Unser Glaube

Ein Versuch zeitgemäßer Antworten


Weiter-Button Zurück-Button "Und er setzte zwölf ein, die er bei sich haben ... wollte." (Mk 3,14) - Wir sind die Kirche

Von Laien und Geistlichen, Amtskirche und kirchlichem Amt. Welche Rolle spielt die Hierarchie? Haben die Pfarrer wirklich einen direkteren Draht zu Gott als andere Menschen? Was wollte Jesus eigentlich?


Es ist mittlerweile schon einige Jahre her, da erzählte mir ein Pater, wie er einmal in einer südamerikanischen Großstadt eine Pfarrgemeinde suchte, um sich dort mit einem Kollegen zu treffen. Er fuhr an eine Tankstelle, hielt an und fragte einen Tankwart: "Entschuldigen Sie bitte, wo ist denn hier die Franziskus-Gemeinde?" Und er bekam zur Antwort: "Die Franziskus-Gemeinde? Ach ja, die trifft sich heute Abend in der 50. Straße, Nr. 61!"

Ein ganz eigenes Bild von Kirche

"Die trifft sich!" Ich bin jedes Mal aufs Neue fasziniert, wenn ich mir diese Begebenheit vor Augen halte. Wie wäre die Antwort ausgefallen, wenn man die gleiche Frage irgendwo bei uns gestellt hätte? Ich kann es mir gut vorstellen: "Die Kirche steht dort oben!", hieße es da wahrscheinlich. Oder etwa: "Das Pfarramt ist dort drüben, aber es ist im Augenblick leider nicht besetzt!"

Wer von uns käme denn auch auf die Idee, dass jemand, der eine Pfarrgemeinde sucht, nicht nur den Pfarrer oder irgendwelche Hauptamtlichen sehen möchte? Wer von uns denkt denn noch daran, dass unsere Pfarrgemeinden, dass unsere Kirche nicht aus einem Amt - und noch viel weniger aus einem Gebäude -, sondern dass unsere Kirche aus Menschen besteht?

Kirche, das sind wir!

Die Vorstellung von einer Amtskirche

Bei uns ist die Kirche aller Gläubigen leider kaum noch im allgemeinen Bewusstsein. Wenn in unseren Medien von Kirche gesprochen wird, dann ist damit eine sogenannte Amtskirche gemeint: die Bischöfe, die Pfarrer, bestenfalls noch die, die hauptamtlich in dieser Kirche tätig sind. Die Menschen in unseren Gemeinden kommen gar nicht in den Blick.

Kirche und auch Kirchengemeinde - das ist für viele eine Institution, ein Apparat, eine Organisation, die einen immer blutleereren, immer seelenloseren Eindruck macht und die deshalb viele Menschen heute - manchmal zu Recht - abstößt.

Ein hausgemachtes Problem

Schuld an diesem Bild ist nicht zuletzt unsere Kirche selbst. Jahrhunderte lang hat man den Menschen dieses Denken schließlich beigebracht.

Man sprach von den Geistlichen - als ob die Priester und Bischöfe mehr Heiligen Geist empfangen hätten als die Gläubigen, die diesen Geist aufgrund von Taufe und Firmung genauso verliehen bekommen haben.

Man erweckte nicht selten den Eindruck, die Kleriker wären die allein wichtigen Glieder dieser Kirche. Das Heer der Gläubigen spielte keine Rolle. Wenn es um Entscheidungen ging - selbst in Dingen, die mit dem Glauben nichts zu tun hatten - war das einfache Volk in keiner Weise gefragt. Deshalb sitzen auch heute noch an allen wichtigen Stellen in den Ordinariaten Priester. Obwohl diese eigentlich eine andere Sendung haben, als hinter Schreibtischen zu "versauern".

Kein Wunder also, dass unsere Kirche nach außen hin den Eindruck erweckt, als wäre sie zuallererst eine Kleriker-Kirche, eine Amtskirche.

Steht zwischen Gott und den Menschen die Kirche?

Dieses überlieferte Klischee ist ein gefährliches Bild. Es suggeriert den Menschen, dass die Pfarrer und die Bischöfe nicht nur die "eigentlichen Gläubigen", sondern auch die "Fachleute in Sachen Gott" seien. Sie seien die Auserwählten, die letztlich genau über Gott Bescheid wüssten und deren Draht zu Gott weit intensiver sei als der der übrigen Menschen.

Ein gefährliches Bild: denn hier schiebt sich plötzlich eine Institution - die Kirche - zwischen Gott und die Menschen. Dass jeder Einzelne von uns ein ganz persönliches Verhältnis zu seinem Gott entwickeln muss, dass wir selbst - jede Einzelne - in einer ganz persönlichen Beziehung mit unserem Gott durch unser Leben gehen können, das war jahrzehntelang fast gar nicht im Blick.

Wenn die Menschen früher etwas von Gott wissen wollten, dann kamen sie nur selten auf den Gedanken, dass sie sich selbst direkt an ihren Gott wenden könnten. "Fragen wir unseren Pfarrer! Denn der muss es ja wissen. Der ist ja der Fachmann in Sachen Gott. Der wird uns schon sagen, was Gott von uns will!" Das war die geläufige Haltung.

Das Bild von Kirche, das in der Vergangenheit vorherrschte und das bis heute das Denken der Menschen in unseren Breiten prägt, es ist kein hilfreiches Bild, um den Menschen den Zugang zu Gott zu erleichtern. Und es ist eine Vorstellung von Kirche, bei der Jesus Christus - davon bin ich felsenfest überzeugt - sich "alle Haare raufen" würde, wenn er heute durch unsere Gemeinden ginge. So hat Jesus Kirche nicht gewollt!

