Der Isenheimer Altar

und seine Botschaft


Zurück-Button Zur Geschichte des Antoniter-Ordens

Durch die rasch wachsende Zahl auswärtiger Niederlassungen waren die Hospitalbrüder des Heiligen Antonius gezwungen, Zuständigkeitsgrenzen ihrer Häuser einzurichten. Es wurde geregelt, welches Haus in welchem Gebiet für die Versorgung der am 'Antoniusfeuer' Erkrankten zuständig war. Damit verbunden war natürlich auch, dass den entsprechenden Niederlassungen die Einkünfte aus "ihrem" Territorium zustanden.

Balleien und Präzeptoreien

Außenaufnahme

Saint Antoine l'Abbaye - Das Hôpital Sainte Jacques.

Foto: Jörg Sieger, August 2006

Man orientierte sich offenbar an den ritterlichen Spitalorden und nannte nach deren Vorbild die unterste Organisationseinheit "Ballei". Die Grenze einer solchen Einheit stimmte in der Regel mit schon bestehenden kirchlichen Verwaltungsbezirken - einer Diözese, einem Distrikt, Archidiakonat oder Dekanat - überein.

Jeweils einem Bruder wurde die Leitung einer selbständigen Außenstelle übertragen. Einen solchen Leiter bezeichnete man im Laufe der Zeit mit der Amtsbezeichnung "Präzeptor", wovon dann der Name "Präzeptorei" für die Niederlassungen der Antoniter abgeleite wurde. Dieser Begriff löste langsam die ursprünglichere Bezeichnung "Antoniushaus" ab und stand für eine oder auch mehrere Balleien.

Vor allem in Deutschland waren meist mehrere Balleien zu einer Präzeptorei zusammengefasst. Dabei bestanden die einzelnen Balleien oft nur aus einem gemieteten "Terminierhaus", das neben der Unterkunft des "Balleiers" - also des Beauftragten des Präzeptors - einen Vorratsraum für die Antoniusgaben und manchmal auch noch ein "Miniaturspital" für die am Antoniusfeuer Erkrankten umfasste.

Im Laufe der Zeit wurden die einzelne Präzeptoreien zu Generalpräzeptoreien. Sie konnten dann sogenannte 'Praeceptoriae subditae' unter sich haben, mussten aber nicht. Insgesamt 42 dieser Generalpräzeptoreien zählte man.

Erstmals greifbar wurde ihre Zahl und die streng eingehaltene Rangordnung in den Reformstatuten von 1478. Es ist aber durchaus möglich, dass sie bereits auf das Generalkapitel von 1323 in Alais zurückging.

Saint-Antoine zwischen Antonitern und Benediktinern

Die Hospitaliten des Heiligen Antonius waren somit zu einer gut durchorganisierten Gemeinschaft geworden, die den größten Teil der abendländischen Christenheit umspannte. In allen Kreisen der Bevölkerung genoss sie hohes Ansehen.

In Saint-Antoine, dem Gründungsort selbst, stand die Gemeinschaft allerdings lange Zeit noch ganz in der Abhängigkeit von den Benediktinern.

Die "Meister" der Bruderschaft und die auswärtigen Präzeptoren waren schon längst Priester, Meister Burnon de Lens bestieg 1205 den bischöflichen Stuhl von Viviers. Die Antoniusbrüder in Saint-Antoine hingegen hatten nicht einmal eine eigene Kapelle. Die Benediktiner, die in Saint-Antonine ein Priorat unterhielten, gestatten dies erst im Jahre 1209 und dann auch nur unter einer Reihe von restriktiven Bedingungen. Die Erlaubnis zur Anlage eines eigenen Friedhofes ließ noch einmal ein Vierteljahrhundert auf sich warten.

Weitere Schritte zur vollen Unabhängigkeit der Gemeinschaft in Saint-Antoine folgten erst unter dem großen Freund und Gönner der Antoniter, Papst Innozenz IV. (1243-1254). Durch nicht weniger als fünf Bullen förderte er die Sammlungen der Antoniusboten - eine der Haupteinnahmequellen der Bruderschaft -, stellte die Gemeinschaft unter päpstlichen Schutz und zwar mit allen ihren Häusern - also auch dem Mutterhaus in Saint-Antoine - und gestattete am 22. April 1247 der Gemeinschaft in der 'Domus pauperum Sancti Antonii', in ihrem Hause einen Konvent zu bilden und nach der Regel des Heiligen Augustinus zu leben. Die Statuten des Jahres 1232 waren hingegen noch stark benediktinisch beeinflusst gewesen.

Ab jetzt wurden der Magister und die Brüder vom Hospital des hl. Antonius, wie sie offiziell noch weiter hießen, vom Heiligen Stuhl als ein selbständiger Orden betrachtet.

Der erste Ordensgeschichtsschreiber, Aymar Falco, spricht zwar davon, dass schon im Jahre 1218 Papst Honorius III. den Orden bestätigt habe, dies entspricht aber eher dem Wunschdenken des Ordens. Quellenmäßig lässt es sich nicht belegen.

