Unser Glaube

Ein Versuch zeitgemäßer Antworten


Weiter-Button Zurück-Button "... dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut was recht ist." (Apg 10,35) - Gibt es außerhalb der Kirche kein Heil?

Ist die Kirche wirklich "heilsnotwendig"? Ist es nicht zuerst wichtig, ein guter Mensch zu sein? Welche Rolle spielen die übrigen Weltreligionen? Soll man überhaupt Mission treiben? Was heißt Weitergabe des Glaubens, und was ist, wenn meine Kinder nicht mehr glauben wollen?


Ein Mann kommt in den Himmel. Und gleich am Eingang wird er vom heiligen Petrus empfangen. Dieser führt ihn durch die großen Hallen mit Musik und Tanz und ausgelassener Fröhlichkeit. "Das ist ja großartig", sagt der Mann, "weit prächtiger, als ich es mir je hätte träumen lassen." Im Vorbeigehen nimmt er sich etwas vom üppig angerichteten Büffet und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Da kommen sie plötzlich an ein großes Portal aus schwerem Eichenholz. Dahinter hört man eine Orgel und feierlichen gregorianischen Choral. "Was ist denn das?", fragt der Mann überrascht. "Ach, da ...", meint Petrus und zuckt leicht mit den Achseln, "... hinter dieser Tür sitzen die Katholiken. Die meinen nämlich immer noch, sie wären alleine hier!"

Nur eine Geschichte?

Ein bissiger Witz mit einem säuerlichen Beigeschmack. Jahrhundertelang wurde es schließlich genau so in der katholischen Kirche gelehrt: Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil. Wer nicht zur Kirche gehörte - und darunter verstand man natürlich allein die römisch-katholische Kirche -, der konnte nach dieser Auffassung nicht zum Heil gelangen, für den gab es eben keinen Platz im Himmel: Extra ecclesia nulla salus. - Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil.

Bonifaz VIII. und die Bulle "unam sanctam"

Ihren Höhepunkt fand die Lehre, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gebe, Anfang des 14. Jahrhunderts in der Formulierung von Papst Bonifaz VIII.. Auf dem Hintergrund der Auseinandersetzungen mit dem Kaiser und als Ausdruck seines Machtanspruchs formulierte der Papst, dass es für jede menschliche Kreatur absolut heilsnotwendig sei, dem römischen Papst untertan zu sein.

Zum Glück wurde diese Auffassung in dieser Schärfe nie mehr wiederholt. Aber in abgeschwächter Form geisterte sie bis zum letzten Konzil durch die Köpfe der katholischen Christenheit.

Das Bild von konzentrischen Kreisen

Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat man sich dann neu mit der Frage der verschiedenen Konfessionen und Religionen beschäftigt. Und man hat dabei das Bild von konzentrischen Kreisen gefunden - von weiteren, und kleineren Kreisen -, die alle den gleichen Mittelpunkt haben. Mit diesem Bild beschrieb man nun, das Verhältnis der unterschiedlichen religiösen Bekenntnisse zueinander.

Am nächsten an der Wahrheit - gleichsam in einem inneren Kreis - stünden die Christen: wobei die katholische Christenheit immer noch ein wenig näher an der Wahrheit sei als die Übrigen.

In einem nächsten Kreis stünden all die, die zwar Christus nicht erfasst, aber doch den einen Gott im Glauben erkannt haben: Juden und Muslime etwa. Dann, wieder etwas weiter von der Mitte entfernt, folgen all diejenigen, die zwar an Gott oder an Gottheiten glauben oder irgendetwas Göttliches verehren, aber nicht mehr zum einen Gott vordringen.

Und ganz außen seien in diesem Bild dann all die Menschen anzusiedeln, die an keinen Gott oder an gar nichts mehr glauben.

Der universelle Heilswille Gottes

Mihab in Cordoba

Mihrâb der ehemaligen Moschee in Cordoba.

Foto: Jörg Sieger, August 2016

Sinngemäß sagt das Konzil, dass Gott natürlich jedem Menschen - egal in welcher Religion - das Heil schenken will. Und Gott kann dies natürlich auch. Denn Gott kann sich Wege zum Herzen der Menschen bahnen, die uns völlig verborgen bleiben.

Dementsprechend hat das Konzil - ohne es wirklich ausdrücklich zu sagen - deutlich mit dem alten Grundsatz, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gäbe, gebrochen. Gott will nicht nur das Heil einiger Menschen, Gott will das Heil aller Menschen.

Weshalb verschiedene Religionen?

