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Marieluise Gallinat-Schneider

Gemeindereferentin in Bruchsal

Predigten von Marieluise Gallinat-Schneider

Predigt, Gottesdienst ökumenischer Hospizdienst, 29. Juni 2021, Lutherkirche Bruchsal

Bibeltext

Es ist gut, zu beten und zu fasten, barmherzig und gerecht zu sein. Lieber wenig, aber gerecht, als viel und ungerecht. Besser, barmherzig sein, als Gold aufhäufen. Denn Barmherzigkeit rettet vor dem Tod und reinigt von jeder Sünde. Wer barmherzig und gerecht ist, wird lange leben. Wer aber sündigt, ist der Feind seines eigenen Lebens. Ich will euch nichts verheimlichen; ich habe gesagt: Es ist gut, das Geheimnis eines Königs zu wahren; die Taten Gottes aber soll man offen rühmen. Darum sollt ihr wissen: Als ihr zu Gott flehtet, du und deine Schwiegertochter Sara, da habe ich euer Gebet vor den heiligen Gott gebracht. Und ebenso bin ich in deiner Nähe gewesen, als du die Toten begraben hast. Auch als du ohne zu zögern vom Tisch aufgestanden bist und dein Essen stehengelassen hast, um einem Toten den letzten Dienst zu erweisen, blieb mir deine gute Tat nicht verborgen, sondern ich war bei dir. Buch Tobit 12, 8-13

Liebe Schwestern und Brüder,

Seit gut 1 ¼ Jahren prägt die Pandemie unser Leben. Als im März 2020 der harte Lockdown begann, waren plötzlich Dinge verboten, die für uns als selbstverständlich galten und gelten. Bei vielen Tätigkeiten mussten wir auf einmal überlegen, dürfen wir das, wie können wir die Bestimmungen umsetzen? Jegliche Nähe war ein Tabu. Das hat für mich bedeutet, wie sieht es mit Krankenbesuchen, Krankenkommunion, Trauergesprächen und Trauerfeiern aus?. Wie kann ich den Menschen in dieser außerordentlich belastenden Situation dennoch beistehen?

Ich denke, das war für Sie als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hospizdienstes ebenso einschneidend. Am Anfang gab es keine Sterbebegleitung, dann wurde diese wieder aufgenommen, zunächst mit Schutzanzügen und sicher vielen Ängsten und Unsicherheiten. Es gab viel Kritik daran, dass Kirche sich in die eigenen 4 Wände zurückgezogen hat und nicht zu den Menschen ging. Ich selbst gebe ehrlich zu, ich habe mich an manche Vorgabe unseres Bistums nicht gehalten. Warum? Ich hatte immer mit großem Respekt die Bilder der Pfarrer in Bergamo vor Augen, die bei den Toten waren, die sie beerdigt haben und sich selbst mit Corona angesteckt haben und zum Teil gestorben sind. Ich habe wahrhaftig keinen Hang zum Märtyrerdasein. Aber ich habe das Verständnis von meinem Dienst, dass ich als Seelsorgerin aufgerufen bin, Menschen in existentiellen Nöten zu begleiten. Für mich wurde es letztes Jahr konkret und ernst. Für mich stand meine eigene Haltung auf dem Prüfstand. Meine ich, was ich sage? Lebe ich, was ich predige? Auf einmal war es gefährlich, Sterbende zu besuchen. Ich weiß nicht, ob Sie das auch so erlebt haben.

Im eingangs zitierten Bibeltext aus dem Buch Tobit geht es darum, den Toten den letzten Dienst zu erweisen. Dabei ging es um die Leichen, die von der Stadtmauer in Ninive geworfen wurden. Den Juden war es im babylonischen Exil verwehrt worden, ihre Toten zu bestatten, woran Tobit sich nicht hielt, was für ihn die Konsequenz hatte, dass er erblindete. Er hat dies ignoriert und diesen Dienst geleistet, denn er war von der Notwendigkeit überzeugt. Tote bestatten als Werk der Barmherzigkeit.

Im Buch Tobit werden auch schon die anderen Werke der Barmherzigkeit erwähnt, so wie wir sie später aus dem Neuen Testament kennen, aber eben darum ergänzt, die Toten zu bestatten. Es heißt dort an anderer Stelle:

Ich gab den Hungernden mein Brot und den Nackten meine Kleider; wenn ich sah, daß einer aus meinem Volk gestorben war und daß man seinen Leichnam hinter die Stadtmauer von Ninive geworfen hatte, begrub ich ihn. (Buch Tobit 1,17–20 )

Früher gab es in Anlehnung an Matthäus 25 nur 6 Werke der Barmherzigkeit, nämlich:

Hungrige speisen

Durstige tränken

Fremde beherbergen

Nackte bekleiden

Kranke besuchen

Gefangene besuchen

In der Aufzählung fehlt das Bestatten der Toten, das von dem Kirchenvater Lactantius im 3. Jahrhundert n.Chr. mit Bezug auf das Buch Tobit hinzugefügt wurde. Dies hat sich in der Folge als Bestandteil der sieben Werke der Barmherzigkeit etabliert.

