweise seines Schmerzes, seines Zornes, ja selbst seines Hasses kennt als wir.

Wenn wir wütend sind, wenn wir vor Trauer und Schmerz rasen, und wenn wir dann noch den Mut aufbringen zu beten, dann gehen wir selbst dabei noch in typisch abendländischer Manier vor. Wir suchen uns zuerst wohlgesetzte Worte, überlegen uns, was man Gott gegenüber sagen kann und was nicht. Wir beten dann um die Gnade der Verzeihung, um den Frieden des Herzens, dass uns Gott die Kraft geben möge, dem anderen zu vergeben; und wir glauben kein Wort davon.

Ich überzeichne jetzt ganz bewusst. Aber wir kämen doch nie auf die Idee unseren Zorn Gott ins Gesicht zu schreien. Da fluchen wir lieber. Aber zu beten - wohl gemerkt - zu beten...

"Herr, schlag doch drein!"

... das bringen wir nicht über die Lippen. Da sagt uns unser Verstand, dass das Gott sowieso nicht tun werde, dass er der Gott der Liebe ist und dass ich das verstehen muss, auch wenn ich es nicht tue...

Und die Konsequenzen davon sind, dass wir in solchen Situationen dann meist eben nicht mehr beten.

"Ich kann jetzt nicht beten!"

sagen Menschen dann. Und damit meinen sie: 'Ich kann nicht um Frieden oder um Vergebung beten. Und ich kann jetzt auch nicht danken.' Und wenn sie das im Augenblick eben nicht können, dann beten sie demnach lieber gar nicht.

Der Hebräer hatte da ein ganz anderes Verhältnis zu Gott. Er hat diesen Gott als "ewiges Du" - wie Martin Buber sagt - weit ernster genommen. Er kann ihm auch seine Trauer ins Gesicht schreien, sein Unverständnis, seinen Zorn. Er kann ihn anschreien und er erlebt dabei, dass Beten Befreiung sein kann.

Gott ist kein Gott vor den ich nur abgeklärt treten dürfte. So nach dem Motto: 'In meinem Zorn fluche ich still vor mich hin und fühle mich unheimlich schlecht dabei und wenn dann alles vorbei ist, dann kann ich wieder vor Gott treten....'

Der Hebräer tritt vor Gott, wenn es am dicksten ist. Und er schleudert ihm dabei Bitten entgegen, die für unsere Ohren unvernünftig sind, die rein aus seinem rasenden Schmerz oder Zorn kommen:

"Gesegnet, wer deine Kinder ergreift und sie zerschellt an den Felsen!" (Ps 137,9.)

Er tut dies, weil er weiß, dass er es darf, weil er Gott seinen Schmerz ins Gesicht schreien darf. Und er tut dies, weil er letztlich weiß, dass dieser aus ihm selbst herausschreiende Wunsch bei Gott am besten aufgehoben ist.

Dieser Gott, der Herz und Nieren prüft, der kann dieses Beten einordnen, der kann damit umgehen. Bei ihm ist mein Hass und mein Zorn weit besser aufgehoben, als wenn ich mich still in meine Kammer zurückziehe und den Molotow-Cocktail bastle.

Die Strafwunschtexte in den Gebeten Israels sind für mich daher alles andere als ein Grund die Bibel und den Gott des Alten Testamentes als grausam beiseite zu schieben. Sie sind für mich vielmehr ungeheuer lehrreich. Sie künden von einer Unmittelbarkeit des Verhältnisses zu Jahwe, von der wir oftmals nur träumen können.

Es bringt doch absolut nichts, lediglich zu sagen: "So etwas darf man sich nicht wünschen!" Wenn in Trauer und Wut dieser Wunsch da ist, dann ist er bei Gott noch am besten aufgehoben. Aus den Strafwunschtexten des Alten Testamentes kann ich das lernen.

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