Nun hat sich - von dieser Überzeugung des letzten Konzils ausgehend - in der Kirche immer mehr die Frage breit gemacht, ob der Glauben und die Religionszugehörigkeit dann überhaupt noch eine Rolle spielen.

Ein Beispiel für dieses Denken

Wie sehr sich hier - bis in unsere Pastoral hinein - etwas verschoben hat, das konnte ich selbst sehr deutlich erleben, als während meiner Zeit als Studentenpfarrer in der Hochschulgemeinde ein Koreaner auftauchte. Er war als Buddhist aufgewachsen und mittlerweile über dreißig Jahre alt. Und jetzt wollte er Christ werden!

Früher hätten sich alle "auf ihn gestürzt", nur um ihn zu taufen und ihm so das Heil zu sichern. Heute hatte er erleben müssen, dass es offensichtlich gar nicht mehr so einfach ist, wenn jemand als Erwachsener Christ werden möchte. Beim ersten katholischen Pfarramt, bei dem er läutete, wurde ihm gesagt: "Ach so, Erwachsenentaufe, ach ja. Da haben wir jetzt aber gerade gar keine Aktion laufen. Da müssen Sie schon irgendwo anders hingehen!"

Und mein evangelischer Kollege scherzte damals, als ich ihm dies erzählte, und sagte: "Da hat er ja noch Glück gehabt, bei uns hätte es ihm passieren können, dass er zur Antwort bekommen hätte: 'Ach was, Buddhist sind Sie!? Das ist doch auch was Recht's, warum wollen Sie dann Christ werden?'"

Berechtigte Fragen?

Ja, warum soll denn überhaupt jemand Christ werden, wenn Gott doch wirklich jedem Menschen - egal in welcher Religion - das Heil schenken möchte? Ist es denn nicht ganz gleich, wie ich Gott verehre? Ist denn nicht wirklich die Hauptsache, dass ich ein guter Mensch bin?

Nachfolge konkretisiert sich im Tun

Stimmt! Wahrscheinlich ist es zunächst einmal die Hauptsache, ein guter Mensch zu sein! Christus wird bei seiner Wiederkunft nicht fragen: "Was hast du geglaubt und in welchen Gottesdienst bist Du gegangen?" Er wird sagen: "Ich war nackt und hungrig, und du hast mir zu essen und etwas anzuziehen gegeben!" Die Hauptsache ist es zunächst einmal, ein guter Mensch zu sein.

Nicht das, was ich sage, sondern das, was ich tue, das ist entscheidend!

Mein Glaube prägt mein Handeln

Aber mein Tun und mein Handeln - das dürfen wir nicht unterschätzen -, wird von dem geprägt, was ich glaube.

Vielleicht sind wir viel zu sehr im christlichen Geist aufgewachsen, um noch zu spüren, welche Auswirkungen unser Glaube und unsere Überzeugung auf all das haben, was wir tun und was wir für gut befinden.

Wer im Letzten davon überzeugt ist, dass Fortschritt und Gewinnmaximierung das oberste Prinzip sind, wer das persönliche Vorwärtskommen und die Karriere an die erste Stelle setzt, der wird keine Skrupel haben, "über Leichen zu gehen", und dem wird man kaum erklären können, was daran gar schlecht oder verwerflich sein soll.

Das Mitleid und die griechische Philosophie

Ein Beispiel ganz anderer Art findet sich in der griechischen Philosophie. Eine ihrer wichtigen Strömungen war davon überzeugt, dass es für den Menschen absolut wichtig sei, nach dem Wahren, dem Schönen und dem Vollkommenen zu streben. Auf diese Weise würde sich das Menschliche immer stärker diesen göttlichen Prinzipien annähern.

Da der Mensch sich auf das Gute und Starke hin auszurichten hatte, galt alles Schwache, Hässliche und Kranke als verachtenswert. Davon hatte man sich fernzuhalten. All dies sollte man aus seiner Umgebung verbannen. Mitleid, ein wichtiges Element des christlichen Glaubens, war für diese Philosophen ein Unding, ein Zeichen von Schwäche und deshalb abzulehnen. Mitleid durfte man nicht haben.

Dies ist ein wichtiges Beispiel, wie die Glaubensüberzeugung unser Tun und Handeln prägt. Die so wichtige Tugend des Mitleid-Habens ist ein Erbe des jüdisch-christlichen Denkens, ist ohne dieses nur schwer denkbar.

Ein Beispiel aus der indischen Welt

Wie stark das Verhalten des Menschen durch solche Glaubensüberzeugungen geprägt ist, das lässt sich heute sehr deutlich in der indischen Gesellschaft ablesen.

