Die Bibel

Entstehung, Gedankenwelt, Theologie ...


Weiter-ButtonZurück-Button Gründe, die gegen die Herkunft des Pentateuchs von einem einzigen Autor sprechen ⋅1⋅

Wenn Mose nun den Pentateuch aber nicht verfasst hat, dann taucht die große Frage auf, wer ihn dann geschrieben hat und vor allem zu welcher Zeit.

Und diese Frage muss man sogar noch einmal erweitern. Wir müssen uns zunächst ja der Frage stellen, ob dieses Werk überhaupt von einem Verfasser erstellt wurde. Vielleicht waren ja mehrere Verfasser tätig, die darüber hinaus auch zu ganz unterschiedlichen Zeiten geschrieben haben.

Wenn wir den Pentateuch untersuchen, dann - denke ich - müssen wir tatsächlich feststellen, dass die Annahme mehrerer Verfasser und unterschiedlicher Abfassungszeiten gar nicht so unsinnig ist. Für diese Annahme gibt es eine ganze Reihe stichhaltiger Gründe.

1. Dubletten

Zuallererst fällt auf, dass es mehrere doppelt erzählte Berichte im Pentateuch gibt. Man nennt diese mehrfach geschilderten Erzähleinheiten "Dubletten".

a. Die beiden Schöpfungsberichte

Dies beginnt schon ganz am Anfang der Bibel. Wenn wir in Gen 1,1 zu lesen beginnen, dann wird folgerichtig erzählt, wie durch das göttliche Wort aus dem Wasser das Leben entsteht.

Anemonen

Anemonen.

Foto-Button© Katholisches Bibelwerk Linz, Kapuzinerstr. 84, A-4020 Linz

Am Ende dieser Schöp­fung steht der Mensch, der als Mann und Frau geschaffen wird (Gen 1,27).

Der Schöpfungsbericht endet offensichtlich mit den Worten:

"Dies ist die Entste­hungs­ge­schichte des Himmels und der Erde, als sie erschaffen wur­den." (Gen 2,4a.)

Bei genauem Lesen muss allerdings auf­fal­len, dass Gen 2,4b nun noch einmal von vorne beginnt. Es heißt hier:

"Am Tage, da Jahwe Gott Erde und Himmel machte, gab es auf der Erde noch kein Gesträuch des Feldes und wuchs noch keinerlei Kraut des Feldes. Denn Jahwe Gott hatte noch nicht auf die Erde regnen lassen, und der Mensch war noch nicht da, um den Erdboden zu bebauen." (Gen 2,4b-5.)

Und in der Folge wird nun noch einmal geschildert, wie Gott Mann und Frau erschafft, und wie er die Pflanzen und die Tiere bildet.

Wir haben also genaugenommen zwei Schöpfungsberichte, die einfach hinter­einander­gestellt wurden. Einen in Gen 1,1-2,4a und den zweiten in Gen 2,4b-25.

Beide Berichte weichen zudem deutlich voneinander ab. Auffallendster Unterschied ist, dass im ersten Bericht der Mensch am Ende erschaffen wird. Im zweiten Bericht ist er aber das erste Geschöpf, das geschaffen wird.

Dies deutet aber schon einmal sehr stark auf zwei unterschiedliche Hände hin, die hier am Werk waren.

b. Gefährdung Sarahs

Ein zweites Beispiel für solche Dubletten.

In Gen 12,10-20 heißt es:

"Als über das Land eine Hungersnot kam, zog Abram nach Ägypten hinab, um dort zu bleiben; denn die Hungersnot lastete schwer auf dem Land. Als er sich Ägypten näherte, sagte er zu seiner Frau Sarai: Ich weiß, du bist eine schöne Frau. Wenn dich die Ägypter sehen, werden sie sagen: Das ist seine Frau!, und sie werden mich erschlagen, dich aber am Leben lassen. Sag doch, du seiest meine Schwester, damit es mir deinetwegen gut geht und ich um deinetwillen am Leben bleibe. Als Abram nach Ägypten kam, sahen die Ägypter, dass die Frau sehr schön war. Die Beamten des Pharao sahen sie und rühmten sie vor dem Pharao. Da holte man die Frau in den Palast des Pharao. Er behandelte Abram ihretwegen gut: Abram bekam Schafe und Ziegen, Rinder und Esel, Knechte und Mägde, Eselinnen und Kamele. Als aber der Herr wegen Sarai, der Frau Abrams, den Pharao und sein Haus mit schweren Plagen schlug, ließ der Pharao Abram rufen und sagte: Was hast du mir da angetan? Warum hast du mir nicht gesagt, dass sie deine Frau ist? Warum hast du behauptet, sie sei deine Schwester, sodass ich sie mir zur Frau nahm? Nun, da hast du deine Frau wieder, nimm sie und geh! Dann ordnete der Pharao seinetwegen Leute ab, die ihn, seine Frau und alles, was ihm gehörte, fortgeleiten sollten." (Gen 12,10-20.)