Der Kampf um die Gebeine des Heiligen Antonius

Nachdem der Orden seine Bestätigung erhalten hatte, fehlte den Antoniusbrüdern eigentlich nur noch eines: Die Gebeine ihre Ordenspatrons. Sie waren immer noch im Besitz der Benediktiner von Montmajour. Der seit 1274 amtierende Spitalmeister Aymon de Montagne unternahm das Werk, die Reliquien in den Besitz des Ordens zu bringen, vermutlich mit Rückendeckung und moralischer Unterstützung seines Bruders Geoffroy, der nach hohen Stellen im Orden schließlich von 1264 bis 1300 den Bischofsstuhl von Turin innehatte. Es begann ein trickreiches Unternehmen, in dessen Verlauf es zur Vertreibung der Benediktiner und zu blutigen Kämpfen kam. Der gesamte Adel des Viennois war in die Vorgänge verstrickt. Die Antoniter blieben Sieger. Ein Schiedsspruch des Jahres 1292 der obersten Autoritäten des Landes, des Dauphins und des Erzbischofs von Vienne sprach ihnen die Antonius-Reliquien zu. Nachdem derselbe von den Benediktinern jedoch nicht restlos akzeptiert worden war, legte man die Angelegenheit 1296 dem Papst in Rom zur endgültigen Entscheidung vor.

Am 10. Juni 1297 erließ Papst Bonifaz VIII., der sich schon als Kardinal mit der Materie befasst hatte, die Bulle 'Ad apostolice dignitatis apicem': Die Benediktiner des Kloster St. Peter in Montmajour mussten sämtliche Angehörige ihres Ordens aus der Außenstelle in der Dauphine zurückziehen und das Priorat den Antonitern übergeben. Für die Benediktiner war dies nicht zuletzt ein ungeheurer finanzielle Verlust. Das Pfründeeinkommen des Priors von Saint-Antoine war das zweithöchste in der ganzen Erzdiözese Vienne. Die Antoniter hatten als Ausgleich den Mönchen von Montmajour Güter in den vier südfranzösischen Kirchenprovinzen Embrun, Aix, Alres und Narbonne zu übereignen.

Gründung des Chorherrenordens und der Abtei Saint-Antoine

In der Folge wurde das Priorat, welches nun mit dem Hospital vereinigt wurde, samt allen Außenstellen zur Abtei erhoben und direkt dem Römischen Stuhl unterstellt. Diesem war ein jährlicher Zensus von einer Mark zu entrichten. Das Recht der Bestätigung oder Ablehnung des vom Konvent in Saint-Antoine zusammen mit den gerade anwesenden Präzeptoren zu wählenden Abtes behielt sich der Papst vor.

Inneanaufnahme nach Osten

Saint Antoine l'Abbaye - Inneres der Abteikirche.

Foto: Jörg Sieger, August 2006

30 Kanoniker sollte der Konvent zählen. Der bisherige Spitalmeister erhielt nun den Titel 'Abt'. Die Antoniusbrüder in aller Welt wurden fortan "Canonici" oder "Fratres monasterii Sancti Antonii" genannt, auch wenn sie das Mutterhaus in Saint-Antoine nie gesehen hatten.

Demnach bestand der Orden, der weiter nach der Augustinusregel lebte, eigentlich nur aus einem einzigen Kloster, nämlich dem Mutterhaus in Saint-Antoine. Alle Außenstellen waren lediglich Glieder "Membra" des einzigen Klosters Saint-Antoine. Sie hatten rechtlich keinen selbständigen Charakter und waren nicht einmal befugt, ein Ordenssiegel zu führen.

Ein äußerst zentralistisch organisierter Orden war entstanden, der ein Unikum in der ganzen Kirchengeschichte darstellt. Er vereinigte die verschiedensten Ordensgattungen in sich:

"Chorgebet und Konventamt übernahmen die Antoniter von den Chorherrenorden, mit den übrigen Spitalorden hatten sie die Krankenpflege gemeinsam, und mit ihren regelmäßigen und systematischen Sammlungen behielten sie dieses für alle Bettelorden charakteristische Element bei. Es mußte eine schwierige Aufgabe sein, die verschiedenen Komponenten auch nur einigermaßen im Gleichgewicht zu halten. Wenn auch die Gründungsbulle der Abtei und ihren Membra ausdrücklich vorschrieb, daß sämtliche Güter des Ordens einzig im Dienst der Hospitalitas zu stehen hätten, so setzten sich doch im Lauf der Zeit die Züge der Chorherren als die beherrschenden durch."
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In der Folge wurden neue Statuten und die wichtigsten Ämter des Ordens geschaffen bzw. den neuen Verhältnissen angepasst.

