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Weiter-ButtonZurück-Button Die römischen Statthalter in Judäa ⋅1⋅

Nachdem Archelaos vom Kaiser verbannt worden war, wurde das nun herrenlos gewordene Land Judäa im Jahr 6 n. Chr. unmittelbar unter römische Verwaltung genommen. Judäa, Samaria und Idumäa mit den großen Städten

  • Jerusalem
  • Kaisareia am Meer
  • Samaria / Sebaste
  • und Joppe

wurden in der Folge also einem römischen Statthalter unterstellt.

1. Das Amt des Statthalters

Damit gehörte Judäa zu den wenigen römischen Provinzen, die einen Statthalter hatten. Solche Provinzen waren immer Unruhegebiete, von denen man in Rom glaubte, dass sie unbedingt einer starken Hand bedurften.

2. Die Bezeichnung

Der Titel des Statthalters von Judäa wird in der zeitgenössischen Literatur unterschiedlich angegeben. Im Neuen Testament ist der Ausdruck ἡγεμών ["hægemón"] vorherrschend. Flavius Josephus bevorzugt die Bezeichnung ἐπίτροπος ["epítropos"]. Auf der lateinischen Inschrift von Kaisareia wird Pilatus "praefectus Judaeae" genannt. Wir können daher davon ausgehen, dass Pilatus der Titel "praefectus" verliehen worden war.

3. Das Verhältnis des Praefekten von Judäa zum Legaten von Syrien

Der Praefekt bzw. Statthalter von Judäa war dem Legaten von Syrien in lockerer Form untergeordnet. Dies galt besonders für die Fälle von Not und höherer Gewalt.

4. Der Zensus und die antirömische Bewegung

Zur Zeit des Coponius, dem ersten Statthalter von Judäa, wurde, durch den gleichzeitig mit ihm ernannten neuen syrischen Legaten Publius Sulpicius Quirinus in Verbindung mit der Errichtung der römischen Verwaltung ein Zensus unter der Bevölkerung durchführte. Damit sollten die Steuerverhältnisse geordnet werden.

Die damit verbundene Einteilung der Bevölkerung war ein Akt, der für jüdisches Empfinden ein Gräuel war. Die Gründung der antirömischen Partei der Zeloten steht in engem Zusammenhang mit diesem Zensus.

Gleichzeitig wurde durch diese Maßnahme bereits deutlich, dass die Römer vorhatten, hart und rücksichtslos durchzugreifen. Während Herodes und seine Söhne noch in gewisser Weise Rücksicht auf das Empfinden der jüdischen Bevölkerung nahmen, stellte sich bald heraus, dass das römische Joch ein noch drückenderes und schmählicheres sein sollte.

5. Die Steuern

Eine große Rolle spielten - was bereits der Zensus andeutet - selbstredend die Steuern, die vom Statthalter einzuziehen waren. Sie flossen unmittelbar in den kaiserlichen Fiskus, nicht in die Staatskasse. Wahrscheinlich diente die Gliederung Judäas in elf Toparchien einzig und allein dem Zweck einer reibungsloseren Steuererhebung.

6. Residenz des judäischen Statthalters

Die judäischen Statthalter residierten in Kaisareia am Meer. Sie pflegten sich aber bei besonderen Anlässen, vor allem an den hohen jüdischen Festen nach Jerusalem zu begeben. Gerade zu den Festen versammelte sich viel Volk in der Davidsstadt. Die Anwesenheit des Statthalters sollte dementsprechend die Ruhe garantieren.

7. Soldaten des Statthalters

Um dies tun zu können, stand den Statthaltern eine kleine Streitmacht zur Verfügung. Sie bestand aber nicht aus Soldaten, die das römische Bürgerrecht besaßen, wie sie in den Legionen zusammengefasst waren. Die Truppen der Statthalter wurden zumeist aus der Bevölkerung des Landes ausgehoben. Es handelt sich also um Auxiliartruppen.

Weil die jüdische Bevölkerung vom Militärdienst befreit war, werden in erster Linie Samariter und Araber in der Truppe gedient haben. Die Römer dürften sich deren Gegensatz zu den Juden zunutze gemacht haben. So gibt es eine Reihe von Beispielen für Judenhass unter diesen Soldaten.

8. Die Römer und der Tempel in Jerusalem

Bei aller Rücksichtslosigkeit mit der die Römer vorgingen, ließen sie den Tempel in Jerusalem doch weitgehend unangetastet. Er genoss staatlichen Schutz.