Einem Hindu klar zu machen, dass es sich darum zu bemühen gilt, Gesellschaft zu verändern, damit die Lebensbedingungen für die Ärmeren und Schwächeren verbessert werden - einen überzeugten Hindu zu motivieren: "Leg dich ins Zeug, damit sich die Situation für dich und deine Familie verbessert, damit die Gesellschaft umgekrempelt wird!" - das ist ungeheuer schwer, ja fast unmöglich.

Jemanden aufzurütteln, der von seiner Glaubensüberzeugung geradezu darauf "getrimmt" ist, die jetzigen Zustände einfach zu ertragen, weil er dann nach seiner Wiedergeburt mit einem besseren Los belohnt wird, so jemanden zu sozialpolitischem Engagement zu bewegen, ist nahezu unmöglich.

Es ist nicht unerheblich, was ich glaube

Mein Glaube prägt mein Handeln. Und deswegen ist es auch nicht ganz unerheblich, was ich glaube. Die Botschaft der Liebe, der Glaube an das Engagement Gottes für die Armen und die Schwachen hat in unseren Breiten die Welt verändert.

Und auch wenn es Jahrhunderte dauerte, bis sich die Einsicht etwa durchgesetzt hatte, dass Sklaverei für den christlichen Gott ein Gräuel ist, und auch wenn es dann noch einmal so lange dauerte, bis die Sklaverei endgültig aufgehoben wurde - ohne unseren christlichen Glauben gäbe es sie vermutlich immer noch. Dieses Beispiel kann verdeutlichen, dass es nicht unwichtig ist, was ich glaube.

Vieles in unserem Glauben ist mir persönlich so wichtig, dass ich überzeugt bin: Es würde anderen Kulturen und Denkrichtungen sehr vieles fehlen, wenn wir Christen ihnen diese Botschaft vorenthalten würden.

Die Botschaft vom "Du" Gottes

Ich denke, dass den Religionen des Ostens zum Beispiel die Botschaft fehlt, dass Gott ein Du ist, eine Person, die mich als Person liebt - so klein und schwach ich auch sein mag. Für mich kommt diese Dimension im Glauben der östlichen Religionen zu kurz. Es fehlt mir das besondere Verhältnis, das dieser persönliche Gott zu jedem einzelnen Menschen hat, und die Würde, die uns Menschen von daher zukommt.

Vielleicht ist mancher fernöstlichen Kultur ja gerade deshalb das Sprechen von der Würde des einzelnen Menschen so fremd. Hier scheint mir mit ein Grund dafür zu liegen, dass die Forderung nach den Menschenrechten häufig als westliche Bevormundung verstanden wird.

Schon deshalb müssen wir die Botschaft vom Gott, der die Menschen liebt, weitersagen und hinaustragen - weit über die Grenzen unserer Religion hinaus -, weil sie für alle Menschen wichtig ist und Bedeutung für alle hat.

Absage an den Fundamentalismus

Ich sehe, dass der Islam viel von dem beinhaltet, was auch mir an meinem Glauben wichtig ist. Ich sehe aber auch, dass manche islamische Strömung ihre Schriften so auslegt und Rückschlüsse daraus zieht, wie es christliche Theologie zuletzt im Mittelalter getan hat. Und ich kann nicht sagen, dass solch ein islamischer Fundamentalismus auf der Höhe dessen ist, was Jesus von Nazaret gepredigt und gelebt hat.

Das gilt natürlich genauso für einen christlichen Fundamentalismus, der da und dort wieder neu aufflackert. Und auch jüdischer Fundamentalismus kann sich letztlich nicht auf unseren gemeinsamen Gott berufen.

Von der bleibenden Zusage Gottes an das jüdische Volk

Ansonsten können wir uns nicht genug vor Augen führen, dass dieser Gott wirklich unser gemeinsamer Gott ist. Und dies gilt vorab für das Verhältnis der Christen zum Judentum. Darauf weist schon Paulus hin, wenn er der heidenchristlichen Gemeinde in Rom, die sich über die Juden hochnäsig zu erheben begann, schreibt: Denke daran, "nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich" (Röm 11,18). Und er betont ausdrücklich, dass Gottes Verheißung an Israel weiterhin uneingeschränkt gilt.

Jesus war Jude - und das bis zu seinem Tod. Jesus ging in den Tempel Israels, um zu seinem Vater zu beten und die Heilige Schrift, die Jesus las, war einzig das Alte Testament.

