Predigten von Marieluise Gallinat-Schneider
Andacht zum Gräberbesuch an Allerheiligen, 1. November 2014, St. Peter, Bruchsal
Lesung
Die Hoffnung auf die Erlösung der Welt:
Ich bin überzeugt, daß die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll. Denn die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. Die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, nicht aus eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat; aber zugleich gab er ihr Hoffnung: Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. Aber auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf, daß wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar werden. (Röm 8,18-30)
AUCH EINE HOFFNUNG
Ein grab in der erde
Hoffnung aufzuerstehen in einem halm
(Grabplatte keine
Nicht noch im tod scheitern an stein)
So lautet ein Gedicht meines Lieblingslyrikers Reiner Kunze.
Liebe Gemeinde,
verhindert nach seiner Auffassung die Grabplatte die Auferstehung? Ein Gedanke, der mich an Ostern denken lässt. Wir erinnern uns. Was beschäftigt die Frauen, die auf dem Weg zum Grab Jesu sind, um ihn zu salben? Sie fragen sich, wer wird den Stein wegrollen? Ein schwerer Stein verhindert den Zutritt zum Grab. Und dennoch, Auferstehung war möglich, der Stein hat nicht gehindert.
Bei Steinen denken wir auch an die Grabsteine, die uns den Namen der Verstorbenen verraten, vielleicht deren Geburts- und Todesdatum. Der Stein ist wichtig, er wiegt schwer, aber nicht zu schwer, er zeigt die Massivität des Todes, ist aber auch Zeichen der Hoffnung. Beim Propheten Jesaja erfahren wir die Verheißung, ich habe Dich beim Namen gerufen, mein bist du. Gern sage ich diesen Satz, wenn ich bei einer Trauerfeier am Grab stehe und der Sarg oder die Urne in die Erde gesenkt werden, ist es doch die Gewissheit, dass wir in Gottes Hand sind. Die Zusage, als Kind Gottes von ihm mit Namen gerufen zu sein, ist tröstlich. Unser Name auf dem Grab drückt das aus.
Wir brauchen für unsere Trauer eben einen Ort, zu dem wir gehen können. Ich war dieses Jahr im KZ Buchenwald. Dort gibt es eine Gedenkstätte mit den Namen der Häftlinge. In den letzten Jahren gab es noch Funde von Urnen und man hat versucht, die Namen der Menschen, die dort verbrannt wurden, zu recherchieren und die Tafeln um deren Gedenken zu erweitern. Damit will man die Würde der Opfer wiederherstellen, ihnen einen Namen geben, sie wieder ins Gedächtnis rufen. Durch unseren Namen bleiben wir unvergesslich.
Die Psychologie lehrt uns, dass die Erinnerung wichtig ist, dass wir Orte zum Trauern brauchen, etwas, woran wir uns festmachen können.
In diesem Jahr erinnern wir uns daran, dass vor genau 100 Jahren der erste Weltkrieg ausbrach. Unzählige Soldaten waren in diesem Krieg auf den französischen Schlachtfeldern umgekommen, ohne das genau klar ist, wo ihr Grab liegt und ebenso viele, wenn nicht noch mehr, im zweiten Weltkrieg in den Weiten der Sowjetunion. Soldatenfriedhöfe wie Verdun sind für uns ein Sinnbild für das Grauen und die Katastrophe des ersten großen Krieges im 20 Jhdt. Am Hartmannsweilerkopf haben sich am Jahrestag des Auftakts des 1. Weltkrieges die Präsidenten Gauck und Hollande getroffen, um an die Toten zu denken, um damit auch ein Zeichen für die Aussöhnung Deutschlands und Frankreichs zu setzen. In Europa sind große Teile miteinander versöhnt, wir leben in Frieden.
Die ganze Welt jedoch scheint wieder am Abgrund zu stehen, sie ist an einem Punkt, an dem sie wieder komplett aus den Fugen geraten zu sein scheint. Es tobt Krieg in Syrien, Palästinenser und Israelis lieferten sich erbitterte Gefechte, die immer weiter vorrückenden Kämpfer der Isis stehen an der Grenze zur Türkei, in der Ukraine herrscht Bürgerkrieg.
