Unser Glaube

Ein Versuch zeitgemäßer Antworten


Weiter-Button Zurück-Button "Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden..." (Mt 6,7) - Vom Beten

Warum lässt Gott sich bitten? Und muss man Beten erst lernen? Was ist, wenn ich mit Gott hadere? Ist Zweifel Sünde? Darf man wirklich um alles bitten? Vom Kuhhandel mit Gott. Was sollen Wallfahrten? Und braucht es den Rosenkranz? Wie christlich ist eigentlich die Volksfrömmigkeit? Und was für einen Sinn sollen kontemplative Orden haben?


"Tochter Babel, Verwüsterin du, gesegnet, wer dir vergilt, was du uns Böses getan! Gesegnet, wer deine Kinder ergreift und sie zerschellt an den Felsen!" (Ps 137,8-9)

Es ist kaum zu glauben, aber dieser Text ist ein Gebet. Er entstammt dem "Gebetbuch" Israels und ist darüber hinaus auch noch heilige Schrift. Er ist ein Stück des Psalters, das Ende des 137. Psalms, der auf eindrucksvolle Art und Weise mit den Worten beginnt:

"An den Strömen von Babel, da saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten." (Ps 137,1)

So beeindruckend dieser Psalm ist, so wunderbare Formulierungen er auch enthält, sein Ende ist furchterregend. Ich verstehe, dass solche Texte den modernen Menschen eher von der Bibel wegstoßen, als dass sie ihn zu ihr hinziehen.

Wut, Hass und Zorn - Wenn man nicht mehr beten kann

Ich habe diese Psalmverse aber trotzdem an den Anfang der Überlegungen über das Beten gestellt, weil wir trotz allem Erschrecken über die Brutalität dieses Textes auch etwas von ihm lernen können. Dazu möchte ich zuerst einmal zurückblenden in die Zeit des Alten Testamentes: Wir müssen uns vor Augen halten, dass der Hebräer eine viel unmittelbarere Ausdrucksweise seines Schmerzes, seines Zornes, ja selbst seines Hasses kennt als wir.

Selbst wenn wir wütend sind, wenn wir vor Trauer und Schmerz rasen und wenn wir dann noch den Mut aufbringen zu beten, gehen wir in typisch abendländischer Manier vor. Wir suchen uns zuerst wohlgesetzte Worte, überlegen uns, was man Gott gegenüber sagen kann und was nicht. Wir beten dann um die Gnade der Verzeihung, um den Frieden des Herzens, dass uns Gott die Kraft geben möge, dem anderen zu vergeben ... - und wir glauben selbst kein Wort davon.

Ich überzeichne jetzt ganz bewusst. Aber wir kämen doch nie auf die Idee, unseren Zorn Gott ins Gesicht zu schreien. Da fluchen wir lieber. Aber zu beten, wohl gemerkt zu beten "Herr, schlag doch drein!", das bringen wir nicht über die Lippen. Da sagt uns der Verstand, dass das Gott sowieso nicht tun werde, dass Gott ein Gott der Liebe ist und dass ich verstehen muss, auch wenn ich es nicht tue ...

Und die Konsequenz aus dieser Haltung ist, dass wir in solchen Situationen dann meist eben nicht mehr beten. "Ich kann jetzt nicht beten!", sagen Menschen dann. Und damit meinen sie: "Ich kann nicht um Frieden oder um Vergebung beten. Und ich kann jetzt auch nicht danken." Und wenn sie das im Augenblick eben nicht können, dann beten sie lieber gar nicht.

Vom Beten in der Bibel

Der Hebräer hat ein ganz anderes Verhältnis zu Gott. Er hat diesen Gott als "ewiges Du" - wie Martin Buber sagt - weit ernster genommen. Er kann ihm auch seine Trauer, sein Unverständnis, seinen Zorn ins Gesicht schreien. Er darf ihn anschreien und er erlebt dabei, dass Beten Befreiung sein kann.

Gott ist kein Gott, vor den ich nur "abgeklärt" treten dürfte - so nach dem Motto: "In meinem Zorn fluche ich still vor mich hin und fühle mich unheimlich schlecht dabei und wenn dann alles vorüber ist, dann kann ich wieder vor Gott treten ..."

