Interkulturelle Kompetenz

Herausforderung für unsere Gesellschaft


Weiter-Button Zurück-Button Kulturdimensionen

Auf diesen Seiten darf Geert Hofstede (geb. 1928) nicht unerwähnt bleiben. Der niederländische emeritierte Professor für Organisationsanthropologie und Internationales Management ist einer der bedeutendsten Fachleute auf dem Gebiet der Kulturwissenschaften. Im Bereich der Wirtschaft gilt er schon gleichsam als so etwas wie der Papst in interkulturellen Fragestellungen.

Geert Hofstedes Studie

Hofstede begann 1967 eine großangelegte Studie in 72 IBM-Niederlassungen, ergänzt durch eine zweite Erhebung im Jahre 1972. Insgesamt 116.000 Probanden aus 50 Ländern und drei Regionen (wie etwa Arabien) wurde ein in 20 Sprachen übersetzter Fragebogen vorgelegt. Die Befragten, die aus 38 unterschiedlichen Berufssparten stammten, wurden vor allem zu den Themenfeldern

  • Zufriedenheit und Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen,
  • subjektive Wahrnehmung des Arbeitslebens,
  • persönliche Ziele und Einstellungen sowie
  • demographische Daten

befragt. ⋅1⋅

Hofstede schloss mit den Mitteln der Faktorenanalyse, einem statistischen Verfahren, aus den Ergebnissen dieser IBM-Mitarbeiterbefragung auf letztlich vier zugrunde liegende, voneinander unabhängige Merkmale. Er glaubte mit diesen vier Faktoren die Unterschiede in den empirischen Beobachtungen erklären zu können. Diese Faktoren nannte er "Kulturdimensionen". Es seien letztlich also vier voneinander unabhängige Faktoren, vier Kulturdimensionen, die die unterschiedlichen Einstellungen, Verhaltensweisen und Wertekataloge in den untersuchten Ländern und Regionen zur Folge hätten.

Was seine Ergebnisse - vor allem für die Wirtschaft - so faszinierend machte: Er beschrieb diese Kulturdimensionen letztlich schlicht und ergreifend mit vier Zahlen. Es gibt kaum präzisere, einfachere und griffigere Beschreibungen von Kulturen einzelner Länder, als sie bei Geert Hofstede zu finden sind.

Kritik an Hofstedes Arbeit

"Alles in allem ist sein Buch für die moderne Kulturwissenschaft eine Katastrophe. Er versündigt sich an allen Fortschritten, die seit den sechziger Jahren erzielt wurden, und ausgerechnet dieses Machwerk hat die Unbelehrbaren, die den Kulturbegriff für Unfug hielten, belehrt. Jene Psychologen, Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler, die nur empirischen Analysen trauen, wurden durch Hofstedes Statistik davon überzeugt, dass Kultur aus hard facts bestehe, die man messen und wiegen kann." ⋅2⋅

Dieser kurze Abschnitt aus Klaus P. Hansens Einführung in die Kulturwissenschaft macht deutlich, wie sehr die Arbeit Hofstedes polarisiert. Man wirft ihm vor, dass seine Erhebungen alles andere als repräsentativ gewesen seien. Ausgangspunkt seiner Untersuchungen waren ja nicht die Menschen in einem bestimmten Land und deren Kultur, sondern die Mitarbeiter eines Unternehmens. Bestenfalls könnte man hier von einer Unternehmenskultur und nicht einer Landeskultur sprechen. Auch die Qualität seiner Testfragen und deren Bedeutung für die Ergebnisse werden angezweifelt. Hofstede liefere letztlich keine wirkliche Begründung für die Auswahl seiner Fragen. Er unterscheide auch nicht zwischen Werten und Verhaltensweisen - ob etwas also in einer Gesellschaft tatsächlich gelebt oder nur angestrebt bzw. für gut gehalten wird. ⋅3⋅

Einer der massivsten Kritikpunkte ist allerdings der Umstand, dass Hofstede klare Aussagen über Länderkulturen macht, ohne auf die Unterschiede im Land abzuheben. Menschen aus unserem Raum fällt beispielsweise ganz besonders auf, dass Deutschland als Einheit betrachtet wird, obwohl die unterschiedliche Entwicklung in Ost und West auch große Auswirkungen auf die kulturellen Orientierungen der Menschen in den sogenannten "neuen" und "alten Bundesländern" mit sich brachte. Dies wiegt am Beispiel Südafrikas noch schwerer, da hier ebenfalls ein gemeinsamer Wert angegeben wird, ohne wirklich die Unterschiede zwischen schwarzer und weißer Bevölkerung zu berücksichtigen.

