Interkulturelle Kompetenz
Herausforderung für unsere Gesellschaft
Rolle von sozialen Bezugssystemen
Dominiert die Gruppe oder versuche ich mich von anderen abzusetzen? Bin ich bemüht, mich von anderen zu unterscheiden oder möchte ich eher nicht auffallen?
Warum lacht der rote Apfel?
Immer wieder wird mir auf diese Frage die Antwort gegeben: Weil er so schön anders ist!
Junge Frau im Frühling ...
Aber ist das wirklich ein Grund dafür, sich zu freuen? Allein der Umstand, dass man sich von anderen unterscheidet?
Lizenz: Fotomontage auf der Basis zweier Bilder von
GK von Skoddeheimen auf Pixabay und Capri23auto auf Pixabay
In Hongkong würde dieser Apfel vermutlich tieftraurig sein. Zumindest, wenn es danach geht, was mir eine junge Hongkong-Chinesin erzählt hat.
Sie berichtete davon, dass einer der schlimmsten Tage im Jahr derjenige sei, an dem man im Frühjahr das erste Mal den kurzen Rock anziehe. Es gäbe nichts Peinlicheres, als diesen Tag zu verpassen. Nicht auszudenken, dass man noch die langen Hosen anhabe, während alle anderen schon in kurzen Röcken herumlaufen würden. Oder gar dass man den kurzen Rock schon angezogen habe und alle anderen hätten noch lange Hosen an! Für eine Hongkong-Chinesin gibt es offenbar nichts Unangenehmeres als aufzufallen, aus der Rolle zu tanzen und aus der Gruppe herauszustechen. Das Bemühen, nicht aufzufallen, dominiert in einer solch kollektivistischen Kultur alles.
Harmonie pur ...
Vor einer Kirche beim John Hancock Tower in Boston
Lizenz: VaughnSaball, Individuality, CC BY-SA 3.0
Ist eine Kultur in ihrer Lebensführung eher individualistisch geprägt oder ist die Gruppe letztlich bestimmend - das wäre die nächste Koordinate zur Auslotung des Standpunktes, den jemand in diesem Raum, den wir Kultur nennen, einnimmt.
Es geht letztlich um die Frage, ob die rote Tulpe stört oder ob es gerade schön ist, dass es in diesem ansonsten einfach nur weißen Feld einen roten Tupfer gibt?
Darüber kann ich nur schwer diskutieren. Dafür gibt es nicht wirklich Argumente. Und keine der beiden Ansichten ist richtiger oder falscher als die andere.
In einer Gesellschaft wie der unsrigen wird sehr viel Wert auf das Individuum gelegt. Kaum etwas ist peinlicher, als wenn zwei Frauen bei einer Party eingeladen sind und beide kommen im gleichen Kostüm! Das ist eine Eigenart unserer kulturellen Prägung.
Allein der Umstand, dass du dich von anderen unterscheidest,
heißt noch nicht, dass du wirklich hilfreich bist!
Lizenz: Foto: Jörg Sieger
Das heißt aber absolut nicht, dass eine Kultur wie die chinesische, in der die Gruppe den Ton angibt, andere bevormunden würde, von sich aus unfrei sei und das Individuum einschränke, nur weil die Menschen sehr viel Wert auf Harmonie legen und niemand diese Harmonie durch Betonung der eigenen Person stören soll. Es handelt sich hier einfach um eine andere kulturelle Prägung.
Auf Chinesen mag unsere Überbetonung des Individuums genauso zwanghaft wirken wie auf uns die Überbetonung der Gruppe.
Dass allein der Umstand, sich von anderen zu unterscheiden, noch nichts darüber aussagt, ob das jetzt gut oder schlecht ist, macht nebenstehende Abbildung eigentlich sehr schön deutlich: Allein die Tatsache, dass jemand unterschiedlich ist, bedeutet ja noch nicht, dass er wirklich hilfreich ist.
Dr. Jörg Sieger