Der Isenheimer Altar

und seine Botschaft


Weiter-Button Zurück-Button Mathis Gothart Nithart, gen. Matthias Grünewald

Zeichnung

Mathis Gothart Nithart,
Bildnis eines aufwärts blickenden Mannes
(Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg,
Graphische Sammlung).

Lizenz: Mathias Grünewald artist QS:P170,Q154338,
Matthias Gruenewald-Zeichnungen-Brustbild eines
aufwaerts blickenden Mannes mit Federkiel
, als gemeinfrei
gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

In den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts taucht ein Künstler in der Kunstlandschaft des Oberrheins auf, der uns nicht nur großartige und unübertroffene Werke sondern in gleicher Weise gewaltige Rätsel hinterlassen hat. Er gilt als "letzter Gotiker" und Vorbote einer neuen Zeit und ist eine Gestalt, die gleichsam den Charakter eines Angelpunktes in der Geschichte des Kunstschaffens einnimmt.

Ein vergessener Meister

Am einfachsten wäre es, hier kurz zusammenzustellen, was wir gesichert über diesen Maler wissen. Dann könnte ich hier bereits wieder schließen. Sicher ist eigentlich nichts. Dies macht schon das kurze Zitat Wilhelm Fraengers, eines der großen Kenner dieses Menschen, deutlich:

"... wie fragmentarisch blieb die bisherige Kunde, wonach er - ungewiß in welchem Jahr - zu Würzburg auf die Welt gekommen, um die Jahrhundertwende sich in einer mainfränkischen Kleinstadt seßhaft machte: Seligenstadt, dem alten Wallfahrtsort, wo er als Hofmaler und Ingenieur zweier Kurmainzer Erzbischöfe zeitlebens seine Werkstatt unterhielt, um schließlich - durch die Reformation dem Mainzer Hofe und der Malerei entfremdet - als Wasserbaumeister in Halle seinen Tod zu finden.
Wann und von welchen Eltern er geboren wurde, welchem Generations- und Schulzusammenhang er angehört, wohin ihn seine Wanderjahre führten, wie ihm der Isenheimer Auftrag zugekommen, kraft dessen er sich unversehens zu dem Scheitelpunkt der deutschen Malerei erheben sollte, und welche innerste Erschütterung ihn kurz vor seinem Ende zu dem evangelischen Bekenntnis zwang: all diese Grundtatsachen seines Lebenslaufes sind dahingesunken, wie auch die Fundamente seiner Werkgeschichte durch eine trümmerhafte Überlieferung zerrüttet sind..." ⋅1⋅

Bereits Ende des 16. Jahrhunderts wusste kaum noch jemand etwas von ihm. Kaiser Rudolf II. mühte sich um den Ankauf eines Altarwerkes für seine Sammlungen in Prag und konnte lediglich angeben, dass die Altargemälde

"zu Eysenhaim mit sonderer kunst von ainem fürnemen maister gemacht" ⋅2⋅

worden seien. 1674 galten die Isenheimer Tafeln gar schon als ein Werk Albrecht Dürers ⋅3⋅.

Der Bericht Joachim von Sandrarts

Erst Joachim von Sandrart (1606-1688), der erste deutsche Kunstgeschichtsschreiber, erweckte die Erinnerung an den Künstler in seiner "Teutschen Academie" von 1675 wieder zum Leben ⋅4⋅. Er berichtet von einem "Matthaeus Grünewald, sonst Matthäus von Aschaffenburg genannt", den er in einem Atemzug mit den "fürtrefflichsten und bästen" Meistern nennt ⋅5⋅. Weiter erfahren wir von Sandrart, dass dieser

"... fürtreffliche Künstler (...) zur Zeit Albrecht Dürers ungefehr Anno 1505. gelebet..." ⋅6⋅

habe. Darüber hinaus führt Sandrart eine Fülle von Werken an, von denen die meisten verschollen, in Kriegszeiten verschleppt und verloren gegangen sind. Abschließend bemerkt er:

"Und das ist es nun/ was von dieses fürtreflichen Teutschen Kunst-Stucken mir bewust/ ausser daß er sich meistens zu Maynz aufgehalten/ und ein eingezogenes melancholisches Leben geführt/ und übel verheiratet gewesen; wo und wann er gestorben/ ist mir unbekandt/ halte doch darfür/ daß es um An. 1510. geschehen/ ..." ⋅7⋅

Der Name

So wichtig die Informationen von Sandrarts sind, so entscheidend seine "Academie" für die Wiederentdeckung des Meisters war, so lückenhaft und fehlerhaft ist seine Darstellung. Dies beginnt schon mit dem Namen "Mathias Grünewald" , der auf Sandrart zurückgeht und sich gegenüber allen archivalisch nachgewiesenen Richtigstellungen durchgesetzt hat.