Es ist demnach vor allem der Umstand der Verallgemeinerung, der Reduzierung einer Kultur auf ursprünglich vier - später dann fünf bzw. sechs - Zahlen, der immer wieder als Kritik an Hofstedes Arbeit angeführt wird. Im sozialen Bereich werden seine Studien von einer großen Zahl interkultureller Trainer denn auch völlig abgelehnt. Dies reicht so weit, dass Hofstede der Vorwurf gemacht wird, in seiner Verallgemeinerung bereits ein Rassist zu sein.

Mit solch einer pauschalen Verurteilung tut man Geert Hofstede unrecht. Selbstverständlich hat er im Vergleich zu seiner anfänglichen Studie in der Folge auch vieles nachgearbeitet, weiterentwickelt und immer neue Länder miteinbezogen. Um Hofstede gerecht zu werden, muss ich - wie bei jedem Versuch, sich anderen Kulturen mit klaren Aussagen zu nähern - die Chancen und Risiken eines Kulturerfassungsansatzes einfach abwägen und differenziert betrachten. Wenn ich mir vor Augen halte, dass Stereotypen und Verallgemeinerungen immer falsch sind und ich damit den Menschen in einem kulturellen Raum niemals gerecht werden kann, dann können - unter dieser Prämisse - Hofstedes Ergebnisse vielerlei Aufschlüsse und Hinweise bieten und Erklärungen ermöglichen, die zur ersten Orientierung ausgesprochen hilfreich sind. Denn auch, wenn die Beschreibung einer Kultur mittels einiger Zahlen manchen allzu einfach daherkommt, kann ich im Vergleich unterschiedlicher Länder bereits eine Fülle von Trends und Richtungen ablesen, die für eine vertiefte Betrachtung einer Kultur wichtige Grundlage sein können. Die Wirtschaft hat dies von Anfang an erfasst. Und die Entwicklung in den Bereichen Personalmanagement, Kommunikationswissenschaften, Marketing, Organisationswissenschaften, aber auch der Psychologie ist durch Geert Hofstede nachhaltig beeinflusst worden. ⋅4⋅

Was versteht er nun unter dem Begriff "Kulturdimensionen"? Dazu müssen wir uns dieselben ein wenig genauer anschauen.

Power Distance Index (PDI): Die Kulturdimension der "Machtdistanz"

Die erste dieser Dimensionen nennt Geert Hofstede "Power Distance" - zu Deutsch "Machtdistanz". Hier wird erfasst, welche Macht- und Hierarchieunterschiede in einer Gesellschaft existieren. Ist es weithin akzeptiert, dass ein Chef große Privilegien genießt? Ist seine Rolle deutlich unterschieden von der seiner Untergebenen oder erkennt man als Außenstehender auf den ersten Blick überhaupt nicht, wer denn jetzt Vorgesetzter ist und wer nicht?

All diese Auffälligkeiten werden letztlich einer Skala von 0 bis 100 zugeordnet. Eine Gesellschaft, eine Familie, eine Firma, in der große Machtunterschiede ohne weiteres akzeptiert werden, bekäme demnach einen Wert gegen 100, und eine, in der Herrschende lediglich Erste unter Gleichen sind, in der nach außen hin also kaum Machtunterschiede festzustellen wären, fände sich auf der Skala mit einem Wert gegen 0 wieder.

Die Kriterien für die Zahlenwerte kann man im Detail so umschreiben:

Power Distance Index (PDI) ("Machtdistanz")

geringe Machtdistanz (Wert gegen 0)

große Machtdistanz (Wert gegen 100)

bedeutet im Blick auf allgemeine Normen, Familie und Schule:

Ungleichheit unter den Menschen sollte so gering wie möglich sein.

Ungleichheit zwischen den Menschen wird erwartet und ist erwünscht.

Lehrer erwarten von ihren Schülern Eigeninitiative.

Jede Initiative im Unterricht sollte von den Lehrern ausgehen.

Eltern behandeln ihre Kinder und ältere Verwandte wie ihresgleichen.

Respekt gegenüber den Eltern und älteren Verwandten ist eine grundlegende Tugend, die ein Leben lang ausgeübt wird.

bedeutet im Blick auf den Arbeitsplatz:

Privilegien und Statussymbole stoßen auf Ablehnung.

Privilegien und Statussymbole sind üblich und populär.

Der ideale Vorgesetzte ist der einfallsreiche Demokrat.

Der ideale Vorgesetzte ist der wohlwollende Autokrat oder der gütige Vater.

Manuelle Tätigkeiten haben denselben Status wie Büroarbeit.

Schreibtischarbeit zählt mehr als Arbeit "im Blaumann".

bedeutet im Blick auf den Staat:

Alle haben die gleichen Rechte.

Die Mächtigen sollen Privilegien genießen.

