Unser Glaube

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Weiter-Button Zurück-Button "Wären eure Sünden auch rot wie Scharlach, sie sollen weiß werden wie Schnee." (Jes 1,18) - Schuld und Sünde

Ist Gott wirklich barmherzig? Er verbietet doch und er bestraft. Wem vergibt er und wem nicht? Führt er manche in den Himmel und verdammt andere auf ewig? Was ist Schuld und wie gehe ich damit um?


Der Bericht vom Sündenfall (vgl. Gen 3) ist bekannt. Die meisten werden diese Erzählung vom Fall des Menschen, vom Einzug der Sünde in die Schöpfung schon oft gehört haben.

Aber was war das denn für eine Sünde? Was für einen Fehler haben die Menschen damals gemacht? Was ist denn die eigentliche Sünde, die Ur-Sünde des Menschen?

Die klassische Antwort greift zu kurz

Die meisten werden auf diese Fragen antworten: Er hat von der Frucht des Baumes gegessen und das war verboten. Er hat dem Gebot des Herrn nicht gehorcht. Seine Sünde ist sein Ungehorsam.

Ungehorsam als Ursünde des Menschen. Mit dieser Antwort würden wir nicht einmal alleine stehen. Bis heute ist es genau so in theologischen Handbüchern nachzulesen. Und auch der neue Erwachsenenkatechismus beschreibt es so: Die Ursünde des Menschen, das ist der Ungehorsam.

Aber auch wenn es immer wieder so geschrieben und verkündet wird, wird es dadurch nicht richtiger. Die Sache mit dem Ungehorsam greift im Grunde viel zu kurz. Und deshalb eröffnet diese Antwort auch nur einen kleinen Teil dessen, was die Bibel mit Sünde meint.

Ein gefährliches Gottesbild

Noch viel schlimmer ist, dass uns diese Vorstellung vom Ungehorsam als der eigentlichen Sünde, zu einem ganz gefährlichen Gottesbild führt. Sie erweckt den Anschein, als ob Gott einfach irgendwelche Gebote erlässt - die uns sinnvoll erscheinen oder auch nicht. Es entsteht der Eindruck, als ob dieser Gott dann nichts anderes zu tun habe, als darüber zu wachen, ob sich der Mensch auch wirklich nach diesen Geboten richtet - und wenn nicht, dann wird er unbarmherzig bestraft.

Als ob Gott nichts anderes zu tun hätte, als uns das Essen von irgendwelchen Bäumen zu verbieten! Als ob Gott daran gelegen wäre, jedwede Übertretung seines Gebotes grausam zu bestrafen!

Was wird wirklich erzählt?

Um wirklich erfassen zu können, was gemeint ist, müssen wir uns den Bericht vom "Sündenfall" ein wenig genauer anschauen: Was wird denn eigentlich erzählt?

Gott pflanzt einen Garten mit allerlei lieblichen Früchten. Und er tut dies für den Menschen, den er mitten in diesen Garten hineinsetzt. Nur eine Frucht in diesem Garten ist anscheinend nicht gut für den Menschen. Es ist die Frucht eines Baumes, der den bezeichnenden Namen "Baum der Erkenntnis von Gut und Böse" trägt.

Was aber hat es mit diesem seltsamen Baum auf sich?

Was ist "Gut und Böse"?

Wenn wir "Erkenntnis von Gut und Böse" hören, dann scheint auf den ersten Blick völlig klar zu sein, was damit gemeint ist. Erkenntnis von Gut und Böse - darunter verstehen wir, dass man erkennen kann, was richtig und was falsch ist.

Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es sich hierbei um einen hebräischen Ausdruck handelt. Für den Hebräer bezeichnen Gut und Böse in diesem Bild nicht irgendwelche moralischen Qualitäten. Gut und Böse meint zunächst einmal alles, was zwischen Gut und Böse liegt. Das ist so ähnlich, wie wenn wir "Groß und Klein" sagen oder "dick und dünn" oder auch "Jung und Alt". Gutes und Böses meint demnach schlichtweg alles. Es geht um die Erkenntnis von allem - von Gut und Böse eben.

Von der Erkenntnis

Und auch das hebräische Wort für Erkenntnis meint nicht das, was wir mit intellektueller Erkenntnis bezeichnen. Erkenntnis ist für den Hebräer viel mehr.

Wenn ich etwas erkenne, dann erfasse ich die Sache, die ich vor mir habe; dann weiß ich, was sich mit dieser Sache anstellen lässt. Dann verfüge ich über die Fähigkeit, mit dieser Sache etwas zu tun - bis dahin, dass ich dieses dann auch wirklich mache.

Nicht umsonst sagt der Hebräer, dass Adam seine Frau "erkannte". Adam hat Eva keiner intellektuellen Betrachtung unterzogen. Sie haben ganz einfach entdeckt, was sie miteinander tun konnten - und daraus entstand dann ein Kind.

"Erkenntnis von Gut und Böse" ist in der Vorstellungswelt der Hebräer demnach so etwas wie die Fähigkeit, mit Gut und Böse - mit allem also - etwas anfangen zu können - mit allem etwas machen zu können.