Vergleichen wir dies mit Kapitel 20 der Genesis. Dort heißt es:

"Abraham brach von dort auf und zog in den Negeb. Er ließ sich zwischen Kadesch und Schur nieder und hielt sich in Gerar als Fremder auf. Abraham behauptete von Sara, seiner Frau: Sie ist meine Schwester. Da schickte Abimelech, der König von Gerar, hin und ließ Sara holen. Nachts kam Gott zu Abimelech und sprach zu ihm im Traum: Du musst sterben wegen der Frau, die du dir genommen hast; sie ist verheiratet. Abimelech aber war ihr noch nicht nahe gekommen. Mein Herr, sagte er, willst du denn auch unschuldige Leute umbringen? Hat er mir nicht gesagt, sie sei seine Schwester? Auch sie selbst hat behauptet, er sei ihr Bruder. Mit arglosem Herzen und mit reinen Händen habe ich das getan. Da sprach Gott zu ihm im Traum: Auch ich weiß, dass du es mit arglosem Herzen getan hast. Ich habe dich ja auch daran gehindert, dich gegen mich zu verfehlen. Darum habe ich nicht zugelassen, dass du sie anrührst. Jetzt aber gib die Frau dem Mann zurück; denn er ist ein Prophet. Er wird für dich eintreten, dass du am Leben bleibst. Gibst du sie aber nicht zurück, dann sollst du wissen: Du musst sterben, du und alles, was dir gehört. Am Morgen stand Abimelech auf, ließ alle seine Untergebenen rufen und erzählte ihnen alles, was vorgefallen war. Da gerieten die Männer in große Furcht. Nun ließ Abimelech Abraham rufen und stellte ihn zur Rede: Was hast du uns angetan? Womit habe ich denn gegen dich gefehlt, dass du über mich und mein Reich eine so große Sünde bringst? Du hast mir etwas angetan, was man nicht tun darf. Und Abimelech fragte Abraham: Was hattest du vor, als du das tatest? Abraham entgegnete: Ich sagte mir: Vielleicht gibt es keine Gottesfurcht an diesem Ort und man wird mich wegen meiner Frau umbringen. Übrigens ist sie wirklich meine Schwester, eine Tochter meines Vaters, nur nicht eine Tochter meiner Mutter; so konnte sie meine Frau werden. Als mich aber Gott aus dem Haus meines Vaters ins Ungewisse ziehen hieß, schlug ich ihr vor: Tu mir den Gefallen und sag von mir überall, wohin wir kommen: Er ist mein Bruder." (Gen 20,1-13.)

Wir haben hier eine komplette Dublette vorliegen. Es wird zweimal genau die gleiche Geschichte erzählt.

Wie soll man sich so etwas erklären? Es muss ja einen Grund dafür geben, warum zweimal die gleiche Geschichte innerhalb eines Buches aufgeschrieben wird.

Dass Abraham hier zweimal genau den gleichen Fehler begangen hätte, ist meines Erachtens schließlich eher unwahrscheinlich.

So hat man vermutet, dass wir hier einen Abschreibefehler vorliegen haben. Irgendeinem Schreiber wäre dann beim Abschreiben der Genesis ein Missgeschick passiert. Vielleicht hat er einfach während des Abschreibens die Blätter vertauscht und aus Versehen die gleiche Geschichte einige Seiten später noch einmal abgeschrieben. Von daher wäre dieser Fehler immer wieder weitertradiert worden.

Bei einzelnen Ausdrücken und Versen ist so etwas ganz gut belegt. Es scheint immer wieder passiert zu sein, dass aufgrund solcher Abschreibfehler Sätze und Worte, die ursprünglich nicht zum Text gehörten, in den Textzusammenhang hineingerutscht sind.

Im Blick auf solche Dubletten wie der Bericht von der Gefährdung der Ahnfrau, scheint solch eine Erklärung aber nicht besonders stichhaltig zu sein. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Berichte sind dafür dann doch wieder zu groß.