Regierung pluralistisch, Mehrheitswahlsystem (mit starker politischer "Mitte").

Regierung autokratisch oder oligarchisch. Man wird in die Regierung berufen (starke Links- und Rechtsparteien).

Macht beruht auf der Position und dem Fachwissen.

Macht stützt sich auf Tradition oder Familie, Charisma und den Einsatz eines Machtpotentials.

 

Dadurch, dass Hofstede einzelnen Kulturen bestimmte Zahlenwerte zuordnet, lassen sich die Länder untereinander selbstredend leicht miteinander vergleichen. Solche Vergleiche sind die Stärke des Hofstede'schen Modells, lassen sie doch beispielsweise recht schnell Rückschlüsse auf mögliche unterschiedliche Sichtweisen zu.

Diagramm

Akzeptanz von Machtdistanz - Werte ausgewählter Länder

Wenn ich etwa weiß, dass Deutschland einen Machtdistanz-Wert von 35 aufweist, die Machtdistanz in den meisten arabischen Ländern oder China aber mit 80 angegeben wird, dann kann ich daraus schon schließen, dass in China oder der arabischen Welt ganz anders mit Autoritäten umgegangen wird als in Deutschland - und noch einmal anders als in Russland, wo dieser Wert nach Hofstede bei 93 rangiert.

Der russische Machtdistanz-Wert ist übrigens auch einer der höchsten insgesamt - nur noch übertroffen von Saudi-Arabien (PDI 95). Damit lässt sich durchaus erklären, warum ein Präsident wie Wladimir Putin in Russland solch hohes Ansehen genießt, während sein Auftreten in Deutschland häufig als arrogantes und selbstherrliches Machtgebaren empfunden wird. In Deutschland werden Hierarchieunterschiede eben weit weniger akzeptiert als in Russland. Auch lässt sich so nachvollziehen, dass Michail Gorbatschow, der in Deutschland eines der wichtigsten Staatsoberhäupter der Sowjetunion ist, in Russland als jemand, der als Machthaber gleichsam versagt habe, kaum Ansehen genießt.

Interessant ist, dass Japan im Vergleich zu anderen asiatischen Staaten mit einem Machtdistanzwert von 54 geradezu aus der Reihe fällt. Dort ist das Machtgefälle also offenbar weit weniger ausgeprägt als in benachbarten Kulturen.

Aber auch der Vergleich zwischen Deutschland und den USA ist aufschlussreich. Dem Deutschland zugeordneten Wert von 35 steht in den USA ein Wert von 40 gegenüber. Das heißt, dass die Akzeptanz von Machtunterschieden in den USA etwas größer ist als in Deutschland.

In den skandinavischen Staaten - allen voran Dänemark mit einem Machtdistanz-Wert von 18 - ist das Machtgefälle mit am geringsten; unterboten nur noch von Israel (PDI 13) und Österreich (PDI 11).

Individualism (IDV): Die Kulturdimension des "Individualismus"

Ganz ähnlich verhält es sich mit Hofstedes Kulturdimension des "Individualismus". Auch hier werden einzelnen Ländern entsprechend der Ergebnisse der Hofstede'schen Erhebung Zahlenwerte zugewiesen. Eine Gesellschaft, in der die Unabhängigkeit von sozialen Bezugsgruppen wie Familie oder Firma sehr hoch einzuschätzen ist, hätte nach Hofstede hier einen Wert gegen 100 und eine Gesellschaft in der man stark in solche Bezugsgruppen eingebettet ist, die also von einer "kollektivistischen Kultur" geprägt wird, tendiert auf Hofstedes Skala gegen 0.

Im Einzelnen sehen die Kriterien für den Individualismus-Wert folgendermaßen aus:

Individualism (IDV) ("Individualismus")

kollektivistisch (Wert gegen 0)

individualistisch (Wert gegen 100)

bedeutet im Blick auf allgemeine Normen, Familie und Schule:

Menschen werden in Großfamilien oder andere Wir-Gruppen hineingeboren, die sie auch später noch beschützen und die im Gegenzug Treue erhalten.

Jeder wächst in dem Bewusstsein auf, sich nur um sich und seine unmittelbare (Kern‑)Familie kümmern zu müssen.

Kinder lernen, in der "Wir"-Form zu denken.

Kinder lernen, in der "Ich"-Form zu denken.

High-context-Kommunikation.

Low-context-Kommunikation.

Finanzielle und andere Mittel sollten mit Verwandten geteilt werden.

Individueller Besitz von Ressourcen, selbst bei Kindern.

bedeutet im Blick auf Arbeitsplatz:

Kollektivistisch.

Individualistisch.

Arbeitnehmer sind Mitglieder von Wir-Gruppen, die die Interessen ihrer Wir-Gruppen verfolgen.

