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Weiter-ButtonZurück-Button Der alttestamentliche Kanon zur Zeit der Kirchenväter ⋅1⋅

Auch zur Zeit der frühen Kirchenväter kann man wohl noch nicht von einem feststehenden Septuaginta-Kanon ausgehen. Aber auch wenn die genaue Reihenfolge und Anzahl der Schriften des griechischen Alten Testamentes noch nicht endgültig feststand, so muss man doch zur Kenntnis nehmen, dass die Kirchenväter wie selbstverständlich diese griechische Übersetzung als Heilige Schrift zitieren.

1. Zeugnisse für die Anerkennung der deuterokanonischen Schriften durch die Kirchenväter

Dabei ist auch wichtig, dass die Kirchenväter von frühester Zeit an auch die sogenannten deuterokanonischen Bücher des Alten Testamentes als festen Bestandteil der Schrift betrachten.

  • So verwenden Polykarp (gest. 155 n. Chr.), Klemens von Alexandrien (gest. 215 n. Chr.) und Origenes (gest. 254 n. Chr.) das Buch Tobit.
  • Das Buch Judit wird von Klemens von Rom (gest. um 120 n. Chr.) und von Klemens von Alexandrien (gest. 215 n. Chr.) zitiert.
  • Die Verwendung des Buches der Weisheit ist bei Irenäus (gest. 202 n. Chr.) belegt.
  • Die Doctrina Apostolica (um 120 n. Chr.) und der sogenannte Pseudo-Clemens zitieren Jesus Sirach.
  • Baruch wird von Irenäus (gest. 202 n. Chr.) und Klemens von Alexandrien benutzt.
  • Die Verwendung des in der Vulgata als 6. Kapitel des Baruch-Buches gezählten Jeremia-Briefes ist bei Tertullian (gest. 240 n. Chr.) bezeugt.
  • Das 1. Makkabäer-Buch zitieren Tertullian (gest. 240 n. Chr.) und Hippolyth,
  • das 2. Makkabäer-Buch der "Hirt des Hermas" (um 140-155 n. Chr.) und Origenes (gest. 254 n. Chr.).
  • Die Ester-Zusätze sind bei Klemens von Rom belegt,
  • und die Daniel-Zusätze werden von Justinus (um 167 n. Chr.), Irenäus (gest. 202 n. Chr.) und Origenes (gest. 254 n. Chr.) zitiert. Origenes verteidigt Dan 13 sogar ausdrücklich.

Für die Zeit um 400 n. Chr. ist dann endgültig klar, dass im christlichen Bereich die deuterokanonischen Schriften volle Autorität besaßen. In keiner der alten Septuaginta-Handschriften fehlen sie.

2. Die Kirchenväter und die apokryphen Schriften

Dabei können wir auch bei den Kirchenvätern und den alten Septuaginta-Handschriften ein Phänomen feststellen, das wir bereits in den neutestamentlichen Schriften beobachtet haben.

Auch die frühen Kirchenväter zitieren zum Teil aus apokryphen Schriften - und das dann eben auch auf die gleiche Art, wie sie ansonsten aus der Schrift zu zitieren pflegen. So wird

  • das Henoch-Buch im Barnabas-Brief zitiert.
  • Eldad und Medad werden im sogenannten "Hirt des Hermas" verwendet,
  • während die Himmelfahrt des Mose von Klemens von Rom benutzt wird.
  • Das Gebet des Manasse wird in den sogenannten apostolischen Konstitutionen verwandt,
  • die Himmelfahrt Jesajas zitiert Justin,
  • das 3. Esra-Buch Origenes
  • und das 4. Esra-Buch der Barnabas-Brief und Klemens von Rom.
  • Das 3. und 4. Makkabäer-Buch findet dann Verwendung im Werk des sogenannten Pseudo-Athanasius.

Auch die ältesten Septuaginta-Handschriften enthielten noch die ein oder andere apokryphe Schrift:

  • der Codex Sinaiticus überliefert das 4. Makkabäer-Buch,
  • der Codex Alexandrinus überliefert Ps 151, die Psalmen Salomos sowie das 3. und 4. Makkabäer-Buch.

Zur Zeit der großen Kirchenväter, ist aber das Ansehen dieser apokryphen Schriften - zumindest in der Reichskirche - so gut wie restlos geschwunden.

3. Apokryphe Schriften, die sich in Teilen der Christenheit - zumindest zeitweise - halten konnten

Eine gewisse Ausnahme macht lediglich das 4. Esra-Buch. Dieses Buch ist eine Apokalypse von hoher religiöser Qualität. Sie wird noch heute im Anhang mancher Vulgata-Ausgaben abgedruckt.