Sein wie Gott

Und der Baum der Erkenntnis ist dann gleichsam die Quelle all der Früchte, die es mir ermöglichen, mit allem etwas zu machen - letztlich mit allem zu machen, was ich will. Wenn ich diesen Baum habe und davon esse, dann kann ich immer und überall machen, was ich will - kein Wunder, dass die Schrift sagt: das heißt, zu sein wie Gott.

Ein Weg in den Untergang

Dieses "Sein-Wollen wie Gott", mit allem anzufangen, was man will, mit der Welt nach eigenem Gutdünken umzugehen, das heißt vom "Baum der Erkenntnis von Gut und Böse" zu essen.

Aber das ist nicht gut für den Menschen. Das tötet ihn, das ist ein Unterfangen, das unweigerlich in den Untergang, in die Katastrophe führt. Nichts anderes möchte uns diese biblische Erzählung sagen.

"Du kannst von diesen Früchten essen, du kannst versuchen, mit der ganzen Welt nach Gutdünken zu verfahren, aber du musst dir dabei im Klaren sein, dass dies unausweichlich in die Katastrophe führt. Wenn du wirklich nur noch tust, was du willst, dann führt das zu Tod und Untergang. Das ist nicht gut für Dich! Tu es nicht! Iss nicht von dieser Frucht!"

Diese Warnung gibt Gott seinem Geschöpf mit. Sich von der Verantwortung vor Gott loszuketten, selbst alles in die Hände nehmen zu wollen, vom "Baum der Erkenntnis von Gut und Böse" zu essen, das ist nicht gut für den Menschen.

Die Rolle der Schlange

Aber genau dieses Verbot "wurmt" den Menschen nun - so schildert es der biblische Bericht in einem wunderbaren Bild. Es "wurmt" den Menschen! Ein "Wurm", eine Schlange meldet sich.

Natürlich wird mancher jetzt fragen, was für eine Schlange das genau gewesen ist! Die Tradition unserer Theologie sieht hinter ihr schließlich den Teufel. Dieses Sprechen und die damit verbundenen Vorstellungen sind für viele Menschen heute aber nur noch schwer nachvollziehbar. War das der Teufel? Gibt es den überhaupt?

Ich möchte ganz offen sprechen: Ich weiß es nicht! Ich weiß, dass es Böses in mir gibt. Ich weiß auch, dass es Böses - viel Böses sogar - in dieser Welt gibt. Und ich weiß auch, dass es viel mehr gibt, als wir mit unseren aufgeklärten Augen gemeinhin sehen.

Ob es den Bösen gibt, eine teuflische Person, den Teufel? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass der dann ganz anders sein müsste, als ihn sich unsere Märchenbücher vorstellen. Und ich weiß eines ganz sicher auch: Er ist nicht der große Gegenspieler Gottes. An Gott und seine Macht reicht niemand heran!

Und eines weiß ich ebenso: Der Verfasser dieses alten biblischen Berichtes vom Sündenfall hat an eine Gestalt wie den Teufel noch nicht gedacht - diese Vorstellung ist aus späterer Zeit. Für ihn ist es der Wurm, der sich dem Menschen gegenüber und vielleicht auch im Menschen meldet.

Alles verboten?

Und was den Menschen da wurmt, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen:

"Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?" (Gen 3,1)

Von keinem Baum! Gib dem Menschen eine Grenze vor und er wird sich nur noch eingegrenzt und begrenzt fühlen! Wenn es der Mensch nüchtern betrachtete, dann wusste er, dass es Unsinn war, was die Schlange da sprach. Natürlich durfte er von allen Bäumen essen, nur nicht von dem einen da, denn das sei nicht gut.

Der Beginn der Sünde

Und damit fing es an: Angeblich sei es nicht gut. Der Mensch beginnt das, was Gott gesagt hat, zu hinterfragen. Er beginnt zu relativieren.

Die Schlange führt es weiter: Das was Gott gesagt hat, das ist nicht richtig! Der Mensch wird nicht sterben. Es ist vielmehr gut von dieser Frucht zu essen. Gott hat dem Menschen etwas Falsches gesagt.

Und damit sind wir bei der eigentlichen Sünde angelangt. Der Mensch glaubt Gott nicht mehr: Gott meint es anscheinend nicht gut mit uns. Er will unserem Leben etwas vorenthalten. Er ist nicht Jahwe, der immer und überall nur das Beste für uns möchte. Der Mensch glaubt nicht mehr und isst. Die eigentliche Ursünde ist der Unglaube!

Und dieser Unglaube ist der Wurzelgrund aller Sünde. Niemand möchte schließlich etwas Schlechtes für sich haben. Auch wenn es nur eine kurzfristige Illusion ist: Viele bilden sich zumindest ein, einen Vorteil zu haben. Dass vieles von dem, was wir als kurzfristigen Vorteil aber erhalten, sich langfristig rächt, verdrängen wir. Wir glauben es nicht.