Arbeitnehmer sind "Wirtschafts­menschen", die die Interessen des Arbeitgebers verfolgen, sofern sie mit ihren eigenen Interessen übereinstimmen.

Die Beziehung genießt Priorität vor der Aufgabe.

Die Aufgabe genießt Priorität vor der Beziehung.

Geringere berufsbedingte Mobilität.

Größere berufsbedingte Mobilität.

Ziel der Erziehung und Bildung ist, zu lernen, wie man etwas macht.

Ziel der Erziehung und Bildung ist es, zu lernen, wie man lernt.

bedeutet im Blick auf Politik und Gedankenwelt:

Gemeinsame Interessen haben Vorrang gegenüber den Interessen des Einzelnen.

Die Interessen des Einzelnen haben Vorrang gegenüber gemeinsamen Interessen.

Das Privatleben wird von der Gruppe beherrscht.

Jeder hat das Recht auf eine Privatsphäre.

Harmonie und Einigkeit in der Gesellschaft sind angestrebte Endziele.

Individuelle Selbstverwirklichung ist ein angestrebtes Endziel.

Dominierende Rolle des Staates im wirtschaftlichen System.

Eingeschränkte Rolle des Staates im wirtschaftlichen System.

 

Auch hier macht der Vergleich einzelner Länderwerte Besonderheiten der einzelnen Kulturen rasch deutlich.

Diagramm

Individualismus - Werte ausgewählter Länder

Deutschland wird mit einem Wert von 67 als Kultur gekennzeichnet, in der das Individuum weit wichtiger zu sein scheint als der Gedanke an die Gruppe und das Kollektiv.

In Russland ist das anders. Da spielt die Gruppe eine viel größere Rolle. Hofstedes Individualismus-Wert für Russland beträgt 39.

Selbst Japan scheint individualistischer geprägt zu sein als Russland. Mit einem Wert von 46 liegt es im Mittelfeld - ganz anders als China, das mit 20 einen sehr geringen Individualismus-Wert zugewiesen bekommt und von daher als ausgeprägt kollektivistische Kultur einzustufen ist.

Auch in den arabischen Ländern finden wir einen recht niedrigen Individualismus-Wert - der syrische ist noch der höchste (IDV 35). Jordanien (IDV 30) und Saudi-Arabien (25) weisen deutlich niedrigere Werte auf und machen deutlich, dass hier die Großfamilie etwa noch eine sehr viel größere Rolle spielt als beispielsweise in Deutschland.

In Sachen Individualismus ist Deutschland aber ein "Waisenknabe" gemessen an den USA, die mit 91 den absolut höchsten aller Individualismus-Werte aufweisen - wie sollte das auch anders sein, bei einem Land, in dem eine Krankenversicherung schon als Kommunismus gewertet wird...

Die Zahlen, die auf dieser Seite wiedergegeben werden, stammen übrigens aus dem Jahr 2016. Schon dieser Blick in die jüngere Vergangenheit verdeutlicht, wie schnell sich Dinge in Sachen "Kultur" wandeln und verändern können. Hier ist nichts in Stein gemeißelt. Mit am Auffälligsten ist dies, wenn man sich die Entwicklung des "Individualismuswertes" für die USA in den letzten Jahren anschaut. War die USA 2016 noch Spitzenreiter in Sachen "Indiviudalismnus" gibt Hofstede diese Zahl im Jahr 2024 mit "60" an.

Hier spielt Zuwanderung, aber auch die politischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre eine Rolle. Interessant ist auch die Begründung, die auf Hofstedes Website für diese Veränderung angegeben wird.

"Die Ursache für diese bedeutende Veränderung könnte darin liegen, dass zum einen die Ungleichheit in den Vereinigten Staaten im Vergleich zu Ländern wie den Niederlanden oder Schweden zugenommen hat, die heute als die individualistischsten gelten.
Außerdem könnte der anfängliche US-Wert, der auf Hofstedes Studie bei IBM basiert, zu hoch gewesen sein. Die Stichprobe bestand damals hauptsächlich aus Kaukasiern, während die neueste Studie laut Volkszählung andere ethnische Gruppen umfasste. Kaukasier schneiden beispielsweise immer noch individualistischer ab als Hispanoamerikaner." ⋅5⋅

Masculinity (MAS): Die Kulturdimension der "Maskulinität"

Der Begriff "Maskulinität", mit dem Hofstede seine nächste Kulturdimension umschreibt, macht deutlich, dass seine Arbeit in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts zurückreicht. Für heutige Ohren ist diese Bezeichnung eher missverständlich und wird häufig gar als anstößig empfunden. Dieses Empfinden war vor 50 Jahren noch anders.