Auch in den abgespaltenen orientalischen Kirchen haben sich einige apokryphe Schriften länger erhalten.

  • Die Baruch-Apokalypse genoss in der syrischen Kirche lange hohes Ansehen
  • und die äthiopische Kirche zählt noch heute das Henoch-Buch zu den kanonischen Schriften des Alten Testamentes.

In der übrigen frühen Christenheit konnten sich aber mit fortschreitender Zeit über die Schriften des hebräischen Kanons hinaus lediglich die bekannten sieben deuterokanonischen Bücher des Alten Testamentes und die einschlägigen Zusätze zum Ester- und Daniel-Buch als kanonische Schriften durchsetzen.

4. Die Diskussion um den kanonischen Charakter der deuterokanonischen Schriften

Diese Schriften wurden nun immer wieder zum Streitobjekt zwischen Juden und Christen. So machten im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. Kirchenschriftsteller und Kirchenväter den Juden ab und an den Vorwurf, sie hätten verschiedene Schriften, also unsere deuterokanonischen Bücher, eigenmächtig aus dem Schriftenkanon ausgeschieden. Justin ist hier etwa zu nennen.

Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Schriften auch innerkirchlich durchaus umstritten waren. Bei einigen Kirchenvätern, vor allem im Osten, wurde der kanonische Anspruch der deuterokanonischen Bücher glattweg bestritten.

Es handelt sich dabei um Nachwirkungen des jüdisch-palästinischen Kanons, die bei den Kirchenvätern des Ostens keineswegs verwunderlich sind. Sie waren ja ganz besonders mit der jüdischen Tradition vertraut.

a. Melito von Sardes

Melito von Sardes etwa, der vor 195 n. Chr. starb, führt in seinem Brief an Onesimus nur die Schriften des jüdischen Kanons auf.

Gerade bei ihm ist aber unklar, ob er hier lediglich den jüdischen Kanon referiert oder ob er tatsächlich positiv durch seine Aufzählung sagen möchte, dass er nur diese Schriften zum Alten Testament zählt.

b. Origenes

Ganz schwierig ist die Haltung des Origenes (gest. 254 n. Chr.) zu umreißen. Einerseits verteidigte er energisch die Autorität der deuterokanonischen Schriften, wie etwa das 13. Kapitel des Daniel-Buches, und lehnte die alleinige Geltung des jüdischen Kanons ganz entschieden ab.

Andererseits hing er selbst aber dem kleineren, also dem palästinisch-jüdischen Kanon an und kommentierte so etwa auch keine deuterokanonische Schrift.

Vermutlich urteilt Goettsberger demnach recht treffend, wenn er zusammenfassend sagt:

"Die kirchliche Überlieferung drängte Origenes also eine Praxis auf, die mit seiner Kanontheorie im Widerspruch stand." ⋅2⋅

c. Athanasius

Ähnlich schwierig wie die Haltung des Origenes ist die Einstellung des Athanasius, der im Jahre 373 n. Chr. gestorben ist.

Er kennt nur 22 Bücher, die zur Begründung der Lehre dienen, also offensichtlich nur die Schriften des jüdisch-palästinischen Kanons.

Darüber hinaus gibt es für ihn aber eine zweite Gruppe von Schriften. Sie erachtet er zwar nicht als kanonisch, sie könnten aber durchaus als Lesebücher verwendet werden. Dies sind für ihn die Bücher

  • Weisheit,
  • Sirach,
  • Ester,
  • Judit,
  • Tobit,
  • die Didache
  • und der "Hirt des Hermas".

Die dritte Gruppe wären dann nach Athanasius die echten Apokryphen, also Schriften, die weder kanonisch noch nützlich zu lesen seien.

Die Haltung des Athanasius ist also - ähnlich wie die des Origenes - nicht übermäßig radikal. Völlig ablehnend stehen beide den deuterokanonischen Schriften offensichtlich nicht gegenüber.

d. Cyrill von Jerusalem

Ganz eindeutig ist nun die Haltung Cyrills von Jerusalem (gest. 386 n. Chr.). Außer den protokanonischen Büchern verzeichnet er in seinem Kanonverzeichnis lediglich das Buch Baruch und den Jeremia-Brief. Alle übrigen Bücher betrachtet er nicht als kanonisch.

