Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Die Kernaussagen des jahwistischen Schöpfungsberichtes (Gen 2,4b-24) ⋅1⋅

1. Besondere Gottbezogenheit

Der ältere, der jahwistische Bericht, betont zunächst die besondere Gottbezogenheit des Menschen.

Für den jahwistischen Schöpfungsbericht ist nämlich nicht das Wesentliche, dass der Mensch aus Erde, aus Staub, gleichsam getöpfert wurde. Das unterstreicht lediglich, dass er der אָדָם [">adam"], eben der von der אֲדָמָה [">adamah"], also vom Ackerboden genommene, der Erdling, ist.

Zu einem lebenden Wesen aber wird dieser אָדָם [">adam"], dieser Mensch, erst dadurch, dass er von Gott seinen Lebensodem eingehaucht bekommt.

"Dann bildete Jahwe Gott den Menschen aus Staub von dem Erdboden und blies in seine Nase einen Lebenshauch. So wurde der Mensch ein lebendes Wesen." (Gen 2,7.)

Durch diese göttliche Einhauchung des Lebensodems wird der Mensch aber von vorneherein in einer ganz spezifischen Art zu einem gottbezogenen "lebenden Wesen". Der Mensch lebt von Gott her, durch diese Einhauchung des Lebensodems.

2. Zum Erdendienst bestellt

Er ist also ein gottbezogenes Lebewesen, das aber - und das unterstreicht der Schöpfungsbericht ausdrücklich - ganz zu dieser Erde gehört. Er ist nämlich nicht nur vom Ackerboden genommen, er ist auch für diese Erde bestimmt.

Bereits vor der Erschaffung des Menschen wird in Gen 2,5 seine Bestimmung gleichsam vorausgeschickt. Es heißt dort:

"Denn Jahwe Gott hatte noch nicht auf die Erde regnen lassen, und der Mensch war noch nicht da, um den Erdboden zu bebauen." (Gen 2,5.)

Und damit wird ja die eigentliche Aufgabe des Menschen bereits genannt. Er ist dazu bestimmt "den Ackerboden zu bestellen" (Gen 2,5).

In Gen 2,15, nachdem Gott für den Menschen einen Garten angelegt hat, wird dies noch einmal in aller Ausdrücklichkeit gesagt:

"Jahwe Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bebaue und bewache." (Gen 2,15.)

Der jahwistische Schöpfungsbericht schildert also, dass die Aufgabe des Menschen darin besteht, die Erde zu bebauen und zu behüten. Zur Erde und damit zum Erdendienst ist der אָדָם [">adam"], der "Erdling", von seinem Schöpfer gerufen. Er hat damit im Grunde eine rein säkulare Aufgabe, eine Aufgabe, die nur indirekt etwas mit Gott zu tun hat. Die Bestimmung des Menschen bezieht sich nicht direkt auf irgend etwas, was er jetzt Gott gegenüber zu tun hätte.

Das ist durchaus nicht selbstverständlich. In den Mythen aus der Umwelt Israels werden die Menschen ja gerade deswegen geschaffen, damit sie den Göttern dienen. Die Götter, die dort weltimmanent gedacht werden, sind ja im Horizont der Mythen auch kontingente Kräfte. Das heißt, sie brauchen Nahrung durch Speise-, Trank- und Duftopfer. Und sie erschaffen den Menschen, damit er sie mit dieser Nahrung versorgt. Sie brauchen den Dienst der Menschen zu ihrer Lebensmehrung und zu ihrer Freude.

Diese Vorstellung durchzieht die Menschheitsgeschichte im übrigen bis zur Gegenwart. Noch vor wenigen Jahrzehnten hieß es ja selbst in unseren Katechismen, dass der Sinn des Lebens darin bestünde, Gott zu dienen.

Der jahwistische Schöpfungsbericht spricht von einem ganz säkularen Sinn, von einer rein innerweltlichen Bestimmung des Menschen. Er ist geschaffen, um die Erde zu bebauen und zu bewachen, er ist der Erdling, der als gottbezogenes Lebewesen zur Erde und für den Erdendienst gerufen ist.

3. Verwiesenheit auf den Mitmenschen

Möwe

Einsame Möwe am See Gennesaret.

Foto-Button© Katholisches Bibelwerk Linz, Kapuzinerstr. 84, A-4020 Linz

Diese Erde ist nun eine Erde voller Leben. Gott füllt sie mit Leben, um des Menschen willen. Er erschafft die Tiere zunächst einmal, weil es nicht gut ist, dass der Mensch allein sei (Gen 2,18). Aber all dieses Leben ist noch kein Leben, das dem Men­schen entsprechen wür­de. Dazu braucht es nämlich den "Mit­men­schen".

Auf ganz eindrückliche Art und Weise schildert Gen 2,21-23, wie Gott die Monade אָדָם [">adam"] auseinander nimmt und aus dem einen Menschen zwei menschliche Wesen formt.

Dadurch wird der Mensch von Anfang an nicht nur in seiner Gottbezogenheit geschildert. Der jahwistische Schöpfungs­bericht bezeugt hier die wesenhafte, das heißt dem Wesen des Menschen eingestiftete mitmenschliche Bezogenheit. Ohne den Mitmenschen würde sich der Mensch trotz allen Lebens, das es auf der Erde gibt, allein fühlen.

"Da gab der Mensch allem Vieh und den Vögeln des Himmels und allem Wild des Feldes Namen. Aber für einen Menschen fand er nicht die Hilfe, die ihm entsprochen hätte." (Gen 2,20.)

Den anderen Menschen kann nichts ersetzen. Die nächste "Welt" des Menschen ist der Mitmensch.