Hofstede arbeitet hier mit den damals als typisch männlich und typisch weiblich empfundenen Eigenschaften, die er auf ganze Gesellschaften überträgt. Das vorrangige Bemühen, soziale Beziehungen und Lebensbedingungen zu verbessern ist für ihn - ganz auf dem Hintergrund der damaligen Zeit - eine feminine Eigenschaft, während Streben nach Macht und Anerkennung charakteristische maskuline Züge wären.

Im Einzelnen sind die Kriterien für Hofstedes Maskulinitäts-Wert folgende:

Masculinity (MAS) ("Maskulinität")

"feminin" (Wert gegen 0)

"maskulin" (Wert gegen 100)

bedeutet im Blick auf allgemeine Normen und Familie:

Zwischenmenschliche Beziehungen und Lebensqualität sind wichtig.

Herausforderungen, Einkommen, Erkenntnis und Fortschritt sind wichtig.

In der Familie sind sowohl Vater als auch Mutter für Fakten und Gefühle zuständig.

In der Familie ist der Vater für Fakten, die Mutter für Gefühle zuständig.

Jungen und Mädchen dürfen weinen, sollen aber nicht kämpfen.

Mädchen weinen, jungen nicht; Jungen sollen zurückschlagen, Mädchen sollen überhaupt nicht kämpfen.

bedeutet im Blick auf den Arbeitsplatz:

Management als ménage: Intuition und Konsens

Management als manège: Entschlossenheit und Dynamik

Konflikte werden beigelegt, indem man miteinander verhandelt und nach einem Kompromiss sucht.

Konflikte werden beigelegt, indem man den Stärkeren gewinnen lässt.

Arbeiten, um zu leben

Leben, um zu arbeiten

Mehr Freizeit ist wichtiger als mehr Geld.

Mehr Geld ist wichtiger als mehr Freizeit.

Beiden Geschlechtern steht die Wahl des Berufes frei.

Ein Beruf ist für den Mann obligatorisch, die Frau hat die Wahl.

bedeutet im Blick auf Politik und Religion:

Wohlfahrtsstaat-ldeal; Hilfe für Bedürftige.

Leistungs­gesell­schaft-ldeal; Unterstützung der Starken.

Viele Frauen werden in ein politisches Amt gewählt.

Wenige Frauen haben ein politisches Amt inne.

Vorherrschende Religionen gestehen beiden Geschlechtern gleiche Rollen zu.

Vorherrschende Religionen betonen das Vorrecht der Männer.

Die Umwelt soll geschützt werden: "Small is beautiful".

Die Wirtschaft soll weiter wachsen: "Big is beautiful".

 

Auch hier lässt schon der Vergleich der einzelnen Werte Rückschlüsse auf die jeweiligen Gesellschaften zu.

Diagramm

Maskulinität - Werte ausgewählter Länder

Darüber hinaus haben Untersuchungen ergeben, dass ein niedriger Maskulinitäts-Wert nicht nur etwas darüber aussagt, inwieweit Gesellschaften für Chancengleichheit unter den Geschlechtern sorgen. Feminine Gesellschaften scheinen auch mehr für ökonomische Gerechtigkeit zu stehen als maskuline. ⋅6⋅

Deutschland weist nach Hofstede mit 66 einen recht hohen Maskulinitäts-Wert auf und liegt gleichauf mit China (MAS 66). Der den USA beigemessene Wert liegt mit 62 etwas niedriger.

Den höchsten Maskulinitäts-Wert findet Hofstede in der japanischen Kultur (MAS 95), aber auch Österreich wird durch einen Wert von 79 als - im Sinne der Kulturdimensionen Hofstedes - ausgesprochen maskulin geprägte Kultur ausgewiesen.

Die Niederlande hingegen sind mit einem Maskulinitäts-Wert von 14 eine deutlich feminin geprägte Kultur. Niedrigere Werte finden sich letztlich nur noch in den skandinavischen Staaten. So ist Norwegen mit einem Wert von 8 eine ganz stark "feminine" Kultur. Und mit 5 weist Schweden den niedrigsten Wert von allen untersuchten Ländern auf.