Die Großzügigkeit dieses Schutzes erwies sich bereits darin, dass das Betreten des heiligen Bezirks hinter der Tempelschranke Nichtjuden bei Androhung des Todes verboten war. Die Römer ließen entsprechende Warnschilder in griechischer und lateinischer Sprache anbringen.

Interessant ist dabei die Tatsache, dass die Juden zweimal am Tag im Tempel ein Opfer für den Kaiser und das römische Volk darbringen mussten.

Auch in sofern nahmen die Römer auf jüdisches Empfinden Rücksicht, als sie es vermieden, mit den Feldzeichen, die ja die Kaiserbilder trugen, in Jerusalem einzuziehen.

Doch das Prachtgewand des Hohenpriesters nahmen sie in der Tempelburg Antonia in sicheren Gewahrsam. Und auch über die Finanzverwaltung des Tempels hatte der Statthalter vermutlich eine Art Oberaufsicht.

9. Die Römer und das Amt des Hohenpriesters

Dass man ganz klar versuchte, die Fäden der Macht in Judäa nicht aus der Hand zu geben, wurde auch durch die Ernennungen der Hohenpriester deutlich. In den Jahren 6 - 41 n. Chr. erfolgten dieselben durch die Römer; entweder durch den syrischen oder den judäischen Statthalter. Dadurch suchte man zu gewährleisten, dass nur Rom genehme Personen dieses nun mächtigste jüdische Organ innehaben konnten.

10. Die Statthalter im einzelnen

Blicken wir nun noch kurz darauf, wer die römischen Statthalter im einzelnen waren. In der Zeit Jesu amtierten fünf von ihnen. Ihre Amtszeit lässt sich dabei nur ungefähr angeben:

  1. Coponius (6-9 n. Chr.)
  2. Marcus Antibulus (9-12 n. Chr.)
  3. Annius Rufus (12-15 n. Chr.)
  4. Valerius Gratus (15-26 n. Chr.)
  5. Pontius Pilatus (26-36 n. Chr.)

a. Die ersten drei Statthalter

In die Zeit des Coponius fällt - wie bereits erwähnt - der Zensus. Mehr ist von ihm allerdings kaum bekannt. Auch vom zweiten und dritten Statthalter wissen wir kaum etwas.

b. Valerius Gratus

Von Valerius Gratus hingegen wird berichtet, dass er in seiner elfjährigen Amtszeit vier Hohepriester bestellt hat. Von ihnen haben alle, bis auf den letzten, nur ein Jahr fungiert. Dieser letzte war Josef Kajafas.

Valerius Gratus wurde bereits von Tiberius berufen. Im Unterschied zu seinem Vorgänger bestand die Politik dieses Kaisers hinsichtlich der Statthalter darin, ihnen eine möglichst lange Amtszeit zu gewähren. Damit hängt es zusammen, dass die beiden zuletzt genannten Statthalter elf bzw. zehn Jahre in Judäa blieben.

Bezeichnend aber ist die Begründung für diese Politik. Tiberius meinte, dass die Statthalter es machten wie die Fliegen am Körper eines Verwundeten. Wenn sie sich einmal vollgesogen hätten, würden sie mäßiger in ihren Erpressungen.

c. Pontius Pilatus

Der wichtigste Statthalter in unserem Zusammenhang ist selbstverständlich Pilatus, aus dem Rittergeschlecht der Pontii. Weltberühmt und für alle Zeiten unvergessen wurde er durch seine entscheidende Mitwirkung an der Kreuzigung Jesu von Nazaret. Mit ihm müssen wir uns daher etwas eingehender beschäftigen.

Er ist übrigens nicht das einzige Mitglied der Familie der Pontii, das Geschichte gemacht hat. Ein weiteres Mitglied, L. Pontius Aquilius, ist als ein an der Ermordung Julius Caesars Beteiligter in geschichtlicher Erinnerung geblieben.

(1) Die Frau des Pontius Pilatus

Als Name der Frau des Pilatus ist Procula Claudia überliefert. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch sie in Judäa weilte (vgl. Mt 27,19). Schon Kaiser Augustus hatte das Verbot, dass römische Frauen ihre Männer auf ihre Statthalterposten in die Provinz begleiteten, aufgehoben.