4. Das Verhältnis von Mann und Frau

Dabei handelt Gen 2 nicht nur davon, dass die Existenz von anderen Menschen eben notwendig ist, damit Leben glücken kann. Dieser Text ist ebenso ein beeindruckendes Zeugnis für die biblische Auffassung vom Verhältnis und von der Bindung zwischen Mann und Frau.

a. "Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch" (Gen 2,23)

Dabei liegt es dem Verfasser von Gen 2 völlig fern, die Frau als sekundäres Geschöpf oder lediglich als Gehilfin des eigentlichen Geschöpfes, nämlich des Mannes, zu schildern. Auf der Ideal-Ebene von Gen 2 ist die Frau prinzipiell Mensch wie der Mann.

Der eine Mensch wird schließlich auseinandergenommen, aus dem אָדָם [">adam"] wird ein Stück herausgenommen, aus dem dann das Gegenüber entsteht. Ein Gegenüber, das eben nicht auf der Stufe der untergeordneten Geschöpfe steht, wie etwa die Tiere, die dem Menschen vorgeführt wurden, ein Geschöpf, das

"Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch..." (Gen 2,23.)

ist.

b. "Denn vom Mann ist sie genommen..." (Gen 2,22)

Genau darauf - und auf nichts anderes - verweist auch das Wortspiel von der Frau, der אִשָּׁה [">ischschah"] die vom אִישׁ [">isch"], dem Mann, genommen ist aus Gen 2,22. Mit diesem Wortspiel soll ja gerade das Voneinandersein noch einmal auf spielerische Art ausgedrückt werden.

Die Frau ist demnach der עֵזֶר כְּנֶגְדּוֺ ["<ezær kenægdo"] aus Gen 2,18 und Gen 2,20, was man gemeinhin mit "Hilfe, die ihm entspricht" übersetzt. In diesem Ausdruck steckt das hebräische Wort נֶגֶד ["nægæd"]; ein Wort, das soviel bedeutet wie "vor" oder "gegenüber".

c. "Eine Hilfe, die ihm entspricht" (Gen 2,18; Gen 2,20)

כְּנֶגְדּוֺ ["kenægdo"] bedeutet demnach wörtlich: "wie ihm gegenüber". Die Frau ist demnach für den Mann so etwas "wie ein ihm Gegenüber", ein Gegenüber des Mannes, so wie das Spiegelbild mir gegenüber ist. Man gibt diesen Ausdruck im Deutschen daher meist mit dem Worten "ihm entsprechend" wider. Die Frau ist die, die dem Mann entspricht - und natürlich auch umgekehrt.

Und sie ist sein עֵזֶר ["<ezær"] (masculin), seine Hilfe. Dieser Ausdruck umschreibt im Hebräischen ganz konkret denjenigen, der einem bei einer Arbeit beisteht, der mit mir zusammen etwa auf dem Feld arbeitet.

d. "Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen..." (Gen 2,24)

Eine Hilfe, die ihm entspricht, ist die Frau für den Mann; und eine Hilfe, die ihr entspricht, ist der Mann für die Frau. Denn dass dies wechselseitig gilt macht der Autor unmittelbar darauf deutlich.

Nachdem er bisher nämlich von der Frau im Bezug auf den Mann gesprochen hat, wechselt er urplötzlich die Perspektive und spricht nun vom Mann in Bezug auf die Frau.

"Darum wird der Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden zu einem Fleisch." (Gen 2,24.)

Dieser Wechsel der Perspektive war für den Hörer der damaligen Zeit mit Sicherheit auffallend. Denn der Jahwist spricht hier nicht davon, dass die Frau - so wie es im realen Israel damals üblich war - ins Haus des Mannes gebracht wurde; er spricht vielmehr davon, dass der Mann Vater und Mutter verlässt und sich fortan an die Frau bindet (Gen 2,24).

Damit ist ganz klar zum Ausdruck gebracht - entgegen der gesellschaftliche Wirklichkeit der damaligen Zeit -, dass Mann und Frau sich als ein ranggleiches "Gegenüber" erfahren sollen, als ein wechselseitiges "Ich" und "Du", als ein in "Fleisch" und Herz geeintes "Wir".

e. Ehe und Partnerschaft in der Sicht von Gen 2

Letztlich liefert uns Gen 2 somit auch eine beeindruckende Aussage über Partnerschaft und Ehe; gleichsam eine alttestamentliche Grundlegung der Theologie der Ehe.

Hier ist schon fast dreitausend Jahre vor dem zweiten Vatikanischen Konzil zum Ausdruck gebracht worden, dass Ehe eine Liebes- und Lebensgemeinschaft ist: Liebesgemeinschaft im "Ich"-"Du" Bezug und Lebensgemeinschaft im konkreten Blick auf die gegenseitige Hilfe bei der täglichen Arbeit.

Wenn man in der Vergangenheit unserer Kirche mehr Altes Testament gelesen hätte, dann wäre man nur schwerlich in die Versuchung gekommen, vom Kinderkriegen als erstem Ehe-Zweck zu sprechen, wie das katholische Theologie Jahrhunderte lang getan hat.

Es kann überhaupt kein Zweifel darüber aufkommen, dass die alte jahwistische Schöpfungsbotschaft die Ehe vorab in die Perspektive einer Ich-Du-Bindung stellt, die die Partner erfüllt.

Das waren nun die Kerngedanken des älteren, des jahwistischen Schöpfungsberichtes.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkung

1 Vgl. zu diesem Abschnitt: Alfons Deissler, Wer bist Du Mensch? (Freiburg 1985) 11-16. Zur Anmerkung Button