  • Einmal sind wir in Ägypten, das andere Mal zwischen Kadesch und Schur.
  • Auch scheinen in den Berichten zwei unterschiedliche ethische Reflexionsstufen vorzuliegen: Während in der ersten Erzählung Abraham ohne weiteres lügen kann, wird Sarah im zweiten Bericht tatsächlich als Halbschwester bezeichnet. Auch wird sorgsam darauf geachtet, dass zwischen Sarah und Abimelech wirklich nichts vorgefallen ist.

Es scheinen hier also tatsächlich zwei Berichte vorzuliegen, die sich sehr stark ähneln, aber unterschiedliche Tradition erahnen lassen. In ihrer jetzigen Form lassen sie demnach verschiedene Hände unterschiedlicher Bearbeiter vermuten.

c. Weitere Beispiele für einfache Dubletten

Es gibt eine ganze Reihe weiterer Beispiele für solche einfachen Dubletten.

  • In Gen 16 wird geschildert, wie Abram mit der Magd der unfruchtbaren Sarai ein Kind bekommt. Nach der Geburt des Sohnes der Hagar, des Ismaels, wird Sarai jedoch eifersüchtig und behandelt die Hagar schlecht, so dass sie in die Wüste flieht. Dort wird geschildert, wie Gott sie auf wunderbare Weise errettet und ihr dabei die Verheißung gibt, den Ismael zu einem großen Volk zu machen (Gen 16,4-14).
    Fünf Kapitel später begegnet die gleiche Erzählung in etwas abgewandelter Form. Jetzt wird die Hagar auf Betreiben Sarahs, die ja mittlerweile selbst Mutter geworden ist, ausdrücklich in die Wüste gejagt, damit Ismael dem Isaak sein Erbe nicht streitig mache. Aber wieder greift Gott ein und wieder wird ihr die Verheißung gegeben, dass Ismael zu einem großen Volk werde (Gen 21,8-21).

    Dass hier im Ablauf der Erzählung etwas nicht stimmen kann, machen einige Details ganz besonders deutlich - insbesondere im Blick auf die zweite Erzählung (also Gen 21,8-21).
    Gen 16,4-14 wird von der Geburt Ismaels gesprochen. In Gen 17,25 wird die Beschneidung Abrahams und Ismaels geschildert. Ismael ist zu diesem Zeitpunkt bereits 13 Jahre alt. Danach erscheint Jahwe dem Abraham und verheißt die Geburt Isaaks. Gen 21,1-7 wird von der Geburt Isaaks berichtet. Und nachdem dieser entwöhnt war, erfolgt die Vertreibung der Hagar (Gen 21,8-21). Ismael wäre demnach mindestens 16 Jahre alt. Das macht es etwas schwer vorstellbar, wie die geschwächte Hagar nach langer Wüstenwanderung den 16jährigen auf dem Arm trägt und unter einen Strauch wirft. Aber genau das will Gen 21,15 glauben machen:
    "Als das Wasser im Schlauch zu Ende war, warf sie das Kind unter einen Strauch..." (Gen 21,15)
    Manche haben zwar versucht, hier irgendwelche Erklärungen zu konstruieren. Viel sinnvoller scheint es zu sein, wenn man davon ausgeht, dass hier die gleiche Erzählung in unterschiedlicher Tradition vorlag. Beide Texte scheinen dann in einen Erzählzusammenhang gebracht worden zu sein, ohne dass alle Spannungen geglättet wurden.
    Ein wichtiger Hinweis also auf mehrere Hände, die am Zustandekommen des heutigen Textes am Werk waren.
  • Weitere Beispiele wären die Berufung des Mose mit der damit verbundenen Selbstoffenbarung Jahwes, die einmal Ex 3,6ff und Ex 6,2ff geschildert wird.
  • Auch die Manna- und Wachtelspeisung sowie das Quellwunder finden sich zweimal im Text, einmal vor und einmal nach der Sinai-Offenbarung (Manna: Ex 16; Num 11,4-9; Wasser aus dem Felsen: Ex 17,1-7; Num 20,1-13);
  • auch in den gesetzlichen Texten gibt es Dubletten

d. Der Sintflutbericht als Beispiel einer ineinander verwobenen Dublette

Neben diesen einfachen Dubletten scheint es auch Texte zu geben, die in sich eine Begebenheit doppelt erzählen. Ich möchte das am Beispiel der Sintfluterzählung deutlich machen.