Während Cyrill in der Theorie hier ganz klare Aussagen macht, deckt sich seine Praxis damit nicht völlig. Auch Cyrill von Jerusalem verwendet offensichtlich die deuterokanonischen Schriften.

e. Epiphanius von Salamis

Genauso wie bei Cyrill von Jerusalem so sind auch bei Epiphanius von Salamis (gest. 403 n. Chr.) Praxis und Theorie nicht ganz zur Deckung zu bringen. Epiphanius ist zwar stark von der jüdischen Tradition beeinflusst, offensichtlich sind aber auch bei ihm die Bücher Weisheit und Sirach nützlich zu lesen.

f. Gregor von Nazianz

Auch Gregor von Nazianz (gest. 390 n. Chr.) verwendet in der Praxis deuterokanonische Bücher. Andererseits sagt er aber, dass als sicherster Kanon die 22 Bücher des jüdischen Alten Testamentes anzusehen seien.

g. Das Partikularkonzil von Laodizea

Wie schon Cyrill von Jerusalem so bezeugt auch der 60. Kanon des Partikularkonzils von Laodizea, das um 360 n. Chr. anzusetzen ist, außer den protokanonischen Schriften nur noch das Buch Baruch und den sogenannten Jeremia-Brief als kanonisch.

Dies ist ein weiteres Anzeichen dafür, dass die Deuterocanonica zur Zeit des 4. Jahrhunderts n. Chr. in Kleinasien umstritten waren.

Auf die Praxis der Gesamtkirche kann man von hier aus allerdings noch keinen Schluss ziehen. Festzuhalten ist aber auf jeden Fall, dass vom Osten her angeregt, dann auch im Westen hier und da Zweifel an der Kanonizität der deuterokanonischen Schriften auftauchen.

h. Hilarius von Poitiers

Vor allem Hilarius von Poitiers (gest. 366 n. Chr.) und Rufinus sind hier zu nennen.

Hilarius kennt 22 alttestamentliche Bücher, inklusive des sogenannten Jeremia-Briefes. An anderer Stelle gibt er aber zu erkennen, dass er darüber hinaus auch Tobit und Judit hinzurechnen möchte.

i. Rufinus

Rufinus (gest. 410 n. Chr.) unterscheidet - ähnlich wie schon Athanasius - 22 kanonische und in Glaubenssachen beweiskräftige Bücher und auf der anderen Seite weitere "libri ecclesiastici", die zwar keine Beweiskraft hätten, aber in der Kirche vorgelesen werden dürften. Er nennt hier die Bücher Weisheit, Sirach, Tobit, Judit und Makkabäer.

Als dritte Gruppe nennt auch er dann die apokryphen, also alle übrigen Schriften.

Sowohl bei Rufin als auch schon bei Hilarius decken sich Theorie und Praxis jedoch nicht. In der Praxis haben beide ganz klar deuterokanonische Schriften auf die gleiche Art wie die kanonischen Schriften verwendet.

j. Hieronymus

Eine besondere Rolle spielt in unserem Zusammenhang der Kirchenvater Hieronymus (gest. 420 n. Chr.). Er war ja des Hebräischen kundig und verkehrte mit einer Reihe jüdischer Rabbiner. Das macht seine Haltung verständlich.

Vor allem er prägt nämlich die Vorstellung von der "hebraica veritas", das heißt, er war der Überzeugung, dass die Juden als Angehörige des alttestamentlichen Gottesvolkes am ehesten für die Frage nach dem Umfang des alttestamentlichen Kanons kompetent seien. Die Kirche müsse daher auch die jüdische Tradition bezüglich des Alten Testamentes übernehmen.

In seinem berühmten "Prologus galeatus", was soviel bedeutet wie "geharnischter Prolog" hat er sich ausdrücklich gegen die Kanonizität der deuterokanonischen Schriften des Alten Testamentes ausgesprochen:

"quidquid extra hos est, inter apokrypha ponendum"

Was sich also außerhalb dieser Schriften, das heißt der protokanonischen Schriften findet, sei unter die Apokryphen zu zählen. Über die Bücher Weisheit, Sirach, Judit und Tobit schreibt er ausdrücklich:

"non sunt in canonem".

Er sagt über diese und alle, in seinen Augen apokryphen Schriften weiter:

"ecclesia legat [sc. eos] ad aedificationem plebis, non ad auctoritatem ecclesiasticorum dogmatum confirmandam"

Was soviel bedeutet wie, dass die Kirche diese Schriften zur Erbauung des Volkes lesen möge, sie aber nicht zum Beweisen der Autorität kirchlicher Glaubenssätze verwenden könne.