(2) Die Amtsführung des Pontius Pilatus

Über die Person des Pontius Pilatus sind wir vor allem durch Flavius Josephus und Philo von Alexandrien unterrichtet. Letzterer bezeichnet Pilatus als einen von Natur aus unbeugsamen, eigenwilligen und unnachgiebigen Menschen und wirft ihm Bestechlichkeit, Gewalttätigkeit, Räubereien, Misshandlungen, Beleidigungen, fortgesetzte Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren sowie unaufhörliche und unerträgliche Grausamkeit vor. Auch wenn dieses Urteil überzeichnet sein mag, so bleibt doch der Eindruck von einem unberechenbaren, grausamen Menschen bestehen.

Mehrere aus seiner Amtszeit überlieferte Vorgänge beleuchten diese Art und Weise der Amtsführung des Pontius Pilatus sowie sein gespanntes Verhältnis zum jüdischen Volk.

  • Philo berichtet beispielsweise davon, dass der römische Statthalter vergoldete Weiheschilde nach Jerusalem habe bringen lassen. Dass sich die Bevölkerung aufs äußerste darüber empörte, beeindruckte Pilatus absolut nicht. Die Juden konnten den für sie unhaltbaren Zustand erst beenden, als sie sich mit einer Beschwerde unmittelbar an den Kaiser wandten.
  • Von einem noch dramatischeren Vorfall erzählt Flavius Josephus: Pilatus ließ diesmal Feldzeichen, die das Bild des Kaisers trugen, in die Stadt befördern, obgleich das jüdische Gesetz alle Bilder verbietet. Nach mehreren vergeblich vorgetragenen Bitten versammelte Pilatus das Volk in der Rennbahn von Kaisareia, ließ es von Soldaten umzingeln und bedrohte es mit augenblicklicher Niedermetzelung. Als die Juden sich zu Boden warfen, ihren Hals entblößten und erklärten, sie wollten lieber sterben als etwas geschehen lassen, was dem Gesetz zuwiderlaufe, musste sich der Statthalter geschlagen geben und die Bilder von Jerusalem entfernen lassen.
  • Flavius Josephus berichtet auch von einem Aufruhr, der entstanden war, weil Pilatus mit Hilfe von Tempelgeldern in Jerusalem eine Wasserleitung bauen ließ. Der Aufruhr wurde blutig niedergeschlagen.
  • Nach Lk 13,1 habe der Statthalter darüber hinaus im Tempelbezirk Galiläer niedermetzeln lassen, die dabei waren zu opfern. Von diesem Ereignis hören wir bei Flavius Josephus allerdings nichts.

(3) Pontius Pilatus und Josef Kajafas

Auffallend ist vor diesem Hintergrund, dass während der zehnjährigen Statthalterschaft des Pilatus kein neuer Hoherpriester berufen wurde. Der von Valerius Gratus bestellte Hohepriester Josef Kajafas verlor erst im Jahr der Amtsenthebung des Pilatus sein Amt, als Vitellius, der syrische Legat, Jonatan ben Ananos zum Hohenpriester machte.

Dieses lange Nebeneinanderwirken von Pilatus und Kajafas und der gleichzeitige Amtsverlust im Jahr 36 n. Chr. lassen darauf schließen, dass der Hohepriester Kajafas doch in einem beträchtlichen Maß bereit war, mit dem Römer zu kooperieren. Wahrscheinlich ist das auch für die Hinrichtung Jesu von Bedeutung.

(4) Die Amtsenthebung des Pontius Pilatus

Der Grund für die Amtsenthebung des Pilatus war ein Gemetzel, das er unter Samaritern im Dorf Tirataba hatte anrichten lassen. Diese wollten gerade ihren heiligen Berg Garizim besteigen. Weil sie aber Waffen bei sich hatten, meinte Pilatus einschreiten zu müssen.

Vitellius, dem daraufhin die Beschwerde der Samariter vorgetragen wurde, befahl Pilatus, sich nach Rom zu begeben, um sich vor dem Kaiser zu verantworten. Doch ehe Pontius Pilatus in Rom ankam, war Tiberius schon gestorben. Das ordentliche Verfahren vor dem Kaiser scheint somit nicht mehr stattgefunden zu haben. Was aus Pontius Pilatus fortan wurde, ist nicht mehr auszumachen. Der Römer verschwindet gleichsam von der Bühne der Geschichte.

Später entstandene Nachrichten über seinen Selbstmord oder seine Hinrichtung durch Kaiser Nero sind der christlichen Legende zuzuordnen.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkung

1 Wo nicht anders angegeben folge ich meinem Lehrer Prof. Dr. Rudolf Pesch, Einführung in das Neue Testament - I: "Von Jesus zu den Evangelien", Vorlesungsmitschrift Sommersemester 1980. Zur Anmerkung Button