Dem Leser müssen ja bei diesem Text einige Unstimmigkeiten auffallen. So heißt es etwa in Gen 7,17:

"Die Flut auf der Erde dauerte vierzig Tage. Das Wasser stieg und hob die Arche immer höher über die Erde." (Gen 7,17.)

Gen 7,24 heißt es aber:

"Das Wasser aber schwoll hundertfünfzig Tage lang auf der Erde an." (Gen 7,24.)

Man kann nun einige exegetische Klimmzüge anstellen, um diese Angaben miteinander zu harmonisieren, aber eine befriedigende Lösung wird es hier nicht geben. Man muss wohl konstatieren, dass hier zweimal die Dauer der Flut unterschiedlich angegeben ist. Zumal es noch weitere Ungereimtheiten gibt.

In Gen 7,2 wird gesagt, dass Noah je sieben Paare der reinen und je ein Paar der unreinen Tiere in die Arche mitnehmen soll.

"Von allen reinen Tieren nimm dir je sieben Paare mit und von allen unreinen Tieren je ein Paar, (auch von den Vögeln des Himmels je sieben Männchen und Weibchen,) um Nachwuchs auf der ganzen Erde am Leben zu erhalten." (Gen 7,2-3.)

Gen 6,20 - also unmittelbar zuvor - haben wir aber gelesen, dass Noah von jeder Tierart, ganz egal ob rein oder unrein, jeweils ein Paar mitnehmen soll.

"Von allen Arten der Vögel, von allen Arten des Viehs, von allen Arten der Kriechtiere auf dem Erdboden sollen je zwei zu dir kommen, damit sie am Leben bleiben." (Gen 6,20.)

Hinzu kommt, dass - bei genauerem Lesen - auffallen muss, dass in der Erzählung vieles doppelt gesagt wird. Was gerade von Jahwe gesagt wurde, wird von Elohim wiederholt.

Kann aber ein und derselbe Autor in Gen 7,17 die Dauer der Flut mit 40 Tagen in Gen 7,24 dagegen mit 150 Tagen angeben? Kann ein und derselbe Autor innerhalb weniger Verse solch unterschiedliche Angaben zur Anzahl der einzelnen Tiergattungen machen?

Hier legt sich der Schluss viel näher, dass wohl zumindest zwei ursprünglich voneinander unabhängige Fassungen der Erzählung so miteinander verknüpft wurden, dass die Nähte im Nachhinein noch sichtbar sind.

In der Genesis könnte man solche Dubletten ja noch damit erklären, dass halt der Verfasser Mose schon mehrere Überlieferungen vorgefunden hat und dieselben einfach nebeneinander stehen ließ. Bei den Dubletten, die sich ab dem Buch Exodus finden, scheidet diese Erklärungsmöglichkeit jedoch endgültig aus.

2. Widersprüche

Neben der Vielzahl der Dubletten fallen im heutigen Textzusammenhang auch eine Fülle von Widersprüchen auf, die eine logische Textfolge stark stören:

In der sogenannten Josefsnovelle, Gen 37,10, lesen wir zum Beispiel, dass Josef den berühmten Traum hatte. Er erzählt diesen Traum seinem Vater und seinen Brüdern. Es heißt dort:

"Als er davon seinem Vater und seinen Brüdern erzählte, schalt ihn sein Vater und sagte zu ihm: Was soll das, was du da geträumt hast? Sollen wir vielleicht, ich, deine Mutter und deine Brüder, kommen und uns vor dir zur Erde niederwerfen?" (Gen 37,10).

Hier wird also vorausgesetzt, dass Rahel, die Mutter des Josef, noch lebt. Gen 35,19, also bereits zwei Kapitel zuvor, heißt es aber:

"Als Rahel gestorben war, begrub man sie an der Straße nach Efrata, das jetzt Betlehem heißt." (Gen 35,19.)

Hier liegt also eine kaum zu erklärende Ungereimtheit im Textzusammenhang vor.