Mittlerweile hat "The Culture Factor Group", die Hofstedes Projekt heute betreut eine Anpassung der Bezeichnung vorgenommen. Man spricht jetzt nicht mehr von Maskulinitäts-Wert sondern von "Motivation towards Achievement and Success" also etwa "Motivation für Leistung und Erfolg". Der geänderte Name bedeutet aber keine Neuinterpretation der Dimension. Auch die Länderwerte sind gleich geblieben. ⋅7⋅

Uncertainty Avoidance Index (UAI): Die Kulturdimension der "Unsicherheits­vermei­dung"

Mit der Kulturdimension "Unsicherheitsvermeidung" möchte Hofstede ausdrücken, in welchem Umfang Menschen sich durch unbekannte oder unstrukturierte Situationen bedroht fühlen. Gesellschaften, denen stark an Vermeidung von Ungewissheit gelegen ist, zeichnen sich dabei häufig durch soziale Ängste aus, weisen entsprechend überproportional höhere Selbstmordraten und psychische Erkrankungen auf. ⋅8⋅

Die Kriterien für die Zuordnung entsprechender Werte zu bestimmten Kulturen lassen sich folgendermaßen umschreiben:

Uncertainty Avoidance Index (UAI) ("Unsicherheitsvermeidung")

schwache Unsicherheit­svermeidung (Wert gegen 0)

starke Unsicherheits­vermeidung (Wert gegen 100)

bedeutet im Blick auf allgemeine Normen und Familie:

Unsicherheit (Ungewissheit) ist eine normale Erscheinung im Leben und wird täglich hingenommen, wie sie gerade kommt.

Die dem Leben inne wohnende Unsicherheit wird als ständige Bedrohung empfunden, die es zu bekämpfen gilt.

Aggression und Emotionen sollte man nicht zeigen.

Aggression und Angst können bei geeigneten Gelegenheiten herausgelassen werden.

Was anders ist, ist seltsam.

Was anders ist, ist gefährlich.

Lockere Regeln für Kinder hinsichtlich dessen, was als schmutzig und tabu gilt.

Strenge Regeln für Kinder hinsichtlich dessen, was als schmutzig und tabu gilt.

bedeutet im Blick auf Gesundheit, Bildung und Einkaufen:

Weniger Sorgen um Gesundheit und Geld.

Mehr Sorgen um Gesundheit und Geld.

Schüler fühlen sich wohl in Lernsituationen mit offenem Ausgang, interessieren sich für angeregte Diskussion.

Schüler fühlen sich wohl in strukturierten Lernsituationen und interessieren sich für korrekte Antworten.

Neue Produkte und kommunikations­technische Errungenschaften werden schnell angenommen .

Neuen Produkten und Technologien begegnet man mit Vorsicht.

Humor in der Werbung.

Fachwissen in der Werbung.

bedeutet im Blick auf den Arbeitsplatz, Organisation und Motivation:

Es sollte nicht mehr Regeln geben als unbedingt notwendig.

Emotionales Bedürfnis nach Regeln, selbst wenn diese nicht funktionieren.

Zeit ist ein Orientierungs­rahmen.

Zeit ist Geld.

Toleranz gegenüber Uneindeutigkeit und Chaos.

Bedürfnis nach Präzision und Formalisierung.

Entscheidungs­prozess steht im Mittelpunkt.

Entscheidungs­inhalte stehen im Mittelpunkt.

 

Der Vergleich einzelner Länder zeigt wieder signifikante Unterschiede.

Diagramm

Unsicherheitsvermeidung - Werte ausgewählter Länder

Der Wert für Deutschland ist mit 65 auch im Fall der "Unsicherheitsvermeidung" im oberen Bereich angesiedelt. Das korrespondiert etwa mit der bereits sprichwörtlich gewordenen "Deutschen Zukunftsangst" oder auch dem Bemühen, jedes Risiko durch den Abschluss von Versicherungen auszuschließen. Diese "Angst vor dem Wandel" ist durchaus prinzipieller Natur. Sie wurzelt in der älteren Geschichte, wie etwa dem Dreißigjährigen Krieg, genauso wie in der jüngeren.

"Seit der moralischen, politischen und militärischen Katastrophe des Dritten Reiches misstrauen viele Deutsche grundlegenden Umbrüchen und, gravierender noch, sich selbst." ⋅9⋅

Auffallend ist, dass der Wert für die Kulturdimension "Unsicherheitsvermeidung" in Frankreich (UAI 86) sogar noch höher ist, als in Deutschland. Und Belgien weist mit 94 einen der höchsten Werte überhaupt auf.

Den höchsten Unsicherheitsvermeidungs-Wert findet Hofstede in Griechenland. Hier wird die 100 glatt erreicht.

Während in Syrien (UAI 60) der Wert nur etwas niedriger liegt als in Deutschland, unterscheiden sich die angelsächsischen Länder USA (UAI 46) und Großbritannien (UAI 35) deutlich davon. Dies korrespondiert mit dem angelsächsischen Prinzip des "trial and error", des "Versuchs und Irrtums", das in der deutschen und französischen Kultur kaum zum Tragen kommt.

Bleibt noch zu erwähnen, dass auch in China (UAI 30) ein ähnlich hoher Unsicherheitsvermeidungs-Wert wie in den angelsächsischen Ländern vorherrscht und der niedrigste Wert in Singapur (UAI 8) zu finden ist.