Der Hebräer tritt vor Gott, wenn es "am dicksten" ist. Und er schleudert ihm dabei Sätze entgegen, die für unsere Ohren ungewohnt sind, die nur aus seinem Schmerz oder Zorn kommen:

"Gesegnet, wer deine Kinder ergreift und sie zerschellt an den Felsen!" (Ps 137,9)

Der Hebräer tut dies, weil er weiß, dass er Gott seinen Schmerz ins Gesicht schreien darf. Und er tut dies, weil er letztlich weiß, dass dieser aus ihm selbst herausschreiende Wunsch bei Gott am besten aufgehoben ist. Gott, der Herz und Nieren prüft, kann dieses Beten einordnen, er kann damit umgehen.

Wir lernen aus dem Beten Israels, dass wir uns wirklich in allen Situationen - selbst im rasenden Zorn - an Gott wenden dürfen.

Um was ich bitten darf

Ich kann Gott um alles bitten. Wenn ich ernst nehme, dass ich im Verhältnis zu meinem Gott wie ein kleines Kind zu seinen Eltern stehe, dann ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ich auch mit allen Bitten zu ihm kommen darf.

Ich glaube, Gott möchte das sogar. Auch Eltern liegt ja daran zu wissen, was ihr Kind bewegt. Und selbst wenn sie es schon wüssten, es würde ihnen Sorge bereiten, wenn sich ihr Kind nicht traut, mit seinem Wunsch zu ihnen zu kommen.

Soll ich Gott wirklich mit allem belästigen

Wir brauchen beim Beten keine Angst zu haben. Keiner unserer Wünsche kann so banal sein, dass wir ihn Gott gegenüber nicht sagen dürften.

Sich vorzustellen, dass ich Gott jetzt nicht belästigen dürfte, das hieße, Gott mit einem Verwaltungsbeamten zu verwechseln, der beständig über den Berg an Arbeit auf seinem Schreibtisch stöhnt. Das aber ist ein Bild, mit dem wir unserem Gott nicht gerecht werden.

Vom Kuhhandel mit Gott

Genauso falsch scheint es mir zu sein, wenn wir Gott mit einem Krämer verwechseln. Das ist immer dann der Fall, wenn wir meinen, ihm gleichsam als Bezahlung etwas versprechen zu müssen. Sie kennen sicher diese Art des Betens, bei der man sagt:

"Heiliger Antonius, wenn du mir hilfst, dass ich meinen Schlüssel wiederfinde, dann bekommst du einen schönen Betrag dafür in deinen Opferstock."

Das ist kein Beten, das ist Handeln!

Das heißt natürlich absolut nicht, dass wir uns, wenn wir das Gefühl haben, von Gott erhört worden zu sein, nicht dankbar zeigen dürften oder diesen Dank nicht mit einem entsprechenden Werk zum Ausdruck bringen könnten. Aber ein Beten, wie ich es eben skizziert habe, "riecht" doch weniger nach Dank als nach einer regelrechten Bezahlung. Wenn wir aber anfangen wollten, mit Gott zu handeln, dann wird er bestenfalls darüber lächeln.

Fehlformen der Volksfrömmigkeit

Vielleicht muss Gott sehr oft lächeln. Denn manches, was sich in unserer Volksfrömmigkeit an Formen entwickelt hat, erinnert eher an ein magisches Weltverständnis als an reifen, christlichen Glauben.

Ich möchte dem heiligen Antonius nicht zu nahe treten - und auch den vierzehn Nothelfern nicht. Sie können schließlich kaum etwas dafür, dass man mit ihnen verfährt, als wären sie irgendwelche germanische Gottheiten, denen man ein Opfer darbringt und die dann dementsprechend zu handeln haben.

Unsere sogenannte Volksfrömmigkeit hat eine Fülle von heidnischen Elementen bewahrt, die es durchaus als solche zu entlarven gilt.

Wenn aus christlichen Symbolen Magie wird

Nicht immer geht es beispielsweise bei der Verwendung von Weihwasser darum, dass wir uns daran erinnern, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft zu sein; dass wir daran glauben, von diesem Gott, an den wir uns gebunden haben, auf den Wegen unseres Lebens geleitet zu werden.

Manchmal kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Weihwasser eher wie bei einem Zauber verwendet wird. Da spuken dann Reste von Ängsten vor Geistern und Dämonen und einer falschen Teufelsangst in den Köpfen guter Christen herum, die anscheinend auch nach zweitausend Jahren Christentum immer noch nicht auszumerzen waren.

