Navigation zeigen
Navigation verbergen

Marieluise Gallinat-Schneider

Gemeindereferentin in Bruchsal

Predigten von Marieluise Gallinat-Schneider

Andacht zum Gräberbesuch an Allerheiligen, 1. November 2015, St. Peter, Bruchsal

Bibelstelle

In jener Zeit, als Jesus die vielen Menschen sah, die ihm folgten, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Dann begann er zu reden und lehrte sie. Er sagte: Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein. (Mt 5, 1-12a)

Liebe Schwestern und Brüder,

ich habe heute für die Ansprache zum Gräberbesuch nicht den Allerseelentext gewählt, den Text für den morgigen Tag, der ja der eigentliche Tag des Totengedenkens, der Trauer ist. Nein, ich habe mich an auf das heutige Evangelium des Allerheiligentages besonnen. Ein Satz daraus weist für mich heute den Weg vom Fest Allerheiligen zum Gräberbesuch. "Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden." Dieser Satz bleibt für mich oft mit vielen Fragezeichen versehen, wenn ich in Trauergesprächen mit Angehörigen von jung und tragisch verstorbenen Menschen bin, wenn geliebte Menschen sterben und einfach nur Leere da ist. Ich frage mich, geht es dabei nicht um eine billige Jenseitsvertröstung? Viele Menschen können an die Vorstellung eines Lebens nach dem Tod nicht glauben. Wie soll ich ihnen da Hoffnung machen?

Bärbel Wartenberg-Potter, die frühere Bischöfin der nordelbischen lutherischen Kirche in Lübeck hat sich in einem Buch zur Fastenzeit über die Bergpredigt dazu Gedanken gemacht. Sie buchstabiert die Bergpredigt Satz für Satz durch mit Kurzandachten, Predigten und Gedanken. Zum Satz über die Trauer zitiert sie die Tochter des früheren EKD-Vorsitzenden Nikolaus Schneider, selbst Theologiestudentin, die an Krebs erkrankt und über ihre Erfahrungen ein Buch bis zum Tod schreibt, das viele tröstet. Sie selbst jedoch hat auch Phasen des Haderns. Als eine Mitpatientin stirbt und es in der Todesanzeige heißt, sie hat ihr Ziel erreicht, sagt sie, ihr Ziel sei Leben! Das versteht man gut bei einer jungen Frau! Die denkt nicht an ein ewiges Leben, nicht daran, dass es ein Leben ohne Trauer bei Gott geben wird. Sie glaubt schon daran, aber zum Zeitpunkt dieses Tagebucheintrags will sie zunächst gesund werden, will leben. Jenseitsvertröstungen scheinen hier nicht angebracht, haben einen schalen Beigeschmack.

Wir wollen Trost sprechen, indem wir etwas Gutes sagen, aber es gibt Situationen, da gibt es nichts Positives zu sagen. Es geht nicht darum, dass Schwere ungeschehen zu machen, zum Guten zu wenden oder darin eine Chance zu sehen. Wenn ich den Satz höre, in der Krise liegt die Chance, dreht sich mir oft der Magen um. Wir wissen nicht, wofür das Leid, die Trauer, die Erfahrung von Tod gut sein sollen. Wir müssen es stehen lassen, wir können es nicht wegzaubern. Manchmal entdecken wir auch im Leid Sinn, ja, aber vielleicht erst Jahre später. Da ist es wenig hilfreich, in der Situation selbst, von anderen schon Deutungsversuche zu erhalten. Zumal ich den Sinn der schwierigen Situationen auch nur selbst entdecken kann, den können nicht die gut gemeinten Sichtweisen anderer geben.

Wie aber soll ich da trösten? Wie viele glauben, andere nicht trösten zu können. Wir können den Schmerz nicht wegnehmen. Wartenberg-Potter schreibt den schönen Satz: "Trösten im biblischen Sinn meint: Helfen, die Kraft zu erneuern, die beim Trauern verloren geht."

