Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Die verkündenden und belehrenden Gattungen

Nun kommen wir zur dritten großen Gattungsgruppe, nämlich den verkündenden und belehrenden Gattungen.

1. Das Orakel ⋅1⋅

Zunächst einmal gibt es hier das sogenannte "Orakel" der Priester.

Gerade in der vorexilischen Zeit besteht die Aufgabe der Priester ja nur in geringem Maß in der Darbringung von Opfern. Hauptsächliche Aufgabe der Priester ist es, die Bitten und Fragen der Besucher des Heiligtums zu beantworten. Sie erteilen also eine quasi göttliche Antwort, die das Geschick bestimmt, oder sie erteilen eine göttliche Weisung, die das Leben regelt.

Aber nicht nur bei Priestern konnte man solche Orakel einholen. Es gab hier vereinzelt auch "Laien", die solche Orakelsprüche erteilten. Dabei wurden regelrechte Orakeltechniken angewandt.

a. Die Orakeltechnik

Geier

Geier am Golan.

Foto-Button© Katholisches Bibelwerk Linz, Kapuzinerstr. 84, A-4020 Linz

Wir haben in den Texten des Alten Testamentes gelegentliche Hinweise oder Anspielungen auf solche altorientalischen Praktiken, die selbst­redend in Israel nicht erlaubt, aber dennoch präsent waren:

  • das Erlangen von Omi­na durch die Beo­bachtung des Vogel­flu­ges (Gen 15,11),
  • die Beobachtung des Wassers im Becher (Gen 44,5),
  • das Einholen eines göttlichen Bescheides durch das Beobachten des Ausschlagens und Grünens von Pflanzen oder Stäben im Heiligtum (Num 17,16ff),
  • die Beobachtung des wechselnden Geräuschs des Windes in den Bäumen (2 Sam 5,22ff),
  • auch Orakelstäbe (Hos 4,12) wurden verwandt.
  • Die Übernachtung am Heiligtum (Inkubation) brachte wertvolle Aufschlüsse im Traum (Gen 28,10-22; 1 Sam 3; 1 Kön 3,5ff).
  • Auch das Beschwören von Totengeistern wurde trotz Verbots ausgeübt und selbst als legitim verteidigt (1 Sam 28,7ff; Jes 8,19).
  • Zudem sind fremde Orakeltechniken wie die Leberschau und das Pfeilorakel bekannt (Ez 21,26).

Die wichtigste israelitische Form und einzig legitime Technik ist das Losorakel Urim und Tummim. ⋅2⋅

Der Gottheit musste eine mit Ja oder Nein zu beantwortende Frage vorgelegt werden, worauf das Erscheinen des ersten Orakels eine negative Antwort אוּרִים [">urim"], vermutlich von ארר [">rr"]: ("verfluchen"), das des zweiten eine positive Antwort bedeutete תֻּמִּים ["tummim"] vielleicht von תמם ["tmm"] ("unsträflich", "vollkommen", und dann auch: "unschuldig").

Die ursprüngliche Bedeutung der Ausdrücke "verflucht" und "unschuldig" lässt vermuten, dass man sich dieses Orakels zunächst zur Klärung von Rechtsfällen bedient hat.

b. Die Form des Orakelsspruches

Die Form des Orakelsspruches besteht beim Losorakel einfach in der Bejahung oder Verneinung der gestellten Frage. Dies ist besonders in der Zeit Sauls und Davids vorauszusetzen (1 Sam 23,2. 11).

Man verwendete auch stehende liturgische Formeln, die nicht auf eine besondere Situation eingingen, sondern allgemeingültig verwendbar waren, etwa:

"Geh hin in Frieden! Der Gott Israels wird dir geben, was du von ihm erbeten hast." (1 Sam 1,17.)

Manchmal war diese einfache Form unzureichend und eine genauere Anweisung erforderlich. Ein solche genauere Anweisung wird in 2 Sam 5,23-24 gegeben.

In solchen Fällen kann das Orakel eine metrische Gliederung erhalten. Ein Beispiel hierfür ist das, einem Priesterspruch nachgebildete Orakel für Rebekka in Gen 25,23.

Die volle Form des späteren positiven Orakels, also des priesterlichen Heilsorakels, wird - nach Analogie der von Deuterojesaja verwendeten prophetischen Heilsworte - folgende Elemente umfasst haben:

  • die Zusage des göttlichen Eingreifens für den Hilfesuchenden
  • die Angabe der Folge des göttlichen Eingreifens
  • und die Angabe des Zwecks, den Jahwes Erhörung verfolgt.

