Interkulturelle Kompetenz
Herausforderung für unsere Gesellschaft
05.12.2023 - Vortrag anlässlich des Tages des Ehrenamts im Rathaus Baden-Baden
"Warum alles gegen das Ehrenamt spricht und ich mich trotzdem engagiere!"
Sie engagieren sich ehrenamtlich?
Geht’s noch? Glauben Sie wirklich, dass das eine gute Idee ist?
Gut, eine tolle Sache ist das für all diejenigen, die sich ansonsten überlegen müssten, wie diese ganze Arbeit eigentlich finanziert werden soll - für die ist das natürlich eine gute Idee.
Deshalb werden Sie von denen ja auch verhätschelt. Sie bekommen Urkunden, ein nettes Dankeschön und man applaudiert mindestens so schön wie bei den Pflegekräften zu Corona-Zeiten. Man will Sie ja unter keinen Umständen vergraulen. Man will Sie in ihrem Engagement halten.
Ansonsten müsste man ja Geld in die Hand nehmen. Und das wäre ja unsinnig, wo ganze Bereiche des Lebens von Ihnen ja auch "für umme" erledigt werden.
Blöd nur, für all diejenigen, die auf dieses Geld angewiesen wären. Viele Hauptamtliche haben in der Vergangenheit ja erleben müssen, wie Stellen gekürzt wurden, Arbeitsbereiche eingeschränkt oder gar nicht erst ausgebaut werden. Hinzu kommt, dass immer häufiger Stellen nicht grundständig finanziert, sondern über sogenannte Projektmittel getragen werden - und das meist auf viel zu kurze Zeit.
Darf ich mich kurz aufregen? Ich verstehe nämlich immer weniger, warum die Verantwortlichen nicht endlich begreifen, wie verkehrt dieses Projektunwesen ist. Bei dem andauernden Druck auf die Mitarbeitenden, über denen ständig das Damoklesschwert schwebt, dass das Projekt ausläuft und nicht verlängert wird, bei der meist viel zu mangelhaften Nachhaltigkeit solcher kurzfristigen Projekte und bei der ungeheuren Personal-Fluktuation, und - damit verbunden - des andauernden Qualifikationsabflusses, den das mit sich bringt, kommt das Ganze unterm Strich betrachtet schließlich viel teurer, viel, viel teurer, als wenn man Stellen dauerhaft ordentlich ausstatten würde.
Allein wie viel Zeit in dieses unselige Antragswesen investiert wird, wie dort Formulierungen hin und her gebogen werden, damit die Maßnahme halt doch noch irgendwie in den Projektrahmen passt ... Ich habe selbst einmal erlebt, dass in einer Ausschreibung zu einem meiner interkulturellen Trainings, gleich zwei Mal stehen musste, dass wir auch über das Thema "Heimat" sprechen, damit für diese Maßnahme am Ende auch Fördermittel über die Heimattage abgerufen werden konnten.
Aber wir machen munter weiter mit der Projektförderung und wundern uns, warum es immer weniger funktioniert. Aber das nur am Rande. Wir haben ja ein ganz anderes Thema.
Ach ja, Sie engagieren sich ja ehrenamtlich.
Da träumen Millionen von Menschen davon, endlich in Ruhestand gehen zu können, herauszukommen aus der täglichen Tretmühle, endlich niemanden mehr zu haben, der einem sagt, was man zu tun und zu lassen habe, keine Uhr mehr, die den Takt vorgibt und deren Zeiger sich viel zu langsam bewegen, vor allem, wenn man sich dann danach sehnt, endlich nach Hause zu kommen...
Millionen Menschen sehnen sich danach, endlich Ruhe zu haben - und Sie machen das genaue Gegenteil? Und Sie begeben sich dabei freiwillig häufig sogar in einen Zustand, wo Sie wieder an Zeiten gebunden sind? Wo Sie jemanden vor die Nase gesetzt bekommen, der Ihnen sagt, wo es lang geht, was Sie tun dürfen, aber vor allem, was nicht geht und wo Ihre Grenzen sind? Und der oder die, die werden - im Gegensatz zu Ihnen - sogar noch bezahlt. Nicht dafür, dass sie arbeiten, nur dafür, dass sie Ihre Arbeit koordinieren, wie das heute so schön heißt.
Und dann stellen die auch noch Bedingungen, Da müssen Sie unterschreiben und Bescheinigungen bringen, damit Sie überhaupt für das Ehrenamt zugelassen werden, damit Sie das, was Sie da umsonst tun, überhaupt tun dürfen.
Wieso tun Sie das?