Weitere solcher Beispiele gibt es in Hülle und Fülle. So heißt der Schwiegervater des Mose, wie wir bereits gesehen haben, in Ex 3,1; 4,18; 18,1ff "Jetro". In Ex 2,16-21 lesen wir aber:

"Der Priester von Midian hatte sieben Töchter. Diese kamen und wollten [am Brunnen] schöpfen und die Tränkrinnen füllen, um die Schafe ihres Vaters zu tränken. Da kamen Hirten und vertrieben sie. Nun erhob sich Mose, nahm sich ihrer an und tränkte ihre Schafe. Als sie zu Rëuël, ihrem Vater, kamen, fragte er sie: "Warum kommt ihr heute so früh?" Sie antworteten: "Ein Ägypter hat uns aus der Gewalt der Hirten befreit. Er hat uns sogar eifrig geschöpft und die Schafe getränkt." Da sprach er zu seinen Töchtern: "Wo ist er? Warum habt ihr den Mann dort gelassen? Ladet ihn doch zum Essen ein!" Mose ließ sich bestimmen, bei dem Manne zu bleiben. Dieser gab ihm seine Tochter Zipporra zur Frau." (Ex 2,16-21.)

Hier heißt der Schwiegervater des Mose offensichtlich Rëuël, oder auch Reguel. Es liegen also offenbar verschiedene Traditionen des Namens des Schwiegervaters des Mose vor.

Und manche sind versucht, hinter Num 10,29 sogar noch eine dritte Tradition des Schwiegervaternamens zu entdecken. Dort heißt es nämlich:

"Mose sprach dann zu Hobab, dem Sohne des Midianiters Rëuël, des Schwiegervaters des Mose: "Wir sind dabei, nach der Stätte aufzubrechen, von der Jahwe gesagt hat: Ich will sie euch geben..."" (Num 10,29).

Manche Exegeten meinen, dass die Stelle ursprünglich geheißen hat:

"Mose sprach dann zu Hobab dem Schwiegervater des Mose..."

Sie meinen, dass man diese Stelle dann später durch die Einfügung des Ausdrucks dem Sohne des Midianiters Rëuël beigeschliffen hat. Vielleicht war hier ursprünglich also ein Hobab als Schwiegervater des Mose genannt.

Es liegen also sicher zwei, vielleicht sogar drei verschiedene Namensangaben über den Schwiegervater des Mose vor.

3. Die Chronologie

Die gravierendsten Differenzen innerhalb der Darstellung des Pentateuchs bestehen aber in der Chronologie der Genesis.