Aus diesem Grund habe ich die heutige Bibelstelle ausgewählt, obwohl dieser Text bei einem ökumenischen Gottesdienst problematisch ist. Das Buch Tobit ist ein sogenanntes deuterokanonisches Buch, also eines, dessen Inhalt nur in zweiter Linie als Teil des biblischen Kanons gilt. Daher hat Luther diese biblischen Bücher nur als Apokryphen zur Lutherbibel hinzugefügt und in evangelischen Bibeln finden sie sich oft gar nicht.

Für mich ist dieser Abschnitt des Tobitbuches aber elementar wichtig für meinen Dienst. Zu diesem Werk der Barmherzigkeit, Tote zu begraben, gehört weitaus mehr dazu, nämlich auch, Trauernde zu trösten und Sterbende zu begleiten. All das, was wir heute als Trauerpastoral bezeichnen ist für mich Teil dieses Werks der Barmherzigkeit. In diesem Gottesdienst denken wir an die Menschen, die im vergangenen Jahr verstorben sind und vom Hospizdienst auf ihrem letzten Weg begleitet wurden. Hinter jedem Namen steht ein Schicksal, steht eine Familie, stehen Menschen, die um diese Person trauern. Trauer ist immer eine Ausnahmesituation und eine Herausforderung. Aber in Zeiten der Pandemie wurde das Leid der Angehörigen noch größer, denn viele durften sich noch nicht einmal verabschieden.

Die Situation hat Narben hinterlassen, sie schmerzt. Gerade daher war der Dienst der Hospizbegleiterinnen und –begleiter noch wichtiger. Denn sie haben in dem nicht einfachen Jahr auch weiterhin Sterbenden Beistand geleistet. Sie haben dieses Werk der Barmherzigkeit auch weiter ausgeübt, obwohl viel Unsicherheit herrschte und auch Angst vor Ansteckung.

Sie haben das gegeben, was besonders gefehlt hat, Nähe, Trost und Zuwendung. Dafür zolle ich Ihnen Respekt, dafür kann ich nur Danke sagen. Dies haben Sie nicht nur für die Sterbenden selbst getan sondern auch für die Angehörigen, für die Familien, die sich im vergangenen Jahr noch mehr im Stich gelassen fühlten, als sonst. Um die Kraft für diese Begleitung zu haben, gerade wenn alles, was klar war, plötzlich in Frage gestellt ist, wie es letztes Jahr war, brauchen wir selbst jedoch Kraftquellen, brauchen wir Halt. Mir ist im letzten Jahr immer wieder Psalm 139 als Trost in den Sinn gekommen. Dort heißt es:

HERR, du hast mich erforscht und kennst mich. /
2 Ob ich sitze oder stehe, du kennst es. *
Du durchschaust meine Gedanken von fern.
3 Ob ich gehe oder ruhe, du hast es gemessen. *
5 Von hinten und von vorn hast du mich umschlossen, *
hast auf mich deine Hand gelegt.

auch immer wieder beklagt. Dieses Spüren von menschlicher Nähe hat uns allen gefehlt. Ich hoffe, wir lernen aus der Pandemie, wie sehr wir Nähe und Zuwendung brauchen, wie wichtig Beistand ist, wie sehr er trösten kann. Die Aussagen von Ps 139 werden auch im Lied: „Ob ich sitze oder stehe“ umgesetzt.

Dort singen wir. Ob ich liege oder gehe, bist du Gott. Bist du Gott, bei mir.
Ob ich schlafe oder wache. Ob ich weine oder lache.
Bleibst du Gott. Bleibst du Gott, bei mir.
Refrain:
Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir, und hältst deine Hand über mir.

Diese Hand Gottes war und ist für mich unglaublich wichtig. Sie ist Halt für mich. Immer wieder suche ich danach. Auch letztes Jahr gab es Punkte, an denen ich das Gefühl einer Gottesferne hatte. Nicht immer war es einfach, diesen Halt in ihm wiederzufinden. Ich wünsche Ihnen, dass es immer wieder gelingt, dies zu spüren. Denn tief in meinem Herzen weiß ich, Gott geht als Begleiter neben mir, gerade in Krisenzeiten, gerade in Einsamkeit.

Amen.

(Marieluise Gallinat-Schneider)