Von der Universalität des göttlichen Heilswillens

Und vielleicht hat der Mensch Jesus von Nazaret anfangs sogar gemeint, einzig und allein zu seinem - zum jüdischen - Volk gesandt zu sein. Die Einsicht in die Universalität des göttlichen Heilswillens, scheint ihm erst im Lauf seines Wirkens gekommen zu sein.

Vielleicht kann man vom Christentum als universalisiertem Judentum sprechen: einem Glauben, der in und durch Jesus Christus die Grenzen eines einzigen Gottesvolkes hin auf die ganze Menschheitsfamilie durchbrochen hat.

Diese Botschaft vom universellen Heilswillen Gottes - die Botschaft, dass er alle Menschen unterschiedslos liebt - gilt es weiterzusagen.

Der Schatz anderer Religionen und unsere eigene Tradition

Natürlich ist es genauso wichtig, hinzuschauen und hinzuhören, was andere Religionen an Schätzen in sich bergen. "Prüft alles, und behaltet das Gute", sagt der Apostel Paulus (1 Thess 5,21). Aber das darf nicht dazu führen, dass wir vergessen, welche Schätze und welchen Reichtum wir in unserem Glauben und in der Tradition unserer Kirchen selbst besitzen.

Vom wiederentdeckten Sinn der Mission

Vielleicht hat das Wort "Mission" in unseren Ohren einen so negativen Beigeschmack bekommen, weil es in der Vergangenheit allzu oft nur darum ging, Menschen zu taufen - und weil dadurch hochstehende Kulturen oft im Blick auf einen reinen Formalismus einfach "plattgewalzt" wurden.

Vielleicht gewinnt Mission wieder eine neue Bedeutung und Ausstrahlung, wenn wir nicht zuerst bei den Formen, sondern bei den Inhalten ansetzen: bei der überwältigenden Botschaft, die Jesus Christus uns hinterlassen hat, und durch das Beispiel einer ganz konkret und überzeugend gelebten Liebe. Dann kann die Überzeugungskraft unseres Glaubens wieder ganz neue Dimensionen erreichen. Und das nicht zuletzt auch bei uns.

Die eigene Gesellschaft als neues Missionsgebiet

Denn auch wir sind schon lange wieder zum Missionsland geworden: einmal schon im Blick auf die vielen Menschen, die hier bei uns einer anderen, oder gar keiner Religion mehr angehören - dann aber auch im Blick auf unsere Kinder und Jugendlichen, die mit unserem Christentum anscheinend nicht mehr so viel anfangen können.

Mission und religiöse Erziehung

Gelegentlich werde ich gefragt, was wir denn im Blick auf den Glauben der Kinder tun können. Ich kann dann gar nicht viel anderes antworten als das, was für mich auch im Blick auf andere Religionen und Erwachsene gilt: Vielleicht sollten wir auch hier nicht zuerst auf Formen achten, d. h. die Kultur, die sich die nächste Generation erst schaffen möchte, nicht gleich im Ansatz plattwalzen und ersticken.

Legen wir vielmehr Wert auf das Wesentliche. Wer Kinder christlich erziehen möchte, sollte ihnen zuallererst zeigen, dass sie geliebt sind. Vielleicht gibt es nichts Wichtigeres, was Eltern ihren Kindern mitgeben können. Woher sollten Menschen sonst je erfahren, was Liebe bedeutet, wenn sie ihnen nicht ganz am Anfang einfach geschenkt worden wäre?

Und dann gilt es vor allem, Wert auf das zu legen, was Jesus auch am wichtigsten war: die Liebe zu den Menschen. Wenn Kinder lernen ihren Mitmenschen gegenüber gütig zu sein, die Menschen zu lieben, dann ist das Wichtigste schon getan. Gott werden sie in den Menschen schon finden!

Für andere da zu sein, verlässlich zu sein, niemanden wegen Äußerlichkeiten zu verachten, sondern die Güte zu lieben: Kinder und Jugendlichen, denen dies mit auf den Lebensweg gegeben wurde, gehen ganz eng an Gottes Seite ihren Weg.

Auch wenn Kinder die Formen, in denen wir unseren Glauben leben, augenblicklich ablehnen sollten - wenn ihnen ein Bewusstsein, wie ich es eben skizziert habe, mitgegeben wurde, dann sind Samenkörner gelegt, die aufgehen werden. Auch wenn wir im Moment nichts davon zu spüren glauben, Gott bahnt sich seinen Weg zum Herzen der Menschen, manchmal früher, manchmal später - aber er tut es mit Sicherheit.

(Dr. Jörg Sieger)

Unser Glaube - Ein Versuch zeitgemäßer Antworten

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