Tausende sehnen sich nach dem genauen Gegenteil. Endlich Schluss mit dem dauernden Arbeiten-müssen, endlich Schluss mit der Bevormundung, endlich Ruhe und nur noch tun, was man tun will.
Auch ich kenne diesen Wunsch. Denn eigentlich verspüre ich ihn immer wieder mindestens genauso wie die aller meisten, die im Arbeitsleben stehen.
Denn wen kotzt die Arbeit nicht immer wieder einmal an. Man rettet ja nicht jeden Tag die Welt. Wie oft verbringt man seine Zeit mit irgendwelchem Papierkrieg, auch wenn der heute digital abgewickelt wird.
Da versucht man dann so ungeheuer wichtige Dinge, wie Sachberichte zusammenzufassen, damit irgendjemand anders, das Teil dann abheftet, vermutlich ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen.
Wie hat mir jemand mal gesagt: Wenn Ihr Job so großartig wäre, warum glauben Sie dann, dass Ihnen da jemand Geld dafür bezahlt?
Deshalb: je älter ich werde, desto häufiger ertappe ich mich dabei, mir auszumalen, wie das nach der Pensionierung denn dann so sein wird. Ich habe mir das immer wieder mal ausgemalt. Bis das Gemälde, das ich da entworfen habe, plötzlich einen ganz bedrückenden Farbton angenommen hat.
Gut, mittlerweile male ich an diesem Bild wieder mit Freuden. Ich kann das jetzt wieder, weil ich denke, dass mir eines am Ende nicht mehr passieren wird.
Und dieses eine, das ist das Erleben, was solch ein Ruhestand auch bedeuten kann, was das bedeutet, wenn er zum unfreiwilligen Ruhestand wird. Ruhestand kann nämlich ganz bedrohliche Züge annehmen.
Manche von Ihnen haben das vermutlich sogar schon selbst erlebt. Pensionierung, Ruhestand, so etwas bringt ja eine ganze Reihe neuer Erfahrungen mit sich. Noch die einfachste ist die, dass es keinen Feierabend mehr gibt. Wenn man keinen Arbeitsbeginn hat, dann endet die Arbeit auch nicht mehr. Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen Alltag und Ferien. Es gibt nur noch Zeit, Zeit, die plötzlich nicht mehr gefüllt ist.
Und ich habe selbst schmerzhaft erlebt, wie es auf einmal gar nicht mehr so leicht ist, solche Zeit zu füllen. Ich hatte nämlich schon einmal eine zum Glück nicht allzulange Zeitspanne, in der ich diese Schwierigkeiten Zeit wirklich selbst füllen zu müssen ganz hautnah erfahren musste.
Und ich meine jetzt nicht den Corona-Lockdown. Ja, der war auch nicht ohne. Aber der betraf ja irgendwie alle und wir alle saßen letztlich in einem Boot.
Viel existentieller empfand ich jene Zeit, als es gefühlter Maßen nur mir so ging. Für alle anderen um mich herum war schließlich alles wie sonst auch. Nur für mich war plötzlich alles anders.
Es war die Zeit, als meine vormalige Tätigkeit endete. Nicht freiwillig. Meine Stelle wurde mir gleichsam unterm Hintern wegrationalisiert. Es gab eigentlich keinen wirklichen Grund dafür. Und um so schmerzlicher war, dass es nicht einmal nahtlos weiterging.
Bis man eine neue Verwendung für mich gefunden hatte, das dauerte. Es dauerte länger, als ich mir zuvor ausgerechnet hatte.
War das nicht toll? Wochenlang einfach nur Zeit, Zeit für alles, was ich immer schon einmal tun wollte, Zeit für all die Dinge, die ich doch zuvor, genau für solch eine Zeit aufgeschoben hatte, für die Zeit, wenn ich dann wirklich einmal Zeit habe.
Wissen Sie, dass ich kaum etwas davon erledigt habe? Ich war so erschlagen von der Zeit, dass ich fast nichts damit anzufangen wusste.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie mir die Tage gleichsam durch die Finger rannen. Nein, das ist das völlig falsche Bild. Wenn einem etwas durch die Finger rinnt, dann geht das ja rasch. Die Tage wurden teilweise quälend lang. Und gemacht habe ich fast nichts.
Der Gedanke, im Augenblick gar nicht gebraucht zu werden, dass man momentan keine Verwendung für mich hatte, der hat mich so ausgebremst, dass ich letztlich nichts auf die Reihe brachte.
Zum Glück war diese Zeit nicht von Dauer. Zum Glück war sie verhältnismäßig kurz.