  • Auf die Unstimmigkeiten in der Geschichte um Ismael und Hagar habe ich ja bereits schon hingewiesen.
    Nach Gen 21,8ff wird Hagar erst nach Isaaks Entwöhnung vertrieben. Isaak ist nach Gen 16,16; 21,5 aber 14 Jahre jünger als Ismael. Den dann mindestens 16 Jahre alten Ismael soll Hagar dabei aber auf ihren Schultern in die Wüste getragen haben.
  • In Gen 17,17 heißt es, dass Abraham, der bereits 100 Jahre alt war, schon nicht mehr an Kindersegen denkt. Gen 23 schildert dann den Tod der Sarah, die mittlerweile 127 Jahre alt geworden war. Der nunmehr erwachsene Isaak heiratet in der Zwischenzeit, und dann schildert Gen 25,1, wie Abraham sich noch eine andere Frau nimmt, nämlich die Ketura, die ihm noch einmal 6 weitere Söhne gebiert. Jetzt, mit schätzungsweise 130 bis 150 Jahren hat Abraham also plötzlich keinerlei Schwierigkeiten mehr damit, an Nachkommenschaft zu denken.
  • Gen 37,3 erweckt den Eindruck, als wäre Josef dem Jakob erst im hohen Alter geboren worden, also als wäre er gleichsam Jakobs spätgeborener Sohn. Es heißt dort:
    "Israel liebte Josef unter allen seinen Söhnen am meisten, weil er ihm noch in hohem Alter geboren worden war ..." (Gen 37,3)
    Wenn man jedoch den Bericht von Gen 29,31-30,24 daneben legt, wo ja geschildert wird, wie ein Kind nach dem anderen von verschiedenen Frauen geboren wird, dann können zwischen Ruben, dem ältesten der Söhne, und Josef, dem jüngsten, wirklich allerhöchstens 12 Jahre dazwischen liegen. Ein solcher Nachzögling kann Josef also gar nicht gewesen sein.
  • Nach Gen 42 ist Benjamin ein zarter Knabe, um den der Vater Angst hat, und den er deshalb auch nicht nach Ägypten mitziehen lassen möchte. Nach Gen 46,21 ist er bei der Aufzählung der Jakobssöhne aber plötzlich der kinderreichste von allen, und zwar nicht etwa viele Jahre später, sondern exakt unmittelbar nachdem sich Josef in Ägypten zu erkennen gegeben und der Pharao die Familie des Jakob nach Ägypten eingeladen hat. Es heißt in Gen 46,8:
    "Das sind die Namen der Söhne Israels, die nach Ägypten kamen..." (Gen 46,8)
    Während die einzelnen Jakobsöhne hier in der Regel zwischen 4 und 6 Söhne haben, ist der zarte Jüngling Benjamin bereits stolzer Vater von 10 Söhnen.
  • In Ex 19,3 steigt Mose auf den Berg in der Wüste Sinai. Ex 19,7 stieg er anscheinend schon wieder hinab, denn er redet zum Volk, das unten am Fuß des Berges steht. Ex 19,9 ist er bereits wieder oben und spricht mit Jahwe. Ex 19,14 steigt er dann wieder hinab. Dann liegen wenigstens drei Tage dazwischen, dass Mose in Ex 19,20 wieder hinaufsteigt, nur um von Jahwe, Ex 19,21, gesagt zu bekommen, dass er wieder hinabsteigen soll. Ist er dann in Ex 19,23 schon wieder auf dem Berg - denn hier spricht er erneut zu Jahwe und sagt, dass das Volk nicht heraufkommen könne - oder ist er etwa gar nicht erst hinuntergestiegen? In Ex 19,24 sagt ihm Jahwe auf jeden Fall, dass er wieder nach unten steigen soll, aber nur um mit Aaron wieder heraufzukommen. Und Ex 19,24b steigt Mose dann tatsächlich wieder hinab.
    Hier mokiert Holzinger:
    "Mose, ein immerhin schon 80jähriger Mann (Ex 7,6), wird in ganz unverantwortlicher Weise von dem Erzähler den Berg auf- und abgehetzt; man weiß schließlich überhaupt nicht mehr, wo er sich eigentlich befindet." ⋅2⋅
  • Interessanterweise breitet Aaron Lev 9,22 die Hände über dem Volk aus und segnet es. Die Segensformel, wie Aaron und seine Söhne das Volk Israel segnen sollen, wird aber erst in Num 6,22-27 mitgeteilt.
  • Widersprüchliche Darstellungen gibt es vor allem auch über die Anrufung des Gottesnamens. In Gen 4,26 heißt es - und zwar in der Urgeschichte! -:
    "Auch Set wurde ein Sohn geboren, und er nannte ihn Enosch. Dieser war der erste, der den Namen Jahwes anrief." (Gen 4,26)
    Das ist ein Widerspruch par excellence. Denn dass der Sohn des Set den Namen Jahwe noch gar nicht anrufen konnte, wissen wir schließlich aus dem Buch Exodus. Der Gottesname wird ja erst dem Mose am Sinai geoffenbart. Und Ex 6,2 sagt Jahwe ja selbst:
    "Gott redete mit Mose und sprach zu ihm: "Ich bin Jahwe! Ich bin Abraham, Isaak und Jakob unter dem Namen El schaddaj [Gott der Allmächtige] erschienen; doch mit meinem Namen Jahwe habe ich mich ihnen nicht geoffenbart." (Ex 6,2-3)

4. Stilistische Beobachtungen

Die Sache mit dem Gottesnamen führt uns zusätzlich zu einem weiteren auffälligen Punkt. Es fallen nämlich auch deutliche stilistische Unterschiede auf. Wir können hier schon mit der Verwendung der Gottesnamen beginnen.

  • Auffällig ist nämlich, dass in einigen Textteilen Gott durchgängig - also auch in der Ur- und Patriarchengeschichte - als Jahwe bezeichnet wird. In anderen Abschnitten ist dagegen einfach von אֱלֺהִים [">ælohim"], "Gott", die Rede.

Darüber hinaus gibt es weitere Auffälligkeiten was die Wortwahl betrifft.

