Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Die Textkritik - Frage nach dem richtigen Text

1. Handschriften

Codexseite

Seite des 1844 im Katharinenkloster
auf dem Sinai gefundenen Codex Sinatiticus - Mt 10,17-11,5.

Foto-ButtonLizenz: Unknown author, Codex Sinaiticus Matthew 8,28-9,23,
als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Wir müssen dabei be­rücksichtigen, dass die Bibel im christlichen Bereich ja nicht gleich von Anfang an Gegen­stand wissenschaftlichen Interesses war.

Am Anfang, also in den ersten christlichen Jahr­hunderten, ging es ja nicht um eine wissen­schaftliche Beschäfti­gung mit der Bibel. Schwerpunkt war damals wohl zunächst ganz einfach die technische Frage der Verbreitung. Das erste Anliegen, das man hatte, war ganz einfach, den Text zu besitzen, mit ihm arbeiten zu können und ihn weiterzugeben.

So entstanden zahllose Abschriften. Zunächst wohl Gelegenheitsarbeiten, später dann in größerem Umfang systematisch hergestellte Handschriften. Erstellt wurden sie vor allem in den Klöstern und dort in zum Teil schon beinahe fabrikmäßig arbeitenden Schreibstuben, in denen nach Diktat mehrere Texte gleichzeitig niedergeschrieben wurden.

In den Klöstern, also im christlichen Bereich, wurde aber vor allem der griechische und lateinische Text weitergegeben. Der hebräische Text hingegen wurde vor allem im jüdischen Umfeld tradiert.

2. Die Masoreten

Vor allem die Nachfolger der Schriftgelehrten bemühten sich bereits unmittelbar nach dem Untergang des 2. Tempels, also nach der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Chr., den Text des Alten Testamentes zu sichern.

Mit akribischer Gelehrsamkeit erarbeiteten sie aus den in Gebrauch befindlichen Bibelhandschriften einen anerkannten Text. Das heißt, sie verglichen unterschiedliche Textüberlieferungen und versuchten die Unterschiede auszugleichen. Sie bemühten sich einen einheitlichen Text herzustellen, der von alten Überlieferungs- und Abschreibfehlern befreit war.

Wichtig ist dabei, dass sie anschließend alle davon abweichenden Texte vernichteten.
Zugleich trafen sie pedantische Vorkehrungen gegen neue Abschreibfehler: Verse, Worte, ja selbst Buchstaben wurden gezählt.

Eine solche pedantische Haltung den heiligen Texten gegenüber kannten die Juden bereits in neutestamentlicher Zeit. Das Matthäusevangelium gibt ja Zeugnis von dieser ehrfürchtigen Haltung dem Wortlaut der Schrift gegenüber:

"Bis Himmel und Erde vergehen, wird auch nicht der kleinste Buchstabe des Gesetzes vergehen." (Mt 5,18.)

Um den Text nun aber zu sichern, wurde er von den Gelehrten ringsherum mit textsichernden Anmerkungen versehen.

Am Ende eines Buches wurde beispielsweise angegeben, wie viele Verse in diesem Buch enthalten sind. Der Abschreiber konnte am Ende dementsprechend die Verse seiner Abschrift durchzählen und feststellen, ob er auch keinen ausgelassen hatte.

Am Rand einer jeden Zeile wurde angegeben, wie oft ein entsprechendes Wort im Text vorkam, ja selbst wie oft es am Versanfang steht.

Diese Anmerkungen am Rande des Textes nennt man "Masora". Das Wort "Masora" bedeutet dabei nichts anderes als "Überlieferung".

Von diesem Wort her aber nennt man diese Schriftgelehrten, die sich um die genaue Textüberlieferung bemühten, "Masoreten".

Das Ergebnis der Arbeit der Masoreten ist der sogenannte "Masoretische Text" (M). Er liegt im 8.-9. Jahrhundert n. Chr. bereits endgültig vor und verändert sich von dort an auch nicht mehr.

3. Die Frage nach dem "richtigen" Text

Damit habe ich aber noch nicht automatisch den "richtigen" Text. Die Masoreten haben zwar systematisch alle anderen abweichenden Textformen ausgemerzt, aber sie können dadurch natürlich noch nicht den Anspruch erheben, dass ihr Text dann auch der eigentlich ursprüngliche ist.

Daran knüpft sich denn auch die erste wissenschaftliche Frage, die sich in größerem Umfang angesichts der Bibel stellte, nämlich die Frage, wie denn wohl der richtige, der ursprüngliche Text ausgesehen haben müsse.

