Die Bibel

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Weiter-ButtonZurück-Button Die Verfasserfrage des Pentateuch - Zweifel an der mosaischen Verfasserschaft ⋅1⋅

Neben der Frage, welches wohl der ursprüngliche Text war, beherrschte bald eine zweite Frage die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Bibel. Diese Frage wird dann sogar zum eigentlichen Auslöser der späteren wissenschaftlichen Auseinandersetzung um den Pentateuch und letztendlich sogar um die ganze Bibel überhaupt.

Es handelt sich hier um die Frage nach dem Verfasser und dem Zeitpunkt der Abfassung des Textes der sogenannten fünf Bücher Mose. Diese Frage ist die Grundfrage der sogenannten "Literarkritik". Nach der Textkritik setzt nun also die Literarkritik ein, die literarkritische Auseinandersetzung mit dem Text.

Um die Entwicklung der Literarkritik richtig verstehen zu können, müssen wir uns zunächst einmal aber etwas ausgiebiger mit der Frage nach dem eigentlichen Verfasser des Pentateuchs - das ist der wissenschaftliche Ausdruck für die ersten fünf Bücher der Bibel - beschäftigen.

1. Vorbermerkung

Im Volksmund wird ja immer von den fünf Büchern Mose gesprochen. Damit ist intendiert, dass Mose die ersten fünf Bücher der Bibel selbst verfasst habe.

Wenn man den Pentateuch aber zur Hand nimmt, dann fällt auf, dass sich in ihm nirgends eine Notiz über einen Verfasser findet. Davon, dass ihn Mose geschrieben habe, ist dann natürlich erst recht keine Rede.

Jeder kennt aber die Tradition, dass Mose den Pentateuch verfasst habe. Wenn diese Überlieferung aber nicht schon in den Büchern selbst verwurzelt ist, wo kommt sie dann her?

Wenn wir genau hinsehen, dann können wir feststellen, dass die Tradition von der Verfasserschaft des Mose verhältnismäßig jung ist. In Israel gilt Mose erst nach Ende der babylonischen Gefangenschaft als Verfasser des Pentateuchs. Zeugnisse dafür gibt es erst aus der Zeit nach 520 v. Chr. Eines davon findet sich beispielsweise im 3. Kapitel des Maleachi-Buches:

"Denket an das Gesetz des Mose, meines Knechtes, das ich ihm für ganz Israel am Horeb aufgetragen habe, an die Gebote und Satzungen." (Mal 3,22.)

In Esra 3,2 heißt es:

"Es erhoben sich Jeschua, der Sohn Jozadaks, und seine Brüder sowie Serubbabel, der Sohn Schealtiels, und seine Brüder und bauten den Altar des Gottes Israels auf, um auf ihm Brandopfer darzubringen, wie es im Gesetz des Gottesmannes Mose geschrieben steht." (Esra 3,2.)

Noch eine Reihe weiterer Stellen ließen sich hier anführen.

Ausdrücklich vertreten dann Philo von Alexandrien, der um 40 n. Chr. starb , Flavius Josephus - gestorben nach 100 n. Chr. - sowie der babylonische Talmud die Überzeugung, dass Mose den Pentateuch geschrieben habe.

Auch im Neuen Testament finden sich Hinweise auf diese Überzeugung. So heißt es im 19. Kapitel des Matthäusevangeliums:

"Da sagten sie zu ihm: "Wozu hat dann Mose vorgeschrieben, einen Scheidebrief auszustellen und (sie) zu entlassen?" Er antwortete ihnen: "Wegen eurer Herzenshärte hat Mose euch erlaubt, eure Frau zu entlassen. Ursprünglich aber war es nicht so..."" (Mt 19,7-8.)

Und noch ausdrücklicher heißt es Mk 12,26:

"Was aber die Toten angeht, dass sie auferweckt werden, habt ihr nicht im Buche Mose, in der Geschichte vom Dornbusch gelesen, wie Gott zu ihm sprach: 'Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs'?" (Mk 12,26.)

Wir können also festhalten, dass erst nach dem babylonischen Exil die Überzeugung gewachsen ist, dass Mose den Pentateuch verfasst habe. Über die zeitgenössische jüdische Auffassung ist diese Vorstellung dann auch in die neutestamentliche Tradition hineingewandert. Von daher ging diese Überlieferung dann auch in die Tradition der Kirche ein.

Auch wenn man seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. nun aber dieser Überzeugung gewesen ist und selbst wenn diese Tradition dann bis ins 19. Jahrhundert und teilweise sogar bis ins 20. Jahrhundert hineinreicht, so kann sie vor der historischen Forschung kaum bestehen. Bei genauerem Hinsehen gibt es eine Fülle von Auffälligkeiten, die Zweifel an der Verfasserschaft des Mose wecken.

2. Die Art und Weise, wie über Mose gesprochen wird

Zum ersten ist es die Art und Weise, wie über Mose gesprochen wird. Der Verfasser erzählt von Mose stets in der dritten Person.

Dies könnte man jetzt noch als Stilmittel hinnehmen, zusammen mit den anderen Hinweisen ist es jedoch ein nicht unwichtiges Indiz.