  • Im Bericht von der Sintflut wird einmal von זָכָר וּנְקֵבָה ["zakar uneqeba(h)"] (= "männliche und weibliche") (Gen 6,19), an anderer Stelle von אִישׁ וְאִשְׁתּוֺ ["isch we>ischto"] (= "Männchen und Weibchen") (Gen 7,2) gesprochen. Dies hätte ja noch nichts zu bedeuten. Auffällig wird es aber, wenn man hinzu nimmt, dass wir beim Bericht über die Sintflut ja bereits zwei ineinander verwobene Dubletten vermuteten. Wir haben dies ja an widersprüchlichen Zahlenangaben fest gemacht. Wenn sich diese unterschiedliche Wortwahl nun aber ganz harmonisch den in Gen 6-7 rekonstruierbaren ursprünglichen Texteinheiten zuordnen lässt, dann kann man dies ja als wichtigen Hinweis dafür nehmen, dass diese verschiedenen, ineinanderverwobenen und ursprünglich wohl einmal selbständigen Berichte auch verschiedene Stile aufwiesen. Ein weiteres Indiz für verschiedene Hände.
  • Ähnliche Unterschiede in der Wortwahl stellen wir auch an anderen Stellen fest. In Gen 15,18 heißt es "einen Bund schneiden" (כָּרַַת בְּרִית ["karat berit"]), in Gen 17,7 "einen Bund aufrichten" (הֵקִים בְּרִית ["heqim berit"], wörtlich: וַהֲקִמֺתִ אֶת־בְּרִיתִי).
  • Dann werden die Bewohner Kanaans einmal Kanaaniter, ein andermal Amoriter genannt.
  • Wir haben bereits gesehen, dass der Berg des Bundesschlusses einmal Sinai, ein andermal - vor allem im Deuteronomium - Horeb genannt wird.
  • Gerade das Deuteronomium zeichnet sich durch einen ganz eigenen Wortschatz aus. Hier begegnen mit Vorliebe Ausdrücke wie:
    "Auf die Stimme hören",
    oder "von ganzem Herzen und ganzer Seele".
  • Auch wenn es sich um Textpassagen handelt, die vorwiegend von Opfern oder vom Kult handeln, lässt sich ein ganz spezifischer Wortschatz feststellen:
    • מִשְׁכָּן ["mischkan"] = "Wüstenheiligtum", oder
    • עֵדָה ["<eda(h)"] = "Versammlung Israels"
    sind Begriffe, die im Zusammenhang mit Textpassagen, die von Opfern berichten, immer wieder auftauchen.
  • Einen ganz eigenen Terminus bringen die Listen und Aufzählungen von Geschlechtern und Abstammungsreihen. Hier fällt das Wort תוֺלֵדוֺת ["toledot"] auf. Solche Aufzählungen beginnen immer wieder mit וְאֵלֶּה תוֺלֵדוֺת ["we>ellæh toledot..."] = "Dies sind die Nachkommen ...".

Unterschiede gibt es aber nicht nur in der Wortwahl. Es fallen auch ganz unterschiedliche Stile auf. Wir finden Passagen, die von einem lebendigen Erzählstil geprägt sind, aber auch Passagen in formelhaftem Predigtstil, letztere vor allem im Deuteronomium. Der Stil der Gesetzespassagen hingegen ist trocken und monoton. Genau dieser trockene und monotone Stil findet sich aber auch in erzählenden Stücken, besonders dann wenn die betreffenden Texte anscheinend besonders stark am Kult interessiert zu sein scheinen.

5. Schlussfolgerung

Wir können also schon jetzt sagen, dass wir bei der Durchsicht des Textes auf einige Auffälligkeiten stoßen. Wir haben eine ganze Reihe

  • eindeutige Doppelungen,
  • klaffende Nähte,
  • unterschiedliche Stile
  • und unpassende zeitliche Zusammenhänge

festgestellt. Das zwingt eigentlich zur Annahme, dass dieser Text kaum von einem einzigen Autor stammen kann. Er scheint sogar nicht einmal aus einer einzigen Epoche hervorgegangen zu sein.

Bereits jetzt können wir also ein vielschichtiges Wachstum des Pentateuchs erahnen.

Nun stellt sich aber endgültig die Frage, wer dann den Pentateuch verfasst hat und wann und wie er entstanden ist.

Weiter-ButtonZurück-Button Anmerkungen

1 Vgl.: Lothar Ruppert, Einleitung in das Alte Testament (Teil I) - autorisierte Vorlesungsmitschrift (WS 1984/85) 65-66. Zur Anmerkung Button

2 Vgl.: Holzinger, Einleitung in den Hexateuch (Freiburg/Leipzig 1893), zitiert nach: Lothar Ruppert, Einleitung in das Alte Testament (Teil I) - autorisierte Vorlesungsmitschrift (WS 1984/85) 67. Zur Anmerkung Button