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Marieluise Gallinat-Schneider

Gemeindereferentin in Bruchsal

Predigten von Marieluise Gallinat-Schneider

Predigt, Andacht zum Gräberbesuch, Allerheiligen 1. November 2021, Aussegnungshalle Friedhof Bruchsal

Bibeltext

Über Zeiten und Stunden, Brüder und Schwestern, brauche ich euch nicht zu schreiben. 2 Ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht. 3 Während die Menschen sagen: Friede und Sicherheit!, kommt plötzlich Verderben über sie wie die Wehen über eine schwangere Frau und es gibt kein Entrinnen. 9 Denn Gott hat uns nicht für das Gericht seines Zorns bestimmt, sondern dafür, dass wir durch Jesus Christus, unseren Herrn, die Rettung erlangen. 10 Er ist für uns gestorben, damit wir vereint mit ihm leben, ob wir nun wachen oder schlafen. 11 Darum tröstet einander und einer baue den andern auf, wie ihr es schon tut! (1 Thess 5,1-4, 9-11)

Wir sind am 3. Oktober auf dem Bruchsaler Teilstück des Martinusweges gegangen, zum Feldkirchle und auch hier zum Friedhof. Als wir diesen Pilgerweg vorbereitet haben, wurden wir gefragt: „Für wen gehst Du?“ Ich habe eine Weile überlegt, denn mir sind viele Menschen eingefallen, für die ich gehen möchte. Aber ich habe dann entschieden, ich will für alle Trauernden gehen, für alle, die einen lieben Menschen verloren haben. Trauer ist immer schlimm, Trauer tut immer weh. Durch die Pandemie war es jedoch noch einmal schlimmer und schwieriger, Abschied zu nehmen. Viele Menschen wurden nicht ans Krankenbett ihrer Angehörigen gelassen – oder wenn, in Schutzkleidung, die Berührung unmöglich machte. Bei der Trauerfeier durften nur 30 Personen in die Halle, alle anderen standen draußen. Wie viele Beerdigungen waren daher ohnehin direkt am Grab, bei Wind und Wetter, bei Hitze und Regen. Der Sarg durfte erst hinausgetragen werden, nachdem alle anderen die Halle verlassen hatten, keine Erde, kein Weihwasser, hilfreiche Rituale fehlten, auch der Kontakt, das Beisammensein im Anschluss.

Daher habe ich meinen Weg den Trauernden gewidmet. Ich leite aus dem Lesungstext aus dem Thessalonicherbrief diesen Auftrag ab. Wir wissen nicht, wann für uns die Stunde schlägt, wann wir sterben müssen. So sagt es auch der Apostel Paulus. Bei manchen Angehörigen ahnen wir, dass es zu Ende geht, manchmal kommt der Tod aus heiterem Himmel. Es schmerzt und verändert unser Leben auf einen Schlag. Gut, wenn Paulus uns als Gemeinden dazu auffordert: Tröstet einander und baut einander auf! Im Kapitel 4 und 5 wiederholt er diese Aufforderung. Damit unterstreicht er die Wichtigkeit dieses Dienstes. Es ist unsere Aufgabe, Trost zu spenden, Menschen, die einen Angehörigen verloren haben, beizustehen.

Totengedenken bedeutet für mich nicht nur, hier und heute zu stehen und die Gräber der Angehörigen zu besuchen und an die Verstorbenen zu denken. Es heißt auch, öffentlich zu zeigen, ich habe jemanden verloren, um den ich trauere. Und als Kirchengemeinde sollen wir einander in dieser Situation Beistand sein, trösten einander und stützen uns gegenseitig. Wir sind nicht allein, wir sind eine Gemeinschaft.