3. Geographische Angaben

Ausgrabungen in Jericho

Jericho - Reste der 10.000 Jahre alten Stadt.

Foto-ButtonLizenz: Deror_avi, Jericho Neolitic Tower P1190755, CC BY-SA 3.0

Es finden sich nämlich zusätzlich eine Reihe geographischer Anga­ben, die nicht zum Lebensraum des Mose passen:

  • so heißt es bei der Eroberung des Ostjor­danlandes im Buch Numeri:
    "Alsdann zogen die Israeliten weiter und lagerten sich in den Steppen Moabs jen­seits des Jordans bei Jericho." (Num 22,1)
    So kann aber nur jemand schreiben, der das Land Moab im Ostjordanland von westlich des Jordan aus betrachtet, also vom späteren Israel aus. Mose ist nach dem Zeugnis des Pentateuchs allerdings nicht bis nach Kanaan, also nicht ins Land westlich des Jordan gekommen. Er kann demnach das Land östlich des Jordan auch kaum als "Land jenseits des Jordans" bezeichnet haben.
    Auch in Gen 50,10f und Dtn 1,1. 5 wird auf diese Weise vom Ostjordanland gesprochen.
    Wieso sollte Mose diese Formulierungen gebraucht haben?
  • Wenn die westliche Himmelsrichtung gemeint ist, wird gerne der Ausdruck יָמָּה ["jammah"] (= "gegen das Meer") verwandt. Das stimmt, wenn ich vom späteren Land Israel aus in Richtung Meer schaue. Von der Sinai-Halbinsel aus bedeutet, "gegen das Meer" aber keineswegs die im Text gemeinte westliche, sondern die nördliche Himmelsrichtung. Auch das ist ein Hinweis darauf, dass der Verfasser in Palästina zu suchen sein dürfte.

Hier liegen also unsaubere geographische Angaben vor, die ein Festhalten an der Verfasserschaft des Mose schwierig machen.

4. Unpassende zeitliche Angaben

Hinzu kommen eine Reihe unpassender zeitlicher Angaben.

  • Im Kapitel 12 der Genesis heißt es beispielsweise:
    "Abram zog durch das Land bis zur Stätte von Sichem, bis zur Orakeleiche. Die Kanaaniter waren damals im Land." (Gen 12,6)
    Und Gen 13,7 heißt es:
    "Zwischen den Hirten Abrams und den Hirten Lots kam es zum Streit; auch siedelten damals noch die Kanaaniter und die Perisiter (damals) im Land." (Gen 13,7)
    Das Wort damals in diesen Versen setzt voraus, dass zur Zeit der Abfassung dieser Zustand nicht mehr gegeben war. Es wird also aus einer späteren Zeit auf diese Ereignisse zurückgeblickt. Zur Zeit des Mose waren die Kananiter und Perisiter aber im Lande. Das Wort "damals" wäre hier - bei einer Abfassung durch Mose - also unsinnig.
    Dies ist ein Punkt, an dem sich im übrigen auch schon die Rabbiner des Mittelalters störten.
  • Ebenso unpassend ist Dtn 3,11. Dort heißt es:
    "Denn nur Og, der König von Baschan, war noch übrig von den letzten Rephaitern; sein Bett (Sarg), ein Bett aus Eisen, steht noch in Rabba der Ammoniter , neun Ellen lang und vier Ellen breit, in gewöhnlicher Elle gemessen." (Dtn 3,11)
    Der Sarg des Og wird hier wie ein sehenswürdiges Altertum beschrieben. Dies ist er zur Zeit des Mose mit Sicherheit noch nicht gewesen.
  • Der weite Abstand, der bei der Abfassung des Pentateuchs bereits zwischen dem damaligen heute und der Zeit des Mose geherrscht haben muss, wird auch in Dtn 34,10 deutlich. Hier heißt es:
    "In Israel aber stand fortan kein Prophet mehr auf wie Mose, mit dem Jahwe von Angesicht zu Angesicht verkehrt hätte." (Dtn 34,10)
    Aus dieser Formulierung lässt sich schließen, dass bereits auf eine längere Zeit seit dem Tod des Mose zurückgeblickt wird.
  • Auch der Satz:
    "Die Könige, die in Edom regierten, bevor bei den Israeliten ein König regierte, waren folgende: ..." (Gen 36,31)
    kann schwerlich von Mose sein. Könige gab es in Israel erst Hunderte von Jahren nach Mose.
  • Dementsprechend wird man auch Schwierigkeiten haben, das sogenannte Königsgesetz in Dtn 17,14-20 auf Mose zurückzuführen. Wie hätte Mose Anweisungen für die Wahl von Königen treffen sollen. Hätte er es getan, hätte es mit Sicherheit bei der Einsetzung des ersten Königs in Israel keine solchen Widerstände gegeben.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkung

1 Vgl.: Lothar Ruppert, Einleitung in das Alte Testament (Teil I) - autorisierte Vorlesungsmitschrift (WS 1984/85) 65-66. Zur Anmerkung Button