Interkulturelle Kompetenz
Herausforderung für unsere Gesellschaft
Verhältnis zur Gerechtigkeit
- Was ist überhaupt gerecht?
- Welche Ungerechtigkeiten nimmt man hin?
- Begründungsversuche
- Religiöse Prägungen
- Weil es so ist ...
Wie steht es um die Gerechtigkeit? Was wird in einer Gesellschaft als gerecht betrachtet und was als ungerecht empfunden?
Sind alle vor dem Gesetz gleich oder werden Ungleichheiten hingenommen? Wie geht man mit Vorschriften um?
Hier ist es häufig nicht ganz einfach die Zusammenhänge unvoreingenommen in den Blick zu nehmen. Schließlich werden sich die meisten selbst für gerecht halten. Zumindest kennen wir so etwas wie ein "gesundes Gerechtigkeitsempfinden". Und vor allem in einem Rechtsstaat wie Deutschland sind wir es gewohnt, die eigene Gesellschaft als "gerecht" zu betrachten.
Was ist überhaupt gerecht?
Dabei verkennen wir häufig, dass die Vorstellungen von Gerechtigkeit sehr unterschiedlich sein können. So wurde bis ins 18. Jahrhundert hinein das Halten von Sklaven in den meisten Gesellschaften als völlig unproblematisch empfunden. Und während bei uns die Todesstrafe gemeinhin als unmenschlich empfunden wird, geht man in einigen amerikanischen Staaten davon aus, dass die Gerechtigkeit bei bestimmten Verbrechen genau diese Strafe fordert.
Welche Ungerechtigkeiten nimmt man hin?
© Kai Kühne
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
Hinzu kommt, dass man nicht selten zwar darum weiß, dass bestimmte Verhaltensweisen in einer Gesellschaft eigentlich als ungerecht bewertet werden. In einigen Zusammenhängen werden solche Ungerechtigkeiten aber hingenommen und einfach akzeptiert.
Dass Frauen in der Regel weniger verdienen als Männer, wird bei uns eigentlich als Ungerechtigkeit betrachtet. Aber es handelt sich dabei um eine Ungerechtigkeit, gegen die kaum vehement opponiert wird. Man nimmt diesen Umstand meist unwidersprochen als gegeben hin.
In einigen Gesellschaften begegnet man solchen Hinnahmen von offensichtlichen Ungerechtigkeiten häufiger als in anderen. Von daher sind Menschen in unterschiedlichen Gesellschaften, im Blick auf ihr Gerechtigkeitsempfinden auch je eigen geprägt.
Begründungsversuche
Warum es solche Unterschiede gibt und weshalb sie hinzunehmen sind, ist kaum zu begründen. Sachliche oder objektive Gründe sind letztlich nicht zu finden. So wird, wenn solche Begründungsversuche unternommen werden, sehr oft religiös argumentiert. Beispielsweise gibt es keine wirklichen Argumente dafür, warum Frauen in Saudi-Arabien nicht Auto fahren dürfen. Von daher sucht man dort die Begründungen dafür in der Religion.
Religiöse Prägungen
In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass nicht selten Verhaltensregeln, die in anderen Kulturräumen nicht verstanden werden, religiösen Hintergrund haben. Die Religion, die eine Gesellschaft, eine Gruppe, einen Ort geprägt hat, hat große Auswirkungen auf die entstanden Bräuche, Traditionen und unausgesprochenen Regeln, genauso wie auf die inneren, unter- und unbewussten Orientierungen.
So hat in vorwiegend römisch-katholisch geprägten Gesellschaften die Praxis der Sündenvergebung durch die Beichte ihre ganz eigenen Spuren hinterlassen. Wo jede Schuld, egal wie groß sie auch sein mag, immer wieder doch noch einmal vergeben werden kann, geht man möglicherweise auf Dauer mit Vorschriften großzügiger um als anderswo - eine Eigenschaft, der man in südeuropäischen und romanischen Ländern stärker begegnet als im eher protestantisch geprägten europäischen Norden.
Weil es so ist ...
© ADAC-Motorsport
Mit freundlicher Genehmigung der ADAC-Bildredaktion
Warum manches hingenommen wird und anderes nicht, weshalb in einigen Fällen etwas genau so sein muss, in anderen Fällen das gleiche Verhalten aber abgelehnt wird, wird vielfach aber erst gar nicht wirklich begründet. So, wie es ist, ist man es gewohnt, und genauso, wie man es gewohnt ist, wird ein Verhalten oder eine Bewertung einfach ungefragt übernommen.
Dies fällt häufig erst dann auf, wenn jemand wagt, Dinge anders zu sehen oder sie auch nur zu hinterfragen.
So etwa, wie jenes kleine Mädchen, das vor dem Fernseher stand, als bei der Übertragung eines Autorennens der Reporter davon sprach, dass Sebastian V. als Schnellster im Training von der Pole-Position starten würde. "Warum darf der denn von ganz vorne starten", meinte das Kind, "der ist doch der Schnellste gewesen. Müsste da nicht der Langsamste als Erster starten dürfen?"
Eine wirkliche Begründung wird man dem Mädchen kaum geben können. Beim Motorsport ist das eben so. Beim Pferderennen würde es bei uns wohl kaum hingenommen werden, wenn das Pferd, das als schnellstes gilt, vor allen anderen starten dürfte. Dort legt man Wert darauf, dass alle gleichzeitig von derselben Linie aus starten.
Dahinter stehen Prägungen durch gesellschaftliche Konventionen, die wir von klein an erfahren haben und die etwas über unseren Standpunkt in diesem vieldimensionalen kulturellen Raum aussagen.
Die letzten Beispiele verweisen dabei bereits auf die nächste "kulturelle Orientierung": auf das Verhältnis zum Wettbewerb nämlich.
Dr. Jörg Sieger