Allerdings verrät Hieronymus auch, dass seine Abneigung gegen diese Deuterocanonica von anderen Theologen der damaligen Zeit nicht geteilt wurde. So entschuldigt er sich gleichsam dafür, dass er das Buch Tobit übersetzt hat. Er gibt an, dass ihn kirchliche Männer dazu gedrängt hätten. Offensichtlich wurde er also aus Kreisen, die Tobit sehr wohl für kanonisch hielten, dazu veranlasst, auch dieses Buch zu übersetzen.

Darüber hinaus schreibt er:

"Melius esse iudicans Pharisaeorum sisplicere iudicio et episcoporum iussionibus deservire"

Also, es sei besser, dem Urteil der Pharisäer zu missfallen und den Befehlen der Bischöfe zu folgen. Hieronymus stellt also seine eigene theologische Überzeugung hintan, wenn Differenzen zwischen ihm und den Bischöfen bestehen.

Damit wird selbst Hieronymus ein unfreiwilliger Zeuge für die damalige kanonische Geltung der von ihm abgelehnten deuterokanonischen Bücher.

Auch kann man Hieronymus selbst in seiner Beantwortung der Kanonfrage Inkonsequenz vorwerfen. Bisweilen zitiert er die deuterokanonischen Bücher. Solche Zitate führt er sogar ab und an mit den Worten ein:

"dicente Scriptura sancta",

also etwa "wie die Schrift sagt". So sehr stand vermutlich auch er unter dem Eindruck seiner Zeit, in der die Deuterocanonica anscheinend bereits zur allgemeinen Geltung gelangt waren.

k. Theodor von Mopsuestia

Nach Hieronymus sind nur noch ganz wenige Namen zu nennen. Es sind dies meist Kirchenväter bzw. Kirchenschriftsteller, die im Osten beheimatet waren. In diese Reihe gehört etwa der Theologe Theodor von Mopsuestia (gest. 428 n. Chr.), dessen Lehren im übrigen verurteilt wurden.

Er geht sogar noch weit über die Ablehnung der Deuterocanonica hinaus und bezeichnet auch die Bücher

  • Ijob,
  • Hoheslied,
  • Sprüche,
  • Kohelet,
  • 1 und 2 Chronik,
  • Esra,
  • Nehemia
  • und Ester

als nicht kanonisch.

l. Junilius Africanus

Den Spuren des Theodor von Mopsuestia folgte Junilius Africanus (gest. um 551 n. Chr.). Im Unterschied zu Theodor hielt er jedoch das Buch Sirach noch für kanonisch.

m. Leontius von Byzanz

Auch Leontius von Byzanz (gest. 543 n. Chr.) scheidet das Ester-Buch und die deuterokanonischen Schriften aus dem Kanon aus.

n. Johannes Damascenus

Kritisch gegenüber den deuterokanonischen Schriften hat sich im übrigen auch Johannes Damascenus (gest. 754 n. Chr.) geäußert. Er steht nun am Ende der Reihe der griechischen Kirchenväter.

o. Gregor der Große und die Väter der lateinischen Kirche

Im Westen fällt in dieser Zeit nur noch die Haltung Papst Gregors des Großen (gest. 604 n. Chr.) auf. Er betrachtete anscheinend das 1. Makkabäer-Buch nur als ein Erbauungsbuch.

Ansonsten gab es bei den Vätern der lateinischen Kirche kaum solche Skrupel hinsichtlich der Kanonizität der Deuterocanonica.

Augustinus verteidigte sie sogar mit Vehemenz gegen Hieronymus, mit dem er in verschiedener Hinsicht nicht übereinstimmte.

Auch die genannten Kirchenschriftsteller der östlichen Kirche befanden sich mit ihrer Auffassung insgesamt in der Minorität. Dies wurde ja schon in der Auseinandersetzung mit Hieronymus deutlich. Dementsprechend ist es äußerst schwierig, diese Aussagen als Zeugnisse der vorherrschenden Auffassung in den entsprechenden Teilkirchen zu werten. Eine Ausnahme dürften hier lediglich die Schriften Cyrills von Jerusalem sein.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Lothar Ruppert, Einleitung in das Alte Testament (Teil I) - autorisierte Vorlesungsmitschrift (WS 1984/85) 31-41. Zur Anmerkung Button

2 Johann Goettsberger, Einleitung in das Alte Testament (Freiburg 1928) 379. Zur Anmerkung Button