Der Satz gefällt mir, er macht mir Mut. Er weist in zwei Richtungen. Zunächst bedeutet biblisches Trösten der Blick auf Gott, der Blick auf Jesus, der um unsere Nöte weiß, er nimmt die Menschen, die trauern in den Blick, er verspricht Trost. Er weiß, wie schwer uns Schicksalsschläge mitnehmen, wie sich Trauer anfühlt. Er solidarisiert sich mit uns in diesen dunklen Stunden und will, dass die Trauernden getröstet werden. Er mahnt uns auch, dazubleiben, vor der Trauer nicht wegzulaufen. Er entzieht sich nicht, er hat keine Angst vor den Leidenden. Ich habe schon oft von Menschen in schwierigen Situationen erfahren, wie wichtig ihnen diese Hoffnung war, zu wissen, durch die vielen neutestamentlichen Erfahrungen zu wissen, wenigstens Jesus zeigt immer wieder seine Verbundenheit zu Menschen, von denen sich die anderen abwenden. Viele machen die Erfahrung, dass die anderen wegbleiben. Sogar die Bibel kennt dies schon, im Psalm 88 heißt es: "Du hast mir die Freunde und Gefährten entfremdet."

Das erinnert uns an unsere Schwäche, wegzubleiben. Dies tun wir in vielen Leidsituationen. Menschen trauern nicht nur angesichts des Todes, sie trauern über den Verlust des Arbeitsplatzes, über Trennungen und Scheidung, wenn Kinder Sorgen bereiten, wenn es Streit mit Freunden oder in der Familie gibt, bei Krankheit. Es gibt unzählige Leiderfahrungen. Diese gehen immer mit Trauer einher. Aber immer wieder stellen wir fest, wenn jemand weiß, was uns widerfahren ist, gehen uns andere oft aus dem Weg. Die Menschen haben Angst vor Trauer. Sie wissen, sie können nichts rückgängig machen, fürchten sich, die falschen Worte zu sagen. Dabei sehnen wir uns oft einfach danach, einen aufmunternden Blick zu bekommen.

Das ist die andere Richtung des Satzes: Das Beispiel Jesu fordert uns auf, nicht wegzuschauen, dazubleiben und selbst Kraft zu schenken. Wie gut kann es tun, in Situationen, in denen mir selbst alle Kraft entzogen ist, in denen ich alle Kraft verloren habe, Menschen um mich zu wissen, die für mich stark sind, so dass ich mich fallen lassen kann und schwach sein darf. Ich habe schon erlebt, dass jemand sich in Situationen, in denen ich nicht weiter wusste, zu mir getraut hat und einfach eine Tasse Kaffee gekocht hat oder das Geschirr gespült hat. Das war mehr, als jedes Wort!

Wir können mit aushalten! Wir können dableiben, uns nicht abwenden, zuhören, mitleiden, mit weinen, mit trauern, eine Hand halten, einen Brief schreiben, eine Mail schicken, anrufen, wir können so vieles tun. Und - wir können hoffen, dass andere Mitmenschen ebenso für uns da sind, wenn wir in solchen Situationen stehen. Wir können unsere Nächstenliebe zeigen, indem wir Trauer zulassen und aushalten und damit niemanden einsam werden lassen, niemanden alleine lassen.

Auch heute hier diese gemeinsame Andacht, der gemeinsame Gräberbesuch ist Ausdruck unseres christlichen Verständnisses, dass die Trauer nicht nur ins stille Kämmerlein gehört, sondern gezeigt werden darf. Wir denken heute gemeinsam an liebe Menschen, wir trauern, wir spüren den Schmerz von Verlusterfahrungen und wissen, auch dieses Thema, auch diese menschlichen Erfahrungen dürfen ihren Raum haben und sich zeigen.

Erinnern wir uns noch einmal gemeinsam an den anfangs zitierten Satz und nehmen ihn mit auf den Weg:

"Trösten im biblischen Sinn meint: Helfen, die Kraft zu erneuern, die beim Trauern verloren geht".

Amen.

(Marieluise Gallinat-Schneider)