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Marieluise Gallinat-Schneider

Gemeindereferentin in Bruchsal

Predigten von Marieluise Gallinat-Schneider

Ansprache beim 30jähr Jubiläum, Ökumenischer Hospizdienst, 10.10.2025, 18 Uhr ULF, Bruchsal

Herbsttag
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben. (Rainer Maria Rilke)

Liebe Mitglieder und Freunde des ökumenischen Hospizdienstes, liebe Schwestern und Brüder,

dieses Gedicht von Rainer Maria Rilke ist sehr bekannt und wird im Herbst oft abgedruckt und zitiert. Immer wieder wird es auch bei Trauerfeiern mit dem Leben und Sterben in Beziehung gesetzt. Unser Leben kann mit dem Reigen der Natur, mit den Jahreszeiten verglichen werden, viele Menschen können von sich sagen, der Sommer des Lebens war groß. Es ist auch ein Text für den Erntedank, der Ende September/Anfang Oktober in den Kirchen gefeiert wird. Die letzten prallen Früchte werden im Gedicht beschrieben. Und dann? Dann kommt der Herbst, gar der Winter, wir sind alleine, möglicherweise einsam, ohne ein schützendes Dach über dem Kopf. Vorher wollen wir das Leben in seiner ganzen Süße und Fülle noch festhalten, noch 2 südliche Tage wünscht sich der Dichter, noch mal unbeschwert leben, bevor es dunkel wird. Dann kommt die Angst vor der Kälte, dem Alleinsein, dem Wachliegen…

Können wir den Herbst und Winter unseres Lebens überstehen, wenn wir eine persönliche Ernte eingefahren haben? Was bleibt uns?

Ich denke da an das Bilderbuch von Leo Lionni, der in seiner Geschichte von der Maus Frederick erzählt, die nicht wie die anderen für den Winter Nahrung sammelt, sondern die schönen Dinge des Sommers in sich einsaugt, ähnlich wie es auch Rilke beschreibt. Es gilt, die Träume und die Hoffnungen festzuhalten. So beschreibt es die Geschichte: Der Winter naht. Alle Feldmäuse arbeiten Tag und Nacht, sammeln Körner und Nüsse, Weizen und Stroh. Alle bis auf Frederick. Er sammelt Sonnenstrahlen, Farben und Wörter, das sind seine Vorräte für die kalten, grauen und langen Wintertage. Wie schön, wenn wir dann noch mal die Erinnerungen in uns hervorholen können, Gedanken an Freundschaften, Reisen, schöne Stunden. Unsere persönliche Ernte.

Aber oft fällt es im Alter, in Krankheit, im Sterben schwer, diese Bilder heraufzubeschwören. Alles erscheint grau, die Farben weit weg. Wie gut, wenn wir da sagen können, es gibt Menschen, die uns in unserer Einsamkeit begleiten, die die Briefe, die wir schreiben, auch beantworten und neben uns wandern, wenn wir unruhig sind.<

Ich glaube, eine Aufgabe von Hospizbegleiterinnen und -begleitern im übertragenen Sinne ist es, dann da zu sein, wenn die anderen sich abwenden, zu begleiten, wenn es schwierig wird. Das haben Sie alle getan, Sie waren da, wenn die Sonne nicht mehr schien. Sie haben wie Frederick die Räume wieder hell machen können, die Sonne hervorzaubern können.

Wir sehnen uns danach, in den Zeiten des Herbstes nicht alleine gelassen zu werden. Wir sehnen uns nach konkreten Menschen, die die Angst vor der Einsamkeit lindern. Daher ist der Dienst der Hospizbegleitung so unglaublich wichtig.

