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Marieluise Gallinat-Schneider

Gemeindereferentin in Bruchsal

Vorträge von Marieluise Gallinat-Schneider

Altenwerk St. Paul, 9. Januar 2006, Bruchsal

"...und mit euch gehen in ein neues Jahr" Dietrich Bonhoeffer und Alfred Delp - zwei mutige Christen und ihr Vermächtnis

Wenn ein Jahr zu Ende geht, hole ich mir mein alte Schallplatte mit Liedern und Texten von Bonhoeffer hervor, mit Bonhoeffers bekanntestem Gedicht, dass auch als Kirchenlied vertont wurde, in dem es heißt:

"Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar.
So will ich diese Tage mit euch leben

Welch ein Vertrauen spricht aus diesen Worten, die zur Jahreswende 19944/45 geschrieben wurden, in einer Zeit, über die ich Ihnen nichts erzählen muss, die sie miterlebten im Gegensatz zu mir. Ich bin Mitglied einer nachgeborenen Generation, die diese Dinge nur von Erzählungen kennt. Was aber fasziniert mich an diesen beiden Männern?

Ich habe meine eigenen biographischen Bezüge. Ich würde vermuten, es war 1979/80 im Winter, als in der evangelischen Gemeinde meines Heimatortes Dietrich Bonhoeffer Thema der Kamingespräche wurde, die im Winter stattfanden. Ich war immer schon geschichtlich und theologisch interessiert, also nahm mich mein Vater 17 jährig zu den Gesprächen mit, die in seiner Gemeinde stattfanden. Wir haben im Verlauf des Winters nicht nur Texte von ihm gelesen sondern auch Gespräche mit Zeitzeugen gehabt, die ihn kannten. Ich wuchs ja unweit von Wuppertal-Barmen auf und dort, in der Barmer Gemarker Kirche, die für ganz Deutschland hohen Symbolwert für den Widerstand der evangelischen Christen besitzt, fand 1934 die Bekenntnis-Synode statt, in der sich die bekennende Kirche eine Satzung gab und sich im Gegensatz zu den deutschen Christen deutlich vom Hitlerregime abgrenzte. Und Bonhoeffer war seit 1935 Leiter eines Priesterseminars der bekennenden Kirche. In unseren Gesprächen habe ich Bonhoeffer schätzen gelernt und verehre in seit da an, als einen der Christen, die für mich wirklich Vorbild sein können.

Den anderen Theologen, den katholischen, Alfred Delp, lernte ich erst später kennen. 1982 begann ich in Mannheim mein Studium und fand einen Platz im katholischen Studentenwohnheim Alfred-Delp-Haus. Am 2 Februar 1985, zum 40. Todestag Alfred Delps veranstalteten wir einen Gedenkgottesdienst und eine Ausstellung und so beschäftigte ich mich näher mit der Person des in Mannheim geborenen Jesuitenpaters. Ich will die beiden Personen kurz vorstellen:

Zunächst Pater Alfred Delp:

Am 15.09.1907 wurde Alfred Delp in Mannheim geboren und am 17. September in der Jesuitenkirche getauft. Die Familie zog nach Lampertheim, wo Alfred eine evangelische Schule besuchte, seine Eltern lebten auch in einer konfessionsverschiedenen Ehe. 1921 wurde er daher konfirmiert wie alle seiner Klasse. Aber er wandte sich bewusst zur katholischen Kirche hin und empfing am 19. Juni 1921 die Erstkommunion und am 28.06. die Firmung. 1922 trat er in das erzbischöfliche Konvikt ein und machte dort 1926 Abitur. Er entschloss sich zum Eintritt in das Noviziat bei den Jesuiten und legte 1928 die ersten Gelübde ab. Danach studierte er Philosophie in München. Er ging als Lehrer ans Jesuitenkolleg St. Blasien und begann 1934 sein Theologiestudium. Am 24. Juni 1937 empfing er in St. Michael München die Priesterweihe, die Primiz war in Lampertheim. An der Universität München wurde ihm 1939 die Immatrikulation verweigert. Er arbeitete für die Zeitschrift Stimmen der Zeit. Ab 1942 engagierte er sich im Kreisauer Kreis und traf sich auch mit Moltke, dessen Initiator. 1944 besuchte er Claus von Stauffenberg in Bamberg. Delp war Pfarrer in München-Bogenhausen. Am 28.07.1944 wurde er verhaftet, weil auch sein Name im Umfeld des Widerstandes um Stauffenberg auftauchte und die meisten, die von Vorbereitungen des Attentates am 20. Juli wussten, im Gefängnis landeten. Am 02.02.1945 wurde Delp in Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Und nun Dietrich Bonhoeffer:

Dietrich Bonhoeffer wird am 4. Februar 1906 in Breslau als sechstes von acht Kindern eines Nervenarztes geboren. 1912 zieht die Familie nach Berlin, wo der Vater eine Professur bekommt. Noch heute trägt die Psychiatrische Klinik der Freien Universität seinen Namen Die Familie lebt im Grunewald. Bonhoeffer studiert Theologie in Tübingen und wird 1928 nach dem ersten theologischen Examen Vikar in der Auslandsgemeinde von Barcelona. Nach dem zweiten theologischen Examen 1930 schließt sich ein Studienaufenthalt in den USA und die Habilitation an. 1931 lernt Bonhoeffer Karl Barth kennen. Im November wird er ordiniert. Er übernimmt neben seiner Lehrtätigkeit das neuerrichtete Studentenpfarramt an der Technischen Hochschule Charlottenburg und eine Konfirmandenklasse an der Zionsgemeinde im Berliner Norden. Bonhoeffer warnt nach der Machtergreifung als einer der ersten vor falschem Führertum und stellt sich auf die Seite der Juden. Er übernimmt die deutsche evangelische Gemeinde in London.1934 Im Mai gibt sich die inzwischen gesammelte "Bekennende Kirche" in der "Theologischen Erklärung von Barmen" die theologische Grundlage, einige Monate später, auf der Synode von Dahlem im Herbst, sagt sie sich in aller Form von der Leitung der inzwischen hitlertreuen Deutschen Evangelischen Kirche los und bildet mit den "Bekenntnissynoden" und den "Bruderräten" eigene Leitungsorgane und eröffnet auch eigene Predigerseminare. 1935 wird Bonhoeffer wird mit der Leitung des Predigerseminars in Finkenwalde in Pommern betraut. Bonhoeffer wird 1936 die Lehrbefugnis an der Uni entzogen. Finkenwalde wird 1937 polizeilich geschlossen. 1939 tritt Bonhoeffer auf Einladung von Freunden eine Amerikareise an. 1940 Ein Befehl der Gestapo beendet seine Pastoren-Ausbildungstätigkeit. In den Folgejahren tritt er in den Dienst der militärischen Spionageabwehr, in der eine Reihe von Widerstandskämpfern wirkte. In der Abwehr gelingt es ihm, die Verbindung zu den ökumenischen Freunden in der Schweiz und in England aufrechtzuerhalten.1943 Im Januar verlobt er sich mit der erst 18-jährigen Maria von Wedemeyer, die er im Sommer zuvor kennen gelernt hat. Am 5. April wird er verhaftet. Nach dem misslungenen Attentat vom 20. Juli 1944 werden Listen der Verschwörergruppe gefunden. Für Bonhoeffer hat das eine erhebliche Verschärfung der Gefangenschaft zur Folge. Für vier Monate kommt er in die besonders grausame Haft des Gestapo-Gefängnisses in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin.1945 Im Februar kommt er in das KZ Buchenwald. Nach einem kurzen Aufenthalt wird er nach Süddeutschland abtransportiert. Zwei Wochen vor der Befreiung durch die amerikanischen Truppen wird er im KZ Flossenbürg am 9. April 1945 hingerichtet.

Was bedeuten Bonhoeffer und Delp theologisch für mich? Wenn Delp sagt, lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt", dann spricht daraus ein ungeheures Vertrauen. Denn in der Zeit des 2. Weltkrieges, in der Zeit der Haft, haben solche Worte eine andere Kraft, eine andere Bedeutung als in Zeiten der Sicherheit. Heute ist es scheinbar einfacher dem Leben zu trauen.

Oder ein anderer Satz Delps, der mich sehr beeindruckt hat, lautet "Die Welt ist Gottes so voll" Wie kann man einen solchen Satz angesichts von Krieg, Folter, Verhaftung, Unmenschlichkeit und Konzentrationslagern sagen? Wo war Gott in dieser Zeit? Diese Frage stellen und stellten sich viele Menschen. Aber Delp sagt, die Welt ist Gottes so voll.

Viele Texte, die uns von Delp und Bonhoeffer überliefert sind, sind Texte, die mit winzigen Bleistiftstummeln auf Papierfetzen in Gefangenschaft geschrieben wurden (bei Delp sogar mit gefesselten Händen) und als sogenannte Kassiber in der Wäsche aus dem Gefängnis geschmuggelt und weiter verbreitet wurden.

In einem Text schreibt Alfred Delp: Den diesjährigen Advent sehe ich so intensiv und ahnungsvoll wie noch nie. Wenn ich in meiner Zelle auf und ab gehe, drei Schritte hin und drei Schritte her, die Hände in Eisen, vor mir das ungewisse Schicksal, dann verstehe ich ganz anders als sonst die alten Verheißungen vom kommenden Herrn, der erlösen und befreien wird. Und immer kommt mir dabei in die Erinnerung der Engel, den mir vor zwei Jahren zum Advent ein guter Mensch schenkte. Er trug das Spruchband: Freut euch, denn der Herr ist nahe.