Solche Orakel sind in einigen Psalmen vorauszusetzen. Hier fällt nämlich auf, dass unvermittelt nach Klage und Bitte der Dank einsetzt. Man muss solche Psalmen als Formulare denken. Nachdem der Hilfesuchende also mithilfe dieses Formulares seine Klage und seine Bitte, also sein Anliegen, vorgebracht hatte, wurde das priesterliche Heilsorakel gesprochen. Danach wurde dann der Dankteil des Psalmes gebetet. Das Heilsorakel ist also als Begründung für den Dankteil des Psalmes mitzudenken.

c. Der Orakelsspruch als Jahwe-Rede

In der Bibel begegnen eine Reihe Orakelsprüche, die direkt als Jahwe-Reden formuliert sind.

Diese sind häufig in der ersten Person gehalten. Gelegentlich spricht man von Jahwe aber auch in der dritten Person (Ps 20,7; 85,9ff). ⋅3⋅

2. Das Ordal ⋅4⋅

Eine vor allem priesterliche Aufgabe ist die Prüfung verdächtiger Handlungen. Sie geschieht durch das Ordal, das Gottesurteil.

Dabei kann mit Hilfe des Losorakels ein unbekannter Täter ermittelt werden (Jos 7,14ff).

Ferner ermittelt man die behauptete Schuld durch ein technisches Verfahren, z. B. ein Trankordal. Beim Verdacht ehelicher Untreue fand dieses beispielsweise Verwendung (Num 5,11ff). Lag tatsächlich ein Vergehen vor, so sollte der Fluch wirksam werden und auf diese Weise Schuld oder Unschuld im Gottesurteil ans Licht kommen.

Schließlich ist es möglich, die Unschuld durch Reinigungseid und Selbstverwünschung zu beweisen (Ps 7,4ff; Ijob 31). Dazu verwendete man die Schwurformel, die in sich ja eine abgekürzte Selbstverwünschung darstellt.

Dies zeigt noch einmal wie sehr man von der Wirksamkeit eines Fluches überzeugt war.

3. Die Tora ⋅5⋅

Die mündlich erteilte Weisung, die Auskunft und die Belehrung des Priesters an den Laien über eine konkrete Frage oder Lage nennt man Tora. Durch sie sollte das Begehen einer fluchbedrohten Handlung verhindert oder segenswirkende Handlungen erreicht werden. Die priesterliche Tätigkeit auf diesem Gebiet ist von größter Bedeutung gewesen.

a. Die kultische Tora

Hier ist zunächst die kultische Tora zu nennen. Sie belehrt über Fragen, die das kultische Verhalten betreffen, sagt also zum Beispiel ob etwas rein oder unrein, heilig oder profan ist.

  • So holt Haggai - freilich für einen eigenen Zweck - die Tora der Priester über die Ansteckungsfähigkeit kultischer Reinheit und Unreinheit ein (Hag 2,10-14).
  • In Sach 7 wird an die Priester die Frage gerichtet, ob man das Fasten zum Gedenken an die Eroberung Jerusalems weiterhin halten solle. (Sach 7,1-3; 8,18-19)
  • Und in Jes 1,10-17, Jes 33,14-16 und Mi 6,6-8 liegen prophetische Nachahmungen vor.

Gerade in Jes 1,10 dürfte dabei eine Formel überliefert worden sein, mit der der Torabescheid üblicherweise eingeleitet wurde. Als Adressat ist hier Sodom und Gomorra eingesetzt:

"Hört das Wort Jahwes, ihr Sodomführer!
Vernimm die Weisung unseres Gottes, du Gomorravolk!" (Jes 1,10.)

b. Die Einzugstora oder Toraliturgie

Eine besondere Form der Tora ist die Einzugstora oder Toraliturgie. Sie prüft, ob die für den Einlass ins Heiligtum gestellten Bedingungen erfüllt sind.

Diese Bedingungen können dabei in einem richtiggehenden "Beichtspiegel" aufgeführt sein. So ist es etwa in Ps 15 und Ps 24,3-6 der Fall.

Als Bedingungen sind hier in der Regel ethische Bedingungen genannt.

Gerade Psalm 15 dürfte das typische Schema aufweisen ⋅6⋅:

  • Frage des Eintreffenden an den Priester,
  • Antwort des Priesters (Tora)
  • Verheißung des Priesters

c. Die Rechtstora

Sicherlich haben die Priester in allgemeinen Rechtsfragen ebenfalls Auskunft und Weisung erteilt, so dass man von einer Rechtstora sprechen kann.

Der Unwissende wurde auf diese Art belehrt. Auch ein an den Priester herangetragener schwieriger und unklarer Rechtsfall wurde so gelöst.

Auf diese Weise konnte durch die gefällten Urteile wie auch sonst im Alten Orient sogar neues Recht entstehen.

4. Die Kultordnung und das Priesterwissen ⋅7⋅

Ein weiterer Punkt in der Reihe der verkündenden und belehrenden Gattungen ist die Kultordnung und das Priesterwissen. Sie standen als ständige Hilfsmittel für die priesterliche Tätigkeit zur Verfügung und dienten nicht zuletzt der Ausbildung der jungen Priester.