Long-Term Orientation (LTO): Die Kulturdimension der "Langzeitorientierung"

Die Kulturdimension der Langzeitorientierung wurde erst später den ursprünglichen vier Dimensionen hinzugefügt. Sie wurde in einer gesonderten Erhebung ermittelt, bei der nicht IBM-Mitarbeitende sondern Studenten die Auskunftspersonen waren. Auch umfasste die Studie nur 21 Länder.

Hintergrund ist vor allem, konfuzianisch geprägten Kulturen gerecht zu werden. Dort gelebte kulturelle Werte tragen eher dazu bei, langfristige Ziele zu erreichen, während Individualismus und das Bemühen, individuelle Ziele zu erlangen, eher gegenwarts- bzw. vergangenheitsbezogen sind.

Folgende Kriterien umschreiben das, was in diesem Zusammenhang unter Langzeit- bzw. Kurzzeitorientierung zu verstehen ist:

Long-Term Orientation (LTO) ("Langzeitorien­tierung")

Kurzzeit­orientie­rung (Wert gegen 0)

Langzeitorien­tierung (Wert gegen 100)

bedeutet im Blick auf allgemeine Normen und Denkweisen:

Respekt vor Traditionen.

Respekt vor den Gegebenheiten.

Die persönliche Stabilität ist wichtig.

Die persönliche Anpassungs­fähigkeit ist wichtig.

Es gibt allgemeingültige Richtlinien über das, was gut und böse ist.

Was gut und böse ist, hängt von den Umständen ab.

Trennung zwischen Materie und Geist analytisches Denken.

Materie und Geist sind eins: synthetisches Denken.

Wenn A wahr ist, muss das Gegenteil B falsch sein

Wenn A wahr ist, so kann das Gegenteil B dennoch wahr sein

bedeutet im Blick auf Geschäft und Wirtschaft:

Freizeit ist wichtig.

Freizeit ist nicht wichtig.

Man legt Wert auf den Gewinn im laufenden Jahr.

Man legt Wert auf den Gewinn in 10 Jahren.

Niedrige Sparquote, weniger Geld für Investitionen

Hohe Sparquote, Mittel für Investitionen stehen zur Verfügung.

Persönliche Treuepflichten richten sich nach den Bedürfnissen, die das Geschäft mit sich bringt.

Lebenslange Investition in ein persönliches Netzwerk

 

Auch hier lassen sich einzelne Länder wieder leicht gegenüberstellen.

Diagramm

Langzeitorientierung - Werte ausgewählter Länder

Auffallend ist der hohe Wert (LTO 83) für Deutschland. Er rührt vor allem daher, dass Deutschland als "pragmatisches Land" eingestuft wird. In solchen Ländern ist beispielsweise die Einteilung in "gut" und "böse" keine ewige Wahrheit, sondern sehr abhängig von Situation, Zusammenhang und Zeit.

Deutschland reicht mit seinem Langzeitorientierungs-Wert schon in die Nähe des chinesischen Wertes (LTO 87).

Ganz anders in den USA (LTO 26) wo sehr massiv in klassische Kategorien von "Gut" und "Böse" eingeteilt wird - mit klarer Auswirkung auf das konkrete Handeln. Formulierungen wie "die Achse des Bösen" haben hier ihre Wurzeln.

Da die Kulturdimension vor allem mit Blick auf konfuzianische Gesellschaften entwickelt wurde, ist der hohe Wert für China (LTO 87) verständlich. Auf Hong Kong (LTO 61) hat mit Sicherheit die starke Beziehung zu Großbritannien "abgefärbt", wo mit 51 ein deutlich geringerer Wert erhoben wurde.

Den niedrigsten erhobenen Wert findet man übrigens in Pakistan. Er wird mit 0 angegeben.

Indulgence vs. Restraint (IVR): Die Kulturdimension "Nachgiebigkeit" versus "Beherrschung"

Die Kulturdimension "Nachgiebigkeit" versus "Beherrschung" wurde als letzte entwickelt und soll hier nur der Vollständigkeit halber angeführt werden. Sie beschäftigt sich mit dem Glücklichsein. Es geht um die Frage nach Bedürfnissen und persönlichen Wünschen der Mitglieder einer Gesellschaft. Dominieren strenge soziale Regeln und Normen, nach denen die Befriedigung von Bedürfnissen reguliert wird, oder überwiegt die Kontrolle über das eigene Leben und die Bedeutung von Freizeit und Muße?

Die Kriterien im einzelnen sind folgende:.

Indulgence vs. Restraint (IVR) ("Nachgiebigkeit" versus "Beherrschung")

Nachgiebigkeit (Wert gegen 0)

Beherrschung (Wert gegen 100)

bedeutet im Blick auf generelle Normen, persönliche Empfindungen und Gesundheit:

Hoher Prozentsatz an glücklichen Menschen

Geringer Prozentsatz an glücklichen Menschen.

