Der Isenheimer Altar

und seine Botschaft


Zurück-Button Luzifers Klage in der mittelalterlichen Literatur

Ruth Mellinkoff verweist auf Beispiele aus dem Egerer Fronleichnamsspiel, in dem Luzifer seinen unermesslichen Verlust beklagt und alle Elemente der Erde um ihre Fürsprache bittet, und aus dem altenglischen Gedicht "Christ and Satan", in dem der gefallene Engel nicht minder seinem Schmerz über seinen Fall Ausdruck verleiht. ⋅1⋅

Egerer Fronleichnamsspiel

Im Egerer Fronleichnamsspiel beklagt Luzifer seinen unermesslichen Verlust. Alle Elemente der Erde bittet er dabei um Fürsprache. In diesem Spiel werden - wohl aus dramaturgischen Gründen - "Luciper" und "Sathanas" untreschieden. Es sind hier Namen unterschiedlicher Teufel. Folgende Passage spricht der inneren Logik des Textes folgend vermutlich der Sprecher des "Luciper", auch wenn in der Regieanweiseung dieser Abschnitt als Text des "Sathanas" ausgewiesen ist:

"O we, o we, ach und o we!
Ach wee mir, heut und imermee!
O we, ich pin gefallen ab,
Seind ich mich ůbergriffen hab [3b]
Wol an des högsten gottes pot,
Des müs ich ewig leiden not.
O we meiner sch◌̊nen klarhait
Und die mein schœpfer an mich laidt!
O we meiner grossen gwalt,
Die ich het ganz manigfalt!
O we meiner weissen dancken,
Wie last ir mich so gar verkrancken,
(Das ich) in aller meinr weishait,
Die der alrnechtig an mich lait!
Das sol nun als verlorn sein.
Mir wirt auch nimer hilffe schein:
Das sei dem h◌̊gsten got geklagt,
Der mich so schwärlich hat geplagt.
Auch klag ich das ganz unverporgen
Der hellen sunnen und auch dem morgen,
Do mein wunne gar vil anlag.
Ich klag dirs, du lichter tag.
Es sol von mir geklagt sein
Dem lüstigen hellen monneschein.
Dem firmament ich auch klagen sol;
Wan ich das sach, so was mir wol.
Auch wil ichs klagen offenwar
Den lichten, hellen sternen klar.
Auch klag ichs des himels anefang,
Dar zu den wolcken groß und lang.
Ich klag dirs paide windt und lüfftt,
Ich klag dirs regen, tau und tüfft,
Ich klag dirs hiz, kelt und auch schne,
Ich klags den plümen und grünen klee,
Ich klag dirs aller hande kraüt,
Das ich müß haben ain teuflische haüt.
Ich klags auch aller wurzlein krafft,
Das ich bin worden schadenhafft.
Ich klag dirs laüb, gras und auch holz,
Verdorben ist maniger engel stolz.
Ich klag dirs sueß vogelgeschall,
Ich klag dirs perg und tietfe tall,
Ich klag dirs fells und allen stain,
Ich klags auch aller welt gemain:
Das got ie von seinnen gnaden schüeff,
Zu den thu ich heut meinen rueff,
Das si fur mich mit guttem sitten
Den almechtigen noch wolten pitten,
Das er sich heut wölt erbarmmen
Ueber mich geist vil armen;
In dem so lit ich gern die klag
Von heut pis an den jungsten tag. [4a]
So sich ich, das es ist verlorn.
Ich bin gefallen in gottes zorn
Umb meinen grossen ubermüt,
Der stäz was b◌̊ß und nimer güt.
Ich wolt mir noch gern ain büß machen
Von solchen wunderlichen sachen:
Ein seül solt gen vom himel hernider,
Dar an ich aüff mocht steigen wider,
Die all mit schermessern wär durchschlagn,
Daraüff wolt ich mein pus tragn
Albeg paide tag und nacht:
Also solt sein mein büs betracht.
Bis an den juugsten tag ichs trib,
Das mir den got sein gnad zuschreib.
So tunckt mich, das es nit mag gesein;
So leb ich nach dem willen mein.
Ir teufel, sagt mir eurn müt,
Er sei gleich recht b◌̊ß oder güt." ⋅2⋅

Christ und Satan

Auch im altenglischen Gedicht "Christ and Satan" begegnet ein Teufel, der seinem Schmerz über seinen Fall Ausdruck verleiht. Das Gedicht schildert die Auseinandersetzung, die Jesus mit Satan austrug, als er sich 40 Tage in der Wüste aufhielt. Hier heißt es:

   "Cleopað ðonne se alda     ut of helle,
wriceð wordcwedas     weregan reorde,
eisegan stefne:     "Hwær com engla ðrym,
þe we on heofnum     habban sceoldan?
þis is ðeostræ ham,     ðearle gebunden
fæstum fyrclommum;     flor is on welme
attre onæled.     Nis nu ende feor
þæt we sceolun ætsomne     susel þrowian,
wean and wergu,     nalles wuldres blæd
habban in heofnum,     hehselda wyn.
[...]

   "Dann schreit der Alte aus der Hölle, hält Reden mit elendiger Stimme, in schrecklichem Ton: "Wohin ist die Herrlichkeit der Engel gegangen, die wir gewohnt waren, im Himmel zu besitzen? Ein Haus der Finsternis ist dies, schrecklich gebunden mit Feuerbanden. Der Boden der Hölle steht in Flammen, ist brennend von Gift. Das Ende ist nicht mehr weit, da wir Qual, Schmerz und Weh erleiden, keinerlei Anteil an himmlischer Herrlichkeit, noch Freude in ihren hohen Hallen."
[...]

Forðon ic sceal hean and earm    hweorfan ðy widor,
wadan wræclastas,    wuldre benemed,
duguðum bedeled,    nænigne dream agan
uppe mid ænglum,    þes ðe ic ær gecwæð
þæt ic wære seolfa    swægles brytta,
wihta wealdend.    Ac hit me wyrse gelomp!" ⋅3⋅

"Weshalb muss ich, glücklos und elend, noch weiter wandern auf den Pfaden der Verbannung, der Herrlichkeit bar, beraubt allen Segens, keine Freude besitzend in der Höhe mit den Engeln, weil ich vor Zeiten vorgab der König der Herrlichkeit und Herr über alles zu sein."

Zurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Ruth Mellinkoff, The Devil at Isenheim - Reflections of Popular Belief In Grünewald's Altarpiece (Los Angeles / London 1988) 22-23. Zur Anmerkung Button

2 Gustav Milchsack (Hrsg.), Egerer Fronleichnamsspiel (Tübingen 1881) 7-9. Zur Anmerkung Button

3 Christ and Satan, 34-44. 119-124, zititert nach: Internet Sacred Text Archive - The Complete Corpus of Anglo-Saxon Poetry = https://www.sacred-texts.com/neu/ascp/a01_04.htm (abgerufen am 7. Mai 2020). Zur Anmerkung Button