Die wichtigsten Männer nach dem Abt waren der Kloster- oder Großprior sowie der Cellerar, dem die Verwaltung der Güter und die Verteilung der Lebensmittel und der Almosen zukam. Nachdem im Jahr 1323 mit dem Amt des Cellerars die reichste Außenstelle der Antoniter, nämlich die Präzeptorei Ranverso, die den gesamten oberitalienischen Raum umfasste, verbunden wurde, war die Stellung desselben noch bedeutender geworden, als sie eh schon gewesen war. Sowohl Cellerar als auch Klosterprior wurden direkt vom Abt ernannt. Auch die Ernennung der Generalpräzeptoren behielt sich der Abt vor.

Finanzielle Probleme

Aufgrund des Jahrzehnte langen Streites um Saint-Antoine hatte sich eine ungeheure Schuldensumme angehäuft, deren Tilgung eine der schwierigsten Aufgaben wurde. Bereits auf dem Generalkapitel von 1254 erlegte man allen Präzeptoreien eine jährlich zu errichtende Abgabe an das Mutterhaus auf: die sogenannte "Pension". Sie reichte allerdings nicht aus, die ständig größer werdenden Bedürfnisse der Ordenszentale zu decken. Schon 1270 kann man deshalb eine "Taille" nachweisen, eine Abgabe, die für außerordentliche Ordensbedürfnisse gedacht worden war, die sich innerhalb von zwanzig Jahren manchmal verdoppelte, da und dort sogar auf das Zehnfache erhöht wurde. Nichtsdestoweniger betrug die Schuldenlast beim Tod Aymons, des letzten Spitalmeisters und ersten Abtes, im Jahre 1316 mehr als 40 000 Goldgulden.

Ausbreitung des Ordens und Niedergang

In diese Zeit fiel eine große Ausbreitungswelle des Ordens. Nach 1270 entstanden die Häuser in Mailand und Neapel, in Lyon und Drauz (Dravec, Darócz) in der heutigen Slowakei (damals Oberungarn). Auch die Entstehung der deutschen Generalpräzeptoreien in Lichtenburg bei Prettin, Freiburg i. Br, und Isenheim fällt in diese Zeit. Selbstverständlich spielte die Niederlassung der Antoniter in Rom, die ebenfalls in dieser Zeit gegründet wurde, eine besondere Rolle. Sie befand sich bis zur Inkorporation in den Malteserorden (1776/77) unmittelbar neben Santa Maria Maggiore und ist heute Sitz des Collegium Russicum.

Den Orden, der nun über ganz Europa verbreitet war, zusammenzuhalten, war alles andere als einfach. Allem Anschein nach traf man schon unter dem zweiten Abt, Ponce de Layrar (1316-1328) die Regelung, die Präzeptorenstellen, vor allem die außerhalb der Romania, nur mit Franzosen zu besetzen. Dieselben kamen sogar überwiegend aus der Dauphiné und den angrenzenden Provinzen. Damit versuchte man vermutlich den zentrifugalen Tendenzen entgegenzuwirken. Nichtfranzösische Präzeptoren - wie sie in den früheren Zeiten durchaus vorgekommen waren - tauchen erst im 15. Jahrhundert, als deutlich greifbare Folge des großen abendländischen Schismas, wieder auf.

Außenansicht

Saint Antoine l'Abbaye - Teil der gewaltigen Klosteranlage.

Foto: Jörg Sieger, August 2006

Allen äußeren Konflikten und inneren Schwierigkeiten, die bereits 1367 zu einer ersten Ordensreform geführt hatten, zum Trotz, verdichteten die Antoniter, in der Folge das Netz ihrer Filialen und dehnten es weiter aus - auch nach ihrer Konstituierung als Chorherrengemeinschaft. Noch 1514 wurde in Lennewarden bei Riga die jüngste Antoniterniederlassung gegründet. Von Schottland bis nach Siebenbürgen, von Portugal bis nach Lettland reichten nun die Antoniterhäuser.

Wenige Jahre später jedoch überrollte die Reformation auch den Antoniterorden. Die intensive mittelalterliche Antoniusverehrung ging ihrem Ende entgegen und weite Teile des stolzen Ordensbaus begannen einzustürzen.

Zurück-Button Literaturhinweise

Die Hintergründe beleuchten:
Adalbert Mischlewski, Grundzüge der Geschichte des Antoniterordens bis zum Ausgang des 15. Jahrhunderts (Unter besonderer Berücksichtigung von Leben und Wirken des Petrus Mitte de Capraris). (= Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte 8) (Köln, Wien 1976)
Adalbert Mischlewski, Die Antoniter und Isenheim, in: Max Seidel, Mathis Gothart Nithart Grünewald, Der Isenheimer Altar (Stuttgart 1973) 256-266, 281-288. Hier besonders 257-259 und 282-283.

Anmerkung

1 Adalbert Mischlewski, Die Antoniter und Isenheim, in: Max Seidel, Mathis Gothart Nithart Grünewald, Der Isenheimer Altar, (Stuttgart 1973) 258. Zur Anmerkung Button