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Marieluise Gallinat-Schneider

Gemeindereferentin in Bruchsal

Predigten von Marieluise Gallinat-Schneider

Predigt 20.10.2023, St. Paulusheim, Mitarbeiter-Danke-Fest

Lesung

Danach offenbarte sich Jesus den Jüngern noch einmal, am See von Tiberias, und er offenbarte sich in folgender Weise.[1] 2 Simon Petrus, Thomas, genannt Didymus, Natanaël aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern waren zusammen. 3 Simon Petrus sagte zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sagten zu ihm: Wir kommen auch mit. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot. Aber in dieser Nacht fingen sie nichts. 4 Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. 5 Jesus sagte zu ihnen: Meine Kinder, habt ihr keinen Fisch zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. 6 Er aber sagte zu ihnen: Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus und ihr werdet etwas finden. Sie warfen das Netz aus und konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es. 7 Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr sei, gürtete er sich das Obergewand um, weil er nackt war, und sprang in den See. 8 Dann kamen die anderen Jünger mit dem Boot - sie waren nämlich nicht weit vom Land entfernt, nur etwa zweihundert Ellen - und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her. 9 Als sie an Land gingen, sahen sie am Boden ein Kohlenfeuer und darauf Fisch und Brot liegen. 10 Jesus sagte zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt! 11 Da stieg Simon Petrus ans Ufer und zog das Netz an Land. Es war mit hundertdreiundfünfzig großen Fischen gefüllt, und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht. 12 Jesus sagte zu ihnen: Kommt her und esst! Keiner von den Jüngern wagte ihn zu befragen: Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. 13 Jesus trat heran, nahm das Brot und gab es ihnen, ebenso den Fisch. 14 Dies war schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern offenbarte, seit er von den Toten auferstanden war. (Joh 21, 1-14)

Liebe Gemeinde, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,

wenn ich verreise, mache ich gerne Besichtigungen:

historische Orte, Museen, Altstädte…wie gerne schlendere ich durch Gassen und Straßen und suche interessante Stätten auf.

Zu den Sehenswürdigkeiten zählen immer auch Kirchen.

Oft hat meine Familie dabei solche Kommentare hören müssen wie:

der barocke Altar passt aber gar nicht in romanische Kathedrale!

Dabei denke ich z.B. an Worms, dessen romanischer Dom einen Hochaltar von Balthasar Neumann bekam oder das Bonner Münster mit seinen Altären aus verschiedenen Epochen.

Eigentlich weiß ich jedoch, dass diese ganz spontanen Meinungsäußerungen falsch sind. Dabei geht es nicht um Geschmack, der ist bekanntlich individuell sehr verschieden. Es geht nicht darum, ob mir die Altäre oder Bilder gefallen, mit welchem Kunststil ich etwas anfangen kann.

Es geht um etwas anderes: Kirchen sind keine Museen!

Wenn die Region arm war, wurde nicht viel verändert. Ich denke da nur an die vielen romanischen Dorfkirchen in Frankreich, z.B. in Burgund.

Dorfkirche Burgund

Außerdem wurden viele alte Kirchen z.B. in Köln im 2. Weltkrieg zerstört und danach sehr puristisch wieder aufgebaut. Das hat unseren Kunstgeschmack geprägt. Aber häufig finden wir in Kirchen Zeugnisse aller Jahrhunderte abgebildet. Was haben sie nicht alles durchlebt? Wenn ich romanische Kirchen anschaue und auf die ganzen Epochen blicke, dann haben sie den Bildersturm in der Reformation, die Zeit des Barock, den Historismus und die Neuerungen nach dem 2. Vatikanischen Konzil erlebt, aber auch so manchen Krieg, wenn ich nur hier im Südwesten nach dem Dreißigjährigen Krieg an den Pfälzischen Erbfolgekrieg denke, mit der Brandschatzung der Kurpfalz. Ganz zu schweigen von den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts.