Kirche muss bei ihren Praktiken daher gut aufpassen, dass sie solche Fehlformen von Glauben - einem Glauben, der Menschen nicht befreit, sondern in Zwängen und Ängsten gefangen hält - nicht auch noch nährt. Manche fromme Übung aber steht in der Gefahr, solche zwanghaften Vorstellungen zu unterstützen.

Sinn und Unsinn der Wallfahrten

Auch Wallfahrten und Wallfahrtsorte sind von dieser Gefahr nicht ausgenommen. So wie man sich nach Techniken und Mitteln sehnt, um gleichsam einen heilbringenden Zauber zu üben, so besteht die Gefahr, dass man bestimmten Orten ganz besondere, gleichsam magische Kraft zuweist.

Das Wasser von Lourdes ist aber nicht anders und auch nicht besser als anderswo auf dieser Welt. Und wenn Gott heilt, dann heilt er nicht wegen irgendwelchen Wassers, er heilt aufgrund des Glaubens, den ihm Menschen entgegenbringen. Und Gott heilt dann, nicht das Wasser!

Wenn es dennoch Wallfahrten und Wallfahrtsorte gibt, dann hat das einen ganz anderen Sinn. Es gibt Orte, an denen Menschen die Gegenwart Gottes schon einmal deutlich spüren durften. Solche Orte empfand man von jeher als hilfreich, um sich der Nähe Gottes wieder neu bewusst zu werden. Dadurch wurde ein solcher Ort zum heiligen Ort. Er sollte Menschen helfen, sich der Gegenwart Gottes in ihrem Leben wieder neu zu versichern.

Wenn Gott sich bitten lässt

Aber warum müssen Menschen erst zu solchen Orten pilgern? Warum haben viele Menschen das Gefühl, dass Gott sie einfach nicht hört und dass sie erst irgendwelche "religiösen Höchstleistungen" erbringen müssten, um sich bei ihm Gehör zu verschaffen? Warum lässt sich Gott oft so lange bitten?

Ich weiß es nicht! Manchmal versuche ich mir manches damit zu erklären, dass nicht alles, um was wir inständig bitten, auch wirklich gut für uns wäre. So wie eine Mutter ihrem Kind das Küchenmesser nicht zum Spielen gibt, egal wie lautstark es darum bittet. Genauso, wie sie ihm die Tafel Schokolade, die es doch unbedingt vor dem Essen noch verzehren möchte, auch bei noch so intensivem Gequengel nicht vom Schrank holt.

Aber das reicht als Erklärung vermutlich nicht aus. Denn dann müsste alles, um was ich länger vergeblich bitte, zu den Dingen gehören, die nicht gut für mich sind.

Ich weiß nicht, warum Gott manchmal so lange schweigt, und ich werde es in diesem Leben vermutlich auch nicht erfahren.

Vom Himmel, der bestürmt werden will

Ich halte allerdings nichts von der Vorstellung, dass Gott sich absichtlich bitten lässt - gemäß dem alten Grundsatz: "Der Himmel will bestürmt werden!"

Das wäre ein grausamer Gott, der dasitzt und einfach mal sehen möchte, wie lange wir Menschen denn wirklich um etwas bitten - so nach dem Motto: "Mal schauen, wie viel ihnen die Sache denn wert ist." Das widerspricht ganz deutlich Jesu Grundaussage über das Beten, wie wir sie ja aus dem Matthäusevangelium kennen:

"Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie; denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet." (Mt 6,7-8)

Betet ohne Unterlass

Natürlich spricht Jesus auch davon, dass wir ohne Unterlass beten sollen (vgl. Lk 21,36), aber das hat meines Erachtens eine ganz andere Bedeutung. Da geht es nicht darum, dass Gott schwerhörig wäre und wir deshalb immer wieder mit den gleichen Anliegen vor ihn hintreten müssten. Da geht es viel eher um uns und um das, was man normalerweise Meditation nennt.

Oasen der Stille und des Gebetes

Egal ob man nun das Taizé-Gebet bevorzugt oder das Jesusgebet, egal ob man den Rosenkranz betet oder einfach nur die Stille sucht. All diese Übungen wollen mir helfen, die Nähe Gottes in meinem Leben nicht aus dem Bewusstsein zu verlieren. Denn der normale Tagesablauf eines jeden von uns ist eher dazu geeignet, Gott zu vergessen, als wirklich aus dem Bewusstsein heraus zu leben, dass Gott diesen Tag mit mir lebt.

Gerade deshalb suchen Menschen manchmal eine Umgebung, die besonders hilfreich ist, um sich wieder zu sammeln und ihrem Leben wieder eine neue Ausrichtung zu geben.