Und wir suchen in der Trauer auch nach Antworten, fragen nach dem Warum. Wir suchen nach hilfreichen Texten, nach Worten, die uns stärken können. Aber natürlich fehlen mir selbst oft die Worte. Immer wieder suche ich auch in der Bibel nach Antworten:

Mir persönlich bedeuten die Psalmen ganz viel, Lobpreis, Traurigkeit, Zweifel, Verlassenheit, auch Gott-Verlassenheit, Gewalt, Zorn, Auflehnung, Anbetung, alles wird dort formuliert, alle menschlichen Empfindungen vor Gott gebracht. Nichts ist den Psalmbetern fremd. Sie richten sich an Jahwe als Gegenüber, als Du. Dieser Gott ist ein der Welt und der Menschheit zugewandter Gott.. Sie sind Dichtung, Gebet, Hymnen für den Kult und Klagelieder. Oft schon haben sie mir Trost gespendet und mir geholfen. So auch Psalm 23

Der gute Hirte1 Ein Psalm Davids.
Der HERR ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen.
2 Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser.
3 Meine Lebenskraft bringt er zurück. / Er führt mich auf Pfaden der Gerechtigkeit, getreu seinem Namen.
4 Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich.
5 Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, übervoll ist mein Becher.
6 Ja, Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang / und heimkehren werde ich ins Haus des HERRN für lange Zeiten.

Sie alle kennen diesen Psalm, der so oft gelesen wird. In der evangelischen Kirche ist er häufig Tauf-, Konfirmations-oder Trauspruch. Doch mir fiel ein Satz neu auf: Selbst wenn es um mich herum finster ist, wenn ich im Tal der Finsternis bin, bist Du bei mir, dein Stock und Stab trösten mich. Gott verspricht hier nicht, dass wir keine Dunkelheiten erleben, dass sie aus unserem Leben ferngehalten werden, aber eines verspricht er uns: ich bin bei Dir, ich gehe mit meinem Stab neben Dir durch diese Krise, durch die Trauer, durch die Dunkelheit.

Eine Mutter hat beim Elternabend für die Erstkommunionvorbereitung gesagt, sie wünscht sich für ihr Kind, dass es im Rahmen der Vorbereitung erfährt, da ist jemand, der das Kind begleitet, jemand außerhalb der Familie, der immer für uns da ist. Das ist ganz wichtig und ich hoffe, ich kann den Kindern dies auch vermitteln. Als wir am 3. Oktober hier standen und an alle Menschen dachten, die in diesem Jahr verstorben sind – so wie wir es heute ja auch tun – haben wir gesungen, „Das wünsch ich sehr, dass immer einer bei mir wär...“

Um beim Bild des Mitgehens zu bleiben, so wie Gott uns in schweren Stunden begleitet, mit uns geht, so wollte ich auch diesen Martinusweg gehen im Gebet verbunden mit den Menschen, um deren Trauer ich weiß.

Dieses Bild vom guten Hirten, der mich mit seinem Stab leitet, wenn ich vor Traurigkeit nicht weiter weiß, wenn es dunkel ist und kein Licht am Horizont, ist für mich hilfreich und tröstlich.

Für mich war es ein Anliegen, selbst die spirituelle Wanderung für Trauernde zu gehen, sie mit meinem Gebet zu begleiten. Diese Frage, für wen gehst Du? War für mich die Aufforderung, für Menschen zu gehen, die selbst vielleicht nicht mehr die Kraft haben, sich ihrer Trauer zu stellen. Die nicht mehr beten können, die keinen Trost mehr in Bibeltexten finden. Die leer sind vor lauter Tränen, die hart geworden sind, weil die Tränen versiegt sind, das Innere abgestumpft ist. Um die Kraft dafür zu haben, hat es mir geholfen, innerlich zu spüren, der gute Hirt geht an meiner Seite, sein Stock stützt mich auf meinem Weg, damit ich für andere gehen kann. Hanns Köbler hat ein Kirchenlied geschrieben, das lautet:

Ich möcht', dass einer mit mir geht,
der's Leben kennt, der mich versteht,
der mich zu allen Zeiten kann geleiten.
Ich möcht', dass einer mit mir geht.

Amen.

(Marieluise Gallinat-Schneider)