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Marieluise Gallinat-Schneider

Gemeindereferentin in Bruchsal

Ökumenischer Gottesdienst, 9. November 2018, Lutherkirche, Bruchsal

Thema „Erinnerung und Verantwortung"

Dieser Gottesdienst basiert auf einer Vorlage der ACK, wurde aber für die Bruchsaler Verhältnisse überarbeitet und angepasst

Orgelvorspiel (Markus Bellm)

Liturgische Eröffnung (Marieluise Gallinat-Schneider)

Liturg*in: Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Gemeinde: Amen.

Liturg*in: Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn,

Gemeinde: der Himmel und Erde gemacht hat.

Begrüßung (Marieluise Gallinat-Schneider)

Liebe Mitfeiernde,

ich begrüße Sie herzlich zu diesem ökumenischen Gottesdienst anlässlich des Gedenkens an die Reichspogromnacht. Am 9. November 1938 brannten in Deutschland die Synagogen. Auch in Bruchsal. Ein Zeitzeuge berichtet, dass man nachts einen Feuerschein am Himmel sah und am nächsten Morgen auf dem Schulweg kamen sie an der noch immer brennenden Synagoge vorbei. Ein Bauzaun verhinderte den Zutritt. Ansonsten wurde nur darauf geachtet, dass der Brand nicht auf die in der Nähe liegenden Gebäude übergriff. 80 Jahre ist dies nun heute her. Das erste Mal feiern wir an diesem Gedenktag einen ökumenischen Gottesdienst. Wir, die ACG Bruchsal, haben ihn überschrieben „Erinnerung und Verantwortung“. Das Modell der Bruchsaler Synagoge, das hier im Altarraum steht, erinnert uns daran wie das Bruchsaler Gotteshaus aussah. Wir haben uns eben im weltlichen Gedenken dort versammelt, an dem Platz, wo nach dem Krieg ein Feuerwehrhaus errichtet wurde. Dies war ein höchst unsensibler Umgang mit diesem Ort. Dieses Feuerwehrhaus soll nun abgerissen werden. Es gibt zahlreiche Diskussionen, wie der Ort nun sensibel genutzt werden kann. Wir bitten Gott darum, dass dies in Zukunft gelingt. Dies ist Teil unserer Verantwortung. Unsere Verantwortung ist es auch, neu aufkeimenden Antisemitismus zu verhindern. Am 27. Oktober wurde ein Anschlag auf eine Synagoge in Pittsburgh verübt. 11 Menschen wurden erschossen, zahlreiche verletzt. Aber wir brauchen nicht in die USA zu schauen, wenn wir an Antisemitismus denken, auch bei uns nimmt dieser wieder zu. Den bleibenden Bezug der Kirche Jesu Christi zu Israel und dem Judentum wach zu halten, gehört zu den fundamentalen Lebensäußerungen der Kirche. „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich!“ (Röm 11,18) sagt Paulus im Römerbrief. Einer Geschichtsvergessenheit zu wehren und ein lebendiges Gedenken zu fördern, ist bleibendes gemeinsames Anliegen unserer Kirchen. Auf dem Weg zu einer Kultur des Erinnerns braucht es deutliche, gemeinsame und stetige Zeichen. Wenn wir der Erinnerung und der Umkehr Raum geben, können wir in Verantwortung vor Gott eine Zukunft gestalten, in der Offenheit, Verständigung, Solidarität und Mitmenschlichkeit wachsen. So wollen wir heute all das, was uns in diesem Zusammenhang bewegt, vor Gott tragen.

Gebet (Marieluise Gallinat-Schneider) Wir wollen beten, mit Worten, die Georg Kafka, ein Verwandter von Franz Kafka, 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt in seinem Totengebet schrieb:

Sieh, Herr, die Toten kommen zu Dir.
Die wir geliebt, sind allein
Und sehr weit
Nun müssen wir ihre Münder sein
Und beten zu Dir,
Du Ewigkeit.
Wir aber leben und dürfen nicht
Die Tage versäumen.
Wir tragen geduldig das schwere Gewicht
Zu Deinen Träumen.
Oh Herr, die Lebenden kommen zu Dir.
Die wir geliebt, sind allein.
Wir finden sie nicht.
Du aber wirst die Erleuchtung sein.
Du Licht. Amen.

Lied: Nun bitten wir den Heiligen Geist

Erinnerung an ein Bruchsaler jüdisches Schicksal (Florian Jung)

Ansagen der Stille (Marieluise Gallinat-Schneider)

Schuld benennen (Überarbeiteter Text von Franz Porz)

Das Erinnern an die Verbrechen auch in unserer Stadt mag für uns traurig, erschreckend und sogar unerträglich sein. Wir tun es aber in der Hoffnung, dass diese Erschütterung und dieses Erschrecken uns Klarheit geben darüber, wo heute unsere Verantwortung liegt. Dazu muss auch vergangene Schuld erkannt und benannt werden.

Die Juden wurden von den Nationalsozialisten bereits in den 30er Jahren zu Volksfeinden erklärt. Diesen Feindbildern widersprach kaum jemand. Der Antisemitismus hatte Rückhalt innerhalb der Bevölkerung – auch in bürgerlichen und intellektuellen Kreisen.