Heute können wir Erntedank feiern, wir können die Ernte einfahren von 30 Jahren guter Arbeit, von Begleitung von Sterbenden, die keine selbstverständliche Arbeit ist. Erntedank bedeutet nicht nur, den Bauern zu danken, die die Felder bestellen, nicht nur, für die Früchte im eigenen Garten zu danken, sondern auch für die Früchte unserer Arbeit, die wir in andere Menschen investiert haben. Nicht nur die Erntealtäre, an denen die Gaben aus den Gärten, vom Markt und auch von den Feldern dekorativ abgelegt werden, sind ein Zeichen für die reiche Frucht, für die wir danken können. Es sind auch ideelle Dinge, für die wir dankbar sein können. Wir legen auch andere Körner in den Boden. Oft wissen wir nicht, was aus unseren kleinen Samen wird, die wir mit unserer Arbeit, unserem Engagement legen. Gehen sie auf? Es ist eine Frage der Geduld. In der Bibel lesen wir:

Meine Brüder und Schwestern wartet geduldig bis der Herr kommt. Muss nicht auch der Bauer mit viel Geduld abwarten, bis er die kostbare Ernte einfahren kann? Er weiß, dass die Saat dazu den Herbstregen und den Frühlingsregen braucht. (Jak 5,7)  Soweit der Jakobusbrief.

Dank für die Ernte setzt vorher jede Menge Geduld voraus. Um eine Ernte einzufahren, muss man aussäen, kleine Samen in die Erde legen und weiß nicht, was kommt. Manche Samen gehen auf, aus manchen wird nichts, sie verdorren. Alle, die gärtnern, kennen dies, wir pflanzen etwas und am Ende kommt eine Dürre, ein Unwetter, ein Schädling und dann wird nichts aus unseren Pflanzen.

Dies gilt auch im übertragenen Sinn. Bei der Kindererziehung legen wir auch Samen und wissen nicht, wie sie aufgehen. Ebenso ist es in der Arbeit, im Ehrenamt. Wenn wir Menschen begleiten, wissen wir oft auch nicht, ob unsere Art die richtige ist. Wie schön ist es, wenn später jemand sagt, ich habe diesen Weg eingeschlagen, weil Sie mich in die richtige Richtung geleitet haben. Sie haben mir damals in meiner Krise unglaublich gut getan, Sie haben mir geholfen. Bei der Gründung des Hospizdienstes war am Beginn nicht klar, was aus diesem Samenkorn wird. Es gab finanzielle Hürden, denn damals finanzierten die Krankenkassen noch nicht, dann die Frage, wer lässt sich auf eine solche ehrenamtliche Tätigkeit ein, wird es genügend Begleiter/-innen geben. Werden die Sterbenden und die Angehörigen die angebotene Hilfe annehmen? So ein Start ist immer ein Wagnis. Heute jedoch dürfen wir tatsächlich Erntedank feiern. Die Ernte, die Sie eingefahren haben, ist eine reiche. Wie viele dankbare Familien sind durch ihre Begleitung gestärkt worden. Wie viel Gutes ist getan worden. Wie viele Menschen haben sich inzwischen zu Hospizbegleiterinnen und -begleitern ausbilden lassen. Das Säen, das Düngen haben sich gelohnt, mit Geduld und Beharrlichkeit wurde daraus eine Erfolgsgeschichte. Und ich bin überzeugt, dieser Erfolg wurde auch durch den Beistand Gottes möglich. Er hat das Ganze mit seinem Segen begleitet. Erntedank ist da möglich, wo Segen auf dem Wachstum lag.

Immer wieder müssen wir uns klar machen, wir können es nicht machen, wir haben es nicht in der Hand. Wir benötigen einen langen Atem, wir benötigen Geduld und Vertrauen darauf, dass Gottes Segen unsere Bemühungen begleitet und zum Guten führt. Ich habe im Kindergarten das schöne evangelische Erntedanklied von Matthias Claudius gelernt. Wir pflügen, und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand: Und im Refrain: Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn, drum dankt ihm dankt, drum dankt ihm dankt und hofft auf ihn. Und der Himmel hat seine Hand über dem ökumenischen Hospizdienst ausgebreitet und hat die Arbeit gesegnet, so dass wir heute für die reiche Ernte danken können.

Amen.

(Marieluise Gallinat-Schneider)