Die erste wissenschaftliche Frage, die man sich dementsprechend auch heute stellen muss, wenn man an einen biblischen Text herangeht, ist die Frage nach dem "richtigen" Text, nach dem Urtext der Bibel.

Schon die Masoreten waren in ihrem Bestreben, den Text zu sichern, ja von diesem Bemühen um den richtigen Text ausgegangen. Ihre Methode war aber einzig und allein die des Vergleichens unterschiedlicher Handschriften. Bis heute haben sich die Methoden der sogenannten "Textkritik" jedoch ungleich verfeinert. Das Bemühen, dem ursprünglichen Text möglichst nahe zu kommen, ist demnach immer noch eine umfassende Aufgabe. Die Arbeit der Textkritik knüpft an diesem Bemühen an.

Obwohl die Masoreten andere Textüberlieferungen ja vernichtet haben, gibt es dennoch eine ganze Reihe anderer Traditionen, die ja nicht von vornherein einfach als falsch abgetan werden können. Es ist hier notwendig zu untersuchen und zu unterscheiden, welcher Text tatsächlich der ursprünglichere sein könnte.

Aus manchen alten Übersetzungen zum Beispiel, etwa der griechischen oder der aramäischen, können wir entnehmen, dass dem Übersetzer anscheinend an der ein oder anderen Stelle ein etwas anderer Text vorgelegen haben muss. Das Ergebnis der Übersetzungen stimmt an manchen Stellen ganz einfach mit dem Textbestand des Masoretischen Textes nicht überein.

Auch die Samaritanische Tradition bietet einen etwas anderen Text.

Die Aufgabe der Textkritik ist es also, solche Stellen zu untersuchen, und im ein oder anderen Fall den Masoreten-Text denn auch zu korrigieren.

Diese Arbeit ist äußerst mühselig und wird - wie bereits mehrfach erwähnt - dadurch erschwert, dass die Masoreten abweichende Handschriften ganz einfach vernichteten. Es gibt daher nur noch sehr spärliche Vergleichsmöglichkeiten. Dies machte die Arbeit der Textkritik äußerst schwierig.

Große Fortschritte brachte hier erst wieder die Entdeckung der Schriftrollen von Qumran im Jahre 1947.

4. Qumran

Die dort gefundenen Handschriften stammen aus einer zwischen 150 v. Chr. und 70 n. Chr. angelegten Bibliothek in der Nähe der jüdischen Siedlung Qumran.

Für fast alle biblischen Bücher sind darin zumindest Fragmente eines sicher vormasoretischen Textes zutage gekommen. Das Buch Jesaja ist sogar in einer vollständigen Rolle vorhanden.

Nun kann man den Text der Masoreten, zumindest in Teilen, mit einem sicher vormasoretischen Text konfrontieren und auch die Arbeit der Masoreten viel konkreter nachvollziehen.

Für das Christentum sind die Funde von Qumran von daher noch einmal besonders wichtig, weil sie eben auch aus der Zeit um die Zeitenwende herum stammen. Wir haben es hier also auch mit einem Textbestand zu tun, der zur Zeit Jesu in Gebrauch war.

Das wichtigste Ergebnis der Funde von Qumran für die biblische Textkritik ist eigentlich recht verblüffend. Vor allem was den Konsonantenbestand angeht - die Rollen von Qumran waren ja durchweg nicht punktiert - gibt es kaum Abweichungen zwischen Qumrantexten und Masoretentext. Die Funde von Qumran bestätigen also im großen und ganzen, mit nur recht wenigen Ausnahmen, den Masoretentext.

Man kann also davon ausgehen, dass die Überlieferung der Masoreten recht zuverlässig ist. Wenn an einer Stelle deshalb andere Lesarten, als sie der Masoretentext vorgibt, für richtiger gehalten werden, muss man demnach solche Thesen gut begründen können.

Das heißt nicht, dass es solche Gründe hier und dort nicht gibt. An einigen Stellen ist es sogar geboten, vom masoretischen Text abzuweichen.

Näher hierauf einzugehen ist hier jedoch jetzt nicht möglich, das wäre jetzt Aufgabe einer exegetischen Vorlesung oder Übung.

Die heute geläufige "Biblia Hebraica", ursprünglich herausgegeben von Rudolf Kittel, versteht sich als wissenschaftlicher Text. Sie führt deshalb alle alternativen Lesarten in einem wissenschaftlichen Apparat an und bringt im laufenden Text diejenigen, die nach den Regeln der Textkritik wohl als die Ursprünglichsten und Wahrscheinlichsten anzusehen sind.

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