Damals aber sagte ich mir: Das passiert Dir nicht noch einmal. Ich wusste, dass ich mich nie mehr allein von meiner beruflichen Tätigkeit her definieren würde. Ich brauchte etwas, was mir eigen ist, etwas, was mir niemand nehmen kann.
Ich erinnerte mich an all die Dinge, die ich einmal unternehmen würde, wenn ich dann einmal Zeit hätte, dann wenn der Ruhestand da ist und eigentlich wirklich dafür Zeit sein wird. Aber ich begriff, dass die Zeit nie eigentlicher werden wird, als sie jetzt schon ist.
Seither versuche ich, all diesen Dingen, zumindest ihren kleinen Raum schon jetzt zu geben. Und manchmal beanspruchen sie ganz schön viel Raum. Und ich merke, wie mir das gut tut.
Ich merke, dass ich mich am meisten dann erhole, wenn ich etwas habe, an das ich mich drangeben kann. Wo ich sehe, dass es wieder ein Stück gegeben hat und dass sich eines zum anderen fügt.
Das geht natürlich nur, wenn ich mit einer gewissen Selbstdisziplin auch an meine Freizeit gehe. Ich muss jetzt auch meine Freizeit planen.
Dass dies aber so wichtig ist, habe ich in der Zeit, als ich über eine Fülle von freier Zeit verfügte, ja deutlich verspürt.
Das kann ganz schön anstrengend sein. Solch gefüllte Freizeit, die kann einen ganz schön schaffen. Da kann ich dann auch schon mal ins Stöhnen kommen.
Das stößt immer wieder auf völliges Unverständnis. Eine Bekannte hat mir das schon mehrfach sehr unverblümt rückgemeldet. Wenn ich dann kam und nach einem Wochenende sagte, das war wieder ein ganz schönes Stück Arbeit gewesen, musste ich mir dann anhören, ich solle aufhören zu stöhnen, das sei ja lediglich mein Hobby.
Aber ich habe immer stärker das Bewusstsein entwickelt: Nein, das ist eine Tätigkeit. Ich mache da etwas Richtiges, für mich ist das sogar etwas Wichtiges. Und es ist mir völlig gleichgültig, ob mir da jemand Geld dafür gibt oder nicht.
Manchmal fällt es mir sogar gar nicht leicht, zu entscheiden, ob jetzt meine berufliche Tätigkeit wichtiger ist oder nicht gar diese anderen Bemühungen. In sie investiere ich manchmal sogar weit mehr Mühe.
Wissen Sie, dass ich von alleine nie auf die Idee gekommen wäre, solche Tätigkeiten als bürgerschaftliches Engagement oder Ehrenamt zu bezeichnen. Mit Ehrenamt habe ich beruflich zu tun. Und das Ehrenamt, das ich dort erlebe, sieht in aller Regel ganz anders aus, als jede einzelne meiner Tätigkeiten.
Eigentlich logisch. Ich wäre schließlich nie auf die Idee gekommen, mich privat im gleichen Bereich zu engagieren, der mich auch beruflich ausfüllt.
Ich habe mich sogar schon dabei ertappt, dass ich mich, als wir im beruflichen Kontext einmal davon gehandelt hatten, ob wir uns denn auch ehrenamtlich engagieren würden und wenn ja wo, dass ich darauf sagte: "Ne, für so etwas habe ich augenblicklich eigentlich gar keine Zeit!"
Erst als ich dann einmal bei einer Veranstaltung eingeladen war, bei der man auch mir für meinen Einsatz dankte, wurde mir bewusst, dass da ja Menschen das, was ich da tue, als ehrenamtliches Engagement betrachten.
Klar, diese Tätigkeit würde niemand finanzieren. Dafür war im Stadtsäckel kein Geld vorhanden. Es gab keinen einzigen Topf und keine Mittel, um so etwas zu bezahlen. Und eigentlich war das auch so aus der Welt gefallen, dass niemand auf die Idee kommen würde, dafür etwa ein eigenes Projekt aus der Taufe zu heben. Zumal es mit Sicherheit jeden Förderzeitraum sprengen würde.
Vielleicht würde außer mir auch niemand auf die Idee kommen, so etwas zu machen. Dabei war das wichtig. Und offenbar wurde ja auch erkannt, dass das wichtig ist. Und das tat gut, das tat mir richtig gut.
Ob das jetzt viele waren, die den Wert dieser Arbeit erkannten oder eben nur ein paar wenige, das war mir dabei völlig egal. Es war mir auch egal, ob eine solche wichtige Aufgabe, nicht etwa doch grundständig finanziert werden müsste.
