Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Zur Entstehung des israelitischen Glaubens an Gott ⋅1⋅

Nach den Überlegungen zum alttestamentlichen Menschenbild wollen wir uns nun dem zweiten großen Themenkomplex zuwenden. Wir fragen nach dem Gott des Alten Testamentes.

Um das Gottesbild der Bibel verstehen zu können, ist es - wie bei allen Aussagen des Alten Testamentes - notwendig, sich vor Augen zu halten, dass Israel inmitten größerer und vor allem auch älterer Kulturvölker entstanden ist.

1. Das Bewusstsein der Abhängigkeit von anderen Kulten ⋅2⋅

Das Volk Israel unterhielt äußerst rege Kontakte zu diesen Völkern. Dementsprechend ist es äußerst wichtig, Bezüge zu den Nachbarvölkern zu entdecken. Geschichte, Kultur und Religion Israels sind von ihnen mitbestimmt.

Israel hat das gewusst. Die Bibel führt uns in Gen 2 Mann und Frau zwar so vor, als wären beide Hebräer gewesen; das heißt aber nicht, dass der Israelit davon ausgegangen wäre, dass die Menschheit am Anfang eine hebräische Menschheit gewesen sei.

Im Glaubensbekenntnis Israels, im "kleinen geschichtlichen Credo" in Dtn 26,5 wird ausdrücklich gesagt, dass die Aramäer beispielsweise dem Volk Israel zeitlich vorausgingen. Das "kleine geschichtliche Credo" betont sogar, dass das Volk Israel von diesem anderen Volk, vom Volk der Aramäer, abstammt.

Es heißt in Dtn 26,5:

"Ein umherirrender Aramäer war mein Vater." (Dtn 26,5.)

Israel wusste darüber hinaus um seine Beziehungen zu Ägypten. Dort hat man lange Jahre gelebt, dort hat man viel von der ägyptischen Kultur mitbekommen und letztlich die Befreiung am Schilfmeer erlebt.

2. Die Vorfahren waren keine Jahwe-Verehrer

Selbst die Tatsache, dass die Vorfahren Israels keine Jahwe-Verehrer waren, hat sich im Bewusstsein des Volkes erhalten. Es war bekannt, dass die Vorfahren so stark in die Kulturen der Frühzeit eingebunden waren, dass sie auch deren Religion angehörten.

In der Rede des Josua auf dem Landtag zu Sichem (Jos 24,2ff) beispielsweise, lebt die Erinnerung an diese Zeit fort. Dort wird ganz deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Vorfahren nicht nur keine Jahwe-Verehrer waren, sie werden nicht einmal unter die Monotheisten gerechnet.

"Jenseits des Flusses wohnten einst eure Vorväter, Terach, der Vater Abrahams und Nachors, und dienten anderen Göttern." (Jos 24,2.)

3. Das besondere Verhältnis zu Jahwe als Grund der eigenständigen Entwicklung

Israel wusste sich also als Ergebnis und Produkt einer langen Vorgeschichte. Aber es war bei alledem der festen Überzeugung, dass es als Volk durch die Führung und die besondere Fügung Jahwes zustande gekommen war.

Aufgrund dieses besonders erlebten Verhältnisses zu Jahwe hat sich das mit dem Alten Orient ansonsten durch und durch verwandte Israel im Laufe der Zeit abgesondert und seine Besonderheit entfaltet. Und dies vor allem auf dem Gebiet seiner Religion.

4. Der Entwicklungsprozess der israelitischen Religion

Die Religion Israels ist nun genauso wie das Volk nicht vom Himmel gefallen. Wir stellen ganz deutlich ein langsames Werden dieser Religion fest.

a. "Offenbarung im Werden"

Über Hunderte von Jahren hinweg hat sich der spezifische Glaube an Jahwe entfaltet. Und diese Entfaltung war mit dem Beginn der Verschriftung von Texten noch lange nicht abgeschlossen. Durch das ganze Alte Testament zieht sich diese Entwicklung durch.