Daneben wütet die Ebola und sorgt dafür, dass in den betroffenen afrikanischen Ländern Menschen rasch verscharrt werden, um die Ansteckungsgefahr zu verhindern. Auch dort Massengräber statt Totengedenken. Keine Zeit, an einem Grabstein zu stehen und zu trauern, weil auch der Rest der Familie erkrankt ist!
Viele von uns sagen, im Moment mag man keine Nachrichten mehr schauen, so viel Trauer und Leid hauen einen um. Wer ein Herz hat, kann sich davon nicht abgrenzen. Tausende von Menschen sind auf der Flucht, weil sie aus ihren Ländern vertrieben werden, auch wir hatten hier gerade erst die Einquartierung in der Landesfeuerwehrschule, weil viele Menschen schnell untergebracht werden mussten. Daneben haben wir seit einiger Zeit ohnehin die Gemeinschaftsunterkünfte. So viele Menschen haben ihr zu Hause verloren und brauchen unsere Hilfe.
Auch der Apostel Paulus beklagt im Römerbrief die Leiden der gegenwärtigen Zeit und kommt zum Schluss.. Denn wir wissen, daß die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt.
Die Schöpfung ist nach seiner Vorstellung noch nicht fertig, wir sind erst am sechsten Schöpfungstag und liegen so noch in Geburtswehen und leben eben nicht im Paradies.
Deshalb stehen wir auch hier und beklagen die Toten unserer Familien, Menschen, die zu früh gestorben sind, Verwandte, die in Kriegen, bei Verkehrsunfällen oder anderen Unglücken umkamen, Angehörige, die durch Krankheit starben, wir denken auch später auf dem Friedhof bei unserem Gräberbesuch an die unbekannten Toten, an Menschen, die eben keinen Stein haben, die irgendwo anonym liegen, an deren Grab heute niemand geht, um an sie zu denken.
Egal ob Familienmitglieder oder Verstorbene, an die keiner denkt, deren Sterbeort wir nicht kennen, alle haben heute ihren Platz im Gedenken. Wir hoffen, dass sie als Kinder Gottes mit hineingenommen werden in die Auferstehung.
Jede und jeder von uns hat Erfahrung mit Trauer, hat Erfahrung mit Abschieden und Verlusten. Und diese Leiden erleidet die gesamte Schöpfung, also Menschen aller Kontinente und Religionen. Weil das so ist, können wir angesichts der momentanen Ereignisse wenigstens eines tun, was vielleicht kleine Halme sprießenden Grüns aus Gräbern auferstehen lässt, nämlich nicht mit einstimmen in die Phalanx aus Vorurteilen und Allgemeinplätzen!
Wenn wir nicht meinen, jeder Muslim sei Salafist oder Mitglied der Isis, wenn wir sehen, dass die Flüchtlinge, die in Scharen zu uns kommen, zum Teil schwer traumatisiert sind und Angehörige betrauern, wenn uns klar ist, dass die Kämpfe zwischen Israel und Palästinensern kein Anlass für dumme antisemitische Sprüche bei uns sind, dann können wir als Menschheitsfamilie vielleicht etwas gegen die Leiden unternehmen.
Die Antworten dürfen nicht aus Angst vor Fremden, aus Unsicherheit über komplexe Zusammenhänge, ein einfaches Weltbild sein, in dem es nur schwarz oder weiß gibt, sondern wir müssen uns anstrengen, die anderen zu verstehen, ihre Überzeugungen zumindest anzuhören und zu überdenken und dann auch mitzuleiden angesichts der Katastrophen, die über uns hereingebrochen sind.
Wir alle sind Kinder Gottes und als solche leiden wir gemeinsam unter den Geburtswehen dieser Welt. Diese Schöpfung liegt in unserer gemeinsamen Verantwortung und wir können sie nur verbessern, wenn wir Anteil am Schicksal der Mitmenschen nehmen, egal woher sie kommen, was sie glauben und wer sie sind. Die Solidarität der Menschheitsfamilie als Kinder Gottes ist gefragt, damit die Jahrtage von Kriegen auf der Welt sich in den nächsten Jahren nicht noch mehr häufen und wir nicht noch mehr schlechte Nachrichten im Fernsehen verkraften müssen. Eben, damit auch nicht noch mehr Tote ohne Stein und Namen unter der Erde liegen, sondern Halme der Hoffnung sprießen. .
Amen.
(Marieluise Gallinat-Schneider)