Die Sprache wurde von den Nationalsozialisten für ihre Zwecke umgeprägt und missbraucht. Die Geheime Staatspolizei „betreute“ die Juden angeblich. So wurde „Betreuung“ zum Vorwand für Terror, für den die Opfer auch noch bezahlen mussten. Ab 1941 sprach man verharmlosend von der „Endlösung der Judenfrage“, dabei handelte es sich um grausame Folter, Verschleppung und Vernichtung von Millionen von Menschen. Viele benutzten diese Sprache, ohne nachzudenken.

Kirchliche Reaktionen blieben weitgehend aus. Die Kirchen in ihrer breiten Mehrheit ließen diese Verbrechen an den Juden in mutlosem Schweigen geschehen. Zu tief verwurzelt waren die Ablehnung und Ausgrenzung der Juden. Jahrhunderte latenter oder offener Feindschaft machten gefühllos gegenüber dem staatlich propagierten Rassismus und der organisierten Vernichtung. Aufgrund dieses kollektiven Versagens gab es nur in wenigen Ausnahmen ein solidarisches Eintreten für die Verfolgten.

Einleitung ins Psalmgebet, Psalm wird im Wechsel gebetet (Erika Gerken)

Psalmgebet

1 Warum, Gott, hast du uns für immer verstoßen?
Warum ist dein Zorn gegen die Herde deiner Weide entbrannt?
2 Denk an deine Gemeinde, die du vorzeiten erworben,
als Stamm dir zu Eigen erkauft, / an den Berg Zion, den du zur Wohnung erwählt hast.
3 Erheb deine Schritte zu den uralten Trümmern!
Der Feind hat im Heiligtum alles verwüstet.
4 Deine Widersacher lärmten an deiner heiligen Stätte,
stellten ihre Banner auf als Zeichen des Sieges.
5 Wie einer die Axt schwingt im Dickicht des Waldes,
6 so zerschlugen sie all das Schnitzwerk mit Beil und Hammer.
7 Sie legten an dein Heiligtum Feuer,
entweihten die Wohnung deines Namens bis auf den Grund.
8 Sie sagten in ihrem Herzen: «Wir zerstören alles.»
Und sie verbrannten alle Gottesstätten ringsum im Land.
9 Zeichen für uns sehen wir nicht,
es ist kein Prophet mehr da, niemand von uns weiß, wie lange noch.
10 Wie lange, Gott, darf der Bedränger noch schmähen,
darf der Feind ewig deinen Namen lästern?
11 Warum ziehst du die Hand von uns ab,
hältst deine Rechte im Gewand verborgen?
18 Denk daran: Der Feind schmäht den Herrn,
ein Volk ohne Einsicht lästert deinen Namen.
19 Gib dem Raubtier das Leben deiner Taube nicht preis;
das Leben deiner Armen vergiss nicht für immer!
20 Blick hin auf deinen Bund!
Denn voll von Schlupfwinkeln der Gewalt ist unser Land.
21 Lass den Bedrückten nicht beschämt von dir weggehn!
Arme und Gebeugte sollen deinen Namen rühmen.
22 Erheb dich, Gott, und führe deine Sache!
Bedenke, wie die Toren dich täglich schmähen.
23 Vergiss nicht das Geschrei deiner Gegner,
das Toben deiner Widersacher, das ständig emporsteigt. (Ps 74)

Orgelmusik (ca 1 min Zäsur, Markus Bellm)

Bussgebet

Gnadenzusage und Aufruf zur Wachsamkeit (Achim Schowalter) Lied: Dona nobis pacem Predigttext: 2 Kor 5, 17-6,2 (Achim Schowalter)

Predigt (Achim Schowalter)

Lied: Dona nobis pacem (Orgel)

Friedensgruß

Fürbittgebet

(mit Einleitung) (Becker / Gerken / Weber) nach jeder Fürbitte Liedruf: Herr, gib uns Deinen Frieden … (gesungen) Lasst uns beten und nach jeder Bitte eine Kerze entzünden als Zeichen für den Heiligen Geist, der uns mit seinem Licht im Alltag leiten möge. Lebendiger Gott, mit Erschütterung haben wir das Leid vor dir ausgesprochen, das durch unsere Vorfahren in den Jahren der Nazi-Zeit über jüdische Männer, Frauen und Kinder gebracht wurde. Bis heute werden Menschen ausgegrenzt und verachtet, weil sie anders sind, anders denken, anders glauben. Lass uns mutig an der Seite derer stehen, die unsere Solidarität brauchen. Wir rufen zu Dir: Gemeinde: Herr, gib uns Deinen Frieden … (gesungen)

Vater unser

Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Lied: Lass uns in deinem Namen, Herr, die nötigen Schritte tun (Orgel)

Kollektenansage: Stolpersteine (Marieluise Gallinat-Schneider)

Segen und Entlassung (Marieluise Gallinat-Schneider)

Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.

So segne uns der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen

Orgelnachspiel (Markus Bellm)

(Marieluise Gallinat-Schneider)