Gottes Verbot will uns schützen

Gott bleibt da offensichtlich nichts anderes übrig, als uns immer wieder die Augen zu öffnen - so wie es Eltern mit ihren kleinen Kindern machen: einfach immer wieder betonen, was gefährlich ist, was unser Leben am Ende nur schwerer machen wird, aufzuzeigen, wo unsere Grenzen liegen. Und Gott tut das nicht zuletzt in seiner Wegweisung, seiner "Tora". Sie ist in der ganzen Bibel enthalten und ist alles andere als ein engmaschiges Netz zur Unterdrückung des Menschen. Sie ist Hilfestellung zum Leben.

Dies machen schon die zehn Gebote deutlich: "Denke doch daran, was ich schon alles für dich getan habe, wer ich für dich bin und wie oft ich dir schon gezeigt habe, dass ich es gut mit dir meine. Denke daran, dann kannst du gar nicht anders, als dieser Wegweisung zu folgen." So muss man den hebräischen Wortlaut der Gebote Gottes zu verstehen suchen. Und so ist er auch tatsächlich wörtlich zu übersetzen. Es heißt im hebräischen Original nicht: "Du sollst nicht!" Es heißt vielmehr: "Du wirst nicht."

Sinngemäß könnte man dementsprechend übertragen: "Wenn du an all das wirklich denkst, was ich, dein Gott, für dich getan habe, dann wirst du gar keine anderen Götter neben mir haben. Und dann wirst du dir am siebten Tag die Ruhe gönnen, weil es nämlich gut für dich ist. Und dann wirst du Vater und Mutter ehren, weil Leben nur im Miteinander der Generationen gelingen kann. Und du wirst nicht töten, die Ehe brechen, stehlen und jemanden falsch beschuldigen, weil all das euer Miteinander zur Hölle machen würde. du wirst es nicht tun - wenn du mir glaubst -, weil es ganz einfach nicht gut für dich ist."

Der Mensch bestraft sich selbst

Wir wissen, dass der Mensch trotzdem immer wieder gegen Gottes Weisungen handelt - von Anfang an. Er ist wie ein Kind, das sich von der Hand der Mutter losreißt - und letztendlich vor das vorüberfahrende Auto springt. Der Unfall ist dann aber nicht die fürchterliche "Strafe" einer "rachsüchtigen" Mutter. Er ist die bittere Konsequenz des eigenen unbedachten Tuns.

Wir fügen Gott keinen Schaden zu, wenn wir seiner Wegweisung nicht folgen. Ihm macht das am wenigsten aus. Wir schaden uns selbst am meisten. Aber es schmerzt ihn! Es schmerzt ihn, wie es Eltern schmerzt, wenn sie entdecken müssen, wie wenig all die Mühe und Sorge, die sie in ihre Kinder investiert haben, am Ende gefruchtet hat, wenn sie entdecken müssen, mit wie wenig Liebe ihre Liebe erwidert wird.

Gottes Bereitschaft zu vergeben

Aber genau so, wie der Zorn liebender Eltern dahinschmilzt, wenn das Kind kommt und ehrlichen Herzens sagt: "Mama, es tut mir leid!", genau so nimmt Gott sein Geschöpf immer wieder liebevoll in die Arme und sagt gleichsam: "Du Dummerchen, warum musstest du dich auch so ungeschickt anstellen!"

Es gibt eigentlich nur zwei Ausnahmen: Wir können Gottes Vergebungsbereitschaft nicht in Anspruch nehmen, wenn wir selbst unbarmherzig sind. Deshalb sagt er, dass er uns in dem Maße vergibt, in dem auch wir bereit sind zu vergeben. Oder wie es im Vater unser heißt, wenn man es wörtlich übersetzt:

"Erlass uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern (bereits) erlassen haben!" (Mt 6,12)

Und noch eine zweite Einschränkung scheint es zu geben: Ich muss mich an Gott wenden, wenn ich seine Vergebung zugesagt bekommen will. Das Kind, das nicht zu seinen Eltern kommt, kann von diesen Eltern auch nicht in den Arm genommen werden. Wer nichts mit diesem Gott zu tun haben möchte, dem kann er auch nicht vergeben.

Aber dies scheinen die einzigen Einschränkungen zu sein, die es bei Gottes Vergebungsbereitschaft gibt. Ansonsten gilt unumschränkt, was der Prophet Hosea so großartig ins Wort gebracht hat - eine der schönsten und liebevollsten Stellen der Bibel überhaupt:

"Wie könnte ich dich preisgeben, Efraim, wie dich aufgeben, Israel? Wie könnte ich die preisgeben wie Adma, dich behandeln wie Zebojim? Mein Herz wendet sich gegen mich, mein Mitleid lodert auf. Ich will meinen glühenden Zorn nicht vollstrecken und Efraim nicht noch einmal vernichten. Denn ich bin Gott, nicht ein Mensch, der Heilige in deiner Mitte." (Hos 11,8-9)

(Dr. Jörg Sieger)

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