Vielen ist ein besonderer Ort hilfreich. Manche bevorzugen es, sich immer wieder einmal - einfach zwischendurch - für ein paar Tage zurückzuziehen, um wieder durchatmen zu können und wieder auf andere Gedanken zu kommen. Viele Klöster zum Beispiel machen hier ganz hilfreiche Angebote. So mancher Orden sieht darin heute wieder eine ganz neue Aufgabe.

Vom Sinn kontemplativer Orden

Was nicht heißt, dass ein Orden darin etwa eine "neue Daseinsberechtigung" suchen müsste. Achten wir das Gebet, das in diesen geistlichen Gemeinschaften für die Menschen geübt wird, nicht gering. Manchmal dürfen wir selbst spüren, wie wohltuend es ist, darum zu wissen, dass jemand für uns betet - besonders dann, wenn wir selbst zu beten gar nicht mehr in der Lage sind.

Gebetstechnik

Nicht jeder von uns kann allerdings immer wieder an entsprechende "Gebetsorte" fahren. Und es wäre auch tragisch, wenn wir nur beten könnten, wenn wir uns auf irgendwelchen Besinnungstagen befinden.

Manche von den Gebeten, die ich vorhin genannt habe, sind geeignet, dass wir sie auch im Alltag neben so mancher Tätigkeit, die nicht besonders viel Aufmerksamkeit erfordert, ohne weiteres üben können. Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, wie so manches stumpfsinnige, eher mechanische Tun, indem ich dabei etwa den Rosenkranz gebetet habe, zu einer ganz wertvollen Zeit an diesem Tag geworden ist.

Welches Gebet für einen selbst hilfreich ist, muss man ausprobieren. Da gilt es auch ein wenig zu "experimentieren". Vor allem dürfen wir nicht gleich "Bah" rufen, bevor wir uns mit solch einer Gebetsform und dem, was sie vermitteln möchte, wirklich auseinandergesetzt haben. Solch ein Beten will nämlich gelernt sein. Fast alle diese Formen brauchen eine Einführung und auch ein wenig "Übung", bevor ich wirklich einen entsprechenden Gewinn aus ihnen ziehen kann.

Beten muss man nicht lernen

Ansonsten hat Beten nichts mit Lernen zu tun. Beten heißt: mit Gott sprechen, dem Du, das mich angesprochen hat und mich nie richtig in Ruhe lässt, antworten. Und das mache ich am besten und am einfachsten mit meinen eigenen Worten und mit meinen eigenen Gedanken.

Wenn ich mit Gott hadere

Und sollte jemand einmal mit Gott hadern, dann sollte er es ihm sagen. Wenn jemand Gott nicht mehr glaubt, wenn er an ihm zweifelt, dann solle er es ihm klar machen! Entlassen wir unseren Gott nicht aus seiner Verantwortung, indem wir uns zurückziehen und den Kontakt zu ihm einseitig begraben. Denn verrostete und korrodierte Leitungen wieder in Gang zu setzen, ist manchmal recht schwierig, und braucht einiges an Mühe.

Vom Zweifel

Die meisten von uns haben irgendwann gelernt, dass man nicht zweifeln dürfe und dass Zweifel eine Sünde sei. Das hängt damit zusammen, dass der Ausdruck "an etwas zweifeln" Hand in Hand geht mit der Formulierung "jemandem etwas nicht glauben". Und das ist ja im strengen Sinne des Wortes bereits ein Glaubensabfall. Aber wer verwendet die Begriffe schon im strengen Sinne des Wortes!

Wenn wir von Zweifel sprechen, dann meinen wir in aller Regel, dass wir etwas nicht glauben können, dass wir uns schwer tun, etwas im Glauben anzunehmen. Und das ist etwas ganz anderes als Glaubensabfall.

Wenn wir solche Schwierigkeiten mit Gott selbst austragen, wenn wir ihm trotz allem Zweifel unsere Probleme gleichsam ins Gesicht schreien, dann geben wir ihm - nicht die Möglichkeit dass er darauf reagiert: die brauchen wir Gott nicht erst zu geben - wir geben ihm vielmehr die Chance, dass wir seine Reaktion auch vernehmen. Wir nehmen uns dann selbst nicht die Möglichkeit, ihn zu spüren: dann, wenn er tatsächlich wieder in unserem Leben anklopft. Denn das tut er manchmal recht leise.

(Dr. Jörg Sieger)

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