Man empfindet eine geringere Kontrolle über das eigene Leben.

Man empfindet eine große Kontrolle über das eigene Leben.

Hohe Bedeutung von Freundschaften

Geringere Bedeutung von Freundschaften

Niedrige Sterberate durch kardiovaskuläre Krankheiten.

Hohe Sterberate durch kardiovaskuläre Krankheiten.

bedeutet im Blick auf Privatleben, Konsum­verhalten, Sexualität und Politik:

Befürwortung von ausländischer Musik und Filmen.

Ablehnung von ausländischer Musik und Filmen.

Aufrechterhaltung der Ordnung im Land hat nicht die höchste Priorität.

Aufrechterhaltung der Ordnung im Land hat die höchste Priorität.

Lächeln als Norm.

Lächeln wird als "verdächtig" betrachtet.

Hoher Konsum von Erfrischungs­getränken und Bier.

Geringer Konsum von Erfrischungs­getränken und Bier.

Lockerer Umgang mit Geschlechter­rollen.

Strikter Umgang mit Geschlechter­rollen

 

Hofstedes Website

Die Ergebnisse der Erhebungen von Geert Hofstede lassen sich auf seiner Website einsehen und die entsprechenden Werte tagesaktuell anzeigen.

Diagramm

Geert Hofstedes Website mit der Möglichkeit
die Kulturdimensionen mehrere Länder zu vergleichen.

https://www.hofstede-insights.com/product/compare-countries/
(abgerufen am 16.7.2016)

Besonders hilfreich ist, dass sich bis zu drei Länder anschaulich mit­tels Balken-Diagram­men vergleichen lassen. Da­durch können alle sechs Kul­tur­dimensionen gleich­zeitig betrachtet und entsprechende Rück­schlüsse gezogen werden.

Darunter wird für das zu­erst ausgewählte Land ausführlich be­schrie­ben, wie die Werte der einzelnen Kulturdi­mensionen in Bezug auf dieses Land zu interpretieren sind.

Die Seite ist zu finden unter https://www.hofstede-insights.com/product/compare-countries/.

Wie bereits gesagt: Ein hilfreiches Instrument, um sich rasch einen respektablen Überblick verschaffen zu können, wenn man dabei im Hinterkopf behält, dass jede allgemeine Aussage über ein Land immer mit Vorsicht zu genießen ist. Es gibt nicht die "deutsche" Kultur. Überall finden sich unterschiedliche Gruppen und Schichten in einer Bevölkerung, verschiedene Milieus und ganz einfach je eigene Menschen.

Dies ist besonders wichtig für jede wirkliche Begegnung. Es ist immer fatal, wenn ich einem anderen gegenübertrete im Bewusstsein, genau zu wissen, wie mein Gegenüber "eben tickt". Begegnung gelingt fast immer nur dann, wenn ich mich dem anderen wirklich öffne und ihn als den nehme, der er wirklich ist: als jemanden, der letztlich einzigartig ist.

Dr. Jörg Sieger

Weiter-Button Zurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Stefan Müller / Katja Gelbrich, Interkulturelle Kommunikation (München 2014) 59. Zur Anmerkung Button

2 Klaus P. Hansen, Kultur und Kulturwissenschaft - Eine Einführung (Tübingen / Basel 2. Auflage 2000), zitiert nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Geert_Hof­stede (abgerufen am 16.7.2016). Zur Anmerkung Button

3 Kritiker und Kritikpunkte sind exemplarisch zusammengefasst bei: https://de.wikipedia.org/wiki/Geert_Hof­stede (abgerufen am 16.7.2016). Zur Anmerkung Button

4 Vgl.: Stefan Müller / Katja Gelbrich, Interkulturelle Kommunikation (München 2014) 62. Zur Anmerkung Button

5https://www.hofstede-insights.com/frequently-asked-questions#inoticedasignificantdropoftheusscoreonindividualism.whyisthat - abgerufen am 21.2.2024

6 Vgl.: Stefan Müller / Katja Gelbrich, Interkulturelle Kommunikation (München 2014) 67. Zur Anmerkung Button

7 Vgl.: https://www.hofstede-insights.com/frequently-asked-questions#whydidyouchangethenameofthemasdimensionfrommasculinitytomotivationtowardsachievementandsuccess - abgerufen am 21.2.2024

8 Vgl.: Stefan Müller / Katja Gelbrich, Interkulturelle Kommunikation (München 2014) 65. Zur Anmerkung Button

9 Stefan Müller / Katja Gelbrich, Interkulturelle Kommunikation (München 2014) 65. Zur Anmerkung Button