Wir können daher mit Fug und Recht sagen, dass der Glaube des Alten Bundes - und dementsprechend auch das Alte Testament selbst - eine "Offenbarung im Werden" ist.

b. Das Werden der Religion bei den Nachbarvölkern

Natürlich ist das bei den anderen Kulturen und Religionen nicht sehr viel anders gewesen. Auch andere Religionen zeigen eine politische, soziologische und kulturelle Entwicklung. Aber diese Entwicklung verlief in Israel eben anders, als bei den umliegenden Völkern.

Im Allgemeinen entsteht ein Volk durch einen Zusammenschluss verschiedener Stämme. Diese Stämme haben normalerweise ihre je eigenen Götter; und diese müssen nun in irgendeine Art Pantheon integriert werden.

Die Entwicklung verläuft daher - religionsgeschichtlich gesehen - meist von der Monolatrie, also der Verehrung eines einzigen Stammesgottes, zum ausgeprägten Polytheismus.

c. Das Werden der israelitischen Religion

In Israel lief dieser Prozess aber nicht so. Es ereignete sich hier, in der Ausprägung des Monotheismus, etwas ganz Neues. Die unterschiedlichen Gottheiten der einzelnen Stämme bildeten kein Pantheon, sie wurden miteinander in eins gesetzt, miteinander identifiziert als der eine Gott.

Diesen Prozess erlebte Israel als eine Selbsterschließung Gottes. Er selbst habe seinem Volk eröffnet, dass die einzelnen Vätergottheiten ein und derselbe Gott seien. Diese Selbsterschließung Gottes hat Israel dabei ganz konkret in seiner Geschichte erfahren. Das heißt: Israel war davon überzeugt, dass sich Gott selbst durch sein Wirken in der Geschichte seinem Volk eröffnet hatte.

d. Israels Gott - ein Gott der Geschichte

Von daher redet man in Israel von diesem Gott häufig in geschichtlichen Dimensionen. Er ist

  • der Gott der Väter,
  • Jahwe, der Gott des Exodus,
  • der Gott des Bundes am Sinai
  • und schließlich der Gott des Bundes mit David.

Israels Gott ist also ein Gott der Geschichte.

5. Schwierigkeiten bei der Rekonstruktion der Vorgeschichte

Die Frühstufen der Religion Israels lassen sich dabei nur schwerlich nachzeichnen. So wie wir den Verlauf der früheren Geschichte Israels nicht bis ins Letzte rekonstruieren können, so entzieht sich auch der Anfang der israelitischen Religion einem sicheren Zugriff.

Moses, die Stiftergestalt des Jahweglaubens, kann zumindest mit großer Sicherheit als historische Persönlichkeit angenommen werden. Dies ist in Analogie zu anderen Religionen beinahe zwingend notwendig. Es gibt keine Religion ohne wirkliche Stiftergestalt.

Das, was vor Moses lag, lässt sich dann aber kaum noch richtig erheben. Erst ab der der sogenannten Jahweoffenbarung an Moses haben wir diese Jahwe-Religion relativ deutlich vorliegen. Von da an lässt sich dieser Glaube recht klar in den Blick nehmen und anskizzieren.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Dieser Abschnitt folgt: Alfons Deissler, Die Grundbotschaft des Alten Testaments (Freiburg 1972). Zur Anmerkung Button

2 Vgl.: Alfons Deissler, Einleitung in das Alte Testament - Zusammenschrift entsprechend einer autorisierten Vorlesungsmitschrift des WS 1969/70 bzw. einer nicht autorisierten Mitschrift anhand von Bandaufnahmen des WS 1976/77 mit teilweisen Ergänzungen für das WS 1979/80 (Albert-Ludwig-Universität Freiburg i. Br.) 162-163. Zur Anmerkung Button