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Marieluise Gallinat-Schneider

Gemeindereferentin in Bruchsal

Predigten von Marieluise Gallinat-Schneider

Predigt in der Gebetswoche, 20. Januar 2019, Lutherkirche, Bruchsal

Beten hilft?!

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

so können Sie es auf dem Flyer für die Gebetswoche lesen. Dort steht es mit Ausrufezeichen. Je nach Situation und Erfahrung würde ich dies jedoch weniger als Feststellung oder Ausruf formulieren, denn als Frage. Hilft beten wirklich immer?

Wie oft habe ich das Gefühl gehabt, meine Gebete verhallen ungehört. Ich befand mich persönlich gerade in einer sehr schwierigen Situation und hatte daher Probleme, überzeugend Aussagen zum Glauben zu vermitteln, weil ich selbst voller Zweifel war, als ich im Unterricht ein kleines Wunder erlebte. Im katholischen Religionsunterricht wird in der dritten Klasse als Vorbereitung auf die Erstkommunion über die Brotwunder gesprochen. Die Bibelworte, die damals als Grundlage der Stunde dienten, möchte ich nun als Predigttext vorlesen. Ich habe den Text aus dem Johannesevangelium gewählt, Kapitel, 6 die Verse 1-13

Die Speisung der Fünftausend
Danach ging Jesus weg ans andre Ufer des Galiläischen Meeres, das auch See von Tiberias heißt. Und es zog ihm viel Volk nach, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. Jesus aber ging hinauf auf einen Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern. Es war aber kurz vor dem Passa, dem Fest der Juden. Da hob Jesus seine Augen auf und sieht, dass viel Volk zu ihm kommt, und spricht zu Philippus: Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben? Das sagte er aber, um ihn zu prüfen; denn er wusste wohl, was er tun wollte. Philippus antwortete ihm: Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, dass jeder auch nur ein wenig bekomme. Spricht zu ihm einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus: Es ist ein Knabe hier, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Aber was ist das für so viele? Jesus aber sprach: Lasst die Leute sich lagern. Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich etwa fünftausend Männer. Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, so viel sie wollten. Als sie aber satt waren, spricht er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt. Da sammelten sie und füllten zwölf Körbe mit Brocken von den fünf Gerstenbroten, die denen übrig blieben, die gespeist worden waren.

Soweit das Evangelium. Die Stelle im Johannesevangelium bietet sich für Neunjährige natürlich an, wer kennt nicht das Bild des kleinen Jungen mit seinem Korb mit Broten und Fischen.

Nach dem Lesen des Textes wollte ich über diese Dinge mit den Schülerinnen und Schülern sprechen. Bevor es dazu kam, meldete sich einer der Jungen. Ich dachte, oh, das wird spannend, denn er hatte zumeist Fragen und Zweifel anzubringen. So auch jetzt. Bevor wir weiter mit unserem Unterrichtsgespräch über die Bedeutung von Brot kamen, platzte es aus ihm raus: Das kann ja überhaupt nicht sein, so was funktioniert doch nicht, man kann mit 5 Broten und 2 Fischen keine Mahlzeit für 5000 machen. So ein Quatsch! Mein kleiner Skeptiker, der nicht an Wunder glaubte, ließ seiner Empörung freien Lauf!

Ich stand damals noch recht am Anfang meiner Zeit als Religionslehrerin, ohne viel Erfahrung und Routine und überlegte, wie ich mit dieser Schulstunde weiter verfahren sollte. Außerdem war ich wie eingangs erwähnt, selber voller Fragen. Da meldete sich eines der Mädchen, eine sehr intelligente, aufgeweckte Schülerin. Ich nahm sie dran, gespannt, was sie zum Beitrag ihres Mitschülers sagen wollte. Dann kam es ganz schlicht: „ Das ist doch logisch, dass das funktioniert hat mit den 5 Broten und 2 Fischen! Hast Du denn nicht genau in den Text geschaut? Da heißt es, dass Jesus, bevor er die Brote verteilt hat, das Dankgebet sprach. Jesus hat gebetet und Gott hat ihm geholfen und dann funktioniert das eben“

Es war zunächst mal sehr still im Raum. Ich war beeindruckt von der tiefen Überzeugung und dem Glaubensbekenntnis dieser Neunjährigen. Beten hilft!

Ich bin nicht sicher, ob das Mädchen im Laufe seines Lebens noch so mit Inbrunst diesen Satz gesagt hat.

Bei Kindern ist es ja oft so, dass Gott zunächst wie die gute Fee oder der Zauberer funktioniert, der alles gut werden lässt, wenn man es sich wünscht, eben dafür betet. Dann wird das Haustier gesund, die Großeltern sterben nicht, die Schulnoten werden gut, die Eltern trennen sich nicht, all die Dinge, die in dem Alter existentielle Nöte darstellen, werden per Zauberstab gut. Wenn dann jedoch die ersten Situationen da sind, in denen nichts gut wird, bekommt der Glaube Risse. Dann ist es schwierig, zu einem erwachsenen Glauben zu finden.