Der Sippenname des Meister, der ansonsten häufig "Meister Mathis" genannt wird, lautet aller Wahrscheinlichkeit nach "Nithart" oder "Neithardt". In offiziellen Gerichtsurkunden, die ihn betreffen, wird nämlich ausschließlich die Bezeichnung "Nithart" verwandt ⋅8⋅. Sich selbst scheint er jedoch "Gothart" genannt zu haben. Am 27. August 1516 ist dieser Name "Gothart" erstenmals belegt. Vielleicht hängt dies damit zusammen, dass für Meister Mathis der Name "Neithardt" zu sehr an das Laster "Neid" erinnerte und er sich viel eher als gottesfürchtigen Menschen, als Gothart, als Gottes-voll, bezeichnet sehen wollte. ⋅9⋅

Biographische Hinweise

Wann dieser Meister Mathis geboren wurde, ist völlig unsicher. War er, als er in Isenheim arbeitete, noch ein junger Mann? Stand er schon im Zenit seines Schaffens? Eine Zeichnung hat er hinterlassen, die man als Selbstbildnis werten wollte, und ihn als älteren Mann zeigt. Ein weiteres Bild, das ihn mit dem Sebastian des Isenheimer Altares in Verbindung brachte, zeigt einen Mann in den Dreißigern. Je nachdem, welches man als Porträt des Meister Mathis ansah, kam man zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen . So variieren die Geburtsangaben zwischen 1455 und 1480. Auch der Geburtsort kann nur mit Vorsicht angegeben werden. Einige sprechen von Würzburg, andere sprechen von Mainfranken. Ähnlich unsicher sind auch die übrigen Daten seiner Biographie. Mit Abstrichen kann man wohl folgendes als einigermaßen gesichert festhalten ⋅10⋅:

Im Jahre 1503 soll Meister Mathis Albrecht Dürer in Nürnberg begegnet sein. Die Rückseite des Lindenhardter Schnitzaltares hat er dort bemalt. Schüler Dürers scheint er - entgegen lange verbreiteter Auffassung - nicht gewesen zu sein.

In den Jahren 1504 bis 1505 dürfte seine Verspottung Christi entstanden sein. 1505 unterhält er einen Wohn- und Werkstattsitz in Aschaffenburg. Mathis führt den Meistertitel und beschäftigt Gesellen. Im Jahre 1510 ist seine Tätigkeit in Mainz, Bingen und Frankfurt nachweisbar oder zumindest sehr wahrscheinlich. 1511 weilt er dann als "Meister Mathis der Maler von Aschaffenburg" in Aschaffenburg. Sein Dienstherr ist zu dieser Zeit der Mainzer Erzbischof Uriel von Gemmingen. Er speist an der Tafel des Aschaffenburger Schlosses, ist Werkmeister beim Kemenatenbau der Residenz des Erzbischofs, steht im Schriftverkehr mit einem Steinmetz aus Würzburg und malt nach dem Kemenatenbau bei den Dominikanern im Predigerkloster zu Frankfurt am Main "eyn tafel".

Irgendwann in diesen Jahren -  war es 1512? - beginnt er mit den Arbeiten um das Altarwerk für die Antoniterpräzeptorei in Isenheim. Um die Mitte des Jahrzehntes dürften die Arbeiten abgeschlossen sein.

Im Jahre 1517 ist er wieder in Aschaffenburg anzutreffen. Er steht in Diensten Kardinal Albrechts und malt im Auftrag des Stiftskanonikers Heinrich Retzmann die Maria-Schnee-Tafel für die Kapelle der Brüder Gaspar und Georg Schantz. Diese Arbeit wird 1519 vollendet. Auf dem Rahmen signiert und datiert er sein Werk.

Um 1520 dürfte er drei Altäre für den Mainzer Dom geschaffen haben. Alle drei gingen im Dreißigjährigen Krieg verloren. Die Kaiserkrönung Karls V. scheint Meister Mathis in Aachen miterlebt zu haben.