Hier in Bruchsal haben wir Beispiele von Kirchen, die einen Wandel durchlebten, die barocke Hofkirche die nach Kriegszerstörung modern wieder aufgebaut wurde, mit ihrem Kreuzweg von HAP Grieshaber- Aber auch die Peterskirche, die früher bunt ausgemalt war, deren Bilder dann verschwanden und die in den 90ger Jahren des 20. Jahrhunderts den Anforderungen der Liturgiereform angepasst wurde mit ihrer Altarinsel und dem modernen Zelebrationsaltar.

Wie viele Gemälde, Kanzeln, Kommunionbänke und Beichtstühle sind in den letzten 50 Jahren entfernt worden, um die Kirchen der Liturgie der nachkonziliaren Zeit anzupassen. Viele hat es geschmerzt, wenn Vertrautes verschwand. Ich kenne das selber, die Kirche meiner Kindheit ist inzwischen zweimal renoviert worden, aus grau wurde rosa und nun gold.

Auch wenn uns das irritiert und manchmal auch ein Gefühl von Heimatlosigkeit entsteht, bei den Gebäuden war die Weiterentwicklung immer präsent, jeder Baustil, jede Epoche wurde in den Kirchen umgesetzt und abgebildet. Das wurde den Gläubigen immer zugemutet.

Wie ist es jedoch bei der Institution Kirche?

Hat sie auch bereitwillig die notwendigen Entwicklungen mitgemacht?

Hat sie sich dem veränderten Zeitgeschmack angepasst?

Von Lothar Zenetti gibt es einen bekannten Text:

Inkonsequent“
„Frag hundert Katholiken, was das Wichtigste ist in der Kirche.
Sie werden antworten: Die Messe.
Frag hundert Katholiken, was das Wichtigste ist in der Messe.
Sie werden antworten: Die Wandlung.
Sag hundert Katholiken, dass das Wichtigste in der Kirche die Wandlung ist. Sie werden empört sein:
Nein, alles soll bleiben wie es ist.“

„Ecclesia semper reformanda.“ So lernen wir in der Kirchengeschichte. Gerade gab es in Rom die Weltsynode, einige der Delegierten waren vorher in Leipzig zur Tagung „Gottes starke Töchter“ und haben von ihrer Situation berichtet. Es hat mich beeindruckt, von den vielen Bemühungen in der Welt zu hören, aber ich hatte auch das Gefühl, das mit dem Wandel fällt der Institution schwer.

Auch uns fallen Veränderungen nicht leicht.

Sind wir bereit, unsere Fenster – und nicht nur die realen Glasfenster – für veränderte Gewohnheiten zu öffnen, so wie es schon Johannes XXIII. gefordert hat?

Wir betrachten mit Sorge wie uns die Menschen davon laufen

wie wir in einem Gebäude mit verstaubtem Mobiliar verharren, während die anderen moderne Architektur suchen, um im Bild zu bleiben-.

Ich denke, spätestens jetzt fragen sich viele nach den bisherigen Überlegungen, wieso ich für den heutigen Abend das eben gehörte Evangelium herausgesucht habe? Und was soll das mit Kirchengebäuden zu tun haben?

Für mich haben die Jünger dort ähnliche Erfahrungen gemacht wie wir, wie gerade die Gemeinde, die sich heute hier versammelt hat. Heute sind hier die engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von St. Vinzenz versammelt, die, die Gemeinden tragen und stützen und denen unser Dank gilt.

Aber habt ihr, haben Sie nicht auch oft das Gefühl, mit leeren Netzen dazustehen?

Fischernetz

Johannes berichtet uns, die Jünger haben die ganze Nacht gefischt. Es sind bekannte Apostel, erfahrene Männer, Simon Petrus, Thomas der Zwilling, die Söhne des Zebedäus, bekannte Gestalten, die uns immer wieder in der Bibel begegnen.

Sie fingen nichts in der Nacht. Alle Bemühungen waren umsonst. Sie waren müde und entmutigt.

Am Morgen kam ein Fremder und bat sie, ihm Fisch zu essen zu geben.

Aber bei aller Gastfreundschaft, sie konnten ihm nichts geben, sie hatten nichts gefangen.

Er aber sagte zu ihnen, werft das Netz auf der rechten Seite aus. Nicht die erfahrenen Fischer sollen wissen, wo der Fang wartet, sondern der unerfahrene Fremde? Aber sie hören auf ihn. Als sie die Netze einholten, waren sie voller Fische.