Der Schritt von diesem fast magischen Verständnis, dass wir nur beten müssen, dann wird Gott alles richten, hin zum Vertrauen auf Gott und darauf, dass er über mein Leben wacht, egal, was auch passiert, dieser Schritt ist nicht leicht.

Wenn wir uns in den schwierigsten Situationen vertrauensvoll im Gebet an Gott wenden, bekommen wir Stärke und Kraft verliehen, davon bin ich überzeugt. Wir bekommen jedoch keine Lösungen für unsere Probleme auf dem Silbertablett serviert, das Leid wird nicht verhindert. Aber Gottes Versprechen „Bitte und euch wird gegeben werden“ meint er ernst, wenn auch oft anders, als wir es uns vorstellen.

Klar, vielfach ist uns später auch bewusst, dass manche unserer Wünsche sicherlich kleinlich waren, dass vieles gar nicht gut für uns war, wenn es darum geht, dass wir gebetet haben, einen bestimmten Beruf zu ergreifen oder wenn Eltern darum bitten, dass ihr Kind Abitur macht oder ähnliche Sehnsüchte äußern. Oft ist uns bewusst, dass sind zutiefst menschliche Dinge, aber vielleicht muss unser Weg da tatsächlich anders verlaufen.

Aber wenn es um chronische, gar lebensbedrohliche Krankheiten, Trennung, Tod von lieben Menschen und andere existentielle Erschütterungen in unserem Leben geht, ist unsere Hoffnung auf Gebetserhörung in unseren Augen durchaus berechtigt. Was, wenn es dann anders kommt?

Dietrich Bonhoeffer stellte fest: „Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.“

Das ist oft sehr schwer. Wenn man am Boden ist, keine Kraft mehr hat, scheinbar nichts mehr geht, dann ist das Aushalten und Vertrauen auf Gott fast unmöglich.

An solchen Punkten im Leben kann in mir die Erkenntnis wachsen, Beten hilft nicht.

Es gibt Menschen, die sich bis ins hohe Alter einen kindlichen Glauben bewahren, den scheinbar nichts erschüttern kann. Aber die meisten von uns haben sicher auch Zeiten des Haders, der Zweifel hinter sich und kennen das Gefühl, dass man sich fragt, wieso man betet, denn es tut sich nichts. Aber die Ursache dafür ist in diesen Fällen oft, wie wir beten. Wir beten falsch. Wir meinen Gott vorschreiben zu müssen, was jetzt zu passieren hat.

Im Text der wunderbaren Brotvermehrung steht ganz lapidar, Jesus nahm die Brote, dankte, mehr nicht. Da steht kein Wort davon, dass Jesus gebetet hat, guter Gott, hier sind viele Menschen, die Hunger haben, wir brauchen Essen für sie, bitte gib ihnen! Wie heißt es im Matthäusevangelium, Kapitel 6, Vers 7: Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viel Worte machen. Oft meinen wir ja, wir müssten Gott ganz genau erklären, was wir von ihm erbitten, was er alles zu tun hat, dann heißt es mach bitte das und das… Lauter unnütze Dinge.

Worum geht es wirklich? Es geht darum, Gott soll mir nun Kraft geben, Gott soll mir helfen die aktuelle Situation durchzustehen. Darum will ich bitten, darum wende ich mich vertrauensvoll im Gebet an ihn. Und es ist wie im Text von Bonhoeffer ausgesagt. Ich bekomme so viel, wie ich gerade brauche, es bleibt schwer, es bleibt schwierig, aber es geht weiter. Und Gott schickt mir nicht nur Kraft, sondern es sind vor allem Menschen, die uns von Gott geschickt werden, die plötzlich da sind und uns hilfreich wie ein Engel, wie von Gott gesandt zur Seite stehen und damit in einer Krise ermöglichen, damit umzugehen.

Begegnungen, die mir als Gottesbegegnung vorkommen, so dass in mir etwas aufbricht. Auch das ist Gebetserhörung. Es kann sein, dass ich dadurch ein kleines Wunder erlebe. Es kann sein, dass ich Nahrung erhalte, satt gemacht werde, wie diese Brotwunder uns ja deutlich machen wollen, dass Jesus uns Nahrung gibt.

Manchmal können Menschen, deren Glauben überzeugend ist, wirklich Kraft geben. Manchmal verspüren wir auch von innen heraus eine Stärke, die uns trägt und es uns ermöglicht, Situationen zu überstehen, bei denen wir im Nachhinein sagen, wie habe ich das nur geschafft?

Es ist dann nicht alles gut, aber vielleicht können wir durch ein solches Erlebnis wieder beten. Dann kann Beten sogar dazu verhelfen, die Situation überhaupt durchzustehen, kann Stärke verleihen.

Daher ist es gut, zu beten. Es ist auch gut, gemeinsam und füreinander zu beten. Wie oft bewirkt es Erstaunen, aber auch Freude, wenn Menschen in einer tiefen Krise stecken oder Angst um ihre Familie haben, ihnen zu sagen, ich bete für Euch. Manchmal ist es wichtig, wenn man selbst nicht mehr kann, zu wissen, da sind Menschen, die für mich beten.