Bonhoeffer beschreibt seine Haftzeit in einem Text so:

Wer bin ich?

Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle gelassen
gelassen und heiter und fest
wie ein Gutsherr aus seinem Schloss
Wer bin ich? Einsame Fragen treibt mit mir Spott.
Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!

Bonhoeffer wurde schon 1943 verhaftet, er war für die Abteilung für Spionageabwehr tätig und hat dort im Widerstand mitgearbeitet, Delp war einer der führenden Köpfe im Kreisauer Kreis und hatte auch Kontakte zu Oberst Stauffenberg, der das Attentat auf Hitler durchführte. Beide hatten es sich mit der Entscheidung, für den Widerstand zu arbeiten, nicht leicht gemacht, beide waren ja keine politischen Extremisten sondern Theologen. Aber beide haben als Theologen erkannt, dass die Menschlichkeit vom Regime, das in Deutschland herrschte, mit Füßen getreten wurden. Daher haben sie sich entschieden, couragiert gegen dieses Regime aufzutreten, ihre Angst zu unterdrücken und ihre Meinung standhaft zu vertreten. Zu dieser Entscheidung gehörte natürlich auch das Bewusstsein, dass eine logische Konsequenz des Widerstandes auch die Ermordung Hitlers sein würde. Beide haben natürlich als Christen das Gebot "Du sollst nicht töten" als ganz wichtig erachtet, beide haben sich aber schweren Herzens entschieden, einen Tyrannenmord zu dulden. Beide haben mitgearbeitet an Konzepten, wie ein neues Deutschland aussehen müsste und könnte. Dabei war beiden auch wichtig, dass sie ökumenisch geprägt waren. Sie wussten, nur die Christen gemeinsam könnten sich für Menschlichkeit, Menschenwürde und eine bessere Welt aus dem Glauben an Christus heraus einsetzen. Bonhoeffer hat während seines Studiums bei einem Studienaufenthalt in Rom die katholische Kirche stärker kennengelernt.

Sicher hat ihnen eines geholfen, sie waren bei ihrer Ermordung beide noch keine 40 Jahre alt, sie hatten keine eigene Familie, Alfred Delp war Jesuitenpater, so dass er dem Zölibat verpflichtet war, Bonhoeffer hatte sich zwar kurz vor seiner Verhaftung verlobt, aber noch keine Familie gegründet und war in der Zeit, als er anfing, zum nationalsozialistischen Stand auf Abstand zu gehen, auch nicht gebunden.

Der für mich wichtigste Text von Dietrich Bonhoeffer neben "Von guten Mächten", diesem so aussagestarken Lied und Gedicht, ist sein Glaubensbekenntnis, dass mich in allen Lebenslagen begleitet:

Ich glaube,
dass Gott aus allem,
auch aus dem Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen,
die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube,
dass Gott uns in jeder Notlage
so viel Widerstandskraft geben will wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im voraus,
damit wir uns nicht auf uns selbst,
sondern allein auf ihn verlassen.

Wenn ich solche Texte lese und sie in dem Bewusstsein lese, in welcher Zeit sie geschrieben wurden, kommen mir Ängste und Zweifel sehr kleinmütig vor. Solche Aussagen helfen mir, mein Vertrauen auf Gott zu lenken. Der evangelische Pfarrer Dietrich Bonhoeffer und der katholische Jesuitenpater Alfred Delp sind für mich Glaubenszeugen und Vorbilder, die mir helfen, wenn es schwierig wird. Ich weiß, dass sie in schlimmen Zeiten Größe bewiesen haben und mit ihrer Menschlichkeit und ihrem Gottvertrauen vielen anderen geholfen haben. Sie hielten Verhaftung und Todesgefahr mit großem Gottvertrauen aus. Sie können auch heute für uns noch Vorbilder sein. Sie haben auch damals schon gesehen, dass Gott aus den Köpfen und Herzen vieler Menschen verschwand, dass die Menschen ihr Leben an anderen Dingen orientierten. Aber sie haben unbeirrbar an ihrem Glauben festgehalten und ihr Leben danach ausgerichtet. Dadurch erhielten sie die Stärke, bis in den Tod auszuhalten.

In einem Brief vom 3.8.1944 schreibt Bonhoeffer: "Die Kirche muss aus ihrer Stagnation heraus. Wir müssen auch wieder in die freie Luft der geistigen Auseinandersetzung mit der Welt. Wir müssen es riskieren, anfechtbare Dinge zu sagen, wenn dadurch nur lebenswichtige Fragen aufgerührt werden." Ich denke, dem ist nichts hinzuzufügen, das gilt so bis heute. Das gibt uns Kraft für dunkle Zeiten in unserem Leben.

(Marieluise Gallinat-Schneider)