Ich freute mich über eine Ehrung, eine Urkunde, aber sie waren alles andere als ausschlaggebend. Ich machte was ich tat schon lange, bevor da jemand Notiz davon genommen hatte. Und ich machte es auch, ohne dass es dafür ein paar salbungsvolle Dankesworte gab. Die taten gut. Die waren sozusagen ein sehr schönes Beiwerk. Aber sie waren für mich nie entscheidend.
Entscheidend für mich war und ist, ich habe etwas, an das ich mich drangeben kann, und in meinem Fall kann ich mir sogar sagen, dass es außer mir wohl kaum jemand tun würde. Manchmal male ich mir sogar aus, was für einen Dienst an der Menschheit das letztendlich bedeutet.
Auch wenn andere das nicht so sehen, ich sehe das so. Und ich glaube, für mich ist das entscheidend. Und ich weiß nun, dass ein Übermaß an freier Zeit, also an Zeit, für die mich kein Arbeitgeber entlohnt, dass eine solche Zeit für mich jeglichen Schrecken verloren hat. Mein Beruf ist nämlich nur ein Teil von mir. Und je älter ich werde, desto weniger bestimmend wird er vermutlich werden. Und selbst, wenn ich dann einmal nicht mehr berufstätig bin, es wird kein Loch entstehen, in das ich plötzlich hineinplumpsen würde.
Ich weiß nämlich jetzt wofür ich mich engagiere. Ich kann das ganz gut sehr selbständig. Ich glaube nicht, dass ich einen Koordinator oder eine Koordinatorin dafür bräuchte. Ich bin vermutlich der Typ, der sich selbst eine Struktur vorgeben kann und dieselbe auch gerne selbständig füllen möchte.
Ich kann gut verstehen, dass es anderen da anders geht. Ich kann nachvollziehen, dass es für Menschen hilfreich ist, wenn sie sich gemeinsam mit anderen engagieren. Und dass das Koordination braucht, ist eine Selbstverständlichkeit.
Ich kann gut nachvollziehen, wie hilfreich es für Menschen ist, wenn man eine Tagesstruktur nicht selbst erarbeiten muss, sondern hier Vorgaben bekommt, bis hin dazu, dass es Anleitungen gibt, wie ich bestimmte Dinge angehen soll und wie eben nicht. Manchem mag dies hilfreich sein, einer anderen etwas anderes. Und ich brauche wieder etwas anderes.
Darum geht es nicht. Wichtig ist, dass jeder und jede ein Feld für sich entdeckt, das mir widerspiegelt, welche Bedeutung ich eigentlich habe.
Darum geht es. Ich muss mir klar machen, dass meine Bedeutung nicht davon abhängt, ob mir jemand Geld für etwas gibt oder ob man berufliche Verwendung für mich hat. Wichtig ist, welche Verwendung ich für mich sehe, dass ich wichtig bin, wichtig in dem, was ich tue. Und jetzt nicht in dem, was ich zu tun habe, in dem, was ich tun will. Und das tue ich dann, und zwar zuallererst, weil es mir gut tut.
Ich weiß, dass genau genommen, alles dagegen spricht, sich ehrenamtlich zu engagieren. Nirgendwo kann man besser ausgebeutet werden, als im Ehrenamt.
Aber das interessiert mich nicht. Ich engagiere mich nicht, weil Gesellschaft das braucht, weil ganze Bereiche unsere Gesellschaft brachliegen würden, ohne ehrenamtliches Engagement. Ich engagiere mich nicht, weil es Ehrenamtsfeste gibt und Dankesbriefe oder Urkunden. Einsetzen tue ich mich, weil es mir gut tut. Weil ich mich nicht von einer beruflicher Tätigkeit abhängig machen möchte und mich erst recht nicht über meinen Beruf definieren möchte.
Ich weiß, wie sehr Robert Lembke mit seiner Ratesendung aus dem letzten Jahrhundert daneben lag, wenn er auf die Frage, "Was bin ich?", meinen Beruf zur Antwort hören wollte. Ich weiß, dass ich weit mehr bin, als nur berufstätig. Mein nebenberufliches Engagement prägt mittlerweile mein Sein vermutlich sehr viel mehr als ein Beruf.
Natürlich weiß ich, dass vernünftig gesprochen, vieles gegen das Ehrenamt spricht. Eigentlich spricht sogar alles dagegen.
Ich engagiere mich trotzdem, und ich tue es mit aller Kraft, denn ich weiß warum.
Ich danke Ihnen.
(Jörg Sieger, Bruchsal-Untergrombach)