Kultordnungen, wie sie in den Büchern Levitikus und Numeri verarbeitet sind, belehren über die Tätigkeit des Priesters oder legen die Maßstäbe fest, nach denen er zu urteilen hat.

Sie enthalten unter anderem Vorschriften

  • über die Opferarten,
  • über das Erkennen und die Behandlung von Hautkrankheiten
  • sowie über reine und unreine Tiere oder Zustände.

Im heutigen Textzusammenhang werden sie meist als eine Jahwe-Rede an Mose dargestellt. Aus dieser Einkleidung lassen sie sich jedoch mühelos herausnehmen.

Entfernt man die entsprechende Einleitungsformel und wandelt die Anrede bzw. die 2. Person in die 3. Person um, so erhält man vielfach die ursprüngliche Form.

Zudem sind mehrfach Über- oder Unterschriften beigefügt, die die Abtrennung erleichtern (z. B. Lev 6,2. 7. 18).

So ergeben sich eine ganze Reihe von Dienstanweisungen, die dem lebendigen Vollzug des Kultes entstammen und in ihrem Kern wenigstens teilweise aus der vorexilischen Zeit herrühren.

Darüber hinaus gibt es weitere Belehrungen und Anweisungen. Sie unterschieden sich von den Kultordnungen dadurch, dass sie kleine Einzelstücke darstellen, die zu Sammlungen aneinandergereiht worden sind ohne formal und sachlich zusammenzuhängen.

Diese Belehrungen und Anordnungen sind gleichfalls für die Priester bestimmt und Ausschnitte aus dem priesterlichen Berufswissen. Ein Beispiel hierfür stellt Lev 11-15 dar.

5. Billigung, Ablehnung oder Vorwurf ⋅8⋅

Abschließend in dieser Reihe der verkündenden und belehrenden Gattungen sind Formeln des täglichen Lebens anzuführen, die Billigung, Ablehnung oder Vorwurf verkünden oder darüber belehren.

Die billigende Feststellung, dass eine Sache zweckmäßig und tauglich ist, geschieht zum Beispiel ganz einfach durch das Wort "gut" (Gen 1,31; Jes 41,7).

Die Billigung eines Vorschlages geschieht durch den Satz: "Die Sache ist gut" (Dtn 1,14). ⋅9⋅

Daneben findet sich die Missbilligung durch die verneinten Formen "es ist nicht recht" (1 Sam 26,16) oder "so etwas tut man nicht" (Gen 34,7), letzteres auch mit dem Zusatz "so etwas tut man nicht in Israel" (2 Sam 13,12). ⋅10⋅

In diese Reihe gehört auch die entschiedene Ablehnung, die häufig durch die Frage "Was habe ich mit dir zu schaffen?" (Ri 11,12; 1 Kön 17,18) ausgedrückt wird.

Einen Vorwurf drücken die Fragen aus: "Was tust du?" bzw. "Was hast du getan?"

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 83-85. Zur Anmerkung Button

2 Der Priester Abjatar, dem Massaker Sauls entkommen, brachte die Lose Urim und Tummim mit zu David, und dieser ließ sich durch Losentscheid leiten. Doch müssen sie bald danach ihre Bedeutung verloren haben. Wahrscheinlich konnte sich schon in alttestamentlicher Zeit niemand mehr so recht vorstellen, wie diese altertümlichen Gerätschaften aussahen. In der Nachexilszeit jedenfalls sind Urim und Tummim nur noch Schmuck auf dem Brustschild des Hohenpriesters.
(Vgl.: Annemarie Ohler, Grundwissen Altes Testament (Stuttgart 1987) II/108.) Zur Anmerkung Button

3 Außerdem treten Anspielungen auf die Erscheinung Gottes, die Theophanie, auf (Gen 17,1; 26,24; 28,13; 46,3), der sodann unter der Voraussetzung, dass sie beim Menschen stets Furcht und Schrecken hervorruft, die Mahnung "Fürchte dich nicht!" folgt.
(Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 85.) Zur Anmerkung Button

4 Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 85. Zur Anmerkung Button

5 Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 85-86. Zur Anmerkung Button

6 Nach solchem Vorbild wurden auch die Weisungen über die Bedingungen für das Verhältnis zwischen Jahwe und Israel geschaffen, die in liturgieartigem Rahmen erteilt wurden. Beispiele hierfür sind Ps 50; 81 und 95.
Von der Gattung abgeleitet ist noch die Warntafel, die Nichtjuden das Betreten des Jerusalemer Tempels in der Spätzeit verbot.
(Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 86.) Zur Anmerkung Button

7 Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 86. Zur Anmerkung Button

8 Vgl.: Georg Fohrer, Einleitung in das Alte Testament (Heidelberg 12. Auflage 1979) 86-87. Zur Anmerkung Button

9 Das kann einfach im Sinne des zu erwartenden Erfolges ausgesprochen werden (Vgl.: 2 Sam 15,3.) Zur Anmerkung Button

10 In erweiterter Form Gen 20,9. Zur Anmerkung Button