In den darauf folgenden Jahren - 1521 bis 1523 - schuf er im Auftrag des Erzbischofs Albrecht eine Erasmus-Mauritus-Tafel für die Stiftskirche in Halle an der Saale und arbeitete am Altarwerk für Tauberbischofsheim.

Um 1525 könnte die Beweinung Christi, die sich heute in der Stiftskirche zu Aschaffenburg befindet, entstanden sein. Die Herkunft dieser Tafel, die wohl eine Predella darstellt, ist ungewiß.

Sicher ist nun wieder, dass er im Jahre 1526 seinen Adoptivsohn dem Meister Rücker in Seligenstadt übergibt und in den Jahren 1526 bis 1527 die Frankfurter Herbstmesse besucht. Er betätigt sich als Seifensieder und setzt in Frankfurt sein Testament auf. Auch verfertigt er 1527 im Auftrag der Räte von Magdeburg und Frankfurt Mühlenzeichnungen für Magdeburg.

Im Jahre 1528 scheint er in Halle verstorben zu sein. Am 1. September wird sein Tod dem Rat der Stadt Halle gemeldet.

In seinem Nachlass befanden sich 27 Predigten Luthers, "viele lutherische Scharteken", Rosenkränze, eine geweihte Medaille und ein Bild der Muttergottes. ⋅11⋅

Weiterführende Informationen zu folgenden Themen:
Joachim von Sandrart im Wortlaut - Von Mathias Grünewald zu Mathis Gothart Nithard - Die echten Signaturen des Meister Mathis - Die Namen des "Meister Mathis" nach Reiner Marquard - Die Selbstbildnisse: drei zwei, eins, keins? - [in Vorbereitung: Meister Mathis und der Bauernkrieg] - [in Vorbereitung: Der Nachlass des Meisters].

 

Weiter-Button Zurück-Button Anmerkungen

1 Wilhelm Fraenger, Matthias Grünewald (Dresden 1983) 115. Zur Anmerkung Button

2 Zitiert nach: Wilhelm Fraenger, Matthias Grünewald (Dresden 1983) 116. Zur Anmerkung Button

3 Vgl.: Wilhelm Fraenger, Matthias Grünewald (Dresden 1983) 116. Zur Anmerkung Button

4 Vgl. auch: Hermann Wiemann, Die Malerei der Gotik und Frührenaissance, herausgegeben vom Cigaretten-Bilderdienst Hamburg-Bahrenfeld (Hamburg 1938) 79-82. Zur Anmerkung Button

5 Zitiert nach: Wilhelm Fraenger, Matthias Grünewald (Dresden 1983) 300. Zur Anmerkung Button

6 Joachim von Sandrart: Teutsche Academie der Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste, Nürnberg 1675–1680, Wissenschaftlich kommentierte Online-Edition, hrsg. von T. Kirchner, A. Nova, C. Blüm, A. Schreurs und T. Wübbena, 2008–2012, Das V. Capitel. Christoph Amberger/ und noch sechs andere Künstlere (Ausschnitt), TA 1675, II, Buch 3 (niederl. u. dt. Künstler), S. 236 = http://ta.sandrart.net/-text-454. (abgerufen am 29. April 2020). Zur Anmerkung Button

7 Wissenschaftlich kommentierte Online-Edition, hrsg. von T. Kirchner, A. Nova, C. Blüm, A. Schreurs und T. Wübbena, 2008–2012, Das V. Capitel. Christoph Amberger/ und noch sechs andere Künstlere (Ausschnitt), TA 1675, II, Buch 3 (niederl. u. dt. Künstler), S. 237 = http://ta.sandrart.net/-text-455. (abgerufen am 29. April 2020). Zur Anmerkung Button

8 Vgl.: Reiner Marquard, Mathias Grünewald und der Isenheimer Altar - Erläuterungen, Erwägungen, Deutungen (Stuttgart 1996) 21. Zur Anmerkung Button

9 Vgl.: Reiner Marquard, Mathias Grünewald und der Isenheimer Altar - Erläuterungen, Erwägungen, Deutungen (Stuttgart 1996) 21. Zur Anmerkung Button

10 Vgl. die Zusammenstellung in: Bruno Hilsenbeck, Die Stuppacher Madonna und ihre Botschaft (Bad Mergentheim 1980) 36. Zur Anmerkung Button

11 Vgl. die Zusammenstellung in: Bruno Hilsenbeck, Die Stuppacher Madonna und ihre Botschaft (Bad Mergentheim 1980) 36. Zur Anmerkung Button