Was war Jesu erstes Anliegen?

Aber was hat er dann gewollt? Wir können es nur erschließen. Aus dem, was die Bibel uns überliefert, können wir annähernd ableiten, was Jesus wohl wichtig war im Blick auf die Gemeinschaft, die er hinterlassen hat.

Die erste Stelle, die in diesem Zusammenhang wichtig ist lautet - ganz wörtlich übersetzt:

"Jesus machte zwölf, damit sie mit ihm seien, und die er später aussenden wollte!" (Mk 3,14)

Das ist das erste. Er rief Menschen zu sich, damit sie "mit ihm seien". Er scharte eine Gemeinschaft um sich, eine Gemeinschaft von Menschen, die sich um ihn sammelte.

Menschen zusammenzuführen, Menschen zu sammeln, Israel als Gottes Volk wieder zu vereinen, ja Gottes Volk in der ganzen Welt zu einer umfassenden, "katholischen" - d. h. die ganze Welt umfassenden - Gemeinschaft zu sammeln, das scheint tatsächlich Jesu wichtigstes Anliegen zu sein.

Hinweise aus dem Namen "Kirche"

Deshalb hat sich auch der Name "ekklesía", als treffendste Bezeichnung für diese Gemeinschaft herauskristallisiert. Die "ekklesía", wie es im Griechischen oder im Lateinischen heißt, das sind die von Gott gerufenen, die zu einer Gemeinschaft zusammengerufenen Menschen.

Unser deutsches Wort Kirche bringt noch einmal einen anderen Aspekt mit sich, der nicht weniger wichtig ist. Kirche ist die "Kyriaké", die Gemeinschaft der Menschen, die zum Kyrios, zu Christus gehören. Sie gehört zu ihm, weil sie sich von ihm gerufen weiß. Die Kirche ist seine Gemeinschaft.

Eine Gemeinschaft ohne Antreiber

Jesus möchte demnach zuallererst eine Gemeinschaft: Eine Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern - keinen straff organisierten Verband, keine feste Truppe, bei der einer den Ton angibt und alle "nach dessen Pfeife tanzen".

Jesus möchte eine Gemeinschaft, eine Kirche in der sich die Menschen gemeinsam fragen, wohin es sich miteinander zu gehen lohnt, wohin sie sich von ihrem Gott führen lassen sollen. Eine Gemeinschaft, die gemeinsam unterwegs ist, in der es aber keine Besserwisser und keine Antreiber braucht:

"Ihr [...] sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. Auch sollt ihr niemand auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel. Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus." (Mt 23,8-10)

Was heißt das für uns?

Eine solche Gemeinschaft heute zu leben, das ist die Herausforderung für uns als Christen. Und das ist es, was Jesus von seiner Kirche möchte: Wir sollen eine Gemeinschaft bilden, in der einer für den anderen da ist, in der man spüren kann, dass es gut tut, sich gegenseitig gehalten zu wissen und von den anderen mitgetragen zu werden - vor allem dort, wo man selbst nicht mehr alleine gehen kann.

Dazu ist eines natürlich Voraussetzung: Man muss sich kennen. Man muss darum wissen, wer denn überhaupt mit uns geht, wer dazugehört. Gemeinschaft gibt es nicht, ohne dass man sich kennt!

Nur ist das ja dann auch schon unserer erstes Problem. Ich kann keine 4½ Tausend Menschen kennen - solche Größenordnungen aber sind in unseren Gemeinden ja keine Seltenheit; und sie werden immer noch größer... Um die Gemeinschaft zu erleben, die sich Jesus Christus für seine Kirche vorstellt, braucht es weit kleinere Einheiten als sie unsere Pfarrgemeinden heute darstellen. Dazu braucht es christliche Familien. Und dazu braucht es Pfarr-Gemeinschaften: christliche Gemeinschaften, die mehr sind als bloße Vereine; Gemeinschaften, in denen Menschen ein Stück ihres Lebens teilen, in denen Menschen sich getragen wissen.

Die Rolle der Priester

Natürlich braucht es in dieser Gemeinschaft auch Priester - ich wäre der letzte, der das Gegenteil behaupten würde. Aber es braucht sie nicht als "Antreiber", und es braucht sie nicht als "Pfarr-Herren". Es braucht sie als Begleiter, als von Gott berufene Menschen, die ihr Charisma in die Gemeinde einbringen, die den Menschen helfen, ihre Sinne für Gott zu schärfen, die mit den Menschen zusammen überlegen, was Gottes Wort für uns heute bedeutet und die mit den Menschen als von Gott dazu Bevollmächtigte das "Gottes-Geschenk" der Sakramente feiern.

Die Priester sind ein Glied dieser Gemeinschaft. Sie bringen das ein, was sie als persönliche Gnadengabe mitbringen, so wie jeder andere seine Charismen in diese Gemeinschaft einbringt.

"Wir haben unterschiedliche Gaben, je nach der uns verliehenen Gnade. Hat einer die Gabe prophetischer Rede, dann rede er in Übereinstimmung mit dem Glauben; hat einer die Gabe des Dienens, dann diene er. Wer zum Lehren berufen ist, der lehre; wer zum Trösten und Ermahnen berufen ist, der tröste und ermahne. Wer gibt, gebe ohne Hintergedanken; wer Vorsteher ist, setze sich eifrig ein; wer Barmherzigkeit übt, tue es freudig." (Röm 12,6-8)

"Es gibt verschiedene Gnadengabe, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott: Er bewirkt alles in allem." (1 Kor 12,4-6)

(Dr. Jörg Sieger)

Unser Glaube - Ein Versuch zeitgemäßer Antworten

Weiter-Button Zurück-Button