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Marieluise Gallinat-Schneider

Gemeindereferentin in Bruchsal

Predigten von Marieluise Gallinat-Schneider

Predigt, Andacht zum Gräberbesuch, Allerheiligen 1. November 2019, St. Peter, Bruchsal

Bibeltext

Ich bin überzeugt, dass die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll. Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat; aber zugleich gab er ihr Hoffnung: Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. Aber auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf, dass wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar werden.(Röm 8,18-30)

Liebe Schwestern und Brüder,

zum Abschluss des Glaubenskurses in der Fastenzeit bekamen alle Teilnehmenden Blumensamen für eine Schmetterlingswiese geschenkt. Dieses Mitgebsel direkt vor der Karwoche sollte auch ein Zeichen der Auferstehung sein. Niemand wusste, was es für Blumen sein würden, die aus den Samen hervorgehen würden. Meine Pflanzen entwickelten sich prächtig. Bereits nach kurzer Zeit gab es viele grüne Keime. Besonders groß war die Freude, als ich aus dem Urlaub heimkam und eine schöne Sonnenblume entdeckte. Ich überlegte, schneide ich sie ab? Dann verwelkt sie noch schneller, aber auch so wird dieser letzte Bote des Sommers sich nicht lange halten! Jeden Morgen nach dem Aufstehen schaute ich vom Küchenfenster auf das gelbe Leuchten. Ich verspürte Wehmut und Trauer beim Gedanken an das Welken und Verblühen

Sie alle kennen sicher die Geschichte vom kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exupéry und seiner Rose. Als er feststellt, dass es auf anderen Planeten zig gleiche Blumen gibt wie seine Rose, die behauptete, einzigartig zu sein, ist er sehr enttäuscht, bis er begreift, dass seine Blume einzigartig ist, weil es ja die ist, die er begossen und geschützt hat. So geht es uns ja mit allem in der Natur, mit dem Garten, den Pflanzen, den Haustieren. Wenn das, was wir gehegt und gepflegt haben, vergeht und stirbt, schmerzt uns der Verlust ungeheuer.

Wir wissen, wir sind ein Teil der Natur, dennoch ist das Sterben eines Menschen natürlich nicht mit dem Welken der Natur gleichzusetzen, weil der Verlust eines geliebten Partners, einer Mutter, eines Familienmitglieds Lücken reißt, die mit nichts vergleichbar sind.

Dennoch spüren wir, dass das Artensterben durch den Klimawandel, welches in den letzten Jahren rapide zunimmt, uns auch um Verluste trauern lässt. Wir als Menschen haben die Aufgabe, sensibel zu sein für alles, was lebt, für alles, was wächst und gedeiht. Dies hat uns Greta Thynberg mit ihrer Bewegung drastisch vor Augen geführt.

Heute, am Festtag Allerheiligen dürfen wir trotz der Trauer um liebe Angehörige, an die wir heute Nachmittag beim Gräberbesuch denken, nicht übersehen, dass die gesamte Schöpfung, an die der Apostel Paulus im Römerbrief erinnert, der Vergänglichkeit unterworfen ist. Auch sie soll nach seinem Willen befreit werden zur Herrlichkeit der Kinder Gottes. Angesichts dessen, was dieses Jahr die jungen Leute mit ihren Fridays for Future Demonstrationen publik machten, sind dies geradezu moderne und revolutionäre Sätze!

Wir sollten Trauer empfinden über das Schmelzen von Gletschern, dürfen entsetzt sein über Bienen- oder Amselsterben, uns an Wiesen erinnern, die es in unserer Kindheit noch zahlreich gab, die verheerenden Schäden des letzten Hitzesommers auf unsere Bäume betrauern und sollten sensibel bleiben, für das, was momentan durch die menschengemachte Erwärmung unseres Planeten geschieht.

Wenn wir Leid erfahren, wenn wir Trennungen, Krankheiten, Tod, Trauer und Verletzungen erleben, erscheint es uns oft so, als ob wir unter einer Glasglocke sitzen und rechts und links nichts mehr mitbekommen. Wir nehmen keinen Anteil an dem, was um uns herum geschieht, sehen nur unser eigenes Schicksal. Ich denke, zunächst ist dies auch völlig legitim. Wir dürfen zuerst einmal in unserer Trauer und unserem eigenen Schmerz verharren.

Wir sehen in dem Moment nichts, keine Schönheit der Natur, keine Sonnenblume, die sich in ihrer leuchtenden Pracht verschenkt.

Aber dann sollte der Moment kommen, der bei jedem von uns unterschiedlich sein wird, wo wir wieder wahrnehmen, was ansonsten geschieht. Paulus erinnert uns daran, dass wir ein Teil des Gesamten sind und Gott der Schöpfer des gesamten Universums.

Damit kann uns die Sensibilität für dieses großartige Ganze wieder vor Augen stehen und wir können Verantwortung dafür empfinden und damit auch Trauer, wenn die Natur vergeht und stirbt und Teile danach nicht wieder aufblühen und neu entstehen, weil sie kaputt sind für immer.

Die Schöpfung seufzt, weil sie leidet, weil sie krank ist. Wie bei Geburtswehen bringt dieses Leid jedoch neues Leben hervor, neues Leben bei Gott. Es ist ein Zeichen von Auferstehung.

Dennoch, auch wenn es sein mag, dass dies Geburtswehen einer Schöpfung sind, die erst in der Ewigkeit zur Vollendung geführt wird, glaube ich nicht, dass wir als Menschen uns unserer Verantwortung für alles, was lebt, entziehen dürfen.

Es ist aber dennoch nicht nur ein billiger Trost, zu wissen, dass die gesamte Schöpfung, Tiere, Pflanzen, Bäume, in die Schöpfungsordnung einbezogen ist und daher auch Teil der Auferstehung und der Ewigkeit ist. Und, auch sie ist Teil der Freiheit der Kinder Gottes.

Bereits Origines hat im 3. Jh. N. Chr. von der Wiederherstellung aller Dinge gesprochen, von apokatasta sis panton. Am Ende der Welt wird alle Schöpfung von der Sklaverei und Verlorenheit befreit, so formuliert es Paulus. Origines war mit diesen Ideen und Gedanken, wie in allem, was seine Person betraf, nicht unumstritten. Aber ich verstehe den Text des Paulus aus dem Römerbrief auch als solche Wiederherstellung eines Urzustands.

Ich finde dies sehr tröstlich angesichts der jetzigen Diskussionen um das Klima, zu wissen, es ist meine Verantwortung, nicht wegzuschauen und meinen Teil zu leisten. Gleichzeitig darf ich aber auch darauf vertrauen, dass das Leiden der gesamten Schöpfung, deren Zerstörung wir im Augenblick mit Erschrecken anschauen, in die Auferstehung mit hineingenommen wird und Erlösung findet.

Ein Foto meiner Sonnenblume ist noch auf meinem Handy, es dient mir als eindrückliches Zeichen für die Wiederherstellung der Schöpfung bei Gott. Ich werde die Kerne sammeln, um sie nächstes Frühjahr wieder zu säen, mal sehen, was passiert! Die Sonnenblume zeigt mir, dass nichts, was vergeht, verloren ist für immer, sie gibt mir Hoffnung, dass die Natur auch ein Teil von Gottes Werk ist, das in seinen Händen liegt und leuchtet damit auch als Symbol für Auferstehung. Amen.

(Marieluise Gallinat-Schneider)