In Klöstern wird für die Anliegen der Menschen gebetet. Wenn wir mit Firmgruppen in Baden-Lichtenthal waren, waren die Jugendlichen erstaunt, wenn die Schwestern zu ihnen beim Abschied sagten, sie würden für sie beten. Das macht etwas mit Menschen, habe ich oft erfahren!

Heute gehen viele Gemeinschaften auch neue Wege, es gibt Gebetskreise, die im Netz beten, auf dem Smartphone, in Chatrooms. Es geht darum, sich beim Beten zu vernetzen, als Gemeinschaft zu beten.

Ein Gebet rund um den Erdkreis wie beim Weltgebetstag, ein Friedensgebet mit vielen Konfessionen und Religionen, ein Gebet wie das Hausgebet im Advent kann das Anliegen verstärken. Außerdem tut es gut, sich in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten zu befinden.

Unsere Gebetswoche will das Gleiche. Wir wollen in Gemeinschaft beten, wollen zu den Menschen gehen, dorthin, wo sie leben und arbeiten. Es löst bei den Einrichtungen, auf die wir zugehen, um anzufragen, zunächst Erstaunen aus. Stellen Sie sich einmal vor, wir überlegen im Vorfeld im Team, wo wir gerne beten würden. Dann rufen wir dort an. Wenn ich dann zum Beispiel im Amtsgericht anrufe und sage, hallo, wir würden gerne bei Euch beten, löst das zunächst Verblüffung aus. Da kommen Menschen und sagen, wir würden gern bei Euch beten, wir würden gern mit Euch beten, wir würden gern für Euch beten.

Da kommt dann schon als Reaktion, Gebet? Hier bei uns?

Ja, wir suchen der Stadt Bestes, indem wir beten.

Wir wollen in der vor uns liegenden Woche an verschiedenen Orten für die Menschen und mit den Menschen für Ihre Anliegen beten, wollen für Soldatinnen und Soldaten in ihren Einsätzen, für Menschen die vor Gericht stehen, aber auch die, die das Urteil fällen, für die Politikerinnen und Politiker unserer Stadt und Lehrerinnen und Schüler unser Gebet sprechen.

Dieses Anliegen verblüfft einige. Nicht jeder und jede kann damit etwas anfangen. Aber die Institutionen lassen sich bereitwillig darauf ein, mit uns gemeinsam einen Weg zu gehen, einen Weg des gemeinsamen Gebetes. Gern lassen wir uns zunächst erzählen, was die Menschen bewegt. Gott weiß, worum wir bitten, ihm brauchen wir dabei keine Listen vorzutragen. Aber für diejenigen, die in Einrichtungen, Schulen und Institutionen tätig sind, ist es hilfreich, einmal sagen zu dürfen, was ihre Anliegen sind, wo es Probleme gibt und wofür sie bitten. Das ist doch das, was Jesus auch getan hat, er hat zugehört, er ist auf die Menschen eingegangen und dadurch hat er ihnen Kraft gegeben. Wenn wir als Christen deutlich machen, wir interessieren uns für Dich, wir wollen etwas von Dir wissen, tut das gut.

Aber machen wir uns dabei deutlich, dies auszusprechen ist gut für die Menschen, aber Gott braucht es nicht! Es tut uns gut, wenn jemand hört, was uns beschäftigt, in dem Sinne wollen wir erfahren, was die Menschen bewegt. Aber Gott brauchen wir dies nicht in langen Abhandlungen zu berichten, ihn können wir schlicht um Hilfe und Begleitung bitten und uns vertrauensvoll an ihn wenden, dass er da ist, mehr braucht es nicht.

Vielleicht können auch dabei kleine Wunder geschehen, vielleicht können Menschen satt werden, kann Jesus Nahrung geben. Schauen wir zum Abschluss noch einmal auf das Evangelium, das wir zu Beginn gehört haben, blicken wir noch einmal auf das, was dort geschah:

Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten

Viele waren gekommen, weil sie das Bedürfnis hatten, Jesus zu hören. Sie wollten seine Predigt hören, die für sie eine Kraftquelle darstellte. Wer weiß mit welchen Sorgen und Anliegen die damaligen Menschen an den See Genezaret kamen? Und Jesus gab den Menschen, er richtete nicht nur Worte an sie, er gab ihnen auch zu essen. Er war Nahrung, er war Brot für die Menschen. So gestärkt sind sie danach in ihren Alltag gegangen.

Es wäre schön, wenn die Gebetswoche auch eine Kraft, eine Stärke geben könnte. Wenn wir an den verschiedenen Orten, an denen wir beten, deutlich machen könnten, wir stehen an Eurer Seite, wir geben uns im Namen Jesu gegenseitig Kraft. Wir geben uns als Werkzeug Gottes den Menschen, hören zu, begleiten sie mit unserem Gebet, dann kann das hilfreich sein für den Alltag, kann einfach gut tun. Darum geht es.

Beten hilft!

Amen.

(Marieluise Gallinat-Schneider)