Sie hatten quasi auf der falschen Seite gefischt, sie hatten sich zwar sehr bemüht, aber mit den falschen Mitteln.

Als sie ans Ufer kamen, war dort ein Kohlenfeuer und Jesus bat sie, die Fische zu bringen. Sie brieten die Fische.

Jesus sagte: Kommt her und esst!

Als er das Brot brach, erkannten sie, wer bei ihnen war, sie erkannten den Auferstandenen.

Wie offenbart er sich ihnen? Im Mahl.

Aber davor macht er ihnen klar, dass sie keinen Erfolg hatten, weil sie auf der falschen Seite gefischt hatten.

Die gewohnte Seite bescherte ihnen keinen Erfolg.

Ich finde, das ist ein starkes Bild.

Ich finde, es passt so gut zu unserer momentanen Situation, zu der Kraftlosigkeit, den schwindenden Zahlen von Kirchenbesucherinnen und Aktiven. Jeder und jede von uns kennt Menschen, die sich enttäuscht abwenden. Viele fragen sich, was können wir dagegen tun?

Manchmal liegen die Dinge so nahe, Jesus macht seinen Freunden Mut, die andere Seite auszuprobieren

und sie haben Erfolg.

Und er stärkt sie im Mahl. Er ist an ihrer Seite, weist ihnen nach den Misserfolgen den Weg.

Vielleicht müssen auch wir, um zum Bild des Gebäudes zurückzukehren, Gewohnheiten zurücklassen, Raum schaffen und Neues ausprobieren?

Vielleicht müssen wir uns der Gegenwart zuwenden, müssen bereit sein, das 21. Jahrhundert hinein zu lassen?

Vielleicht müssen wir die vertrauten Wege verlassen, die Netze auf der rechten Seite auswerfen?

Geht es uns auch wie den Jüngern, die Jesus erst gar nicht erkennen, als er am Ufer steht?

Oder das, was er eigentlich von uns will nicht erkennen?

Sind wir nicht oft auch betriebsblind, vor lauter Routine und Betriebsamkeit gehen wir unsere gewohnten Wege. Wir gehen die vertrauten Schritte auf bekannten Wege, enttäuscht, weil die Netze leer sind, müde, weil wir nichts fangen.

Wir verlieren vor lauter Strukturwandel und bei allem Nachdenken über organisatorische Dinge den Blick auf das, was uns ausmacht.

Ich glaube, der Blick auf das Evangelium lohnt sich. Denn dort wird der Fokus verlagert. Jesus ist es, der Mut macht und er fordert die Jünger nicht nur zur Arbeit auf, sondern hält im Anschluss mit ihnen Mahl. Aber zunächst ist er der unerfahrene Fremde, der sie um etwas zu essen bittet.

Wie gehen wir mit den Menschen um, die zu uns kommen? Mit denen, die unsere Rituale, unsere Sprache, unsere gewohnten Handlungen nicht verstehen?

Lassen wir uns anfragen? Lassen wir uns verändern? Würden wir auf die Aufforderung hin, werft die Netze auf der anderen Seite aus, bereit sein, dies zu tun entgegen aller Erfahrungen?

Vertrauen wir dem, den die Jünger im Brotbrechen erkannt haben?

Lassen wir uns darauf ein, nicht nur unsere Gebäude immer wieder zu renovieren, dem Zeitgeschmack gemäß einzurichten, neue Kunstepochen, neue Stilrichtungen hineinzulassen sondern auch die Institution.

Nicht nur viele unserer Kirchen sind Kunstwerke, sondern auch unser Glaube ist ein Schatz, der gehütet werden muss. Aber nicht in der bloßen Bewahrung, sondern mit dem Mut zur Veränderung, zur Modernisierung. Der Schatz darf nicht in den Tresor oder in die Vitrine, er muss unter die Menschen gebracht werden.

Wo trauen wir uns, unsere Institution zu verändern, wie wir es bei den Gebäuden seit jeher getan haben? Amen.

(Marieluise Gallinat-Schneider)